Der Funke, der die Gegenwart abfackelt.
Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet.
Patti Smith sprengt in ihrer Kunst alle Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die in der Ruhrpott-tristesse, in der Helene Hegemann aufgewachsen ist, als unumstößlich gelten. Von dem Tag an, als sie aus einem Brennpunktstadtteil an die Seite von Patti Smith und in ein Theater katapultiert wird, in der Provokationskünstler die Doktrin vom sozialen Status komplett neu verhandeln, wächst in ihr eine Erkenntnis: Ein Leben, das an Gegensätzen nicht zerbricht, sondern aus ihnen eine explosive, heilende Kraft schöpft, ist möglich.
In diesem scharfsichtigen, welthaltigen und dabei tief persönlichen Text erzählt Helene Hegemann von ihrer Liebe zu der Musikerin, Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin und Fotografin Patti Smith, von Menschen mit reinen Herzen und von einem toten Hasen, der im Januar 1965 durch eine Kunstausstellung geführt und vierzig Jahre später von Patti Smith in Afrika begraben wird.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet.
Patti Smith sprengt in ihrer Kunst alle Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die in der Ruhrpott-tristesse, in der Helene Hegemann aufgewachsen ist, als unumstößlich gelten. Von dem Tag an, als sie aus einem Brennpunktstadtteil an die Seite von Patti Smith und in ein Theater katapultiert wird, in der Provokationskünstler die Doktrin vom sozialen Status komplett neu verhandeln, wächst in ihr eine Erkenntnis: Ein Leben, das an Gegensätzen nicht zerbricht, sondern aus ihnen eine explosive, heilende Kraft schöpft, ist möglich.
In diesem scharfsichtigen, welthaltigen und dabei tief persönlichen Text erzählt Helene Hegemann von ihrer Liebe zu der Musikerin, Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin und Fotografin Patti Smith, von Menschen mit reinen Herzen und von einem toten Hasen, der im Januar 1965 durch eine Kunstausstellung geführt und vierzig Jahre später von Patti Smith in Afrika begraben wird.
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»Hegemann schreibt mit dem Humor und der Sprachkunst, die man schon aus ihren Romanen kennt.« Marlene Knobloch Süddeutsche Zeitung 20211129
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2021Aliens und Obdachlose
Die Schriftstellerin Helene Hegemann hat ein Buch über die Sängerin Patti Smith geschrieben. Es ist das unwahrscheinliche und atemberaubende Dokument einer Rettung
Es ist eine Verkettung lebensrettender Umstände. Eine Begegnung in Wien, in einer Mehrzweckhalle, die als Probebühne für eine Inszenierung des Regisseurs Christoph Schlingensief dient. Helene Hegemann ist dreizehn, fast vierzehn, und Patti Smith achtundfünfzig. Sie weiß aber nicht, dass es Patti Smith ist. Sie hält sie für eine Obdachlose mit ihren langen Haaren und ihrem durchlöcherten Mantel. Die Frau spricht sie auf Englisch an, aber Helene Hegemann versteht kein Englisch, nickt und grinst deshalb auch nicht, sondern sitzt einfach da wie ein kleiner Zinnsoldat.
Siebenundsechzig Tage davor, im Herbst 2005, tanzte die Dreizehnjährige zu Patti Smiths "Because the night" - allerdings zu der schlechten Coverversion von Jan Wayne - bei einer westdeutschen Meisterschaft. Das Lied gefiel ihr nicht, trotzdem gewann sie. Es war der bis dahin größte Erfolg ihres Lebens, eine Mischung aus Cheerleading, MTV und Breakdance in einer Turnhalle im Ruhrgebiet zwischen zwei Kleinstädten. Sechs Stunden später starb Helene Hegemanns Mutter an einer Gehirnblutung, und das Mädchen blieb allein in jener Sozialwohnung zwischen Sonnenstudio, Gemeindehalle und Spielplatz zurück, in der sie mit der Mutter lebte. Auf dem Spielplatz übernachteten immer wieder kleine Kinder unter dem Klettergerüst, weil ihre Eltern zu betrunken waren, um ihnen die Haustür zu öffnen. "Ich haute Möbel kaputt, versuchte ab und zu, mir den Arm zu brechen, starrte tagelang auf dieselbe Stelle. Und ich heulte nicht, kein einziges Mal. Es war, als drückte mich ihr Tod in eine verschimmelnde Matratze. Als müsste ich jeden Muskel bis zur Verkrampfung anspannen, um nicht mit diesem Schimmel zu verschmelzen", schreibt sie jetzt in ihrem kurzen neuen Buch, "Patti Smith".
