Helmuth James von Moltke, geboren 1907 im niederschlesischen Kreisau, war der Begründer und die zentrale Figur des "Kreisauer Kreises", der wichtigsten zivilen Widerstandsgruppe gegen das Nazi-Regime. Von Hause aus Jurist, verzichtete er im Dritten Reich auf ein Richteramt, um den sonst nötigen Eintritt in die NSDAP zu vermeiden. Ein Jahr vor Kriegsende wurde er von der Gestapo verhaftet, im Januar 1945 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Jochen Köhler lässt Moltke und die Welt, in der er seine prägenden Jahre verbrachte, lebendig werden: das untergegangene Milieu des schlesischen Adels, das grenzenüberschreitende Selbstverständnis, das seine britische Mutter und ihre in Südafrika lebenden Eltern verkörperten, die Metropole Berlin. Er verfolgt seinen Weg durch Schulzeit und Studium bis zum Eintritt ins Berufsleben. Dabei zeichnet sich Moltke schon früh durch außergewöhnliches soziales und politisches Engagement sowie das Vermögen aus, Menschen mit vollkommen unterschiedlichem Hintergrund zusammenzuführen. Als schließlich die Nationalsozialisten an die Macht kommen, ist er zu einem charismatischen jungen Mann mit hohen ethischen Grundsätzen herangereift.
Jochen Köhler lässt Moltke und die Welt, in der er seine prägenden Jahre verbrachte, lebendig werden: das untergegangene Milieu des schlesischen Adels, das grenzenüberschreitende Selbstverständnis, das seine britische Mutter und ihre in Südafrika lebenden Eltern verkörperten, die Metropole Berlin. Er verfolgt seinen Weg durch Schulzeit und Studium bis zum Eintritt ins Berufsleben. Dabei zeichnet sich Moltke schon früh durch außergewöhnliches soziales und politisches Engagement sowie das Vermögen aus, Menschen mit vollkommen unterschiedlichem Hintergrund zusammenzuführen. Als schließlich die Nationalsozialisten an die Macht kommen, ist er zu einem charismatischen jungen Mann mit hohen ethischen Grundsätzen herangereift.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2008Doppelt verwurzelt gegen Hitler
Der Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke: Kindheit und Jugend
"Als ich geboren wurde, da sah Kreisau ganz anders aus als jetzt im Jahre 1944", so begann der 1907 geborene Helmuth James Graf von Moltke einen Brief an seine beiden Söhne, den er nach seiner Verhaftung im Berliner Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße geschrieben und seiner Frau übergeben hatte. Auf fünf eng beschriebenen Seiten skizzierte der Graf eindrücklich seine Kindheit und Jugend auf dem familieneigenen Gut Kreisau, das sein Urgroßonkel, der Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, für die Familie erworben hatte.
Einerseits wuchs Helmuth James von Moltke als Erstgeborener des Gutsherrn in einer traditionellen hierarchischen Welt auf, die von adelig-gutsherrlichen Vorstellungen geprägt war. Andererseits wehte in Kreisau in ganz anderer Geist als in den benachbarten schlesischen Gütern. Das lag nicht nur an seinem Vater, der schon im ausgehenden Kaiserreich mit liberalen Ideen sympathisierte und als einer der wenigen Adeligen 1920 der liberalen DVP beitrat, sondern vor allem an dessen Frau. Dorothy Gräfin von Moltke, die Mutter von Helmuth James, stammte aus Südafrika, wo ihr Vater als Justizminister und zuletzt als Oberster Richter der Südafrikanischen Union wirkte. Sie brachte nicht nur liberale Vorstellungen mit nach Kreisau, sondern sorgte auch für eine internationale Weite des Blicks. Die Fähigkeit, einfühlende Nähe wie analytische Distanz zur eigenen Umwelt einzunehmen, gab sie an ihren Sohn weiter, dessen zwei Vornamen so zu einem Hinweis auf eine doppelte geistige Verwurzelung von Mutter und Sohn im deutschen und britischen Kulturkreis wurden. Wie eng die Beziehungen zwischen Kreisau und Südafrika trotz der großen Distanzen blieben, verdeutlichen die eindrucksvollen Briefe zwischen Dorothy und ihren Eltern, die neben den eingangs zitierten Jugenderinnerungen die wichtigste Quelle über Kindheit und Jugend des späteren Widerstandskämpfers sind und die 1999 veröffentlicht wurden.
