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In den Widersprüchen zu Hause: Die erste umfassende Biographie über Heiner Müller. Müllers Rang als einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker ist unbestritten. Seine literarische Arbeit war die permanente Provokation gegen Geschichtslosigkeit, und Geschichte war ihr Grundthema. An der eigenen biographischen Geschichte war er nicht sonderlich interessiert. Weil er als Schriftsteller versuchte, seine Erlebnisse auf eine poetische Formel zu bringen, mischen noch seine persönlichsten Texte Dokument und Fiktion, Dichtung und Wahrheit. Die Auseinandersetzung mit seiner Person und seinem Werk ist…mehr

Produktbeschreibung
In den Widersprüchen zu Hause: Die erste umfassende Biographie über Heiner Müller.
Müllers Rang als einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker ist unbestritten. Seine literarische Arbeit war die permanente Provokation gegen Geschichtslosigkeit, und Geschichte war ihr Grundthema. An der eigenen biographischen Geschichte war er nicht sonderlich interessiert. Weil er als Schriftsteller versuchte, seine Erlebnisse auf eine poetische Formel zu bringen, mischen noch seine persönlichsten Texte Dokument und Fiktion, Dichtung und Wahrheit. Die Auseinandersetzung mit seiner Person und seinem Werk ist entsprechend von Legenden und Thesen überwuchert. Diese Biographie stellt Material bereit, um die Diskussion zu versachlichen. Jan-Christoph Hauschild skizziert Herkunft und Werdegang, dokumentiert die Entstehung der Stücke, zeigt Interpretationslinien auf und berücksichtigt auch die verwickelte Aufführungsgeschichte. Neben gedruckten Quellen wertet er seine Gespräche mit Menschen aus, die Müller auf ganz unterschiedliche Weise nahestanden. Und er erhielt Einsicht in das ursprüngliche, von Müller für den Druck bearbeitete Manuskript von "Krieg ohne Schlacht", das umfangreicher ist als die Buchausgabe. Jan-Christoph Hauschild hat in seiner Biographie das faszinierende Porträt eines Grenzgängers deutscher Kultur entworfen, der das Scheitern einer Utopie beschrieb und gleichzeitig die Erinnerung an sie bewahrte.
Autorenporträt
Jan-Christoph Hauschild, geb. 1955, studierte nach dem Abitur Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaften. 1984 promovierte er mit einer Arbeit über Georg Büchner. Von 1980 bis 1986 war er wissenschaftlicher Redakteur der Historisch-kritischen hein-Ausgabe, danach Lehrbeauftragter am Germanistischen Seminar der Universität Düsseldorf. Seit 1984 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Heinrich-Heine-Instituts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2001

Gespenster am toten Klischee
In seiner Biographie Heiner Müllers sieht Jan-Christoph Hauschild Harmonie, wo Widersprüche toben · Von Hans Christoph Buch

"Müller, Müller", sagte Erich Honecker und blätterte zerstreut in der vor ihm liegenden Kaderakte. "Der Name kommt mir bekannt vor." - "Richtig", sagte Heiner Müller, seine Chance witternd. "1951 trat ich mit einer Lyrik-Brigade der FDJ bei den Weltjugendfestspielen auf." Honecker strahlte: "Das waren schöne Zeiten. Damals haben die Schriftsteller uns noch keine Schwierigkeiten gemacht. - Was hast du auf dem Herzen, Genosse?" Heiner Müller beichtete dem Staatsratsvorsitzenden, daß er Ginka Tscholakowa heiraten wollte, eine Studentin aus Sofia, die von der Staatssicherheit ohne Angabe von Gründen aus der DDR ausgewiesen worden war. "Es gibt so viele hübsche junge Mädels in unserer Republik", sagte Honecker. "Warum muß es unbedingt eine Ausländerin sein? Hand aufs Herz, Genosse - liebst du sie wirklich?" - "Ich denke schon." - "Und wie stehst du zu unserer Republik?" Heiner Müller wurde abwechselnd heiß und kalt. Eine zu positive Antwort klang unglaubwürdig, eine negative schied aus, und trotz anderslautender Beteuerungen war der Generalsekretär der SED allergisch gegen Kritik. "Mir gefällt's hier", sagte er lapidar. Honecker strahlte erneut. "Also meinetwegen, ihr könnt heiraten." - "Dürfen wir auch in den Westen reisen?" - "Ja, aber zurückkommen in die DDR!" Erich Honecker drohte ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger.

