"Gedichte sind Denk-/fortsätze. Über das/Bedachte hinaus"Klaus Merz ist ein Verdichter der Sprache und des Lebens. Häufig kreisen seine Texte um unscheinbare Bilder und Szenen, beiläufige Beobachtungen und Erinnerungsfetzen. Doch jedem dieser Momente gewinnt Klaus Merz neue Facetten ab, in jedem seiner Gedichte verwandelt sich die Welt um ein kleines Stück.VorsorgeZum Alterskapitalunserer Liebe, Liebstezählt auch:Dass wir einandermanches nichtersparen.In seinem neuen Lyrikband bringt Merz alle Tonlagen zum Klingen: Melancholie, Erinnerung, Liebe und Verlust - und satirische Schärfe im Blick auf unsere Gegenwart. Dabei strahlen seine Gedichte stets eine kraftvolle Ruhe aus, und sie lenken unsere Aufmerksamkeit in ihrer reduzierten, klaren Sprache auf das Wesentliche.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Samuel Moser hat nur manchmal das Gefühl, der Autor verwechselt ein Bonmot mit guter Dichtung. Dass ihm das auffällt, liegt allerdings an der allgemeinen Güte der Texte in diesem Band von Klaus Merz. Wie Merz das Alter besingt, laut Moser meist in schöner Beiläufigkeit, lustvoll, selbstironisch, witzig, ohne Wehleid oder auch Verantwortungslosigkeit, das scheint Moser doch im Ganzen gut gelungen, zum Beispiel "wenn er seiner zunehmenden Schlaflosigkeit 'das Lächeln eines fröhlichen Leichnams' entgegenhält". Stilistisch sehr an der Metapher hängend, wie Moser erkennt, klanglich und rhythmisch ausgewogen, pflegt der Autor die poetische Ökonomie und nicht die Moral, erläutert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2017Kein Halt in Unterkulm Nord
Sonnige Erkenntnis: Neue Gedichte von Klaus Merz
Man findet leicht hinein in diese Gedichte des 1945 geborenen Schweizers, aber schwer wieder heraus. Nach Art eines Labyrinths halten sie ihre Leser fest, zwingen sie zum Nach- und Weiterdenken. "Gedichte sind Denk- / fortsätze. Über das / Bedachte hinaus" - so lautet das auf dem Umschlag des Buches zitierte Gedicht, das den Titel "Ins Freie" trägt. Poesie öffnet Schutzräume (Überdachungen) und führt zugleich ins Ungeschützte; sie ist mit dem vertrauten Denken eng verbunden und lässt es doch weit hinter sich. Klaus Merz: ein traditionsgebundener Neuerer.
Das gibt schon das erste Gedicht des nach ihm benannten Bandes, "Helios Transport", zu erkennen: "Mit wankendem Wagen / befuhr Helios die Strassen / der frühen Fünfzigerjahre: / Lasten, Transporte aller Art. // Noch heute zuweilen / beliefert er meine Träume / bringt Licht in die hintersten / Räume meiner Kreidezeit." Die tief in die Mythologie reichende Erinnerung gilt offenbar einem Transportunternehmen namens Helios, das während der "frühen Fünfzigerjahre" - Klaus Merz war damals, in seiner "Kreidezeit", ein Schulbub - "Lasten, Transporte aller Art" offerierte. Der Firmenname war gut gewählt. Denn der Sonnengott Helios transportiert Tag für Tag auf seinem von vier Rössern gezogenen Wagen pünktlich und zuverlässig die Sonne. Die klärt auf, liefert Erkenntnisse "aller Art" bis in die Träume hinein. Helios erweist sich im übertragenen und im übertragenden Sinn als Metapher und als Metaphernlieferant.
Klaus Merz kommt auf geradem Wege zu den Gegenständen seiner metaphorischen Betrachtungen. "Es sind die nächsten Dinge / Baum, Schatten, Licht und / Traum, die uns im Labyrinth / der Tage die Richtung weisen / und den Weg", heißt es in dem Gedicht "Gemalte Welt", das dem Maler und Bildhauer Otto Scherer gewidmet ist, das aber, wie das Wort "uns" verrät, auch für Merz gilt. Er sucht und findet die bündigsten Mehrdeutigkeiten der Dinge und der Wörter. Seine Gedichte sind fertig, wenn sie die äußerste Kürze und eine bedeutende Pointe erreicht haben. Das ist mehrfach schon nach sieben bis neun Wörtern oder drei Zeilen der Fall wie in dem Gedicht "Unterkulm Nord": "Mit der Strassenbahn / passieren wir das Verlangen. / Ohne Halt." In Unterkulm im Aargau ist Klaus Merz daheim. Die Station Unterkulm Nord scheint eine Bedarfshaltestelle der Wynental-Schmalspurbahn zu sein, die zwischen Aarau und Menzigen verkehrt; der Zug hält in Unterkulm Nord nur auf Verlangen. Diesen Umstand überträgt der kurze Text auf die Gemütsverfassung der Fahrgäste: Sie fahren an der Station vorbei, unterdrücken das Verlangen nach einem Halt (im Leben?) und überlassen sich passierend der Haltlosigkeit. Ob sie das beklagen oder genießen, wird nicht gesagt. Der Sprachwitz, die offensichtliche Freude am bedeutungsvollen Spiel mit den Wörtern, die Merz' Texte auszeichnen, spricht eher für Letzteres.
