Heinrich von Brentano zählte zu den prominentesten Köpfen der Bonner Nachkriegsdemokratie. Der Mitbegründer der hessischen CDU wirkte maßgeblich an der Hessischen Verfassung von 1946 und dem Grundgesetz mit. Später amtierte er als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag; im Europäischen Verfassungsausschuss zeichnete er 1953 für den ersten Entwurf einer Europäischen Verfassung verantwortlich - fünfzig Jahre vor dem EU-Verfassungsentwurf vom Juli 2003. Von 1955 an erster Außenminister der Bundesrepublik unter Adenauer, erlangte Brentano den Gipfelpunkt seiner Karriere. Die in seine Amtszeit fallenden Ereignisse - die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion 1955 oder der Mauerbau 1961 - bilden bis heute weltpolitische Zäsuren.
Aus Anlass des 100. Geburtstages von Brentanos beleuchten die zwölf Beiträge renommierter Fachhistoriker die verschiedenen Stationen seines Lebens. Beiträge von: Frank-Lothar Kroll, Arnulf Baring, Helmut Berding, Jürgen Elvert, Eckhart G. Franz, Daniel Kosthorst, Hans-Christof Kraus, Christiane Liermann, Walter Mühlhausen, Helmut Neuhaus, Sylvia Taschka, Hendrik Thoß.
Aus Anlass des 100. Geburtstages von Brentanos beleuchten die zwölf Beiträge renommierter Fachhistoriker die verschiedenen Stationen seines Lebens. Beiträge von: Frank-Lothar Kroll, Arnulf Baring, Helmut Berding, Jürgen Elvert, Eckhart G. Franz, Daniel Kosthorst, Hans-Christof Kraus, Christiane Liermann, Walter Mühlhausen, Helmut Neuhaus, Sylvia Taschka, Hendrik Thoß.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2004Anwalt der Freiheit
HEINRICH VON BRENTANO wurde am 7. Juni 1955 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Über vier Jahre hatte der in Offenbach geborene und aus einem weitverzweigten lombardischen Adelsgeschlecht entstammende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Posten angestrebt, den Bundeskanzler Adenauer seit der Errichtung des Auswärtigen Amts im März 1951 in Personalunion wahrgenommen hatte. Am 31. Oktober 1961 trat Brentano überraschend zurück, weil er das Feilschen um seine Person in den Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der FDP - insbesondere den Versuch, ihm einen Staatsminister im Auswärtigen Amt mit Kabinettsrang als eine Art liberale Aufsichtsperson an die Seite zu stellen - als unwürdig empfand. Am 24. November 1961 wählte ihn die CDU/CSU-Fraktion wieder zu ihrem Vorsitzenden, und diese Funktion sollte der Kettenraucher, der bald an Speisenröhrenkrebs erkrankte, bis zu seinem Tod am 14. November 1964 beibehalten. Am 20. Juni dieses Jahres wäre Brentano hundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß ehrt ihn der hessische Ministerpräsident Koch mit einem Aufsatzband, den der Diplomatie- und Kulturhistoriker Frank-Lothar Kroll redaktionell betreut. Den zwölf etwas schematischen und thematisch überlappenden Beiträgen über Herkunft und Gedankenwelt Brentanos sowie seine Tätigkeit als Landes-, Bundes- und Europapolitiker ist eine Auswahl von Bildern und Dokumenten beigefügt. So verglich Brentano im Mai 1957 vor dem Bundestag die späte Lyrik Brechts mit politischen Kampfliedern nationalsozialistischer Autoren, namentlich Horst Wessels. Als Verleger Peter Suhrkamp dagegen protestierte, wies ihn der Außenminister auch auf Brechts Ergebenheitsadresse an Walter Ulbricht vom Juni 1953 hin: "Sie schließen Ihren Brief mit der rhetorischen Frage: ,Wie soll Dichtung gedeihen, wo Staatsmänner sie so leichtfertig abtun?' Ich frage Sie, sehr geehrter Herr Suhrkamp: ,Wie soll noch Freiheit bestehen, wo Dichter sie so leichtfertig wegwerfen?'" In einem vorzüglichen biographischen Porträt stellt Kroll heraus, daß der "zwischen emotionalem Überschwang und spröder Distanziertheit" oszillierende CDU-Politiker ein schwieriger und komplizierter Mensch gewesen sei, "persönlich von großer Liebenswürdigkeit, doch zugleich scheu, introvertiert und kontaktarm. Es sei dahingestellt, welche Entwicklungsrichtung sein Lebensweg genommen hätte, wenn ihm die Bindung an eine Frau möglich gewesen wäre. Seine homoerotische Veranlagung ließ solche Bindungen indes nicht zu." Zu Brentanos bleibenden Verdiensten gehöre es, daß der leidenschaftliche Antikommunist während des "kalten Krieges" das Bewußtsein von der Einheit des europäischen Kontinents über alle trennenden Systemgrenzen hinweg wahrte. Als Anwalt der Einheit Deutschlands und der Einheit Europas hätte er - so Kroll - "die Erweiterung des ,Gemeinsamen Hauses' in unseren Tagen mit Genugtuung als eine späte und postume Bestätigung seines staatsmännischen Wirkens empfunden". (Roland Koch [Herausgeber]: Heinrich von Brentano. Ein Wegbereiter der europäischen Integration. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. 294 Seiten, 24,90 [Euro].)