Auch die Mutter hatte Patti Smith gehört. Allerdings nicht an den guten Tagen. Wenn alles gut lief, lief eher keine Musik. Uferte einer ihrer schizophrenen Zustände aber in Melancholie aus, sodass sie, alkoholabhängig, zwanzig Minuten lang mit Gleichgewichtsschwierigkeiten ihr eigenes Spiegelbild anstarrte, dann drehte die Mutter David Bowie, The The, Grace Jones oder Sam Brown so laut auf, dass die Tochter, wenn sie von der Schule nach Hause kam, die Bässe schon durch das Treppenhaus wummern hören konnte. Oder Patti Smith, die auch zu den Dämonen der Mutter gehörte und deren Lieder der Tochter anzeigten, dass ein Kampf um Leben und Tod bevorstand. Die Geschichte von Patti Smith und Helene Hegemann beginnt deshalb eigentlich auch nicht mit ihrer Begegnung in Wien, sondern davor schon, mit der Angst des Mädchens vor der Musik von Patti Smith, die für sie kein gutes Zeichen war.
Als sie nach dem Tod der Mutter allein in der Wohnung sitzt, klingelt das Telefon, und der Vater, Carl Hegemann, ruft an. Er ist in Wien als Dramaturg auf einer Konzeptionsprobe im Theater. Das Kind weiß nicht, wovon der Vater, der sich gerade erst daran erinnert, dass er ein Kind hat, spricht. Es weiß nicht, wer Parsifal und Schlingensief sind. Es schreit. Und als er fragt, ob sie nach Wien kommen wolle, packt Helene Hegemann ihren Rucksack und fliegt hin. Zum gleichen Zeitpunkt ist Patti Smith noch in New York. Sie kommt drei Tage nach ihr in Wien an, weil sich Smith und Schlingensief ein Jahr zuvor durch Zufall in Bayreuth kennengelernt haben. Es stürmte, und die Musikerin suchte Zuflucht in einem Hotel, in dem der Regisseur mit seinem Ensemble feierte. Die Menschen, die Helene Hegemann nach ihrer Landung trifft, so schreibt sie es, "waren Aliens. Das war nicht nur eine Erweiterung der Welt, das fühlte sich nach einem neuen Planeten an."
Dieser neue Planet und die Aliens retteten ihr das Leben. Und so ist, wenn Helene Hegemann nach ihren Romanen "Axolotl Roadkill", nach "Jage zwei Tiger" und "Bungalow" jetzt "Patti Smith" veröffentlicht, diese autobiographische Erzählung eine Lebensrettungsgeschichte mit unglaublicher Wucht. Hundertzwölf Seiten ist dieses Buch nur lang, für das die Autorin wahrscheinlich alles gelesen, gehört und auf Youtube gesehen hat, was es zu und von der 1946 in Chicago geborenen Lyrikerin, Rockmusikerin, Singer-Songwriterin, Fotografin und Malerin, der "Godmother of Punk" gibt. Überall macht sie Beziehungen auf, versteckt kleine Verweise und verwandelt die Antwort auf die Frage, warum Patti Smith für ihr Leben so wichtig ist, in ein sprachliches Feuerwerk aus Erinnerung, Reflexion, Recherchiertem und Humor. Smith als Hohepriesterin der Auflehnung, der Freiheit oder der Geschlechterindifferenz zu huldigen liegt ihr dabei fern. Huldigung ist nicht ihr Modus. Woraus Helene Hegemann Funken schlägt, ist Ambivalenz - die eigentliche Voraussetzung für Literatur. JULIA ENCKE.