Derartige Anekdoten, die Heiner Müller zu vorgerückter Stunde, bei Whisky und Zigarren, umwerfend zu erzählen verstand, sucht man vergeblich in Jan-Christoph Hauschilds 620 Seiten starker Biographie des sozialistischen Dramatikers. Vielleicht sollte man nicht erwarten, Heiner Müllers schwarzen Humor, seine trotz aller Zynismen zarte Lakonie in einem Buch wiederzufinden, das Leben und Werk des deutsch-deutschen Stückeschreibers von außen schildert und literarhistorisch auf den Begriff zu bringen versucht. "Mit Hilfe von Paul Dessau erhält er schließlich einen Termin bei Honecker, der ihm persönlich ein Visum genehmigt" - in diesem wenig aussagekräftigen Satz faßt Hauschild die erwähnte Episode zusammen. Daß Müllers Ehe mit Ginka Tscholakowa zwar noch Jahre fortbestand, aber innerlich in die Brüche ging, kaum waren die äußeren Hindernisse aus dem Weg geräumt - auch diese Pointe wird vom Autor verschenkt, wie er überhaupt die Risse in Müllers Leben und Werk nicht deutlich herausstellt. Dabei waren beide aus dem gleichen Stoff gemacht: Zwischen den historischen Koordinaten seiner Biographie - von der Weimarer Republik über die Machtergreifung der Nationalsozialisten bis zu Aufbau und Niedergang der DDR - und den privaten Tragödien des Autors Müller - von Inge Müllers Selbstmord bis zu seinem durch Whisky und Zigarren beschleunigten, frühen Tod - besteht, so besehen, kein prinzipieller Unterschied: Beide Höllen hat er in seiner Arbeit immer wieder thematisiert. Nicht nur die politische Geschichte, auch sein Privatleben war - so hat er selbst es einmal formuliert - für den Dramatiker nur Material: Medeamaterial (wie der Tod von Inge Müller) oder eben Müllermaterial.

Trotz oder wegen ihrer zu allem entschlossenen Post-Modernität haben Heiner Müllers Stücke das Verfallsdatum der real existierenden DDR nur knapp überlebt: Nach seinem Tod Ende 1995 wurde es überraschend schnell still um den vor und nach der Wende in beiden Deutschlands frenetisch Gefeierten. Nicht so sehr wegen der kleinlichen Kompromisse, die der große Schriftsteller eingegangen war, wie etwa die zeitweilige Kooperation mit der Staatssicherheit, die im Buch auf peinliche Weise bagatellisiert werden. Die Ursachen des Paradigmenwechsels liegen tiefer. Ähnlich wie bei Joseph Beuys, von dem er viel gelernt hat, bildeten Heiner Müllers Person und Werk eine untrennbare Einheit, sozusagen ein Gesamtkunstwerk. In gewisser Weise war Müller ein östlich verortetes, literarisches Pendant zu Beuys, mit T-Shirt und Zigarre statt Trenchcoat und Hut, und mit dem Ableben der Person brach das Kraftzentrum weg, das die Späne auf dem Magnetfeld zusammenhielt: Ohne die Existenz des Autors, die das Werk beglaubigte (und umgekehrt), implodierte dieses wie der reale Sozialismus der DDR.

Jan-Christoph Hauschilds Biographie zeichnet Heiner Müllers Leben und Arbeit literarisch zuverlässig und psychologisch glaubwürdig nach. Es ist eine germanistische Fleißarbeit, die durch die Ausgewogenheit ihres Urteils überzeugt und zugleich verstimmt. Die Banalität des Buchs steht in auffälligem Widerspruch zur Brisanz seines Objekts, dessen Sprengkraft die deutschsprachige Literatur gehörig aufgemischt hat - mit zeitlicher Verzögerung in Ost und West. Heiner Müller wird von seinem Biographen vereinnahmt für etwas, was er sicher nicht war: Vertreter einer lauen Vernunft, eines linken Mainstreams aus ideologischen Versatzstücken - Antifaschismus aus zweiter und dritter Hand, gepaart mit einer utopischen Heilserwartung, die ausgerechnet in der DDR ihre Verwirklichung gefunden zu haben glaubte.

