Produktdetails
- ISBN-13: 9783936655278
- ISBN-10: 3936655278
- Artikelnr.: 20797670
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2006Der gelöste Zauberbann
Thomas Synofzik über Heinrich Heine und Robert Schumann
Heinrich Heine und Robert Schumann stehen seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts exemplarisch für das, was man, mißverständlich genug, für "Romantik" hält. Doch nicht nur das: So wie sich Schumann zwischen Musik und Literatur hin und her gerissen fühlte, so frappierte Heine mit der "Musikalität" seiner Lyrik.
Beide waren fabelhafte Musikschriftsteller, auch -kritiker. Schumann, ein literarisch operierender Komponist, hat zahlreiche Gedichte Heines vertont, hauptsächlich als Klavierlieder. Der Zyklus "Dichterliebe" gilt als berühmteste musikalische Heine-Adaption. Schon ist man bei der bei Schumannianern fast obligaten Frage, welchem der beiden großen "Liederkreise" der Vorzug zu geben sei, dem nach Heine op. 48 oder dem nach Eichendorff op. 39. Die Alternative scheint klar, poetologisch-kompositorische Abwägungen oder pure Geschmacksneigungen mögen da den Ausschlag geben. Doch schon die scheinbar wertfreie Entscheidung erweist sich als Illusion. Denn: "Vergiftet sind meine Lieder" heißt ein berühmtes Gedicht Heines, von Schumann und Liszt vertont. Vergiftet ist auch die Rezeption Heines wie Schumanns. Das hat weit weniger mit Schumann zu tun als mit den Wucherungen der antisemitischen Tiraden gegen Heine.
Schwärmen die vom Eichendorff-Zyklus zu Recht Berückten von der "echt" romantischen Kongruenz von Lyrik und Musik, so sind die nicht minder vom Heine-Zyklus Verzauberten von der Spannung zwischen Gedicht und Lied in den Bann geschlagen - für deren Lösung ein Wort den Passepartout-Schlüssel abzugeben scheint: Ironie, als Synonym für Heine.
Noch in den sechziger Jahren hatten Germanistik-Professoren keine Hemmung, Eichendorffs "urdeutsche" Empfindungstiefe gegen Heines "uns" fremde Frivolität auszuspielen. Obwohl gerade Eichendorff sie eines Besseren hätte belehren können: "Die Zeit hat allgemach den Romantikern hinterdie Karte geguckt und insgeheim Ekel und Langeweile vor dem hohlen Spiel überkommen. Das sprach Heine frech und witzig aus, und der alte Zauberbann war gelöst." Solche Selbstkritik ausgerechnet des Kronzeugen deutscher Innerlichkeit war lange Zeit tabu, doch um so opportuner war die Abgrenzung gegen Heines "Lügenpoesie". Der Ausdruck findet sich in einem Schumann-Buch Richard Batkas aus dem Jahr 1891.
Das Terrain Heine-Schumann ist demnach vermint, und es bleibt die Aufgabe literarisch-musikalischer Analytik, die Stereotypen der Rezeptionsgeschichte zu entkräften. Thomas Synofzik, Direktor des Robert Schumann-Hauses in Zwickau, hat sich ihr dreifach gewidmet: indem er die Fatalitäten der Historie enthüllt, Heines "Ironie" und Schumanns Reaktion auf diese darstellt - und als materialorientierte Exegese der verschlungenen Beziehungen zwischen Musik und Ironie in den zahlreichen Schumannschen Heine-Liedern, wobei er auch die chorischen einbezieht.
Bedrückend bleibt die chauvinistisch-rassistische Vereinnahmung Schumanns sowie die Verteufelung Heines. Wobei nicht wenige Koryphäen der deutschen Musikwissenschaft eine unrühmliche Rolle spielten. Hans Joachim Moser dekretierte 1944 zu einer Neu-Edition: "Denn die Revision von Max Friedlaender (j) und ein Anteil von nicht weniger als fünfundzwanzig Liedern auf nichtarische Texte von H. Heine konnten nicht einfach weitergeschleppt werden." Wolfgang Boetticher scheute nicht davor zurück, durch Umstellungen und Auslassungen in Schumanns Tagebuchnotizen eine Reserve gegenüber Heine zu suggerieren, die es so nicht gab. Auch sonst finden sich antisemitische Klischees zur Genüge: Schumann wandelte die Spielerei des Entwurzelten in die verbindliche Sprache deutscher Empfindung, "zu einer keuschen Echtheit". Von der "rassischen Charakterfestigkeit Schumanns" ist die Rede. Auch wenn die "Dichterliebe" nicht über das "Vergiftete" hinwegtäuschen könne.
