Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) ist zweifellos eine der bemerkenswertesten emanzipierten Frauen ihrer Zeit. Außergewöhnlich begabt und couragiert, ist die überaus schillernde Persönlichkeit, die als «Sphinx des 19. Jahrhunderts» berühmt und berüchtigt war, für die Entwicklung einer modernen spirituellen Weltsicht von nicht zu unterschätzender Bedeutung.Gerhard Wehr, profunder Kenner spiritueller Strömungen, zeichnet ein klares und umfassendes Bild von Leben und Werk der faszinierenden Gründerin der Theosophischen Gesellschaft und befreit sie von der Patina der Vorurteile und Verfälschungen. Das Buch vermittelt auch einen Überblick über ihre Hauptwerke und wichtigsten Mitarbeiter, enthält Glossar, Zeittafel, Bibliografie und etliche Abbildungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2005Laßt Geheimlehren um mich sein
Es ist still geworden um Madame Blavatsky. Aus den Esoterik-Regalen der großen Buchhandlungen scheinen ihre voluminösen Abhandlungen, die "Geheimlehre" und die "Entschleierte Isis" verschwunden zu sein, sie haben einer praktischeren, schnelleren Erfolg versprechenden Literatur Platz gemacht. Ein wenig schade ist es doch, daß diese grandios-okkulten Schmöker kaum noch einer kennt, und sei es auch nur, weil ohne sie manches aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht zu begreifen ist - nicht zuletzt die abstrakte Kunst, die sich in ihren Matadoren Kandinsky und Mondrian auf die russische Seherin berufen konnte.
Die Gründerin der Theosophischen Bewegung wurde 1831 in Jekaterinoslaw, dem heutigen Dnjepropetrowsk, geboren. Die Eltern gehörten dem Adel an, der Vater war Offizier. Energie und Führungskraft gehörten also zur Erbmasse. Ihr abenteuerliches Leben, bei dem manche Episode geflunkert sein mag, schildert Gerhard Wehr - ausgewiesen als Rudolf-Steiner-Biograph, Anthroposophie-Kundler und überhaupt als ein empathischer Kenner der esoterischen Welt - mit grundsätzlicher Loyalität und gelegentlichen kritischen Anmerkungen (Gerhard Wehr: "Helena Petrowna Blavatsky. Eine moderne Sphinx". Biographie. Pforte-Verlag, Dornach 2005. 271 S., geb., 22,- [Euro]). Sympathie hegt Wehr für das theosophische Programm universeller Toleranz und Verbrüderung, das sicher nicht zufällig in New York entworfen wurde (die Blavatsky glaubte an eine neue Menschenrasse, die in den Vereinigten Staaten im Entstehen begriffen sei), und gerade hier fehlt das eine oder andere kritische Wort. Lobend wird vielmehr auf die Parallele zu Hans Küngs "Weltethos" verwiesen. Theosophie ist also eine Art höherer Freimaurerei - für Frauen. Denn anders als in dem geheimen Männerbund waren es hier, mit der Gräfin Wachtmeister, mit Alice Bailey und Annie Besant, Frauen, oftmals geschiedene, die dem engeren Kreis der Führung angehörten und die Nachfolge antraten. Man hat deshalb in der neueren Literatur nicht zu Unrecht von einer Emanzipationsbewegung gesprochen; die "gender studies" können sicher noch fündig werden.
Die theosophischen Exerzitien sind nicht ungefährlich und verdienen eine mehr als nur ironische Betrachtung. In ihrer Jugend kannte Madame Blavatsky Zustände von Besessenheit, in ihren Erinnerungen spricht sie davon: "Meine Kindheit? Verwöhnt und verhätschelt einerseits, andererseits bestraft und abgehärtet. Krank und ewig am Sterben bis sieben oder acht, Schlafwandlerin, vom Teufel besessen." Solche Zustände wurden in der späteren theosophischen Lehre rationalisiert, indem die Blavatsky angab, unter der persönlichen geistigen Führung östlicher Meister, sogenannten "Mahatmas", zu stehen. Der niedere Spiritismus, mit dem sie in den Vereinigten Staaten zunächst in Kontakt gekommen war, wurde zugunsten einer durchgearbeiteten Lehre bald verlassen; immerhin wissen spätere Zeugen allerlei von "Erscheinungen", Glockenläuten und dergleichen zu berichten, die in ihrer Gegenwart, man weiß nicht warum und aus welchen Quellen, zu bemerken waren.
