Detalliert beschreibt Mario Kramp den Mikrokosmos des Pariser Dombauvereins auf der Grundlage bisher unausgewerteter Quellen. In den abenteuerlichen Lebenswegen der Beteiligten spiegeln sich wie in einem Brennglas die grundlegenden Konflikte der Epoche des Vormärz und der europäiscehn Revolution von 1848/49. Vor unseren Augen öffnet sich ein kaum bekanntes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte und ein äußerst kenntnisreich präsentierter Einblick in die Tiefen und Untiefen des frühen deutschen Nationalismus. Die Geschichte der Pariser Dombauvereins ist das Dokument eines grandiosen Scheiterns.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Aufschlussreich findet der Rezensent mit dem Kürzel "mbe" diese Dokumentation, in der er vom Autor das Geflecht "aus widerstrebenden Interessen und Ideologemen" entwirrt fand, die sich mit dem Weiterbau des Doms im 19. Jahrhundert verbunden haben. Auch sah er diese Dokumentation zu seinem Glück weit über die Wissbegierde eines normalen Besuchers hinausgehen - "aber auch hinaus über den Dom", der von ihm als "Gesslerhut für manches politische Wetterfähnchen" beschrieben werde. Die Verbindung zu Heine wird nicht nur durch dessen "Wintermärchen", sondern auch durch die Tatsache hergestellt, dass Heine, wie man liest, im Pariser Exil zu den Gründungsmitgliedern eines "Hülfsvereins für den Kölner Dombau" gehörte und dessen erster Vizepräsident war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Der gewöhnliche, sprich: flüchtige, Besucher nimmt am Kölner Dom vor allem die imposante Größe wahr und unterschiedslos Gotisches, obwohl Jahrhunderte sich hier verewigt haben. Kritische Betrachter kennen seinen Ruf als "des Geistes Bastille", den Heinrich Heine etablieren wollte. Seit der Fertigstellung 1880 ist Heines Prophezeiung aus dem "Wintermärchen" widerlegt: "Er wird nicht vollendet, der Cölner Dom." Dabei hatte Heine im Pariser Exil sogar zu den Gründungsmitgliedern eines eigenen "Hülfsvereins für den Kölner Dombau" gehört, war dessen erster "Vizepräsident" und sagte eine Spende von zwanzig Franc zu, mehr als die meisten neben ihm. Die aufschlußreiche Dokumentation "Heinrich Heines Kölner Dom" von Mario Kramp entwirrt das Geflecht aus widerstrebenden Interessen und Ideologemen, die sich mit dem Weiterbau des Doms im neunzehnten Jahrhundert verbunden hatten. Sie geht dabei weit über die Wißbegierde des gewöhnlichen Besuchers hinaus, aber auch hinaus über den Dom, der unschuldig in seiner Frühzeit noch zum Aufhänger für manchen Geßlerhut und manches politische Wetterfähnchen wurde: Gipfelpunkt der wesensmäßig "deutschen" Gotik und Morgengabe des protestantischen Preußens an die katholische Bevölkerung am Rhein, Symbol von deutscher Einheit und, vice versa, deutscher Freiheit, am Ende eine "Kinderrassel" nach dem Urteil Freiligraths, mit der die Unmündigen klappern, "um Wichtigeres (freie Presse und Constitution) zu vergessen". Ob die 1207 Franc jemals, in 326 Taler konvertiert, auf Kölner Konten eingegangen sind, ist ungewiß. Die Spender waren zum Dombaufest der Grundsteinlegung 1842 nicht eingeladen worden, und manche wären auch wohl einer Einladung nur mißtrauisch gefolgt: Sie wurden in Preußen gesucht. In Paris machten die Deutschen schon fünf Prozent der Bevölkerung aus - als Araber des neunzehnten Jahrhunderts. Und statt, wie anfangs noch erhofft, einer schwarz-rot-goldenen Fahne zierte beim Weiterbau wie zur Vollendung 1880 ein Adler die Spitze des Doms, als sei er keine Kirche, sondern eine Pickelhaube.
mbe
"Heinrich Heines Kölner Dom. Die ,armen Schelme vom Domverein' im Pariser Exil 1842-1848" von Mario Kramp. Erschienen als Band 2 der Reihe: "passerelles". Deutscher Kunstverlag, München 2002. 134 Seiten, zahlreiche Schwarzweißabbildungen. Broschiert, 12 Euro. ISBN 3-422-06373-0
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