Doch abgesehen von solch deprimierenden zeittypischen Zeugnissen: Die Vorbehalte nicht weniger Schumann-Experten gegen die Authentizität der Heine-Vertonungen sind bis heute geblieben. Und sie verraten sowohl ein naives Verständnis vom Zusammenhang von Literatur und Komposition als auch manchmal versteckte Ranküne. Selbstverständlich wird eine Lyrikvertonung kaum je völlig eins zu eins Struktur wie Intention der Vorlage ins Lied umformen. Dann wäre dies nicht nötig: Auch wenn Schubert Goethe vertonte, kam Schubert heraus - und nicht nur ein zweites Mal Goethes Gedicht. Analog ist evident, daß es zwischen Heine und Schumann Nicht-Identitäten gibt, daß Schumanns Eusebius-Zartheit und Heines ironische, ja bisweilen zynisch-sarkastische Desillusionierung keineswegs immer kongruent sind. Der Klavier-Epilog der "Dichterliebe" klingt nicht nach höhnischer Grimasse. Gleichwohl klingen die Beteuerungen, wie sehr Schumann Heines Bitterkeiten ins Innige veredelt habe, verdächtig. Denn bei allen Divergenzen, die es in der Tat gibt, gehören die Brechungen zu Schumann.
Schumann, als empirische Person introvertiert und bis zur Unerträglichkeit schweigsam, hatte, zumal als Schriftsteller, durchaus satirischen Biß. In einem Brief Ende 1839 schreibt Clara bekümmert an Robert: "und wurde nicht wenig traurig danach, wie ich es Jedesmal werde, wenn Du in ironischem Ton schreibst."
In vielen Fällen gelingt es Synofzik vorzüglich, detailgenau nachzuweisen, mit wie präzisen kompositorischen Maßnahmen Schumann der Heineschen "Kontrastkomik" begegnet, deren Spezifika er nicht nur in der Denunziation, ja Karikatur romantischer Gefühlsblumigkeit sieht, sondern auch in einer Doppelperspektive: quasi der kalkulierten Montage von Liebesenttäuschungs-Metaphern schon des "Petrarkismus". Gerade weil er der umstandslosen Adaption etwa barocker Figurenlehre bei der Interpretation Schumannscher Heine-Lieder mißtraut, kann er auf die ernüchternde Funktion eher mechanischer "patterns" hinweisen, vor allem wenn sie "hyperbolisch" eingesetzt werden, entlarvend übertreiben. Die händelisierenden Pfundbässe, die "Im Rhein, im heiligen Strome" grundieren, verweisen ja eher darauf, daß der Verklärung des Bildes der Liebsten nicht zu trauen ist. Die eilfertige Knappheit von "Die Rose, die Lilie" erinnert an Rossini-Raster. Und nicht wenige Doppelschläge, rallentandi und Dehnungen, Akzente auf schwachen Taktteilen suggerieren das Fragwürdige der Hochgefühle. So wie die monotone Achtelbegleitung der Ballade "Die feindlichen Brüder" das auch ein wenig Lächerliche der Schauer-Situation enthüllt.
