»Ottessa Moshfegh ist verdammt noch mal genial.«
FAS
Die Menschen in diesen Erzählungen sind eigensinnig, überheblich und boshaft. Und doch fühlen wir mit ihnen, denn ihr oft absurdes Verhalten hat immer auch etwas zutiefst Menschliches, genau wie ihre pathetischen Illusionen, durch die sie sich ständig selbst im Weg stehen. Haben wir nicht alle irgendwann »Heimweh nach einer anderen Welt«? Storys wie Nadelstiche, die tief unter die Haut gehen. In ihren preisgekrönten Erzählungen schafft Ottessa Moshfegh ein groteskes Panorama menschlicher Bos- und Dummheit. Ein gewaltiges Vergnügen - bis man merkt, wie nah das alles an der Realität ist, und einem das Lachen im Hals stecken bleibt.
FAS
Die Menschen in diesen Erzählungen sind eigensinnig, überheblich und boshaft. Und doch fühlen wir mit ihnen, denn ihr oft absurdes Verhalten hat immer auch etwas zutiefst Menschliches, genau wie ihre pathetischen Illusionen, durch die sie sich ständig selbst im Weg stehen. Haben wir nicht alle irgendwann »Heimweh nach einer anderen Welt«? Storys wie Nadelstiche, die tief unter die Haut gehen. In ihren preisgekrönten Erzählungen schafft Ottessa Moshfegh ein groteskes Panorama menschlicher Bos- und Dummheit. Ein gewaltiges Vergnügen - bis man merkt, wie nah das alles an der Realität ist, und einem das Lachen im Hals stecken bleibt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2020Einfach etwas anderes wünschen!
Wie man sich sein Leben schönt: Die amerikanische Star-Autorin Ottessa Moshfegh schildert in ihrem Erzählungsband Menschen, die aus dem Gleis geraten sind.
Eigentlich kann man die junge Lehrerin aus New York nur beglückwünschen. "Mir geht's so gut wie nie", sagt sie oder "Mein Kopf heilt. Alles wird gut" oder "Alles gut hier. Wie üblich bessere ich mich". Sie ist die Erzählerin der ersten Geschichte in Ottessa Moshfeghs Band "Heimweh nach einer anderen Welt", der jetzt auf Deutsch erschienen ist, und fasste man all das zusammen, was sie über ihren Zustand - den jetzigen und den künftigen - so sagt, dann wäre das eine Glückssteigerung auf hohem Niveau.
Betrachtet man das, was sie jenseits der Bewertung über ihr Dasein berichtet, dann liegt darin eine Provokation. Sie unterrichtet Schüler, die ihrem Unterricht weder folgen können noch wollen, und inwieweit sie eine Lehrerin respektieren, die in einem Schlafsack im Klassenraum übernachtet und morgens noch den reichlichen Alkohol des Vorabends ausdünstet, wenn die Schüler den Raum betreten, bleibt ungewiss. Um nicht als pädagogische Niete aufzufliegen, fälscht sie die Prüfungsergebnisse ihrer Schüler, und ihre gelegentlichen Liebesabenteuer scheinen jedenfalls nichts zu dem Glückszustand beizutragen, in dem sie sich zu befinden behauptet. Einmal bittet sie ihr geschiedener Ehemann, der mit seiner neuen Frau weggezogen ist und mit dem sie, wenn sie betrunken ist, lange Telefonate führt, um ein Treffen zum Abendessen. Als sie ihm dann gegenübersitzt, eröffnet er ihr, dass sie ihn nicht mehr anrufen soll. Erwartet hat sie das nicht, aber sie macht das Beste daraus: Sie trinkt auf seine Kosten, soviel es geht, und handelt zugleich eine Summe aus, die er ihr dafür zahlen soll, dass sie sich nicht mehr meldet.
