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Kleist (1777 - 1811) erlebte während seines kurzen, höchst bewegten Lebens keine einzige Aufführung seiner eigenen Werke und wurde erst um 1900 als einer der größten deutschen Literaten wiederentdeckt. Er kam aus einer Offiziersfamilie, lebte die Philosophie seiner Zeit und beherrschte die deutsche Sprache bei aller Komplexität mit einer Klarheit wie kaum ein anderer.

Produktbeschreibung
Kleist (1777 - 1811) erlebte während seines kurzen, höchst bewegten Lebens keine einzige Aufführung seiner eigenen Werke und wurde erst um 1900 als einer der größten deutschen Literaten wiederentdeckt. Er kam aus einer Offiziersfamilie, lebte die Philosophie seiner Zeit und beherrschte die deutsche Sprache bei aller Komplexität mit einer Klarheit wie kaum ein anderer.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007

Er fordert die Wirklichkeit zum Duell
"Ich bitte Gott um den Tod und dich um Geld": Vier Biographen suchen das Rätsel Kleist / Von Hans-Jürgen Schings

Kleist dichtete aus der Existenz, nicht aus der Biographie." Kein guter Satz für Biographen, schroff wird ihnen die Arbeitsgrundlage entzogen. Formuliert hat ihn Günter Blöcker in seinem immer noch hinreißenden Kleist-Buch von 1960, das nicht von ungefähr den Untertitel "Das absolute Ich" führte. Es war die Zeit des absoluten, existentiellen, fundamentalistischen Kleist. Dem kam man mit den braven, "positivistischen" Instrumenten der biographischen Gattung nicht bei. Leben, Zeit und Werke trennten Abgründe. Selbst die beklagenswerte Quellenlage wurde dann noch symbolisch aufgewertet; das "seltsame Dunkel" mit den vielen Lücken passte gut zu Kleists Rätselexistenz. So glaubte Helmut Sembdner, als er die Materialien von Kleists "Lebensspuren" - oft winzige Mosaiksteinchen und Splitter - im vermeintlichen Rohzustand aneinanderreihte, dadurch entstehe eine Biographie, "die in ihrer Unmittelbarkeit erregender als irgendeine romanhafte Lebensdarstellung wirken muss". Je inkommensurabler, desto besser. Lebensspuren als Reliquienschrein, Kleist als Kult.

Als sei ein Damm gebrochen, kommen jetzt, ohne von einem Jubiläumsdatum genötigt zu werden, gleich drei (mehr oder weniger) umfangreiche Kleist-Biographien heraus. Gerhard Schulz, Jens Bisky und Herbert Kraft machen damit Front gegen den welt- und geschichtslosen Kleist der existentialistischen Bewegtheit. Indem sie sich zur Biographie bekennen, glauben sie an die Eingemeindung des großen Rätselhaften in die Historie, an einen Kleist im Kontext. Und doch, so plausibel und zeitgemäß der Wunsch nach Historisierung, so wenig beseitigt er schon die Leerstellen, die das biographische Kontinuum immer wieder durchlöchern, so störend bleibt aber auch der Eigensinn der Werke, die sich nicht in Reih und Glied einordnen wollen.

In dieser Situation hilft dem Biographen womöglich Bescheidenheit oder auch, anders gesagt, common sense. An diese Empfehlung Plutarchs hält sich Gerhard Schulz, germanistischer Emeritus aus Melbourne und hochgerühmter Verfasser einer zweibändigen Literaturgeschichte der klassisch-romantischen Epoche. Schulz mag das Pathos und die Donnerworte der älteren Kleist-Forschung ebenso wenig wie die Elfenbeinturmexerzitien und Flitter der neueren. Listiger jedenfalls kann man eine Kleist-Darstellung nicht eröffnen. Nichts von tragischer Existenz und nichts von Inkommensurabilität - Schulz' erstes Kapitel heißt "Ein schwieriger Mensch", und es beginnt mit dem Maß von Kleists Körpergröße: Fünf Fuß drei Zoll (1,70 m). Gewiss, auch für Schulz ist Kleist ein Leidensmann von Grund auf, doch zum Schuldigen wird deshalb nicht die Gesellschaft, die Familie, der preußische Staat oder der Weltlauf. Nicht ganz abwegig erscheint hingegen Gundolfs Formel von der "tief unweisen Natur" (Goethe nannte das "Hypochondrie"), aber, so fällt Schulz sogleich sich selbst ins Wort, was wäre denn schon ein weiser Kleist, ein Kleist mit geziemender Lebensklugheit?

Schulz ist loyal gegenüber seinem Autor, doch kein Parteigänger. Bei ihm muss man Goethe nicht drangeben, um zu Kleist zu halten. Von "Mitleidsbezeugungen" und dem Dauerton der Ergriffenheit sieht er ab. Hier führt uns ein durch und durch urbaner, weil ganz unaufgeregter Erzähler durch Kleists Umfelder, seine Um- und Denkwelten, wie sie insbesondere in den Briefen greifbar werden. Assoziationen, Spekulationen, Legendenbildungen kann er mit einem feinen Lächeln erledigen; welche Kleist-Forscher hören schon gern, dass sie "nach Maßgabe ihres Selbstbewusstseins" verfahren seien?