Mit gutem Grund mißtraut Synofzik der Parallelität von Affektausdruck und musikalischer Struktur, sieht eher eine Einheit im bisweilen Widersprüchlichen. Auch gegenüber der Vorstellung einer konsequenten kompositorischen Entsprechung zur Ironie wahrt er Skepsis. Indem er die für ihn unzweifelhafte Nähe zwischen Heine und Schumann akzentuiert, läßt er auch das Trennende aufscheinen. Schumanns "Reinheit" gegen Heines "Zersetzendes" ins Feld zu führen käme ihm zuallerletzt in den Sinn. Das Buch ist thematisch relativ eng fokussiert, eine Monographie. Ebendarin wirft es Fragen auf. Warum er Adornos enorme Essays zu Eichendorff/Schumann und zu Heine nicht erwähnt, auch nicht die womöglich einzige Heine-Kritik, die hinter ihrem Gegenstand nicht allzusehr zurückbleibt, nämlich die von Karl Kraus, verwundert. Und Überlegungen zu Humor, Anspielung, Witz und Persiflage in Schumanns Klavierwerken hätten zusätzlichen Aufschluß erbringen können, nicht minder die zur Relation zwischen Gedicht und Lied bei anderen Autoren. Sind die Eichendorff-Lieder wirklich nur übereinstimmend? Was ist mit Andersens "Soldat" und "Spielmann", in Text wie musikalischem Gestus so nahe bei Mahler wie kaum anderes bei Schumann? Schuberts späte "Schwanengesang"-Heine-Vertonungen tönen schwerlich ironisch; sind sie darum weniger "authentisch"? Liszt standen gewiß mancherlei Diablerien zu Gebote; in seinen Heine-Liedern vernimmt man wenig davon. Warum hat ausgerechnet Mahler Heine ausgespart, sich statt dessen dem ebenfalls brüchigen Kunst-Volksliedton von "Des Knaben Wunderhorn" verschrieben? Und wenn Mauricio Kagel seiner "Lieder-Oper" den Titel "Aus Deutschland" ("Dem Andenken Heinrich Heines") gab, in ihr exemplarische Liedtexte wie -(bühnen-)situationen des großen romantischen Repertoires zitierte, doch mit eigener Musik versah, dann ist dies ein auskomponierter Epilog auch zu Heine wie Schumann. Zwillingshaft gehören sie zusammen, siamesisch sind sie zerrissen. Sie werden uns noch lange nachgehen: "Doppelgänger" der anderen Art.
GERHARD R. KOCH
Thomas Synofzik: "Heinrich Heine - Robert Schumann". Musik und Ironie. Dohr Verlag, Köln 2006. 191 S., Notenbeisp., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Synofzik über Heinrich Heine und Robert Schumann
Heinrich Heine und Robert Schumann stehen seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts exemplarisch für das, was man, mißverständlich genug, für "Romantik" hält. Doch nicht nur das: So wie sich Schumann zwischen Musik und Literatur hin und her gerissen fühlte, so frappierte Heine mit der "Musikalität" seiner Lyrik.
Beide waren fabelhafte Musikschriftsteller, auch -kritiker. Schumann, ein literarisch operierender Komponist, hat zahlreiche Gedichte Heines vertont, hauptsächlich als Klavierlieder. Der Zyklus "Dichterliebe" gilt als berühmteste musikalische Heine-Adaption. Schon ist man bei der bei Schumannianern fast obligaten Frage, welchem der beiden großen "Liederkreise" der Vorzug zu geben sei, dem nach Heine op. 48 oder dem nach Eichendorff op. 39. Die Alternative scheint klar, poetologisch-kompositorische Abwägungen oder pure Geschmacksneigungen mögen da den Ausschlag geben. Doch schon die scheinbar wertfreie Entscheidung erweist sich als Illusion. Denn: "Vergiftet sind meine Lieder" heißt ein berühmtes Gedicht Heines, von Schumann und Liszt vertont. Vergiftet ist auch die Rezeption Heines wie Schumanns. Das hat weit weniger mit Schumann zu tun als mit den Wucherungen der antisemitischen Tiraden gegen Heine.
Schwärmen die vom Eichendorff-Zyklus zu Recht Berückten von der "echt" romantischen Kongruenz von Lyrik und Musik, so sind die nicht minder vom Heine-Zyklus Verzauberten von der Spannung zwischen Gedicht und Lied in den Bann geschlagen - für deren Lösung ein Wort den Passepartout-Schlüssel abzugeben scheint: Ironie, als Synonym für Heine.
Noch in den sechziger Jahren hatten Germanistik-Professoren keine Hemmung, Eichendorffs "urdeutsche" Empfindungstiefe gegen Heines "uns" fremde Frivolität auszuspielen. Obwohl gerade Eichendorff sie eines Besseren hätte belehren können: "Die Zeit hat allgemach den Romantikern hinterdie Karte geguckt und insgeheim Ekel und Langeweile vor dem hohlen Spiel überkommen. Das sprach Heine frech und witzig aus, und der alte Zauberbann war gelöst." Solche Selbstkritik ausgerechnet des Kronzeugen deutscher Innerlichkeit war lange Zeit tabu, doch um so opportuner war die Abgrenzung gegen Heines "Lügenpoesie". Der Ausdruck findet sich in einem Schumann-Buch Richard Batkas aus dem Jahr 1891.
