Heinrich Heine hat viele Gesichter - das zeigt sich auch in den Bildern, die sich die Maler seiner Zeit von ihm gemacht haben: Sie sind so bunt und vielfältig wie die Ansichten dieses Klassikers. Der repräsentative Bildband mit zahlreichen, teilweise farbigen Abbildungen erzählt die Geschichten der Heine-Porträts, ihrer Entstehung und Überlieferung, und zeigt Heine im Umgang mit deutschen wie europäischen Künstlerkreisen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2006So sah ich aus, heute morgen
Jeder muß sich selbst ein Bild von Heine machen / Von Hans-Ulrich Treichel
Ob wir es wollen oder nicht: Gegen jede vernünftige Einsicht sind wir in bestimmten Momenten unseres Lebens wohl alle Physiognomiker und neigen dazu, aus dem Äußeren des Menschen auf seine inneren Eigenschaften zu schließen. Johann Caspar Lavater definierte denn auch die Physiognomik als Wissenschaft, die seelische Gestimmtheit und "den Charakter (nicht die zufälligen Schicksale) des Menschen im weitläufigsten Verstande aus seinem Aeußerlichen zu erkennen". Doch gibt es auch eine Art Umkehrung des physiognomischen Blicks, etwa dann, wenn wir lesend einen Autor kennenlernen, ohne jemals ein Bild oder eine Fotografie von ihm gesehen zu haben.
Ich hatte schon nach den ersten frühen Reclam-Lektüren Heinrich Heines eine vage Vorstellung von Heines Äußerem. Ich las die "Loreley", "Mein Herz, mein Herz ist traurig" oder den "Atta Troll", und vor mir entstand das passende Autorenantlitz dazu. Ich blickte in ein Gesicht, das traurig war und trotzig, sarkastisch und sanft, selbstbewußt und unsicher, bärenhaft gutmütig und angriffslustig und das mir genauso vexierbildhaft vorkam wie die besten von Heines Gedichten, die ja immer auch aus gemischten Gefühlen bestehen, aus romantischer Sehnsucht und sarkastischem Trotz, aus süßem Gesang und ironischem Grinsen, und über die man, so volksliedhaft ihr metrisches Gleichmaß auch scheint, immer mal wieder ins Stolpern geraten kann.
So stolperte und stolpere ich noch immer vorzugsweise über eine Zeile eines meiner Lieblingsgedichte, des bereits erwähnten "Mein Herz, mein Herz ist traurig" aus dem "Buch der Lieder" von 1827, das vier Jahre zuvor anläßlich eines Aufenthaltes im norddeutschen Lüneburg, dem Wohnort von Heines Eltern, entstanden war. Es beginnt mit folgenden Strophen: "Mein Herz, mein Herz ist traurig, / Doch lustig leuchtet der Mai; / Ich stehe, gelehnt an der Linde, / Hoch auf der alten Bastei. // Da drunten fließt der blaue / Stadtgraben in stiller Ruh'; / Ein Knabe fährt im Kahne, / Und angelt und pfeift dazu." Jeder Leser dieser Strophen wird die Stolperstelle sofort bemerkt haben: "Stadtgraben" - ich komme nicht umhin, sooft ich dieses Gedicht auch lese, "Stadtgráben" zu lesen, mit Betonung auf der zweiten Silbe, was noch nicht mal einen Anapäst ergibt (das wäre dann "Stadtgrabén"), der insofern einen gewissen Sinn hätte, als er auch "Doppelsteiger" oder "Aufspringer" genannt wird und Zeichen einer metrisch-literarischen Raffinesse des Autors gewesen wäre angesichts des Hindernisses, das so ein Graben schließlich darstellt und das man am besten mit einem gewagten Sprung überwindet. Doch so raffiniert wollte Heine offensichtlich gar nicht sein.