Ein alter Mann, der seine Nachbarin auf abstoßende Weise umgarnt; ein Hochstapler, der am Ende seine Habe in einem Hausbrand verliert; ein Immobilienmakler, der Vater werden soll und sich mit Drogen vollpumpt; zwei Musiker, die in einem Probenraum eingeschlossen sind und sich vor Langeweile fast aus dem Fenster stürzen, ein junges Mädchen, das mit einem Mann zusammen ist, den sie nicht leiden kann, der aber in einer Gegend eine Hausmeisterwohnung hat, die sie mag - die Protagonisten, meist sind es die Erzähler dieser Geschichten, führen kaum je ein Leben, um das man sie beneiden würde. Mehr noch, sie stecken in Situationen fest, die ausweglos erscheinen, wenigstens im Sinne einer nahen Wendung ins Bessere.
Etwa der Achtzehnjährige, der Schauspieler werden möchte und nun in der Villa einer alternden Schauspielerin in einem winzigen Zimmer zur Miete wohnt. Am Pool, immerhin, darf er liegen, aber in dem Bassin ist kein Wasser, nur hin und wieder der Kadaver eines Eichhörnchens, das hineingefallen war und nicht mehr herausfand. Manchmal wird er zum Vorsprechen eingeladen, viel wird nicht daraus, so geht es immer weiter. Auffällig viele Geschichten in diesem Band finden ein Ende, das nicht durch eine abrupte Wendung des Handlungsbogens motiviert wird. Die Autorin setzt ihre Pointen gekonnt, aber nicht durch einschneidende Ereignisse.
Sehen die Erzähler das selbst auch so? Wissen sie mehr, als sie erzählen, wiegt ihr Urteil nicht mehr? Es ist das Spannungsverhältnis zwischen der notwendig befangenen Schilderung der Ich-Erzähler und deren Rezeption durch den zunehmend fassungslosen Leser, aus dem die Geschichten ihre Funken schlagen, so lange, bis sich auch der Leser fragen muss, ob es nicht seine Perspektive ist, die den Geschehnissen nicht gewachsen ist. Denn Moshfeghs Protagonisten - nicht nur in diesem Band, auch schon in ihren Romanen "Eileen" und "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung", vor allem aber in der Erzählung "McGlue" - sind groß darin, ihre Leben wortreich zu verteidigen: vor dem Leser und vor sich selbst. Die Autorin reizt das aus, sie sucht und findet das vermeintliche Elend, den Gestank, die Verwahrlosung, die kaum zufällig immer wieder geschilderte eitrige Haut, und konfrontiert uns ständig mit unserer Bewertung. Zugleich aber wird man nicht leicht eine Sammlung von zeitgenössischen Short Stories finden, die all das mit so viel Eleganz der Sprache verbindet, wie um uns darauf zu stoßen, was Überredungsstrategien vermögen, im Guten wie im Bösen. Denn natürlich gibt es auch selbstgemachte Deutungen des eigenen Lebens, die geradewegs in Abgründe führen. So stellt sich der werdende Vater vor, wie sein Sohn dann in fünfzig Jahren an seinem Grab stehen wird: "Ich spürte die Verbitterung und den Groll, den er gegen mich hegte, und ich hasste ihn." Auch der Sohn wird dann, so geht die Phantasie weiter, den Enkeln gegenüber nur schlecht von seinem Vater reden.
"Wenn man sich etwas wünscht und es nicht kriegen kann, wünscht man sich einfach etwas anderes", sagt der Erzähler von "Malibu", der arbeitslos ist und dessen körperlich erheblich eingeschränkter Onkel seine einzige Chance auf etwas Geld darstellt. Also passt er sich ihm an, was zu einer bizarren Diskussion darüber führt, wie und wo der Onkel dereinst zu bestatten sei - verbrannt soll er werden, so viel ist immerhin klar, aber er sorgt sich, dass "irgendwelche Viecher auf meine Asche pinkeln". Der Neffe beruhigt ihn: "Wenn du willst, besprühe ich deine Asche mit Gift, Ehrenwort."