Das Terrain Heine-Schumann ist demnach vermint, und es bleibt die Aufgabe literarisch-musikalischer Analytik, die Stereotypen der Rezeptionsgeschichte zu entkräften. Thomas Synofzik, Direktor des Robert Schumann-Hauses in Zwickau, hat sich ihr dreifach gewidmet: indem er die Fatalitäten der Historie enthüllt, Heines "Ironie" und Schumanns Reaktion auf diese darstellt - und als materialorientierte Exegese der verschlungenen Beziehungen zwischen Musik und Ironie in den zahlreichen Schumannschen Heine-Liedern, wobei er auch die chorischen einbezieht.
Bedrückend bleibt die chauvinistisch-rassistische Vereinnahmung Schumanns sowie die Verteufelung Heines. Wobei nicht wenige Koryphäen der deutschen Musikwissenschaft eine unrühmliche Rolle spielten. Hans Joachim Moser dekretierte 1944 zu einer Neu-Edition: "Denn die Revision von Max Friedlaender (j) und ein Anteil von nicht weniger als fünfundzwanzig Liedern auf nichtarische Texte von H. Heine konnten nicht einfach weitergeschleppt werden." Wolfgang Boetticher scheute nicht davor zurück, durch Umstellungen und Auslassungen in Schumanns Tagebuchnotizen eine Reserve gegenüber Heine zu suggerieren, die es so nicht gab. Auch sonst finden sich antisemitische Klischees zur Genüge: Schumann wandelte die Spielerei des Entwurzelten in die verbindliche Sprache deutscher Empfindung, "zu einer keuschen Echtheit". Von der "rassischen Charakterfestigkeit Schumanns" ist die Rede. Auch wenn die "Dichterliebe" nicht über das "Vergiftete" hinwegtäuschen könne.
Doch abgesehen von solch deprimierenden zeittypischen Zeugnissen: Die Vorbehalte nicht weniger Schumann-Experten gegen die Authentizität der Heine-Vertonungen sind bis heute geblieben. Und sie verraten sowohl ein naives Verständnis vom Zusammenhang von Literatur und Komposition als auch manchmal versteckte Ranküne. Selbstverständlich wird eine Lyrikvertonung kaum je völlig eins zu eins Struktur wie Intention der Vorlage ins Lied umformen. Dann wäre dies nicht nötig: Auch wenn Schubert Goethe vertonte, kam Schubert heraus - und nicht nur ein zweites Mal Goethes Gedicht. Analog ist evident, daß es zwischen Heine und Schumann Nicht-Identitäten gibt, daß Schumanns Eusebius-Zartheit und Heines ironische, ja bisweilen zynisch-sarkastische Desillusionierung keineswegs immer kongruent sind. Der Klavier-Epilog der "Dichterliebe" klingt nicht nach höhnischer Grimasse. Gleichwohl klingen die Beteuerungen, wie sehr Schumann Heines Bitterkeiten ins Innige veredelt habe, verdächtig. Denn bei allen Divergenzen, die es in der Tat gibt, gehören die Brechungen zu Schumann.
Schumann, als empirische Person introvertiert und bis zur Unerträglichkeit schweigsam, hatte, zumal als Schriftsteller, durchaus satirischen Biß. In einem Brief Ende 1839 schreibt Clara bekümmert an Robert: "und wurde nicht wenig traurig danach, wie ich es Jedesmal werde, wenn Du in ironischem Ton schreibst."
In vielen Fällen gelingt es Synofzik vorzüglich, detailgenau nachzuweisen, mit wie präzisen kompositorischen Maßnahmen Schumann der Heineschen "Kontrastkomik" begegnet, deren Spezifika er nicht nur in der Denunziation, ja Karikatur romantischer Gefühlsblumigkeit sieht, sondern auch in einer Doppelperspektive: quasi der kalkulierten Montage von Liebesenttäuschungs-Metaphern schon des "Petrarkismus". Gerade weil er der umstandslosen Adaption etwa barocker Figurenlehre bei der Interpretation Schumannscher Heine-Lieder mißtraut, kann er auf die ernüchternde Funktion eher mechanischer "patterns" hinweisen, vor allem wenn sie "hyperbolisch" eingesetzt werden, entlarvend übertreiben. Die händelisierenden Pfundbässe, die "Im Rhein, im heiligen Strome" grundieren, verweisen ja eher darauf, daß der Verklärung des Bildes der Liebsten nicht zu trauen ist. Die eilfertige Knappheit von "Die Rose, die Lilie" erinnert an Rossini-Raster. Und nicht wenige Doppelschläge, rallentandi und Dehnungen, Akzente auf schwachen Taktteilen suggerieren das Fragwürdige der Hochgefühle. So wie die monotone Achtelbegleitung der Ballade "Die feindlichen Brüder" das auch ein wenig Lächerliche der Schauer-Situation enthüllt.