Helene Hegemann, "Patti Smith". Kiepenheuer & Witsch, 112 Seiten, 10 Euro (erscheint am 7. Oktober).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Schriftstellerin Helene Hegemann hat ein Buch über die Sängerin Patti Smith geschrieben. Es ist das unwahrscheinliche und atemberaubende Dokument einer Rettung
Es ist eine Verkettung lebensrettender Umstände. Eine Begegnung in Wien, in einer Mehrzweckhalle, die als Probebühne für eine Inszenierung des Regisseurs Christoph Schlingensief dient. Helene Hegemann ist dreizehn, fast vierzehn, und Patti Smith achtundfünfzig. Sie weiß aber nicht, dass es Patti Smith ist. Sie hält sie für eine Obdachlose mit ihren langen Haaren und ihrem durchlöcherten Mantel. Die Frau spricht sie auf Englisch an, aber Helene Hegemann versteht kein Englisch, nickt und grinst deshalb auch nicht, sondern sitzt einfach da wie ein kleiner Zinnsoldat.
Siebenundsechzig Tage davor, im Herbst 2005, tanzte die Dreizehnjährige zu Patti Smiths "Because the night" - allerdings zu der schlechten Coverversion von Jan Wayne - bei einer westdeutschen Meisterschaft. Das Lied gefiel ihr nicht, trotzdem gewann sie. Es war der bis dahin größte Erfolg ihres Lebens, eine Mischung aus Cheerleading, MTV und Breakdance in einer Turnhalle im Ruhrgebiet zwischen zwei Kleinstädten. Sechs Stunden später starb Helene Hegemanns Mutter an einer Gehirnblutung, und das Mädchen blieb allein in jener Sozialwohnung zwischen Sonnenstudio, Gemeindehalle und Spielplatz zurück, in der sie mit der Mutter lebte. Auf dem Spielplatz übernachteten immer wieder kleine Kinder unter dem Klettergerüst, weil ihre Eltern zu betrunken waren, um ihnen die Haustür zu öffnen. "Ich haute Möbel kaputt, versuchte ab und zu, mir den Arm zu brechen, starrte tagelang auf dieselbe Stelle. Und ich heulte nicht, kein einziges Mal. Es war, als drückte mich ihr Tod in eine verschimmelnde Matratze. Als müsste ich jeden Muskel bis zur Verkrampfung anspannen, um nicht mit diesem Schimmel zu verschmelzen", schreibt sie jetzt in ihrem kurzen neuen Buch, "Patti Smith".
Auch die Mutter hatte Patti Smith gehört. Allerdings nicht an den guten Tagen. Wenn alles gut lief, lief eher keine Musik. Uferte einer ihrer schizophrenen Zustände aber in Melancholie aus, sodass sie, alkoholabhängig, zwanzig Minuten lang mit Gleichgewichtsschwierigkeiten ihr eigenes Spiegelbild anstarrte, dann drehte die Mutter David Bowie, The The, Grace Jones oder Sam Brown so laut auf, dass die Tochter, wenn sie von der Schule nach Hause kam, die Bässe schon durch das Treppenhaus wummern hören konnte. Oder Patti Smith, die auch zu den Dämonen der Mutter gehörte und deren Lieder der Tochter anzeigten, dass ein Kampf um Leben und Tod bevorstand. Die Geschichte von Patti Smith und Helene Hegemann beginnt deshalb eigentlich auch nicht mit ihrer Begegnung in Wien, sondern davor schon, mit der Angst des Mädchens vor der Musik von Patti Smith, die für sie kein gutes Zeichen war.
