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Die radikale Erkenntniskritik und Sprachskepsis, die unvergleichliche Fähigkeit zum plastischen Ausdruck, das erstaunliche Gespür für die menschlichen Abgründe - was seinen Zeitgenossen an Kleist unheimlich war, verschaffte ihm im 20. Jahrhundert den großen und späten Erfolg. Klaus Müller-Salget stellt das Gesamtwerk mit dem Blick für dessen moderne Qualitäten dar.

Produktbeschreibung
Die radikale Erkenntniskritik und Sprachskepsis, die unvergleichliche Fähigkeit zum plastischen Ausdruck, das erstaunliche Gespür für die menschlichen Abgründe - was seinen Zeitgenossen an Kleist unheimlich war, verschaffte ihm im 20. Jahrhundert den großen und späten Erfolg. Klaus Müller-Salget stellt das Gesamtwerk mit dem Blick für dessen moderne Qualitäten dar.
Autorenporträt
Klaus Müller-Salget, geboren 1940, studierte in Bonn Germanistik, Latein und Philosophie. Promotion 1970, Habilitation 1980. Lehrstuhlvertretungen in Passau und Bonn, 1986-88 Dozent in Erlangen, DFG-Projekt "Deutschsprachige Schriftsteller in Palästina/Israel" 1987- 92 (mit Unterbrechungen), Gastprofessur an der Hebrew University in Jerusalem 1992/93. Seit 1993 Ordinarius für Neuere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Innsbruck. Mitherausgeber der Kleist-Ausgabe im Deutschen Klassiker Verlag.Publikationen: Alfred Döblin. Werk und Entwicklung (1972, 21988). - Erzählungen für das Volk. Evangelische Pfarrer als Volksschriftsteller im Deutschland des 19. Jahrhunderts (1984). - Erläuterungen und Dokumente: Max Frisch, 'Homo faber' (1987 u._ö.). - Max Frisch (1996 u.ö.). - Zahlreiche Aufsätze zur deutschsprachigen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Rezensionen
Ein tragisches, an seiner Unbedingtheit zu Grunde gegangenes Leben - deswegen aber auch ein gescheitertes? Wohl kaum. Einsam ragt heute der Name von Kleist, der nicht genug Luft zum Leben fand, aus seiner Zeit heraus. Wie ein Solitär steht er zwischen Klassik und Romantik, ein großer Einzelgänger, von keiner Gruppierung zu vereinnahmen. Kleist hat alle angepassten Kleingläubigen seiner Zeit überlebt - und leuchtet damit bis in unsere Zeit. Die Biographie setzt diesem Freigeist ein wohltuendes Denkmal. Frankfurter Neue Presse

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2004

Mehr Liebe, als recht ist
Zwei Biographien beleuchten Leben und Werk Heinrich von Kleists

Jeder Biographie Heinrich von Kleists haftet zwangsläufig etwas Taschenspielerisches an, denn die überlieferten Fakten sind karg, und was der Biograph aus dem einen Ärmel zieht, hat man schon oft im anderen verschwinden sehen. Kleist galt bei Lebzeiten als wunderliches Subjekt, um das mancher einen großen Bogen machte, er starb bekanntlich früh, lebte in Zeiten des Krieges, die für Dokumentationszwecke nicht eben günstig sind, und tat das Seinige, um Spuren zu verwischen. Helmut Sembdner zog die Konsequenz und beschränkte sich in seinen "Lebensspuren" auf die harten Fakten der Überlieferung, die er minutiös zusammentrug.

Rudolf Loch, der langjährige Direktor der Kleist-Gedenkstätte in Frankfurt an der Oder, wählte einen anderen Weg. In seiner Kleist-Biographie unternimmt er mit großem Einfühlungsvermögen, gesundem Menschenverstand und erstaunlicher Spitzfindigkeit den Versuch, aus dem spärlichen Material Funken zu schlagen. Man merkt dem Buch an, daß es von einem geschrieben wurde, der einen guten Teil seines Lebens in gedanklicher Auseinandersetzung mit dem preußischen Dichter verbrachte. Für Loch stehen der daseinssüchtige Künstler, der elektrisierende Zeitgenosse und unorthodoxe Denker im Mittelpunkt, nicht der tragische Mythos eines Menschen, dem auf Erden nicht zu helfen war.

Licht und Luft bringt er schon in die im östlichen Frankfurt verbrachte Kindheit. Man wird daran erinnert, daß die größte preußische Warenmesse in der Stadt zu Hause war, erfährt von der täglichen Mittagstafel im reformfreudigen Kommandantenhaus, die Kleists Vater regelmäßig besuchte, von abendlichen Professorenzirkeln, zu denen sich die Gebrüder Humboldt gerne einfanden, aber auch von "800 in Frankfurt lebenden verwahrlosten und bettelnden Soldatenkindern".