Mit gutem Grund mißtraut Synofzik der Parallelität von Affektausdruck und musikalischer Struktur, sieht eher eine Einheit im bisweilen Widersprüchlichen. Auch gegenüber der Vorstellung einer konsequenten kompositorischen Entsprechung zur Ironie wahrt er Skepsis. Indem er die für ihn unzweifelhafte Nähe zwischen Heine und Schumann akzentuiert, läßt er auch das Trennende aufscheinen. Schumanns "Reinheit" gegen Heines "Zersetzendes" ins Feld zu führen käme ihm zuallerletzt in den Sinn. Das Buch ist thematisch relativ eng fokussiert, eine Monographie. Ebendarin wirft es Fragen auf. Warum er Adornos enorme Essays zu Eichendorff/Schumann und zu Heine nicht erwähnt, auch nicht die womöglich einzige Heine-Kritik, die hinter ihrem Gegenstand nicht allzusehr zurückbleibt, nämlich die von Karl Kraus, verwundert. Und Überlegungen zu Humor, Anspielung, Witz und Persiflage in Schumanns Klavierwerken hätten zusätzlichen Aufschluß erbringen können, nicht minder die zur Relation zwischen Gedicht und Lied bei anderen Autoren. Sind die Eichendorff-Lieder wirklich nur übereinstimmend? Was ist mit Andersens "Soldat" und "Spielmann", in Text wie musikalischem Gestus so nahe bei Mahler wie kaum anderes bei Schumann? Schuberts späte "Schwanengesang"-Heine-Vertonungen tönen schwerlich ironisch; sind sie darum weniger "authentisch"? Liszt standen gewiß mancherlei Diablerien zu Gebote; in seinen Heine-Liedern vernimmt man wenig davon. Warum hat ausgerechnet Mahler Heine ausgespart, sich statt dessen dem ebenfalls brüchigen Kunst-Volksliedton von "Des Knaben Wunderhorn" verschrieben? Und wenn Mauricio Kagel seiner "Lieder-Oper" den Titel "Aus Deutschland" ("Dem Andenken Heinrich Heines") gab, in ihr exemplarische Liedtexte wie -(bühnen-)situationen des großen romantischen Repertoires zitierte, doch mit eigener Musik versah, dann ist dies ein auskomponierter Epilog auch zu Heine wie Schumann. Zwillingshaft gehören sie zusammen, siamesisch sind sie zerrissen. Sie werden uns noch lange nachgehen: "Doppelgänger" der anderen Art.
GERHARD R. KOCH
Thomas Synofzik: "Heinrich Heine - Robert Schumann". Musik und Ironie. Dohr Verlag, Köln 2006. 191 S., Notenbeisp., geb., 24,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Thomas Synofzik macht sich in seiner Analyse von Robert Schumanns Vertonung der Gedichte Heinrich Heines daran, die Klischees und Vorbehalte der musikwissenschaftlichen Rezeption vor allem gegenüber Heine zu widerlegen, stellt Gerhard R. Koch sehr zufrieden fest. Zu diesem Zweck legt der Autor, seines Zeichens Direktor des Robert Schumann-Hauses in Zwickau, nicht nur den historischen Antisemitismus gegenüber Heine offen, der die vorbehaltlose Rezeption der Schumann-Lieder behindert hat. Koch findet, dass es Synofzik in seinem Buch häufig "vorzüglich gelingt", die musikalische Erwiderung Schumanns auf Heines Ironie im Detail darzulegen. Schade findet Koch nur die relativ enge thematische Beschränkung des Autors, die ihn daran hindert, beispielsweise Adornos musikwissenschaftliche Texte zu Eichendorff, Schumann und Heine oder theoretische Texte zu Humor und Komik bei Schumann heranzuziehen. Auch die Gedichtvertonungen anderer Komponisten werden von Synofzik nicht miteinbezogen, weshalb es auch keine Vergleiche zum Verhältnis von Musik zum Text allgemein gibt, bedauert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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