rab.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
HEINRICH VON BRENTANO wurde am 7. Juni 1955 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Über vier Jahre hatte der in Offenbach geborene und aus einem weitverzweigten lombardischen Adelsgeschlecht entstammende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Posten angestrebt, den Bundeskanzler Adenauer seit der Errichtung des Auswärtigen Amts im März 1951 in Personalunion wahrgenommen hatte. Am 31. Oktober 1961 trat Brentano überraschend zurück, weil er das Feilschen um seine Person in den Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der FDP - insbesondere den Versuch, ihm einen Staatsminister im Auswärtigen Amt mit Kabinettsrang als eine Art liberale Aufsichtsperson an die Seite zu stellen - als unwürdig empfand. Am 24. November 1961 wählte ihn die CDU/CSU-Fraktion wieder zu ihrem Vorsitzenden, und diese Funktion sollte der Kettenraucher, der bald an Speisenröhrenkrebs erkrankte, bis zu seinem Tod am 14. November 1964 beibehalten. Am 20. Juni dieses Jahres wäre Brentano hundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß ehrt ihn der hessische Ministerpräsident Koch mit einem Aufsatzband, den der Diplomatie- und Kulturhistoriker Frank-Lothar Kroll redaktionell betreut. Den zwölf etwas schematischen und thematisch überlappenden Beiträgen über Herkunft und Gedankenwelt Brentanos sowie seine Tätigkeit als Landes-, Bundes- und Europapolitiker ist eine Auswahl von Bildern und Dokumenten beigefügt. So verglich Brentano im Mai 1957 vor dem Bundestag die späte Lyrik Brechts mit politischen Kampfliedern nationalsozialistischer Autoren, namentlich Horst Wessels. Als Verleger Peter Suhrkamp dagegen protestierte, wies ihn der Außenminister auch auf Brechts Ergebenheitsadresse an Walter Ulbricht vom Juni 1953 hin: "Sie schließen Ihren Brief mit der rhetorischen Frage: ,Wie soll Dichtung gedeihen, wo Staatsmänner sie so leichtfertig abtun?' Ich frage Sie, sehr geehrter Herr Suhrkamp: ,Wie soll noch Freiheit bestehen, wo Dichter sie so leichtfertig wegwerfen?'" In einem vorzüglichen biographischen Porträt stellt Kroll heraus, daß der "zwischen emotionalem Überschwang und spröder Distanziertheit" oszillierende CDU-Politiker ein schwieriger und komplizierter Mensch gewesen sei, "persönlich von großer Liebenswürdigkeit, doch zugleich scheu, introvertiert und kontaktarm. Es sei dahingestellt, welche Entwicklungsrichtung sein Lebensweg genommen hätte, wenn ihm die Bindung an eine Frau möglich gewesen wäre. Seine homoerotische Veranlagung ließ solche Bindungen indes nicht zu." Zu Brentanos bleibenden Verdiensten gehöre es, daß der leidenschaftliche Antikommunist während des "kalten Krieges" das Bewußtsein von der Einheit des europäischen Kontinents über alle trennenden Systemgrenzen hinweg wahrte. Als Anwalt der Einheit Deutschlands und der Einheit Europas hätte er - so Kroll - "die Erweiterung des ,Gemeinsamen Hauses' in unseren Tagen mit Genugtuung als eine späte und postume Bestätigung seines staatsmännischen Wirkens empfunden". (Roland Koch [Herausgeber]: Heinrich von Brentano. Ein Wegbereiter der europäischen Integration. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. 294 Seiten, 24,90 [Euro].)
rab.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent "rab" ist nicht durchweg zufrieden mit diesem Aufsatzband, der zum hundertsten Geburtstag von Adenauers Aussenminister erschienen ist. Zwar lobt er das darin enthaltene biografische Porträt von Herausgeber Frank-Lothar Kroll als vorzüglich. Insgesamt jedoch sind ihm die zwölf Beiträge des Bandes zu schematisch. Auch kritisiert er, dass sich die Beiträge thematisch und inhaltlich gelegentlich überlappen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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