Womöglich hat er den metrischen Stolperer schlicht in Kauf genommen, weil er auf das Wort "Stadtgraben" nicht verzichten wollte. Wobei wir uns auch fragen können, ob die Zeilen "Ich stehe, gelehnt an der Linde, / Hoch auf der alten Bastei" nicht besser heißen sollten: "Ich stehe, gelehnt an die Linde, / Hoch auf der alten Bastei." Ohne Zweifel wäre der Akkusativ inniger gewesen, lindenfreundlicher, naturnäher. Wer "an die Linde" gelehnt steht, der lehnt sich wirklich an etwas an. Wer "an der Linde" gelehnt steht, der steht im Grunde immer noch allein und vollkommen unangelehnt in der Welt. Darüber hinaus aber hätte ich an meinem Lieblingsgedicht nichts auszusetzen, es ist rundherum gelungen und schließt geradezu überwältigend mit dem Vers: "Ich wollt, er schösse mich tot." Wobei das Schreckliche vielleicht gar nicht so sehr die Tatsache ist, daß ein - ob aus Liebeskummer, Heimatlosigkeit, Kindheitsmelancholie, Verlassenheitsgefühlen oder Provinzdepression - verzweifelter Mensch sich den Tod wünscht. Schrecklich scheint vielmehr, daß dieser ihm zugefügt werden soll von einem spielzeughaften Wachsoldaten, der selbst ein totes und entleertes Wesen ist.
Heine war fünfundzwanzig, als er auf diese Art totgeschossen werden wollte. Ein Germanistikstudent im dreizehnten Semester sozusagen und nach der Zeitrechnung meiner eigenen Studienzeit, wo man mit fünfundzwanzig mitten im Hauptstudium war und sich dabei auch gar nicht schlecht fühlte. Wie Heine damals, im Jahr 1823, aussah, wissen wir nicht. Keines der überlieferten Porträts zeigt den Fünfundzwanzigjährigen, wie Christian Liedtkes Band "Heinrich Heine im Porträt. Wie die Künstler seiner Zeit ihn sahen" (Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 160 S., geb., 45,- [Euro]) offenbart. Das Buch bietet eine "kritische Ikonographie" der zu Lebzeiten entstandenen Heine-Porträts - die mit unsicheren oder zurückgewiesenen Zuschreibungen eingeschlossen.
Meinen selbstimaginierten Heine habe ich auch hier nicht gefunden. Wohl aber einen, der ihm in vielem entspricht. Gemeint ist eine Bleistiftzeichnung, die mir schon lange vertraut ist und meiner Vorstellung vom fünfundzwanzigjährigen Heine am ehesten entspricht. Nun aber muß ich erfahren, daß weder der Zeichner noch das Datum ihrer Entstehung bekannt sind und daß es sich bei dem dargestellten jungen Mann mit dem zerzausten Haar wahrscheinlich gar nicht um Heine handelt. Sicher ist nur, daß sich die Zeichnung im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut befindet. Auch das Corpus der Heine-Porträts schrumpft also, je genauer die Kunsthistoriker dieses in Augenschein nehmen.
Verbürgt sind allerdings einige der wichtigsten Heine-Porträts, darunter die von Gassen, Popper, Oppenheim, Colla oder auch Kugler. Die Zeichnung Kuglers ist sogar mit einer eigenhändigen Aufschrift Heines versehen, in der es heißt: "So sah ich aus, heute Morgen, den 6ten April 1829 H. Heine". Eine Aussage, die natürlich sofort die Frage aufwirft, ob Heine vielleicht am Mittag des gleichen Tages schon wieder ganz anders ausgesehen hat. Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie Heine überhaupt ausgesehen hat.
Leider hat er sich geweigert, eine Daguerreotypie von sich anfertigen zu lassen, obwohl es zumindest eine überlieferte Gelegenheit dazu gab. So daß wir uns unseren Heine selbst heraussuchen müssen. Hierbei nimmt gewiß das kunstgeschichtlich bedeutsame Gemälde von Oppenheim, auf dem Heine kühl-distanziert und "in nonchalanter Pose" an dem Betrachter vorbeiblickt, einen oberen Rang ein. Die Kaiserin Sissi hatte dagegen das in der "Gartenlaube" reproduzierte Ölgemälde Gottlieb Gassens von 1828 favorisiert und sich um den Kauf des Bildes bemüht. Der damalige Besitzer Eduard Engel verkaufte nicht, lieh das Bild der Kaiserin aber zu Kopierzwecken aus. Das Bild zeigt einen Heine, der irgendwie an den jungen Schiller erinnert. Oder an eine fälschliche Vorstellung vom jungen Schiller. Von der markanten Nase einmal abgesehen, die man aber Heine eigentlich gar nicht zutraut und an der er womöglich von dem Maler herumgeführt wird. Wäre noch der empfindsam-romantische Jüngling mit schon etwas schütterem Haar auf dem Gemälde von Colla zu erwähnen, wobei niemand weiß, auch die einschlägigen Lexika nicht, wer "Colla" eigentlich ist.