Allenthalben spürt man in der "Geheimlehre" den Geist des wissenschaftlichen Zeitalters; Charles Darwin, den die Blavatsky ins Russische übersetzte, ist einer der steten Bezugspunkte, wenn in der Doktrin von "Evolution" die Rede ist - wobei natürlich nie von einem biologisch faßbaren Sinn die Rede sein kann, vielmehr eine okkulte Entwicklung der Menschheit angenommen wird. Manches klingt wie eine Vorwegnahme der Chtulhu-Phantasien von H. P. Lovecraft: "Hier handelt es sich", so führt die "Geheimlehre" aus, "um eine Neigungsveränderung der Erdachse (wovon es mehrere gab) und um daraus resultierende Überflutungen und Chaos auf Erden. In ihm entstanden Monstren, halb Mensch und halb Tier. Aus unseren Stanzen geht deutlich hervor, daß die ,Wassermenschen, schrecklich und böse', das Resultat einer Fehlentwicklung waren. Sie wurden allein von der physischen Natur als Resultat des ,evolutionären Impulses' hervorgebracht." Die Beziehung zur Horrorliteratur geht aus dem Text der "Geheimlehre" selbst hervor, wenn es wenige Zeilen später heißt, den evolutionär zurückgebliebenen Wesen drohe "der Verbleib auf einer Stufe, die sogar unterhalb der von Frankenstein-ähnlichen Tieren liegt".
Wehr spricht von einem theosophischen Festsaal in London, der mit den Symbolen der Weltreligionen ausgeschmückt war. Leider erwähnt er nicht, worum es sich dabei handelte - deshalb sei es nachgetragen. Die Theosophen hatten eine Symbolleiter der Weistümer zum Signet: Da sieht man, für die Gnosis, die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, dann ein Henkelkreuz, das die in allen freimaurerischen Zirkeln in hohem Ansehen stehende ägyptische Geheimlehre vertritt. Zuoberst aber die indische Swastika für den Buddhismus und den Hinduismus, dann der sechseckige Davidstern für die Kabbala. Es berührt merkwürdig und mutet für einen Moment doch tatsächlich hellseherisch an, daß im Zentrum dieser weltbürgerlichen Gedanken gerade die beiden Embleme zu finden sind, die als Kürzel der Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts erscheinen.
Wie der Symboltransfer im einzelnen verlief, ist eine durchaus lohnende Frage. Der verstorbene Philosoph Michael Landmann glaubte etwa, daß das Swastika-Signet der wissenschaftlichen Publikationen des George-Kreises durch die theosophischen Neigungen des Buchgestalters und Illustrators Melchior Lechter zu erklären sei. Lechter hatte ein Bildnis der Blavatsky in seinem Atelier, die, nach Landmanns Erinnerung, von George stets als die "dicke Madame" bespöttelt wurde, von der Lechter sich habe becircen lassen: "Du sollst keine anderen Meister haben neben mir", mag der Dichter gedacht haben.
LORENZ JÄGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist still geworden um Madame Blavatsky. Aus den Esoterik-Regalen der großen Buchhandlungen scheinen ihre voluminösen Abhandlungen, die "Geheimlehre" und die "Entschleierte Isis" verschwunden zu sein, sie haben einer praktischeren, schnelleren Erfolg versprechenden Literatur Platz gemacht. Ein wenig schade ist es doch, daß diese grandios-okkulten Schmöker kaum noch einer kennt, und sei es auch nur, weil ohne sie manches aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht zu begreifen ist - nicht zuletzt die abstrakte Kunst, die sich in ihren Matadoren Kandinsky und Mondrian auf die russische Seherin berufen konnte.
Die Gründerin der Theosophischen Bewegung wurde 1831 in Jekaterinoslaw, dem heutigen Dnjepropetrowsk, geboren. Die Eltern gehörten dem Adel an, der Vater war Offizier. Energie und Führungskraft gehörten also zur Erbmasse. Ihr abenteuerliches Leben, bei dem manche Episode geflunkert sein mag, schildert Gerhard Wehr - ausgewiesen als Rudolf-Steiner-Biograph, Anthroposophie-Kundler und überhaupt als ein empathischer Kenner der esoterischen Welt - mit grundsätzlicher Loyalität und gelegentlichen kritischen Anmerkungen (Gerhard Wehr: "Helena Petrowna Blavatsky. Eine moderne Sphinx". Biographie. Pforte-Verlag, Dornach 2005. 271 S., geb., 22,- [Euro]). Sympathie hegt Wehr für das theosophische Programm universeller Toleranz und Verbrüderung, das sicher nicht zufällig in New York entworfen wurde (die Blavatsky glaubte an eine neue Menschenrasse, die in den Vereinigten Staaten im Entstehen begriffen sei), und gerade hier fehlt das eine oder andere kritische Wort. Lobend wird vielmehr auf die Parallele zu Hans Küngs "Weltethos" verwiesen. Theosophie ist also eine Art höherer Freimaurerei - für Frauen. Denn anders als in dem geheimen Männerbund waren es hier, mit der Gräfin Wachtmeister, mit Alice Bailey und Annie Besant, Frauen, oftmals geschiedene, die dem engeren Kreis der Führung angehörten und die Nachfolge antraten. Man hat deshalb in der neueren Literatur nicht zu Unrecht von einer Emanzipationsbewegung gesprochen; die "gender studies" können sicher noch fündig werden.
