Helmut Berve (1896-1979) gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Althistorikern des 20. Jahrhunderts und hat die Geschichte seines Fachs 40 Jahre lang geprägt. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er Lehrstühle sowie weitere akademische Funktionen in Leipzig, München und Erlangen inne.
Diese Biographie verfolgt auf der Grundlage seiner wissenschaftlichen Werke, seiner umfangreichen Korrespondenz und anderer Archivalien Berves wissenschaftliche, intellektuelle und politische Entwicklung. Das Augenmerk gilt seinen zentralen Konzepten und erkenntnisleitenden Ideen. Darüber hinaus werden die akademische Karriere rekonstruiert und seine wissenschaftlichen und politischen Netzwerke offengelegt. Das Buch versteht sich als Beitrag zu einer kritischen Fachgeschichte.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Diese Biographie verfolgt auf der Grundlage seiner wissenschaftlichen Werke, seiner umfangreichen Korrespondenz und anderer Archivalien Berves wissenschaftliche, intellektuelle und politische Entwicklung. Das Augenmerk gilt seinen zentralen Konzepten und erkenntnisleitenden Ideen. Darüber hinaus werden die akademische Karriere rekonstruiert und seine wissenschaftlichen und politischen Netzwerke offengelegt. Das Buch versteht sich als Beitrag zu einer kritischen Fachgeschichte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2023Geschickter Netzwerker
Jasmin Welte über die Karriere Helmut Berves
Helmut Berve ist heute nur noch im Fach Alte Geschichte ein geläufiger Name. Seine einst viel gelesene "Griechische Geschichte", die in zwei Bänden am Ende der Weimarer Republik herauskam und nach dem Krieg im Taschenbuch weite Verbreitung fand, ist aus dem Lektürekanon verschwunden, und Studenten können mit der zugleich herben und durch Ergriffenheit erhobenen Prosa, die Glauben und Gefolgschaft erheischt, zugleich wundervolle Vignetten enthält, kaum mehr etwas anfangen. Umso mehr bedarf es historischer Klärung und Kontextualisierung. Beides leistet die gediegene, auf gründliche Archivarbeit gestützte Biographie von Jasmin Welke.
In der Vita des 1896 in Breslau geborenen Berve verbinden sich typische mit individuellen Zügen. So zeigen bereits frühe jugendbewegte Prosa und Gedichte eine Neigung zum Empfinden und Einfühlen. Nach dem Weltkrieg verlangte es den Studenten wie viele andere, die als Positivismus und Historismus abqualifizierten Paradigmen des neunzehnten Jahrhunderts zu verabschieden, um eine lebensdienliche und durch Gemeinschaftssinn bestimmte Wissenschaft von der Antike zu begründen. Dabei war Berves Bildung im Vergleich zu der einiger seiner akademischen Lehrer und Schüler einseitig ästhetisch ausgerichtet: Er studierte auch Klassische Archäologie und Kunstgeschichte, bemühte sich hingegen nicht um altorientalische Sprachen, ignorierte Nachbardisziplinen wie die Rechtswissenschaft und die frühe Soziologie. Selbst für seine Deutung der Griechen zentrale Begriffe wie Stamm, Volk oder Gemeinschaft blieben vage. Zirkelschlüsse bei Erklärungsoperationen verraten das Fehlen einer epistemischen Schulung; real-materiale Felder des geschichtlichen Prozesses wie Wirtschaft und politische Institutionen blieben unbeachtet. Terminologische Unschärfe erleichterte es Berve später, das gleiche Gemeinte verschieden zu benennen, vor der Fachwelt eher von "Wesen", vor einem breiteren Publikum zunehmend von "Rasse" zu sprechen.