Das Buch von Joachim Köhler setzt hier an und schildert auf fast dreihundert Seiten das Leben von Helmuth James Graf von Moltke bis zum Jahr 1934. Dabei wertet der Autor nicht nur akribisch die schriftlichen Quellen zur Kindheit und Jugend aus, sondern schöpft auch bislang unbekannte Details aus mündlichen Überlieferungen der Familie. In eingestreuten, mit Empathie verfassten Miniaturen entwirft Köhler atmosphärisch dichte Bilder der Situation in Kreisau und beleuchtet so den Lebensweg des jungen Helmuth James Graf von Moltke. Gerade diese Passagen machen den Reiz und die Besonderheit des Buches aus, das Elemente wissenschaftlicher historiographischer Biographik mit literarischen Darstellungsformen zu verbinden sucht. Dies gelingt in erstaunlichem Maße, so dass der Leser nie im Unklaren bleibt, wo die Grenzen zwischen quellengestützter Interpretation und Imagination verlaufen.
Dabei handelt es sich bei dem Werk um ein Fragment. Der 2007 verstorbene Autor zielte eigentlich auf eine umfassende Biographie Moltkes ab, verstarb aber vor deren Fertigstellung. Wie es zu dem Manuskript und zur Publikation kam, beleuchten Witwe und Verleger in Vor- und Nachwort. Mit dieser Entstehungsgeschichte zu erklären ist sicherlich, dass es keine Einleitung und Begründung der Darstellungsperspektive gibt. Gleiches gilt für eine fehlende Zusammenfassung. Aber auch wenn man den Fragmentcharakter des Textes berücksichtigt, lassen sich gewisse Schwächen dieses Versuches, literarische und wissenschaftlich-biographische Darstellungsformen zu verbinden, nicht verkennen.
So überzeugend Köhler bei der detaillierten Interpretation einzelner Passagen von Moltkes Briefen und bei der Rekonstruktion einzelner Details ist, so fällt seine Darstellung bei der Einordnung verschiedener Aspekte in die Sozial- und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Ein Beispiel: Helmuth James Graf von Moltke organisierte neben seinem Studium die sogenannte Löwenberger Arbeitsgemeinschaft, eine von vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen getragene, von verschiedenen Reformbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Jugend- und Erwachsenenbildungsbewegung stark beeinflusste Initiative, die soziales Elend in Schlesien bekämpfen und dazu Kontakte zwischen verschiedenen sozialen Gruppen vermitteln wollte.
Köhler zeichnet Moltkes Wirken zwar detailliert nach, seine Einordnung in die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Weimarer Republik bleibt jedoch in Ansätzen und in biographischen Details stecken. Köhler konstatiert ein Scheitern dieses Projektes, ohne abzuwägen, welche Maßstäbe für das Wirken eines Projektes einer sozialen Bewegung angemessen wären. Hier hätte ein Blick in die vorliegende Forschung Köhler vor einer zu simplen Einschätzung bewahren können. Denn der Altmeister der Geschichtsschreibung zum Kreisauer Kreis, Ger van Roon, hatte schon vor mehr als zwanzig Jahren die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft prägnant eingeordnet und analysiert. Trotz solcher Kritik hat Köhler ein sehr anregend zu lesendes Buch über den jungen Helmuth James von Moltke verfasst.
CHRISTOPHER DOWE
Jochen Köhler: Helmuth James von Moltke. Geschichte einer Kindheit und Jugend. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 396 S., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke: Kindheit und Jugend
"Als ich geboren wurde, da sah Kreisau ganz anders aus als jetzt im Jahre 1944", so begann der 1907 geborene Helmuth James Graf von Moltke einen Brief an seine beiden Söhne, den er nach seiner Verhaftung im Berliner Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße geschrieben und seiner Frau übergeben hatte. Auf fünf eng beschriebenen Seiten skizzierte der Graf eindrücklich seine Kindheit und Jugend auf dem familieneigenen Gut Kreisau, das sein Urgroßonkel, der Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, für die Familie erworben hatte.
Einerseits wuchs Helmuth James von Moltke als Erstgeborener des Gutsherrn in einer traditionellen hierarchischen Welt auf, die von adelig-gutsherrlichen Vorstellungen geprägt war. Andererseits wehte in Kreisau in ganz anderer Geist als in den benachbarten schlesischen Gütern. Das lag nicht nur an seinem Vater, der schon im ausgehenden Kaiserreich mit liberalen Ideen sympathisierte und als einer der wenigen Adeligen 1920 der liberalen DVP beitrat, sondern vor allem an dessen Frau. Dorothy Gräfin von Moltke, die Mutter von Helmuth James, stammte aus Südafrika, wo ihr Vater als Justizminister und zuletzt als Oberster Richter der Südafrikanischen Union wirkte. Sie brachte nicht nur liberale Vorstellungen mit nach Kreisau, sondern sorgte auch für eine internationale Weite des Blicks. Die Fähigkeit, einfühlende Nähe wie analytische Distanz zur eigenen Umwelt einzunehmen, gab sie an ihren Sohn weiter, dessen zwei Vornamen so zu einem Hinweis auf eine doppelte geistige Verwurzelung von Mutter und Sohn im deutschen und britischen Kulturkreis wurden. Wie eng die Beziehungen zwischen Kreisau und Südafrika trotz der großen Distanzen blieben, verdeutlichen die eindrucksvollen Briefe zwischen Dorothy und ihren Eltern, die neben den eingangs zitierten Jugenderinnerungen die wichtigste Quelle über Kindheit und Jugend des späteren Widerstandskämpfers sind und die 1999 veröffentlicht wurden.