Als sie nach dem Tod der Mutter allein in der Wohnung sitzt, klingelt das Telefon, und der Vater, Carl Hegemann, ruft an. Er ist in Wien als Dramaturg auf einer Konzeptionsprobe im Theater. Das Kind weiß nicht, wovon der Vater, der sich gerade erst daran erinnert, dass er ein Kind hat, spricht. Es weiß nicht, wer Parsifal und Schlingensief sind. Es schreit. Und als er fragt, ob sie nach Wien kommen wolle, packt Helene Hegemann ihren Rucksack und fliegt hin. Zum gleichen Zeitpunkt ist Patti Smith noch in New York. Sie kommt drei Tage nach ihr in Wien an, weil sich Smith und Schlingensief ein Jahr zuvor durch Zufall in Bayreuth kennengelernt haben. Es stürmte, und die Musikerin suchte Zuflucht in einem Hotel, in dem der Regisseur mit seinem Ensemble feierte. Die Menschen, die Helene Hegemann nach ihrer Landung trifft, so schreibt sie es, "waren Aliens. Das war nicht nur eine Erweiterung der Welt, das fühlte sich nach einem neuen Planeten an."
Dieser neue Planet und die Aliens retteten ihr das Leben. Und so ist, wenn Helene Hegemann nach ihren Romanen "Axolotl Roadkill", nach "Jage zwei Tiger" und "Bungalow" jetzt "Patti Smith" veröffentlicht, diese autobiographische Erzählung eine Lebensrettungsgeschichte mit unglaublicher Wucht. Hundertzwölf Seiten ist dieses Buch nur lang, für das die Autorin wahrscheinlich alles gelesen, gehört und auf Youtube gesehen hat, was es zu und von der 1946 in Chicago geborenen Lyrikerin, Rockmusikerin, Singer-Songwriterin, Fotografin und Malerin, der "Godmother of Punk" gibt. Überall macht sie Beziehungen auf, versteckt kleine Verweise und verwandelt die Antwort auf die Frage, warum Patti Smith für ihr Leben so wichtig ist, in ein sprachliches Feuerwerk aus Erinnerung, Reflexion, Recherchiertem und Humor. Smith als Hohepriesterin der Auflehnung, der Freiheit oder der Geschlechterindifferenz zu huldigen liegt ihr dabei fern. Huldigung ist nicht ihr Modus. Woraus Helene Hegemann Funken schlägt, ist Ambivalenz - die eigentliche Voraussetzung für Literatur. JULIA ENCKE.
Helene Hegemann, "Patti Smith". Kiepenheuer & Witsch, 112 Seiten, 10 Euro (erscheint am 7. Oktober).
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Viele gute Geschichten" liest Rezensentin Marlene Knobloch in Helene Hegemanns neuem Buch über Patti Smith. Dass es sich hier keinesfalls um eine Lobeshymne handelt, stellt Hegemann gleich zu Anfang klar, so Knobloch, indem sie ihre maßlose Enttäuschung äußert - darüber, dass die einst so kritische, anarchistische, dionysische Künstlerin heute ganz gewöhnliche Bildchen auf Instagram postet - von Vintage Telefonen, Notizheften und natürlich sich selbst. Das wird Hegemann ihr nicht vergeben, glaubt die Rezensentin, genauso wenig wie sie vergessen wird, was Smith einmal für sie bedeutet hat. Davon und darüber hinaus erzählen die vielen guten Geschichten, die Hegemann so kunstvoll wie eigensinnig miteinander verknüpft, lesen wir. Dabei scheut sie sich nicht herrlichen erzählerischen Fahrlässigkeiten, jeder Menge Selbstironie und trockenem Humor, erklärt Knobloch. Kitsch und Pathos hingegen liegen ihr fern. Am Ende dieses "wunderschönen, sehr persönlichen Essays" begreift man, was die Autorin und Patti Smith, sowie der Theatermacher Christoph Schlingensief als dritter im Bunde miteinander teilen - es ist der innere Drang, Grenzen zu überwinden, meint Knobloch. Außerdem erfährt man, was die drei Künstler*innen mit einem afrikanischen Nager, einer Bierbank und Richard Wagner zu tun haben, so die hingerissene Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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