Die theosophischen Exerzitien sind nicht ungefährlich und verdienen eine mehr als nur ironische Betrachtung. In ihrer Jugend kannte Madame Blavatsky Zustände von Besessenheit, in ihren Erinnerungen spricht sie davon: "Meine Kindheit? Verwöhnt und verhätschelt einerseits, andererseits bestraft und abgehärtet. Krank und ewig am Sterben bis sieben oder acht, Schlafwandlerin, vom Teufel besessen." Solche Zustände wurden in der späteren theosophischen Lehre rationalisiert, indem die Blavatsky angab, unter der persönlichen geistigen Führung östlicher Meister, sogenannten "Mahatmas", zu stehen. Der niedere Spiritismus, mit dem sie in den Vereinigten Staaten zunächst in Kontakt gekommen war, wurde zugunsten einer durchgearbeiteten Lehre bald verlassen; immerhin wissen spätere Zeugen allerlei von "Erscheinungen", Glockenläuten und dergleichen zu berichten, die in ihrer Gegenwart, man weiß nicht warum und aus welchen Quellen, zu bemerken waren.
Allenthalben spürt man in der "Geheimlehre" den Geist des wissenschaftlichen Zeitalters; Charles Darwin, den die Blavatsky ins Russische übersetzte, ist einer der steten Bezugspunkte, wenn in der Doktrin von "Evolution" die Rede ist - wobei natürlich nie von einem biologisch faßbaren Sinn die Rede sein kann, vielmehr eine okkulte Entwicklung der Menschheit angenommen wird. Manches klingt wie eine Vorwegnahme der Chtulhu-Phantasien von H. P. Lovecraft: "Hier handelt es sich", so führt die "Geheimlehre" aus, "um eine Neigungsveränderung der Erdachse (wovon es mehrere gab) und um daraus resultierende Überflutungen und Chaos auf Erden. In ihm entstanden Monstren, halb Mensch und halb Tier. Aus unseren Stanzen geht deutlich hervor, daß die ,Wassermenschen, schrecklich und böse', das Resultat einer Fehlentwicklung waren. Sie wurden allein von der physischen Natur als Resultat des ,evolutionären Impulses' hervorgebracht." Die Beziehung zur Horrorliteratur geht aus dem Text der "Geheimlehre" selbst hervor, wenn es wenige Zeilen später heißt, den evolutionär zurückgebliebenen Wesen drohe "der Verbleib auf einer Stufe, die sogar unterhalb der von Frankenstein-ähnlichen Tieren liegt".
Wehr spricht von einem theosophischen Festsaal in London, der mit den Symbolen der Weltreligionen ausgeschmückt war. Leider erwähnt er nicht, worum es sich dabei handelte - deshalb sei es nachgetragen. Die Theosophen hatten eine Symbolleiter der Weistümer zum Signet: Da sieht man, für die Gnosis, die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, dann ein Henkelkreuz, das die in allen freimaurerischen Zirkeln in hohem Ansehen stehende ägyptische Geheimlehre vertritt. Zuoberst aber die indische Swastika für den Buddhismus und den Hinduismus, dann der sechseckige Davidstern für die Kabbala. Es berührt merkwürdig und mutet für einen Moment doch tatsächlich hellseherisch an, daß im Zentrum dieser weltbürgerlichen Gedanken gerade die beiden Embleme zu finden sind, die als Kürzel der Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts erscheinen.
Wie der Symboltransfer im einzelnen verlief, ist eine durchaus lohnende Frage. Der verstorbene Philosoph Michael Landmann glaubte etwa, daß das Swastika-Signet der wissenschaftlichen Publikationen des George-Kreises durch die theosophischen Neigungen des Buchgestalters und Illustrators Melchior Lechter zu erklären sei. Lechter hatte ein Bildnis der Blavatsky in seinem Atelier, die, nach Landmanns Erinnerung, von George stets als die "dicke Madame" bespöttelt wurde, von der Lechter sich habe becircen lassen: "Du sollst keine anderen Meister haben neben mir", mag der Dichter gedacht haben.
LORENZ JÄGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Insgesamt zufrieden zeigt sich Rezensent Lorenz Jäger mit Gerhard Wehrs Biografie Helena Blavatskys, der Gründerin der Theosophischen Bewegung. Er würdigt Wehr als ausgewiesenen Rudolf-Steiner-Biografen, Anthroposophie-Kundler und "empathischen Kenner der esoterischen Welt". Das abenteuerliche Leben Blavatskys, Autorin "grandios-okkulter Schmöker" wie die "Geheimlehre" und die "Entschleierte Isis", findet Jäger bei Wehr "mit grundsätzlicher Loyalität und gelegentlichen kritischen Anmerkungen" geschildert. Allerdings ist ihm Wehr oft nicht kritisch genug, etwa wenn dieser Sympathie für Blavatskys theosophische Programm universeller Toleranz und Verbrüderung bekundet und darin eine Parallele zu Hans Küngs "Weltethos" sieht. Auch erscheinen Jäger die theosophischen Exerzitien "nicht ungefährlich". Sie verdienten eine "mehr als nur ironische Betrachtung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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