Das Buch von Joachim Köhler setzt hier an und schildert auf fast dreihundert Seiten das Leben von Helmuth James Graf von Moltke bis zum Jahr 1934. Dabei wertet der Autor nicht nur akribisch die schriftlichen Quellen zur Kindheit und Jugend aus, sondern schöpft auch bislang unbekannte Details aus mündlichen Überlieferungen der Familie. In eingestreuten, mit Empathie verfassten Miniaturen entwirft Köhler atmosphärisch dichte Bilder der Situation in Kreisau und beleuchtet so den Lebensweg des jungen Helmuth James Graf von Moltke. Gerade diese Passagen machen den Reiz und die Besonderheit des Buches aus, das Elemente wissenschaftlicher historiographischer Biographik mit literarischen Darstellungsformen zu verbinden sucht. Dies gelingt in erstaunlichem Maße, so dass der Leser nie im Unklaren bleibt, wo die Grenzen zwischen quellengestützter Interpretation und Imagination verlaufen.
Dabei handelt es sich bei dem Werk um ein Fragment. Der 2007 verstorbene Autor zielte eigentlich auf eine umfassende Biographie Moltkes ab, verstarb aber vor deren Fertigstellung. Wie es zu dem Manuskript und zur Publikation kam, beleuchten Witwe und Verleger in Vor- und Nachwort. Mit dieser Entstehungsgeschichte zu erklären ist sicherlich, dass es keine Einleitung und Begründung der Darstellungsperspektive gibt. Gleiches gilt für eine fehlende Zusammenfassung. Aber auch wenn man den Fragmentcharakter des Textes berücksichtigt, lassen sich gewisse Schwächen dieses Versuches, literarische und wissenschaftlich-biographische Darstellungsformen zu verbinden, nicht verkennen.
So überzeugend Köhler bei der detaillierten Interpretation einzelner Passagen von Moltkes Briefen und bei der Rekonstruktion einzelner Details ist, so fällt seine Darstellung bei der Einordnung verschiedener Aspekte in die Sozial- und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Ein Beispiel: Helmuth James Graf von Moltke organisierte neben seinem Studium die sogenannte Löwenberger Arbeitsgemeinschaft, eine von vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen getragene, von verschiedenen Reformbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Jugend- und Erwachsenenbildungsbewegung stark beeinflusste Initiative, die soziales Elend in Schlesien bekämpfen und dazu Kontakte zwischen verschiedenen sozialen Gruppen vermitteln wollte.
Köhler zeichnet Moltkes Wirken zwar detailliert nach, seine Einordnung in die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Weimarer Republik bleibt jedoch in Ansätzen und in biographischen Details stecken. Köhler konstatiert ein Scheitern dieses Projektes, ohne abzuwägen, welche Maßstäbe für das Wirken eines Projektes einer sozialen Bewegung angemessen wären. Hier hätte ein Blick in die vorliegende Forschung Köhler vor einer zu simplen Einschätzung bewahren können. Denn der Altmeister der Geschichtsschreibung zum Kreisauer Kreis, Ger van Roon, hatte schon vor mehr als zwanzig Jahren die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft prägnant eingeordnet und analysiert. Trotz solcher Kritik hat Köhler ein sehr anregend zu lesendes Buch über den jungen Helmuth James von Moltke verfasst.
CHRISTOPHER DOWE
Jochen Köhler: Helmuth James von Moltke. Geschichte einer Kindheit und Jugend. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 396 S., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christopher Dowe kann diese Biografie des jungen Helmuth James von Moltke sehr empfehlen, das er anregend, atmosphärisch dicht und mit viel Empathie geschrieben nennt. Wie Dowe erklärt, handelt es sich nur um ein Fragment, der Autor starb, bevor er das Buch fertig stellen konnte, das eigentlich eine Gesamtbiografie des Moltke'schen Lebens werden sollte. In seiner Darstellung der Jugend Moltkes bezieht sich Jochen Köhler vor allem auf die Briefe Moltkes sowie auf die seiner Mutter Dorothy , die als Tochter eines südafrikanischen Richters für Weltläufigkeit auf dem liberalen schlesischen Gut sorgte. Doch so sympathisch dem Rezensenten die Darstellung erscheint, so nachdrücklich weist er darauf hin, dass dem Autor nicht alle historischen Einschätzungen ganz gelungen sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Dieses Buch macht klar, wie gerade die raffiniert kleinen Veränderungen die großen, monströs erschreckenden Formen der Barbarei vorbereiten. Wolf Biermann