Fleisch setzen unter Lochs Feder auch andere Perioden in Kleists an Ortswechseln reicher Laufbahn an. Das sind vor allem die Zeiten des Glücks: die Geburt des Dichters im Berner Autorenkreis um Heinrich Gessner und Heinrich Zschokke, in die der Paris-Flüchtige wie eine Bombe einschlägt; oder die persönlich so quälende, aber für die Entfaltung seines ins Absurde getriebenen Kanzleistils entscheidende Periode als Assessor an der Königsberger Domänenkammer: Sie wird von Loch ausführlich gewürdigt und für die Werkdeutung fruchtbar gemacht. Schließlich die gesellschaftlich befreienden und beruflich verheißungsvollen zwei Jahre in Dresden, wo Kleist gemeinsam mit Adam Müller Buchhändlerpläne schmiedet, ein Gegenjournal zur Weimarer Klassik herausgibt und in den führenden Salons umschwärmt wird.

Manche seiner Herzensaffären werden durch plausible Kombination der Daten neu beleuchtet, nicht zuletzt die Verwicklungen im Hause Wieland, wo der Dichter der jüngsten Tochter Luise den Hof machte und mehr, als dem Vater lieb war, gefiel: "Vermutlich", wagt Loch einen kühnen Schluß, "hatte Kleist die Ahnungslose, in ihren erotischen Reizen aber bereits Erblühte, verführt, hatte jedenfalls ,mehr Liebe gefunden, als recht ist'." Der Biograph glaubt Kleists Rolle in dieser Liebschaft im Grafen F ..., dem Draufgänger in der "Marquise von O ...", gespiegelt zu finden - eine nicht reizlose Überlegung. Immer wieder gelingt es Loch, von lebensgeschichtlichen Konstellationen aus Schlaglichter auf das Werk zu werfen. Weniger lobenswert ist seine Manie, alle Dramen und Novellen an Ort und Stelle nachzuerzählen.

Für die rasche Orientierung in Kleists Werk und Leben empfiehlt sich daher die von interpretatorischen Kapricen absehende Monographie Klaus Müller-Salgets. Hier erhält der Leser Zugang zu neueren Deutungsansätzen, was bei Loch nicht immer der Fall ist. Daß etwa der Kleist-Editor Roland Reuss in vielen Aufsätzen mit dem Vorurteil über den Realisten Kleist gründlich aufgeräumt hat, findet selbst dort keine Erwähnung, wo Loch, wie im "Bettelweib von Locarno", zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Und auch Ruth Klüger, die für eine Neueinschätzung der in den weiblichen Figuren reflektierten Kleistschen Sexualität Entscheidendes geleistet hat, wird nur en passant gestreift. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil Loch durch seine sensible Ortung des Nexus zwischen Leben und Literatur immer wieder Interessantes zur Diskussion hinzuzufügen hat - nur scheut er diese eben, und das ohne Grund.

Bemerkenswert sind Lochs Ausführungen zur ersten Welle eines preußischen "Feminismus"; ein Lächeln hingegen dürfte sein romantisches Frauenbild erregen, das Kleists Käthchen mit einer Aureole der Rührung versieht und Kunigunde der "falschen, bloß kosmetisch gestützten Weiblichkeit" zeiht. Geradezu komisch erscheint es, wenn der DDR-Germanist die sozialistische Elle an den preußischen Absolutismus legt, vom "Antikapitalismus" Adam Müllers handelt oder erläutert, daß die "soziale Determiniertheit" der Befreiungskriege Kleist "ein Rätsel geblieben" sei. Aber solche Anachronismen fallen angesichts der vielen, restituierten Lebensfasern nicht weiter ins Gewicht. So ist der Leser ganz Ohr, wenn Rudolf Loch darauf hinweist, daß auch die dem Wahnsinn verfallenen, Kirchenlieder grölenden Bilderstürmer aus der "Heiligen Cäcilie" ein Pendant im letzten Akt der Biographie des genialen Frankfurters besitzen. Der bestand im legendären Doppelsuizid des Dichters mit Henriette Vogel. Loch weist darauf hin, daß es "vor allem alte Choräle und Psalmen" waren, die das Paar in den letzten Wochen pflegte: "mit Kirchenmusik steigern sich beide ins Emphatische". Das Finale am Wannsee war nur die letzte Episode einer atemlosen Existenz, die sich Satz für Satz ihr eigenes Drehbuch schrieb.

INGEBORG HARMS.

Rudolf Loch: "Kleist". Eine Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 542 S., 52 Abb., geb., 37,- [Euro].

Klaus Müller-Salget: "Heinrich von Kleist". Reclam Verlag, Ditzingen 2002. 359 S., br., 8,60 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Über Heinrich von Kleist weiß man wenig, also prescht der Biograf entweder mutig nach vorn oder er hält sich besonnen an die Fakten. Ingeborg Harms ist gar nicht traurig darüber, dass Klaus Müller-Salget von "interpretatorischen Kapricen" absieht, zumal seine Biografie eine ebenso zuverlässige wie "rasche Orientierung" im Leben und Werk des Exzentrikers Kleist erlaube und darüber hinaus den aktuellen Stand der Forschung wiedergebe, was man beispielsweise von Rudolf Lochs Biografie - die ihrerseits durch kühne Interpretationen besteche - nicht behaupten könne. Kurzum: eine knappe, aber uneingeschränkte Empfehlung für einen gelungenen Überblick ohne Untiefen.

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