In den spielerischen Umgang mit der Sprache bezieht Merz ohne Larmoyanz auch die Erinnerung an die Jugend, die Reflexion über das Alter und das Bedenken des unvermeidlichen Todes ein. Eine Wasserlilie wird zur "Gedenkstätte" an den gestrengen Vater, die "Manikür" lässt "mit jedem / zurückgeschnittenen / Fingernagel . . . das eigene Ende / immer klarer vor Augen" treten, und ein "Epitaph" endet mit den Worten: "lebensfroh / sterbenswach", die als Motto über dem ganzen Gedichtband stehen könnten.
Gelegentlich kommt es zum lustvollen Grenzübertritt ins Land des Kalauers, wenn beispielsweise der Weg vom "Neander- ins Digital" nachgezeichnet oder wenn das Hollywood-Klischee aufgemöbelt wird: "Es ist alles da: / Der Whirlpool / die Schaukel / Eis im Glas./ Und ein Star / scheißt ins Gras". Das könnte natürlich auch jedes Filmsternchen tun, aber in Hollywood gibt es neben den Stars auch die ganz gewöhnlichen Stare.
Den Abschluss bildet das anrührende Gedicht "Migration". Es enthält sogar - ganz ungewöhnlich für Merz - einen erzählerischen Kern: Mit seinem Enkel, der schon alle Planeten aufzählen kann, unternimmt der Erzähler auf dem Karussell "Saturn" eine fiktive Wanderung ins All: "Grau und geringelt züngelt / unser Haar durchs All / wir schauen mild // zurück auf unsere enge / Heimat, halten einander / bei der Hand."
WULF SEGEBRECHT.
Klaus Merz: "Helios Transport". Gedichte.
Mit fünf Pinselzeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 2016.
80 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sonnige Erkenntnis: Neue Gedichte von Klaus Merz
Man findet leicht hinein in diese Gedichte des 1945 geborenen Schweizers, aber schwer wieder heraus. Nach Art eines Labyrinths halten sie ihre Leser fest, zwingen sie zum Nach- und Weiterdenken. "Gedichte sind Denk- / fortsätze. Über das / Bedachte hinaus" - so lautet das auf dem Umschlag des Buches zitierte Gedicht, das den Titel "Ins Freie" trägt. Poesie öffnet Schutzräume (Überdachungen) und führt zugleich ins Ungeschützte; sie ist mit dem vertrauten Denken eng verbunden und lässt es doch weit hinter sich. Klaus Merz: ein traditionsgebundener Neuerer.
Das gibt schon das erste Gedicht des nach ihm benannten Bandes, "Helios Transport", zu erkennen: "Mit wankendem Wagen / befuhr Helios die Strassen / der frühen Fünfzigerjahre: / Lasten, Transporte aller Art. // Noch heute zuweilen / beliefert er meine Träume / bringt Licht in die hintersten / Räume meiner Kreidezeit." Die tief in die Mythologie reichende Erinnerung gilt offenbar einem Transportunternehmen namens Helios, das während der "frühen Fünfzigerjahre" - Klaus Merz war damals, in seiner "Kreidezeit", ein Schulbub - "Lasten, Transporte aller Art" offerierte. Der Firmenname war gut gewählt. Denn der Sonnengott Helios transportiert Tag für Tag auf seinem von vier Rössern gezogenen Wagen pünktlich und zuverlässig die Sonne. Die klärt auf, liefert Erkenntnisse "aller Art" bis in die Träume hinein. Helios erweist sich im übertragenen und im übertragenden Sinn als Metapher und als Metaphernlieferant.