Heine selbst war mit seinen Porträts nicht immer glücklich. "Mit Porträten habe ich kein Glück", äußerte er anläßlich eines Stahlstichs von Jacob Felsing, auf dem er sich zu einer "wahren Fratze" entstellt sah. Viel lieber als entstellt wollte er verständlicherweise "schön gemalt werden, wie die hübschen Frauen". Das war allerdings ein eher frommer Wunsch, der sich auch mit zunehmendem Ruhm nicht mehr erfüllen sollte. Denn mit dem Ruhm kam das Älterwerden und mit dem Älterwerden die lange Krankheitsphase des Dichters, die "Matratzengruft". Mit diesem so oft zitierten Wort hat Heine gewissermaßen ein letztes Mal deutlich gemacht, wie entlastend Ironie sein kann. Zuweilen wohl auch für den Leidenden selbst, sicher aber für diejenigen, die an diesem Leid teilnehmen. Die bildlichen Darstellungen des leidenden Heine zeigen von dieser Ironie freilich nichts. Und erst recht tut dies nicht das Abbild des Dichters, das man vielleicht das einzig wirklich authentische nennen könnte: Heines Totenmaske - die jedoch nicht mehr den Dichter, sondern nur noch seinen Leichnam zeigt. Und damit zugleich auch das entstellteste seiner Abbilder ist. "Solche Masken", schrieb Heine in den "Florentinischen Nächten", "verleihen uns die Erinnerung an unsere Lieben. Wir glauben, in diesem Gipse sey noch etwas von ihrem Leben enthalten, und was wir darin aufbewahrt haben, ist doch gantz eigentlich der Tod selbst." Für meinen Teil und was meinen Heine angeht, halte ich mich also lieber weiter an den jungen Mann mit den struppigen Haaren, auch wenn er etwas pausbäckig und im Zweifelsfall nicht einmal der ist, der er zu sein verspricht.
Hans-Ulrich Treichel, geboren 1952, lebt in Berlin und Leipzig. Zuletzt veröffentlichte er den Roman "Menschenflug".
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Jeder muß sich selbst ein Bild von Heine machen / Von Hans-Ulrich Treichel
Ob wir es wollen oder nicht: Gegen jede vernünftige Einsicht sind wir in bestimmten Momenten unseres Lebens wohl alle Physiognomiker und neigen dazu, aus dem Äußeren des Menschen auf seine inneren Eigenschaften zu schließen. Johann Caspar Lavater definierte denn auch die Physiognomik als Wissenschaft, die seelische Gestimmtheit und "den Charakter (nicht die zufälligen Schicksale) des Menschen im weitläufigsten Verstande aus seinem Aeußerlichen zu erkennen". Doch gibt es auch eine Art Umkehrung des physiognomischen Blicks, etwa dann, wenn wir lesend einen Autor kennenlernen, ohne jemals ein Bild oder eine Fotografie von ihm gesehen zu haben.
Ich hatte schon nach den ersten frühen Reclam-Lektüren Heinrich Heines eine vage Vorstellung von Heines Äußerem. Ich las die "Loreley", "Mein Herz, mein Herz ist traurig" oder den "Atta Troll", und vor mir entstand das passende Autorenantlitz dazu. Ich blickte in ein Gesicht, das traurig war und trotzig, sarkastisch und sanft, selbstbewußt und unsicher, bärenhaft gutmütig und angriffslustig und das mir genauso vexierbildhaft vorkam wie die besten von Heines Gedichten, die ja immer auch aus gemischten Gefühlen bestehen, aus romantischer Sehnsucht und sarkastischem Trotz, aus süßem Gesang und ironischem Grinsen, und über die man, so volksliedhaft ihr metrisches Gleichmaß auch scheint, immer mal wieder ins Stolpern geraten kann.