Besonders angetan haben es Schulz die Rätsel in Kleists Biographie und die vielen Rätsellöser, die sich eingefunden haben. Gern spricht er dann, nach Edward Elgar, von Enigma-Variationen. Kleists Würzburger Reise ist natürlich ein solcher Fall. Die Hypothesen über ihren Zweck ziehen vorbei, eine interessanter als die andere: Vorhautverengung, Freimaurerei, Industriespionage, Habilitation; doch alles lässt Schulz mit Hilfe der einfachsten Logik an Kleists eigenen hochgespannten Aussagen zergehen.

Fazit: Die Reise nach Würzburg hat nichts gebracht - es sei denn, man begreife sie als Reise zu sich selbst, eine erste dichterisch-fiktionale Erzählung in Briefen mit einem autogenen Helden, der seine eigenen Phantasien durchspielt: die Geburt eines Erzählers also (auch) aus dem Geist der Flunkerei. Überraschend doch, wenn auch tolerant genug meldet sich hier der heikle Topos von den lügenden Dichtern. Ähnliches gilt für die sogenannte Kant-Krise, für mysteriöse Ereignisse in der Schweiz, in Paris, in Königsberg, in Dresden. Auch in den Lebensplänen Kleists erkennt Schulz Selbstkonstruktionen, denen Desillusion und Absturz eingeschrieben sind. Nur das Dichtertum wird ihm schließlich bleiben. Wie er dieses Ziel findet, beschreibt Schulz mit großem analytischen Spürsinn.

Der Kleist, dem er nachspürt, ist ein Autor, der, kaum zu sich selbst gekommen, jedem Zugriff gleich wieder entgleitet. Schulz zeigt eindringlich, wie Reisen zu Kleists bevorzugter Lebensform wird, und dass Fluchtbewegungen die Rhythmik seiner Biographie ausmachen, bis hin zur letzten am Kleinen Wannsee. Er versagt es sich, Lücken gewaltsam zu schließen. Auch die Werke werden nicht ersatzweise zu Auskunftgebern einer inneren Biographie. Schulz hält sie sogar gezielt auf Distanz, gönnt ihnen nur knappen Raum, gewinnt ihnen ein paar allerdings kräftige Schlaglichter ab. Man kann solche (methodische) Zurückhaltung bedauern. Denn gern folgt man der diskreten und urteilssicheren Darstellungskunst eines Gelehrten, dessen Buch von altmeisterlicher Souveränität geprägt ist.

"Ich bitte Gott um den Tod und dich um Geld", schreibt Kleist seinem Schwager aus der Schweiz. Auch Jens Bisky, germanistisch versierter Autor und Journalist, schätzt und zitiert diesen wunderlichen Satz, der Kleists Katastrophen in das Zwielicht von Metaphysik und Ökonomie rückt. Dass sein Buch neben dem von Schulz bestehen kann, ist bemerkenswert genug.

Dafür sorgen nicht allein schriftstellerischer Schwung und kompositorisches Geschick. Bisky hat die historischen Erträge der Einzelforschung aufmerksam verarbeitet. Kleists Lebenswelten werden lebendig, wiederholt ist das Bild des Einsamen und Unterprivilegierten zu berichtigen. Es gibt kräftige, manchmal, wenn Bisky zum Superlativ greift, auch überkräftige Akzente, so in der Bewertung der Freundschaft zu Pfuel (sie gipfle in einem regelrechten "Heiratsantrag") oder in der krassen Abfertigung Adam Müllers (da büßt er für seine Konversion). Für die Werke lässt sich Bisky einige Zeit. Seine kompakten Interpretationen suchen rasch nach den zündenden Pointen. Nicht selten riskieren sie viel, anregend sind sie durchweg.

Vor allem aber: Bisky verfügt über einen organisierenden Blickpunkt, der sich bewährt. Gemeint ist der "Wahnsinn der Freiheit", das explosive Gemisch also, zu dem das Erbe von Aufklärung und Französischer Revolution für einen Kopf wie Kleist werden musste, der nicht bereit war, seine Individualität gegen die Rolle des Geschichtsobjekts auszutauschen. Nachdem der Bildungsroman des aufgeklärten Glücks gescheitert war, den Kleist gemeinsam mit der Braut ausführen wollte - sympathisch, wie Bisky Wilhelmine von Zenge und Kleists Briefe vor eifernden Kollegen ("Liebesbriefverächtern") in Schutz nimmt -, bahnte sich Kleist den Weg ins Extreme. Verstand er seine frühen Lebensentwürfe als Probe auf die Vernünftigkeit der Welt, so wurde er nun zu einem "Don Quijote der Aufklärung", der "stets am Morgen der Entscheidungsschlacht" lebt und die Wirklichkeit "zum Duell fordert". Bis schließlich eine geradezu berserkerhafte Radikalisierung des Kleistschen Furors den Vergleich sogar mit Robespierre nahelegt.

