Helvetica ist eine fotografische Auseinandersetzung mit der Schweiz. Über ein halbes Jahrzehnt hat Andreas Herzau das Land immer wieder besucht und die verschiedensten Orte, Sujets und Menschen festgehalten. Ihm geht es nicht um Reportage- Fotografie im berichtenden Sinn, sondern darum, eigene, oft von Klischees verstellte Vorstellungen mit dem Vorgefundenen abzugleichen. Er zeigt ein Land, das er für seine Errungenschaften schätzt - auch wenn er bald erkennt, daß es sich mit den eigenen Ansprüchen schwer tut. Als eine Nation von großem wirtschaftlichem Wohlstand, gefestigt durch eine lange Tradition liberaler Demokratie und politischer Neutralität, bestehen dennoch starke nationale Abwehrreflexe. Herzau umkreist die Widersprüche des helvetischen Selbstbildes und reflektiert seine eigene Rolle als Fremder. Es sind genau diese Bruchstellen, auf die der Fotograf seinen Blick richtet. Ein Auslöser für die Arbeit war René Burris berühmtes Buch "Die Deutschen" aus dem Jahr 1962, das Herzau bei der Vorbereitung zu einem Vortrag über Fotobücher in die Hände fiel. Daraufhin entwickelte er die Idee, den Schweizern einen Gegenbesuch abzustatten. Analog zu Burris Werk, in dem deutsche Autoren den Bildern kurze Texte zur Seite stellten, werden Nora und Eugen Gomringer in dem Band mit Gedichten vertreten sein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2017Schleier im Schnee, Schwarze in der Schweiz
Straßenfotografien sind immer auch Selbstporträts. Denn so, wie sie vom Leben in den Städten erzählen, geben sie zugleich die Stimmung dessen wider, der sie aufgenommen hat. Sein Staunen, seinen Übermut, gegebenenfalls auch seine Melancholie. Folgerichtig nannte Andreas Herzau einen seiner frühen Bildbände "Me, Myself + I"; das ist jetzt fünfzehn Jahre her. Seitdem hat er eine ganze Reihe von Büchern vorgelegt, die konzentriert einer Stadt oder einer Region gewidmet sind: New York etwa oder Istanbul - und jetzt der Schweiz. Ja, in dem Buch finden sich Bergseen, Bergpanoramen und einmal sogar eine Bergziege, aber der Schwerpunkt liegt auf Städten, mehr noch auf den Städtern selbst - als sei in deren Gesichtern und Gesten das Wesen des Landes zu finden. Es sind überraschende Bilder, als habe Andreas Herzau selbst kaum geglaubt, was er gesehen hat: Fußstapfen über dem Kragen einer Uniform auf einen Hals tätowiert, Kinder, die mit einer Flak spielen, blasierte junge Frauen beim Sektempfang, aber auch eine komplett verschleierte Muslima im Schnee und Schwarze mit Handy und Kopfhörern, die das Bild von Getto Kids in Vollkommenheit erfüllen. Es ist ein wunderbares Buch, weil es Erwartungen unterläuft und ein eher breit aufgestelltes denn eng gefasstes Land zeigt. Klischees bedient Herzau nur mit dem Foto eines Ansichtskartenständers.
F.L.
"Helvetica" von Andreas Herzau, mit Gedichten von Nora und Eugen Gomringer. Nimbus Verlag, Wädenswil 2017. 104 Seiten, 70 Fotografien. Gebunden, 38 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Straßenfotografien sind immer auch Selbstporträts. Denn so, wie sie vom Leben in den Städten erzählen, geben sie zugleich die Stimmung dessen wider, der sie aufgenommen hat. Sein Staunen, seinen Übermut, gegebenenfalls auch seine Melancholie. Folgerichtig nannte Andreas Herzau einen seiner frühen Bildbände "Me, Myself + I"; das ist jetzt fünfzehn Jahre her. Seitdem hat er eine ganze Reihe von Büchern vorgelegt, die konzentriert einer Stadt oder einer Region gewidmet sind: New York etwa oder Istanbul - und jetzt der Schweiz. Ja, in dem Buch finden sich Bergseen, Bergpanoramen und einmal sogar eine Bergziege, aber der Schwerpunkt liegt auf Städten, mehr noch auf den Städtern selbst - als sei in deren Gesichtern und Gesten das Wesen des Landes zu finden. Es sind überraschende Bilder, als habe Andreas Herzau selbst kaum geglaubt, was er gesehen hat: Fußstapfen über dem Kragen einer Uniform auf einen Hals tätowiert, Kinder, die mit einer Flak spielen, blasierte junge Frauen beim Sektempfang, aber auch eine komplett verschleierte Muslima im Schnee und Schwarze mit Handy und Kopfhörern, die das Bild von Getto Kids in Vollkommenheit erfüllen. Es ist ein wunderbares Buch, weil es Erwartungen unterläuft und ein eher breit aufgestelltes denn eng gefasstes Land zeigt. Klischees bedient Herzau nur mit dem Foto eines Ansichtskartenständers.
F.L.
"Helvetica" von Andreas Herzau, mit Gedichten von Nora und Eugen Gomringer. Nimbus Verlag, Wädenswil 2017. 104 Seiten, 70 Fotografien. Gebunden, 38 Euro.
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