So stolperte und stolpere ich noch immer vorzugsweise über eine Zeile eines meiner Lieblingsgedichte, des bereits erwähnten "Mein Herz, mein Herz ist traurig" aus dem "Buch der Lieder" von 1827, das vier Jahre zuvor anläßlich eines Aufenthaltes im norddeutschen Lüneburg, dem Wohnort von Heines Eltern, entstanden war. Es beginnt mit folgenden Strophen: "Mein Herz, mein Herz ist traurig, / Doch lustig leuchtet der Mai; / Ich stehe, gelehnt an der Linde, / Hoch auf der alten Bastei. // Da drunten fließt der blaue / Stadtgraben in stiller Ruh'; / Ein Knabe fährt im Kahne, / Und angelt und pfeift dazu." Jeder Leser dieser Strophen wird die Stolperstelle sofort bemerkt haben: "Stadtgraben" - ich komme nicht umhin, sooft ich dieses Gedicht auch lese, "Stadtgráben" zu lesen, mit Betonung auf der zweiten Silbe, was noch nicht mal einen Anapäst ergibt (das wäre dann "Stadtgrabén"), der insofern einen gewissen Sinn hätte, als er auch "Doppelsteiger" oder "Aufspringer" genannt wird und Zeichen einer metrisch-literarischen Raffinesse des Autors gewesen wäre angesichts des Hindernisses, das so ein Graben schließlich darstellt und das man am besten mit einem gewagten Sprung überwindet. Doch so raffiniert wollte Heine offensichtlich gar nicht sein.
Womöglich hat er den metrischen Stolperer schlicht in Kauf genommen, weil er auf das Wort "Stadtgraben" nicht verzichten wollte. Wobei wir uns auch fragen können, ob die Zeilen "Ich stehe, gelehnt an der Linde, / Hoch auf der alten Bastei" nicht besser heißen sollten: "Ich stehe, gelehnt an die Linde, / Hoch auf der alten Bastei." Ohne Zweifel wäre der Akkusativ inniger gewesen, lindenfreundlicher, naturnäher. Wer "an die Linde" gelehnt steht, der lehnt sich wirklich an etwas an. Wer "an der Linde" gelehnt steht, der steht im Grunde immer noch allein und vollkommen unangelehnt in der Welt. Darüber hinaus aber hätte ich an meinem Lieblingsgedicht nichts auszusetzen, es ist rundherum gelungen und schließt geradezu überwältigend mit dem Vers: "Ich wollt, er schösse mich tot." Wobei das Schreckliche vielleicht gar nicht so sehr die Tatsache ist, daß ein - ob aus Liebeskummer, Heimatlosigkeit, Kindheitsmelancholie, Verlassenheitsgefühlen oder Provinzdepression - verzweifelter Mensch sich den Tod wünscht. Schrecklich scheint vielmehr, daß dieser ihm zugefügt werden soll von einem spielzeughaften Wachsoldaten, der selbst ein totes und entleertes Wesen ist.
Heine war fünfundzwanzig, als er auf diese Art totgeschossen werden wollte. Ein Germanistikstudent im dreizehnten Semester sozusagen und nach der Zeitrechnung meiner eigenen Studienzeit, wo man mit fünfundzwanzig mitten im Hauptstudium war und sich dabei auch gar nicht schlecht fühlte. Wie Heine damals, im Jahr 1823, aussah, wissen wir nicht. Keines der überlieferten Porträts zeigt den Fünfundzwanzigjährigen, wie Christian Liedtkes Band "Heinrich Heine im Porträt. Wie die Künstler seiner Zeit ihn sahen" (Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 160 S., geb., 45,- [Euro]) offenbart. Das Buch bietet eine "kritische Ikonographie" der zu Lebzeiten entstandenen Heine-Porträts - die mit unsicheren oder zurückgewiesenen Zuschreibungen eingeschlossen.
Meinen selbstimaginierten Heine habe ich auch hier nicht gefunden. Wohl aber einen, der ihm in vielem entspricht. Gemeint ist eine Bleistiftzeichnung, die mir schon lange vertraut ist und meiner Vorstellung vom fünfundzwanzigjährigen Heine am ehesten entspricht. Nun aber muß ich erfahren, daß weder der Zeichner noch das Datum ihrer Entstehung bekannt sind und daß es sich bei dem dargestellten jungen Mann mit dem zerzausten Haar wahrscheinlich gar nicht um Heine handelt. Sicher ist nur, daß sich die Zeichnung im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut befindet. Auch das Corpus der Heine-Porträts schrumpft also, je genauer die Kunsthistoriker dieses in Augenschein nehmen.