Ist das ein Ausweg? Wie man sich an den Verhältnissen reibt, in die man nicht passt, in denen man wie ein Fremder ist, und sich zugleich damit arrangiert, das führen die Erzählungen meisterlich vor bis zur allerletzten Seite, die ein Mädchen zeigt, das unter höchstem Einsatz dieses Arrangement verweigert. Man kann sogar vermuten, dass die Autorin ihren Figuren, die sie in den Kampf schickt und beim Kämpfen beobachtet, hohen Respekt dafür zollt, dass sie so beharrlich versuchen, die Dämonen in Schach zu halten. Das aber gelingt nur selten, und paradoxerweise scheint es ihnen sogar besserzugehen, wenn diese Dämonen die Oberhand gewinnen.
"Wünsch dir das, was du verdienst. Und dann wird es vermutlich auch in Erfüllung gehen", sagt der Erzähler in "Malibu". In Moshfeghs Kosmos bedeutet das nichts Gutes.
TILMAN SPRECKELSEN
Ottessa Moshfegh: "Heimweh nach einer anderen Welt". Storys.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2020. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man sich sein Leben schönt: Die amerikanische Star-Autorin Ottessa Moshfegh schildert in ihrem Erzählungsband Menschen, die aus dem Gleis geraten sind.
Eigentlich kann man die junge Lehrerin aus New York nur beglückwünschen. "Mir geht's so gut wie nie", sagt sie oder "Mein Kopf heilt. Alles wird gut" oder "Alles gut hier. Wie üblich bessere ich mich". Sie ist die Erzählerin der ersten Geschichte in Ottessa Moshfeghs Band "Heimweh nach einer anderen Welt", der jetzt auf Deutsch erschienen ist, und fasste man all das zusammen, was sie über ihren Zustand - den jetzigen und den künftigen - so sagt, dann wäre das eine Glückssteigerung auf hohem Niveau.
Betrachtet man das, was sie jenseits der Bewertung über ihr Dasein berichtet, dann liegt darin eine Provokation. Sie unterrichtet Schüler, die ihrem Unterricht weder folgen können noch wollen, und inwieweit sie eine Lehrerin respektieren, die in einem Schlafsack im Klassenraum übernachtet und morgens noch den reichlichen Alkohol des Vorabends ausdünstet, wenn die Schüler den Raum betreten, bleibt ungewiss. Um nicht als pädagogische Niete aufzufliegen, fälscht sie die Prüfungsergebnisse ihrer Schüler, und ihre gelegentlichen Liebesabenteuer scheinen jedenfalls nichts zu dem Glückszustand beizutragen, in dem sie sich zu befinden behauptet. Einmal bittet sie ihr geschiedener Ehemann, der mit seiner neuen Frau weggezogen ist und mit dem sie, wenn sie betrunken ist, lange Telefonate führt, um ein Treffen zum Abendessen. Als sie ihm dann gegenübersitzt, eröffnet er ihr, dass sie ihn nicht mehr anrufen soll. Erwartet hat sie das nicht, aber sie macht das Beste daraus: Sie trinkt auf seine Kosten, soviel es geht, und handelt zugleich eine Summe aus, die er ihr dafür zahlen soll, dass sie sich nicht mehr meldet.
Ein alter Mann, der seine Nachbarin auf abstoßende Weise umgarnt; ein Hochstapler, der am Ende seine Habe in einem Hausbrand verliert; ein Immobilienmakler, der Vater werden soll und sich mit Drogen vollpumpt; zwei Musiker, die in einem Probenraum eingeschlossen sind und sich vor Langeweile fast aus dem Fenster stürzen, ein junges Mädchen, das mit einem Mann zusammen ist, den sie nicht leiden kann, der aber in einer Gegend eine Hausmeisterwohnung hat, die sie mag - die Protagonisten, meist sind es die Erzähler dieser Geschichten, führen kaum je ein Leben, um das man sie beneiden würde. Mehr noch, sie stecken in Situationen fest, die ausweglos erscheinen, wenigstens im Sinne einer nahen Wendung ins Bessere.