Klaus Merz kommt auf geradem Wege zu den Gegenständen seiner metaphorischen Betrachtungen. "Es sind die nächsten Dinge / Baum, Schatten, Licht und / Traum, die uns im Labyrinth / der Tage die Richtung weisen / und den Weg", heißt es in dem Gedicht "Gemalte Welt", das dem Maler und Bildhauer Otto Scherer gewidmet ist, das aber, wie das Wort "uns" verrät, auch für Merz gilt. Er sucht und findet die bündigsten Mehrdeutigkeiten der Dinge und der Wörter. Seine Gedichte sind fertig, wenn sie die äußerste Kürze und eine bedeutende Pointe erreicht haben. Das ist mehrfach schon nach sieben bis neun Wörtern oder drei Zeilen der Fall wie in dem Gedicht "Unterkulm Nord": "Mit der Strassenbahn / passieren wir das Verlangen. / Ohne Halt." In Unterkulm im Aargau ist Klaus Merz daheim. Die Station Unterkulm Nord scheint eine Bedarfshaltestelle der Wynental-Schmalspurbahn zu sein, die zwischen Aarau und Menzigen verkehrt; der Zug hält in Unterkulm Nord nur auf Verlangen. Diesen Umstand überträgt der kurze Text auf die Gemütsverfassung der Fahrgäste: Sie fahren an der Station vorbei, unterdrücken das Verlangen nach einem Halt (im Leben?) und überlassen sich passierend der Haltlosigkeit. Ob sie das beklagen oder genießen, wird nicht gesagt. Der Sprachwitz, die offensichtliche Freude am bedeutungsvollen Spiel mit den Wörtern, die Merz' Texte auszeichnen, spricht eher für Letzteres.
In den spielerischen Umgang mit der Sprache bezieht Merz ohne Larmoyanz auch die Erinnerung an die Jugend, die Reflexion über das Alter und das Bedenken des unvermeidlichen Todes ein. Eine Wasserlilie wird zur "Gedenkstätte" an den gestrengen Vater, die "Manikür" lässt "mit jedem / zurückgeschnittenen / Fingernagel . . . das eigene Ende / immer klarer vor Augen" treten, und ein "Epitaph" endet mit den Worten: "lebensfroh / sterbenswach", die als Motto über dem ganzen Gedichtband stehen könnten.
Gelegentlich kommt es zum lustvollen Grenzübertritt ins Land des Kalauers, wenn beispielsweise der Weg vom "Neander- ins Digital" nachgezeichnet oder wenn das Hollywood-Klischee aufgemöbelt wird: "Es ist alles da: / Der Whirlpool / die Schaukel / Eis im Glas./ Und ein Star / scheißt ins Gras". Das könnte natürlich auch jedes Filmsternchen tun, aber in Hollywood gibt es neben den Stars auch die ganz gewöhnlichen Stare.
Den Abschluss bildet das anrührende Gedicht "Migration". Es enthält sogar - ganz ungewöhnlich für Merz - einen erzählerischen Kern: Mit seinem Enkel, der schon alle Planeten aufzählen kann, unternimmt der Erzähler auf dem Karussell "Saturn" eine fiktive Wanderung ins All: "Grau und geringelt züngelt / unser Haar durchs All / wir schauen mild // zurück auf unsere enge / Heimat, halten einander / bei der Hand."
WULF SEGEBRECHT.
Klaus Merz: "Helios Transport". Gedichte.
Mit fünf Pinselzeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 2016.
80 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die minimalistischen Gedichte, Essays und Erzählungen des Lyrikers und Romanciers Klaus Merz sind verdichtete, schnappschusshafte Momentaufnahmen. Wie Blitze in der Nacht leuchten seine Texte." Süddeutsche Zeitung, Stefan Sommer "Man findet leicht hinein in diese Gedichte des 1945 geborenen Schweizers, aber schwer wieder heraus. Nach Art eines Labyrinths halten sie ihre Leser fest, zwingen sie zum Nach- und Weiterdenken." Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wulf ULF Segebrecht "Merz' Gedichte sind austariert im Klang und Rhythmus, stilsicher im Ausdruck und durchzogen von geistreichem Humor." NZZ, Samuel Moser "Die Gedichte von Klaus Merz sind leise, geradezu behutsam. Sie sprechen in gewöhnlichen Worten von alltäglichen Dingen, die jedoch unter dem Blick des Dichters universal werden. Diese Gedichte führen den Leser, der langsam und genau zu lesen versteht, in die Weite und Freiheit des Geistes. Denn sie umfassen, wie es die Jury des Rainer-Malkowski-Preises formulierte, den Klaus Merz im Oktober für sein Gesamtwerk erhielt, 'in einem Augenaufschlag die ganze Welt'." SWR, Margit Irgang "Über Jahrzehnte hinweg ist Klaus Merz ein Meister des Understatements geblieben, der unbekümmert um alle literarischen Moden der stillen Kraft seiner Worte vertraut." FAZ, Sabine Doering "Klaus Merz gehört zu den renommiertesten Autoren der Schweiz. Den großen Worten und Gesten hält er seit jeher seine zart gearbeiteten Texte entgegen." ORF, Katja Gasser "In seinen minimalistischen Gedichten gelingt es Klaus Merz, mit einem Augenaufschlag die ganze Welt zu umfassen." Aus der Jurybegründung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zum Rainer-Malkowski-Preis für das Gesamtwerk "Klaus Merz ist ein Meister der poetischen Verdichtung, ein Autor, der seine Worte lange wiegt und lange wägt, bevor er sie aus den Händen gibt. Entsprechend pflegt er einen Stil, dessen Schönheit in der Klarheit und Kargheit liegt." Aus der Jurybegründung zum Christine-Lavant-Preis 2018