Revolutionärer Extremismus und nicht exzentrische Zerrissenheit - das ist kein schlechter Schlüssel namentlich für den Kleist der Kriegszeit und der antinapoleonischen Propaganda. Wie hältst du's mit der "Herrmannsschlacht"?, lautet die wohl unangenehmste Frage, die man an Kleist-Verehrer richten kann. Während Schulz seinen Abscheu schließlich nicht unterdrückt, beißt Bisky die Zähne zusammen, nennt Kleist den "größten politischen Dichter der Deutschen" und denkt an eine Art dramatischen Lehrstücks über den neuen (revolutionären) Volks- und Vernichtungskrieg, das, "ohne Ressentiments und Phrasen", dessen Mechanismen "enthüllt".

Solche Volte ins halbwegs Korrekte landet deutlich neben dem Stück selbst. Und gehört die Entfesselung der Bestialität nicht auch zum revolutionären Erbe? Da ist die berüchtigte Hally-Episode. Herrmann fordert dazu auf, den Leichnam der geschändeten und von ihrem Vater getöteten Tochter "mit des Schwertes Schärfe" in "funfzehn Stücke" zu teilen und an die fünfzehn Stämme der Germanen zu versenden. Wie andere Kommentatoren führt Bisky, als könne gediegene Intertextualität die Sache lindern, einen ähnlichen Vorgang aus dem Alten Testament an. Es gab 1793 aber auch den Vorschlag, Ludwig XVI. in Stücke zu hauen, diese einzupökeln und an alle Departements zu verteilen. So wie es für die blutigen Bisse der Penthesilea nicht nur bei Euripides ein Vorbild gibt, sondern auch - "Da werden Weiber zu Hyänen . . ." - bei den Gemetzeln nach der Erstürmung der Tuilerien am 10. August 1792.

Am kürzesten von unseren neuen Biographen fasst sich Herbert Kraft, germanistischer Emeritus aus Münster. Aber diese Kürze, die manche Kapitel auf eine Seite zusammenschrumpfen lässt, auf Übergänge wenig Wert legt und den Geschwindschritt bevorzugt, hat Methode. Sie ist das Mittel einer temperamentvollen Rhetorik, die auf Überwältigung aus ist und deshalb ohne abwägende Umschweife auskommt. Die Folge ist ein gewissermaßen atemloser Kleist. Auch Kraft kennt die Einzelforschung gut, für neue Funde freilich bleibt ihm keine Zeit. Die Bilanz von Kleists Leben kann er auf zwei Seiten unterbringen oder auch in einem Satz, der Kleists Abschiedswort (und den bekannten Titel Christa Wolfs) variiert: "Er hatte keinen Ort und keine Gegenwart, auch keine Utopie." Was Kraft im Untergrund rumoren lässt, ist der Zorn auf die Verhältnisse, auf die Gesellschaft mit ihren "Hierarchien".

"Aber er schrieb wie keiner." Dem "Werk" räumt Kraft etwa den gleichen Raum ein wie dem "Leben". Das bedeutet auch hier schlagende Knappheit - in der Regel sind den Werken zwischen zwei und vier Seiten vergönnt. Doch Kraft duldet keine Floskeln, und er kann pointieren. Der Impetus ist kritisch. So erlebt man allerlei Überraschungen, die freilich wie Überrumpelungen hinzunehmen sind. Gesucht wird ein subversiver Kleist, ein Widerständler. Gefunden wird er im Kohlhaas oder auch im Kaufmann Piachi aus dem "Findling".

Von der Anpassung an die Politik verdorben sind hingegen "Herrmannsschlacht" und "Homburg" ("Erziehung zum Untertan"). Dem "Guiskard" oder auch der "Marquise" und der "Heiligen Cäcilie" kann Kraft nur mittels zynischer Paraphrasen einen ihm erträglichen, ironischen Gegensinn abgewinnen. Und so fort, selbst nervenstarke Kleist-Leser dürfen noch einmal zusammenzucken. Sie haben freilich den aktuellen Vorteil, dass sie wählen können, von wem sie sich in das Rätsel Kleist einführen lassen wollen.

Wer es ganz kurz haben möchte, dem kommt jetzt noch, in zweiter (und korrigierter) Auflage, Peter Staengles handliche Biographie entgegen - und dort schließlich auch, auf fünf großzügigen Seiten, der "Steckbrief" Kleists.

Gerhard Schulz: "Kleist". Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2007. 608 S., geb., 26,90 [Euro].

Jens Bisky: "Kleist". Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Berlin 2007. 532 S., geb., 22,90 [Euro].

Herbert Kraft: "Kleist". Leben und Werk. Aschendorff Verlag, Münster 2007. 272 S., geb., 19,80 [Euro].

Peter Staengle: "Kleist". Sein Leben. Zweite, durchgesehene und um ein Register erweiterte Auflage. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2007. 251 S., br., 8,- [Euro].

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