Etwa der Achtzehnjährige, der Schauspieler werden möchte und nun in der Villa einer alternden Schauspielerin in einem winzigen Zimmer zur Miete wohnt. Am Pool, immerhin, darf er liegen, aber in dem Bassin ist kein Wasser, nur hin und wieder der Kadaver eines Eichhörnchens, das hineingefallen war und nicht mehr herausfand. Manchmal wird er zum Vorsprechen eingeladen, viel wird nicht daraus, so geht es immer weiter. Auffällig viele Geschichten in diesem Band finden ein Ende, das nicht durch eine abrupte Wendung des Handlungsbogens motiviert wird. Die Autorin setzt ihre Pointen gekonnt, aber nicht durch einschneidende Ereignisse.
Sehen die Erzähler das selbst auch so? Wissen sie mehr, als sie erzählen, wiegt ihr Urteil nicht mehr? Es ist das Spannungsverhältnis zwischen der notwendig befangenen Schilderung der Ich-Erzähler und deren Rezeption durch den zunehmend fassungslosen Leser, aus dem die Geschichten ihre Funken schlagen, so lange, bis sich auch der Leser fragen muss, ob es nicht seine Perspektive ist, die den Geschehnissen nicht gewachsen ist. Denn Moshfeghs Protagonisten - nicht nur in diesem Band, auch schon in ihren Romanen "Eileen" und "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung", vor allem aber in der Erzählung "McGlue" - sind groß darin, ihre Leben wortreich zu verteidigen: vor dem Leser und vor sich selbst. Die Autorin reizt das aus, sie sucht und findet das vermeintliche Elend, den Gestank, die Verwahrlosung, die kaum zufällig immer wieder geschilderte eitrige Haut, und konfrontiert uns ständig mit unserer Bewertung. Zugleich aber wird man nicht leicht eine Sammlung von zeitgenössischen Short Stories finden, die all das mit so viel Eleganz der Sprache verbindet, wie um uns darauf zu stoßen, was Überredungsstrategien vermögen, im Guten wie im Bösen. Denn natürlich gibt es auch selbstgemachte Deutungen des eigenen Lebens, die geradewegs in Abgründe führen. So stellt sich der werdende Vater vor, wie sein Sohn dann in fünfzig Jahren an seinem Grab stehen wird: "Ich spürte die Verbitterung und den Groll, den er gegen mich hegte, und ich hasste ihn." Auch der Sohn wird dann, so geht die Phantasie weiter, den Enkeln gegenüber nur schlecht von seinem Vater reden.
"Wenn man sich etwas wünscht und es nicht kriegen kann, wünscht man sich einfach etwas anderes", sagt der Erzähler von "Malibu", der arbeitslos ist und dessen körperlich erheblich eingeschränkter Onkel seine einzige Chance auf etwas Geld darstellt. Also passt er sich ihm an, was zu einer bizarren Diskussion darüber führt, wie und wo der Onkel dereinst zu bestatten sei - verbrannt soll er werden, so viel ist immerhin klar, aber er sorgt sich, dass "irgendwelche Viecher auf meine Asche pinkeln". Der Neffe beruhigt ihn: "Wenn du willst, besprühe ich deine Asche mit Gift, Ehrenwort."
Ist das ein Ausweg? Wie man sich an den Verhältnissen reibt, in die man nicht passt, in denen man wie ein Fremder ist, und sich zugleich damit arrangiert, das führen die Erzählungen meisterlich vor bis zur allerletzten Seite, die ein Mädchen zeigt, das unter höchstem Einsatz dieses Arrangement verweigert. Man kann sogar vermuten, dass die Autorin ihren Figuren, die sie in den Kampf schickt und beim Kämpfen beobachtet, hohen Respekt dafür zollt, dass sie so beharrlich versuchen, die Dämonen in Schach zu halten. Das aber gelingt nur selten, und paradoxerweise scheint es ihnen sogar besserzugehen, wenn diese Dämonen die Oberhand gewinnen.
"Wünsch dir das, was du verdienst. Und dann wird es vermutlich auch in Erfüllung gehen", sagt der Erzähler in "Malibu". In Moshfeghs Kosmos bedeutet das nichts Gutes.
TILMAN SPRECKELSEN
Ottessa Moshfegh: "Heimweh nach einer anderen Welt". Storys.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2020. 336 S., geb., 22,- [Euro].
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