Die große Bühne betrat Berve mit einem Paradoxon: Seine umfangreiche Studie über die Personen im Umfeld Alexanders des Großen war eine ihm aufgetragene, eher widerwillig erledigte Arbeit. Just dieses - bis heute wertvolle - Musterstück eines quellengesättigten Positivismus brachte dem Autor dann mit gerade einmal einunddreißig Jahren den prestigereichen Lehrstuhl in Leipzig ein und begründete seine hohe akademische Reputation. Anschließend schlug er durch die "Griechische Geschichte" eine Brücke ins Publikum. Danach jedoch erlahmte Berves Bemühen, sein Feld forschend zu erweitern. Denn im neuen Führerstaat drängte es ihn, der am 1. Mai 1933 in die Partei eingetreten war, nun seinerseits eine führende Stellung zu erreichen. Der Redner und Autor rühmte antike Führergestalten, pries die Spartaner als Herrenvolk, der Dekan und Rektor führte seine Universität in den NS-Staat. Das schloss Kontroversen mit Funktionären und Stellen des polykratischen Systems nicht aus, ging es Berve doch um eine Art von Autonomie der Wissenschaft, um Ungestörtheit in den Arbeitsbedingungen und um den Anspruch auf eine Auswahl der Besten nach seinen Maßstäben. Die szientifisch-anthropologische Rassenlehre lehnte er ab, weil sie die Deutungshoheit einer verstehenden Geschichtswissenschaft angriff.
Berves Karriere war, wie Welte überzeugend nachweist, geprägt von kluger Netzwerkpolitik: viele Studienorte bei bekannten Fachvertretern, einflussreiche Förderer, später verschiedene "Kränzchen" innerhalb und außerhalb der Universität, ein großes Gemeinschaftsunternehmen im Rahmen des "Kriegseinsatzes der Altertumswissenschaften" sowie mehrere erfolgreiche akademische Schüler, darunter Alfred Heuß und Hans Schaefer, später der Lehrer Christian Meiers. Sein Netzwerk half Berve mit vielen "Persilscheinen", als er im Entnazifierungsverfahren seinen Ruf zu verteidigen suchte.
Dies gelang ihm zwar, doch den seit 1943 bekleideten Lehrstuhl in München bekam er nicht zurück. Ein Ordinariat erhielt der als Ratgeber und Gutachter durchgängig viel gefragte Berve erst wieder 1954, in Erlangen. Wissenschaftlich kehrte er gleich doppelt zu den Anfängen zurück: Das Buch über die griechische Tyrannis ruhte auf gründlichster Quellenarbeit und würdigte die aristokratischen 'Macher', die schon die antiken Griechen so fasziniert hatten. Seine geistige Existenz als ein Kontinuum zu betrachten, das nur durch äußere Umstände und ohne eigenes Zutun Brüche erfuhr, diese Überzeugung teilte der 1979 Verstorbene mit vielen Generationsgenossen. UWE WALTER
Jasmin Welte: "Helmut Berve und die Alte Geschichte". Eine deutsche Biographie.
Hrsgg. von C. Güthenke,
D. Barbu, K. Schlapbach. Schwabe Verlag, Basel 2023. 393 S., geb., 70,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jasmin Welte über die Karriere Helmut Berves
Helmut Berve ist heute nur noch im Fach Alte Geschichte ein geläufiger Name. Seine einst viel gelesene "Griechische Geschichte", die in zwei Bänden am Ende der Weimarer Republik herauskam und nach dem Krieg im Taschenbuch weite Verbreitung fand, ist aus dem Lektürekanon verschwunden, und Studenten können mit der zugleich herben und durch Ergriffenheit erhobenen Prosa, die Glauben und Gefolgschaft erheischt, zugleich wundervolle Vignetten enthält, kaum mehr etwas anfangen. Umso mehr bedarf es historischer Klärung und Kontextualisierung. Beides leistet die gediegene, auf gründliche Archivarbeit gestützte Biographie von Jasmin Welke.
In der Vita des 1896 in Breslau geborenen Berve verbinden sich typische mit individuellen Zügen. So zeigen bereits frühe jugendbewegte Prosa und Gedichte eine Neigung zum Empfinden und Einfühlen. Nach dem Weltkrieg verlangte es den Studenten wie viele andere, die als Positivismus und Historismus abqualifizierten Paradigmen des neunzehnten Jahrhunderts zu verabschieden, um eine lebensdienliche und durch Gemeinschaftssinn bestimmte Wissenschaft von der Antike zu begründen. Dabei war Berves Bildung im Vergleich zu der einiger seiner akademischen Lehrer und Schüler einseitig ästhetisch ausgerichtet: Er studierte auch Klassische Archäologie und Kunstgeschichte, bemühte sich hingegen nicht um altorientalische Sprachen, ignorierte Nachbardisziplinen wie die Rechtswissenschaft und die frühe Soziologie. Selbst für seine Deutung der Griechen zentrale Begriffe wie Stamm, Volk oder Gemeinschaft blieben vage. Zirkelschlüsse bei Erklärungsoperationen verraten das Fehlen einer epistemischen Schulung; real-materiale Felder des geschichtlichen Prozesses wie Wirtschaft und politische Institutionen blieben unbeachtet. Terminologische Unschärfe erleichterte es Berve später, das gleiche Gemeinte verschieden zu benennen, vor der Fachwelt eher von "Wesen", vor einem breiteren Publikum zunehmend von "Rasse" zu sprechen.