Verbürgt sind allerdings einige der wichtigsten Heine-Porträts, darunter die von Gassen, Popper, Oppenheim, Colla oder auch Kugler. Die Zeichnung Kuglers ist sogar mit einer eigenhändigen Aufschrift Heines versehen, in der es heißt: "So sah ich aus, heute Morgen, den 6ten April 1829 H. Heine". Eine Aussage, die natürlich sofort die Frage aufwirft, ob Heine vielleicht am Mittag des gleichen Tages schon wieder ganz anders ausgesehen hat. Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie Heine überhaupt ausgesehen hat.
Leider hat er sich geweigert, eine Daguerreotypie von sich anfertigen zu lassen, obwohl es zumindest eine überlieferte Gelegenheit dazu gab. So daß wir uns unseren Heine selbst heraussuchen müssen. Hierbei nimmt gewiß das kunstgeschichtlich bedeutsame Gemälde von Oppenheim, auf dem Heine kühl-distanziert und "in nonchalanter Pose" an dem Betrachter vorbeiblickt, einen oberen Rang ein. Die Kaiserin Sissi hatte dagegen das in der "Gartenlaube" reproduzierte Ölgemälde Gottlieb Gassens von 1828 favorisiert und sich um den Kauf des Bildes bemüht. Der damalige Besitzer Eduard Engel verkaufte nicht, lieh das Bild der Kaiserin aber zu Kopierzwecken aus. Das Bild zeigt einen Heine, der irgendwie an den jungen Schiller erinnert. Oder an eine fälschliche Vorstellung vom jungen Schiller. Von der markanten Nase einmal abgesehen, die man aber Heine eigentlich gar nicht zutraut und an der er womöglich von dem Maler herumgeführt wird. Wäre noch der empfindsam-romantische Jüngling mit schon etwas schütterem Haar auf dem Gemälde von Colla zu erwähnen, wobei niemand weiß, auch die einschlägigen Lexika nicht, wer "Colla" eigentlich ist.
Heine selbst war mit seinen Porträts nicht immer glücklich. "Mit Porträten habe ich kein Glück", äußerte er anläßlich eines Stahlstichs von Jacob Felsing, auf dem er sich zu einer "wahren Fratze" entstellt sah. Viel lieber als entstellt wollte er verständlicherweise "schön gemalt werden, wie die hübschen Frauen". Das war allerdings ein eher frommer Wunsch, der sich auch mit zunehmendem Ruhm nicht mehr erfüllen sollte. Denn mit dem Ruhm kam das Älterwerden und mit dem Älterwerden die lange Krankheitsphase des Dichters, die "Matratzengruft". Mit diesem so oft zitierten Wort hat Heine gewissermaßen ein letztes Mal deutlich gemacht, wie entlastend Ironie sein kann. Zuweilen wohl auch für den Leidenden selbst, sicher aber für diejenigen, die an diesem Leid teilnehmen. Die bildlichen Darstellungen des leidenden Heine zeigen von dieser Ironie freilich nichts. Und erst recht tut dies nicht das Abbild des Dichters, das man vielleicht das einzig wirklich authentische nennen könnte: Heines Totenmaske - die jedoch nicht mehr den Dichter, sondern nur noch seinen Leichnam zeigt. Und damit zugleich auch das entstellteste seiner Abbilder ist. "Solche Masken", schrieb Heine in den "Florentinischen Nächten", "verleihen uns die Erinnerung an unsere Lieben. Wir glauben, in diesem Gipse sey noch etwas von ihrem Leben enthalten, und was wir darin aufbewahrt haben, ist doch gantz eigentlich der Tod selbst." Für meinen Teil und was meinen Heine angeht, halte ich mich also lieber weiter an den jungen Mann mit den struppigen Haaren, auch wenn er etwas pausbäckig und im Zweifelsfall nicht einmal der ist, der er zu sein verspricht.
Hans-Ulrich Treichel, geboren 1952, lebt in Berlin und Leipzig. Zuletzt veröffentlichte er den Roman "Menschenflug".
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