Die Brüche in Heiner Müllers politischer und literarischer Existenz entziehen sich einer harmonisierenden Sicht, in der die Stasi als humanitäre Organisation erscheint, die in kniffligen Fällen unbürokratisch Hilfe leistete. Die schmerzenden Widersprüche werden in unzulässiger Weise eskamotiert: der Widerspruch zwischen der literarischen Kühnheit von Müllers Werk und der persönlichen Feigheit des Autors, der in Köpenick auf die andere Straßenseite ging, als seine Frau Ginka von Betrunkenen angepöbelt wurde, und das obszöne Schauspiel sichtlich genoß - der Verfasser dieser Zeilen war selbst dabei. Oder der Widerspruch zwischen der von spätbürgerlicher Avantgardekunst inspirierten Form seines Spätwerks und dessen vom Agitprop der frühen DDR geprägter, holzschnittartiger Botschaft. Oder, last but not least, der Widerspruch zwischen der Sanftheit des Autors, der mit allen gut Freund war und immer Zeit hatte für einen Whisky oder ein Gespräch - Müller schien nie zu arbeiten -, und der tollwütigen Gewalt seiner Dramen, die Reinhard Lettau einmal treffend als "Blut-, Sperma-, Eiter-, Kotze-Theater" charakterisiert hat. Diese anstößige Formel trifft die Eigenart von Heiner Müllers Schaffen, das pubertäre Schockelement ebenso wie die an Aischylos und Shakespeare anknüpfende Form der großen Tragödie, sehr viel genauer als das Allerweltsmotto "Das Prinzip Zweifel", unter das Hauschild sein Buch stellt. Der "Sadomarxist" Heiner Müller - ein Etikett, gegen das dieser nichts einzuwenden hatte - wird verharmlost zu einem kleineren Bruder von Brecht: weniger vernünftig vielleicht, aber nicht minder glaubensstark. Indem sie Heiner Müllers Leben und Werk auf gängige Klischees reduziert, wird Hauschilds Biographie trotz ihrer Gründlichkeit ihrem Gegenstand nicht gerecht.

Jan-Christoph Hauschild: "Heiner Müller oder Das Prinzip Zweifel". Eine Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2001. 620 S., geb., 59,90 DM.

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Stimme aus dem Verlag
"Jan-Christoph Hauschild hat die erste umfassende Biographie über Heiner Müller geschrieben, einen der bedeutendsten und zugleich umstrittensten deutschen Dramatiker. Auf beeindruckende Weise hat er umfangreiches Material recherchiert und aufgearbeitet und damit neue Zugänge zur Person und zum Werk Müllers geschaffen."
(Dr. Almut Giesecke, Lektorin, Aufbau Verlag)

"Jan-Christoph Hauschilds Biographie zeichnet Heiner Müllers Leben und Arbeit literarisch zuverlässig und psychologisch glaubwürdig nach." (FAZ)
"Zu spüren ist ... eine Grundsymphatie mit Müller, dessen sphinxhaftem Wesen sich Hauschild aber erfreulicherweise nicht kritiklos nähert, wie es unter vielen späten Freunden Müllers Anfang der neunziger Jahre üblich geworden war, sondern mit der gebotenen Skepsis, zumal wenn es um die Überlebensdauer der dramatischen Instanz Müller geht." (Stuttgarter Zeitung)
" Jan-Christoph Hauschild gibt vor allem im ersten Teil seiner Biographie "Heiner Müller oder Das Prinzip Zweifel" reichhaltig recherchierte Einblicke in eine obskure DDR-Kulturpolitik, die kafkaeste Formen angenommen hatte.Seine Materialsammlungen setzen nüchtern in den Blick, was leicht dem "Müller-Sound" oder dessen zum Mythos stilisierten Erfahrungsmaterial zum Opfer hätte fallen können." (Neue Westfälische)