Die große Bühne betrat Berve mit einem Paradoxon: Seine umfangreiche Studie über die Personen im Umfeld Alexanders des Großen war eine ihm aufgetragene, eher widerwillig erledigte Arbeit. Just dieses - bis heute wertvolle - Musterstück eines quellengesättigten Positivismus brachte dem Autor dann mit gerade einmal einunddreißig Jahren den prestigereichen Lehrstuhl in Leipzig ein und begründete seine hohe akademische Reputation. Anschließend schlug er durch die "Griechische Geschichte" eine Brücke ins Publikum. Danach jedoch erlahmte Berves Bemühen, sein Feld forschend zu erweitern. Denn im neuen Führerstaat drängte es ihn, der am 1. Mai 1933 in die Partei eingetreten war, nun seinerseits eine führende Stellung zu erreichen. Der Redner und Autor rühmte antike Führergestalten, pries die Spartaner als Herrenvolk, der Dekan und Rektor führte seine Universität in den NS-Staat. Das schloss Kontroversen mit Funktionären und Stellen des polykratischen Systems nicht aus, ging es Berve doch um eine Art von Autonomie der Wissenschaft, um Ungestörtheit in den Arbeitsbedingungen und um den Anspruch auf eine Auswahl der Besten nach seinen Maßstäben. Die szientifisch-anthropologische Rassenlehre lehnte er ab, weil sie die Deutungshoheit einer verstehenden Geschichtswissenschaft angriff.
Berves Karriere war, wie Welte überzeugend nachweist, geprägt von kluger Netzwerkpolitik: viele Studienorte bei bekannten Fachvertretern, einflussreiche Förderer, später verschiedene "Kränzchen" innerhalb und außerhalb der Universität, ein großes Gemeinschaftsunternehmen im Rahmen des "Kriegseinsatzes der Altertumswissenschaften" sowie mehrere erfolgreiche akademische Schüler, darunter Alfred Heuß und Hans Schaefer, später der Lehrer Christian Meiers. Sein Netzwerk half Berve mit vielen "Persilscheinen", als er im Entnazifierungsverfahren seinen Ruf zu verteidigen suchte.
Dies gelang ihm zwar, doch den seit 1943 bekleideten Lehrstuhl in München bekam er nicht zurück. Ein Ordinariat erhielt der als Ratgeber und Gutachter durchgängig viel gefragte Berve erst wieder 1954, in Erlangen. Wissenschaftlich kehrte er gleich doppelt zu den Anfängen zurück: Das Buch über die griechische Tyrannis ruhte auf gründlichster Quellenarbeit und würdigte die aristokratischen 'Macher', die schon die antiken Griechen so fasziniert hatten. Seine geistige Existenz als ein Kontinuum zu betrachten, das nur durch äußere Umstände und ohne eigenes Zutun Brüche erfuhr, diese Überzeugung teilte der 1979 Verstorbene mit vielen Generationsgenossen. UWE WALTER
Jasmin Welte: "Helmut Berve und die Alte Geschichte". Eine deutsche Biographie.
Hrsgg. von C. Güthenke,
D. Barbu, K. Schlapbach. Schwabe Verlag, Basel 2023. 393 S., geb., 70,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Uwe Walter hält Jasmin Weltes Biografie über Helmut Berve für eine Gelegenheit, Leben und Wirken des Althistorikers kennenzulernen, auch oder gerade weil der Gelehrte und sein Werke heute vergessen sind. Was genau damit gewonnen ist, erklärt Walter allerdings nicht. Die auf "gründliche Archivarbeit" gestützte Biografie leistet indes eine Kontextualisierung von Berves Arbeit im Nationalsozialismus, betont Walter. Berve erscheint als Wissenschaftler mit Hang zu terminologischer Unschärfe, der sich dem NS-Staat andiente und zugleich die Autonomie der Wissenschaft verfocht, lässt uns Walter wissen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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