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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2018

Stimmen der Unsichtbaren
In ihrem Epochenroman "Heimkehren" erzählt Yaa Gyasi von Kolonialismus und Sklaverei

Yaa Gyasi war empört über den Slogan, mit dem Donald Trump die Wahl gewonnen hat - knüpft er doch in ihren Augen an die dunkelsten und grausamsten Kapitel der amerikanischen Geschichte an. "Make America Great Again", das heißt für sie nichts anderes, als zu den menschenverachtenden Vorstellungen von Ausbeutung und Rassismus zurückzukehren, die das Land einst reich und mächtig gemacht haben. Nicht nur die Südstaaten, sondern das ganze Land verdankte seinen wirtschaftlichen Aufschwung im neunzehnten Jahrhundert der Sklaverei. Nach deren Abschaffung wurden die ehemaligen Sklaven durch Gesetze wie die "Black Codes" systematisch zu Sträflingen gemacht und bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs als Zwangsarbeiter an Industriebetriebe und Minenbetreiber "ausgeliehen" - eine Praxis, die tiefe gesellschaftliche Spuren hinterlassen hat. "Wie die meisten der in diesem Land ausgegrenzten Menschen kann ich es mir nicht erlauben, zu vergessen, dass in Amerika beides - Traum und Albtraum - zur selben Zeit möglich und wahr ist", schreibt Yaa Gyasi im Vorwort ihres großartigen Debüts.

"Heimkehren" ist ein engagiertes, politisches Buch, das denen eine Stimme geben will, die unsichtbar und unbekannt blieben, die als Untertanen der britischen Kolonialherren in Ghana und als Sklaven in Amerika gelebt haben. Ihre Geschichte setzt um 1760 ein, mit der Ausweitung des Sklavenhandels in Ghana, und sie endet acht Generationen später in der Gegenwart mit einem afroamerikanischen Studentenpaar, das an Ghanas Küste die (tatsächlich existierende) Festung Cape Coast Castle besichtigt. Es wird eine traumatische Erfahrung, denn beide wissen, dass ihre Vorfahren von hier aus als Sklaven verkauft wurden.

Ungewöhnlich an diesem Debüt der 1989 in Ghana geborenen und in Alabama aufgewachsenen Autorin sind die beiden Erzählstränge, zwischen denen eine ungeheure Spannung entsteht. Am Anfang stehen zwei Halbschwestern, die sich nie kennenlernen. Die schöne Effia lebt als Geliebte des britischen Gouverneurs in der genannten Festung. Ihre Schwester Esi wird in einem der vielen Stammeskriege gefangen und 1796 als Sklavin nach Amerika verkauft. Ihre Tochter Ness, Baumwollpflückerin in Alabama, ist die erste von drei Frauen im Roman, die radikal denken und beharrlich um ihre Würde ringen.

Immer wieder streut die Autorin Daten und Orte in den Erzählfluss, die nicht nur konkrete historische Hallräume öffnen, sondern dem Leben ihrer Figuren jeweils eine neue Richtung geben - besonders deutlich wird das an der bildmächtig geschilderten Bergbaustadt Pratt City, Alabama, mit ihren unterirdischen Minenlabyrinthen. Dort sind Strafgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt, sie gründen später als freie Männer die ersten Gewerkschaften. Willie, die Tochter eines Bergmanns und zweite große Frauengestalt des Romans, bricht von hier aus selbstbewusst nach New York auf. Der genügsamen und sehr gläubigen Frau gelingt es, inmitten von Junkies und Hoffnungslosen in Harlem ihre Familie zusammenzuhalten - vor allem durch ihre starke und schöne Stimme.

Akua schließlich, die in Ghana geblieben ist, verbindet in ihren Traumata die Kolonialgeschichte mit der Gegenwart. In ihren Albträumen von der "Feuerfrau" leben die Schrecken der jahrelangen Kriege des Asante-Volkes gegen die britischen Besatzer und die Zerstörung der Hauptstadt Kumasi fort. Faszinierend lesen sich die Schilderungen des unerbittlich hierarchischen, ritualisierten Lebens in einem Asante-Dorf mit seinem geld- und machtgierigen Häuptling. Die uralte Akua träumt auch vom Tod ihrer Mutter während einer christlichen Zwangstaufe und von der Verbrennung eines unschuldigen weißen Reisenden. Sie hatte, von Missionaren erzogen, sein Englisch verstanden, aber keinen Finger gerührt, um ihn zu retten - eine Schuld, die sie bis zu ihrem Tod quält.

Acht Generationen umfasst dieses Epos, jede der herausgehobenen Figuren hat ihr eigenes Kapitel. So entsteht, verwandt mit Colson Whiteheads Roman "Underground Railroad", ein nachdenklicher, vielschichtiger Chor von Stimmen: schrille und traurige, einsame und träumerische. Doch anders als Whitehead geht es Gyasi nicht um ein psychologisches Panorama der Gesellschaft, sondern um die Struktur der Gewalt, um Mechanismen, die bis heute unverändert weiterwirken. Sie legt, erzählerisch klug, den wachsenden Zorn über das Ausmaß der Grausamkeit, dem sie begegnet, ihrem Alter Ego, dem Enkel Willies, in den Mund. Auch er studiert an der Stanford University Englische Literatur, und während er an einem Buch über Kolonisation und Sklaverei schreibt, wird er immer hellhöriger für die latent rassistischen Töne in seinem angeblich liberalen universitären Umfeld.

"Heimkehren" ist kein zorniges Buch - eher ein sorgsam abwägendes und genau nachfragendes. Vor allem ist es lustvoll und überbordend erzählt: Das Licht und die salzige Ozeanluft Ghanas werden genauso exakt beschrieben wie die Tristesse der endlosen Bauwollfelder Alabamas, die tröstlichen Sonntagsgerüche in Willies Küche und die Verzweiflung von Akuas amerikanischer Enkelin, sich vielleicht auf die falsche Art schwarz zu fühlen. Doch was wäre die richtige Art?

Neben historischem Material hat Yaa Gyasi in ihrem Epos auch die Geschichte der eigenen Familie verarbeitet. Dass Traumata erblich sind und was das konkret bedeutet, davon erzählt dieser kluge, aufrüttelnde Roman, der ein ehrfurchtgebietendes Thema in eindringliche, leuchtende Bilder verwandelt. Er könne Wunden heilen, schrieb Gyasis Schriftstellerkollegin Zadie Smith über das Buch - davon ist man nach der Lektüre restlos überzeugt.

NICOLE HENNEBERG

Yaa Gyasi: "Heimkehren". Roman.

Aus dem Englischen von Anette Grube. Dumont Verlag, Köln 2017. 416 S., geb., 22,- [Euro].

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