Hendrik Wüst ist ein Wandlungskünstler der Macht. Der nordrheinwestfälische Ministerpräsident schafft es immer wieder, ein neues öffentliches Bild von sich zu entwerfen. Er startet als schneidiger Jungunionist, macht Karriere als rechter Hardliner, erfindet sich als Mann des CDU-Wirtschaftsflügels neu und erklimmt die Spitze schließlich im Gewand des sanften Konservativen mit schwarz-grüner Agenda.Inzwischen zählt Wüst, der nie ein Parteidarling war, zur smarten Führungsreserve der Union, der man die Kanzlerkandidatur zutraut. Wie macht er das? Was ist echt an ihm?Der Band ist das analytische Porträt eines Vertreters der ersten Politikergeneration, die verinnerlicht hat, dass in der modernen Mediengesellschaft das Performative oft das Programmatische überlagert
""Hendrik Wüst - Der Machtwandler" liest sich süffig, biete viele kluge Analysen und plastisch erzählte Szenen." (Berliner Morgenpost
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident ist Hendrik Wüst fast schon automatisch ein Anwärter auf die CDU-Kanzlerkandidatur, erläutert Rezensent Reiner Burger, eine Tatsache, die Tobias Blasius und Moritz Küppers Buch über den Politiker ebenso automatisch Aufmerksamkeit verschafft. Burger zeichnet zunächst den politischen Werdegang Wüsts nach und erläutert dann, dass die Autoren den Ministerpräsidenten als einen flexiblen Machtpolitiker beschreiben. So galt Wüst einst, zeichnet Burger mit Blasius und Küpper nach, als ein dezidiert konservativer Jungpolitiker, inszeniert sich inzwischen allerdings als Mann der Mitte im Sinne Angela Merkels und in deutlicher Abgrenzung zu Friedrich Merz. Burger zufolge schreiben die Autoren sowohl anschaulich als auch analytisch, die letztendliche Beurteilung Wüsts überlassen sie ihren Lesern. Keineswegs geben Blasius und Küpper sich dabei allwissend, erfahren wir, auch über eine mögliche Kanzlerkandidatur spekulieren sie nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2023Projektionsfläche für Wähler der Union
Eine aufschlussreiche Biographie über den ambitionierten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst
Von Reiner Burger
Biographien über Ministerpräsidenten haben nur dann das Zeug zum Bestseller, wenn anzunehmen ist, dass der oder die Beschriebene irgendwann nach der Kanzlerschaft greifen könnte. Ein Vorteil im Fall der nordrhein-westfälischen Regierungschefs ist, dass man bei ihnen darüber per se nicht im luftleeren Raum spekulieren muss. Schließlich zählt es seit jeher zur inoffiziellen Amtsbeschreibung eines Ministerpräsidenten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, sich für Höheres im Gespräch zu halten - allein schon, um zu gewährleisten, dass NRW im föderalen Spannungsverhältnis angemessen vertreten bleibt. Umgekehrt gilt, wer als nordrhein-westfälischer Regierungschef ohne Not öffentlich kundtut, "nie, nie" nach Berlin zu wollen, beschädigt sich selbst. So machte es Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Wenige Monate nach ihrem Triumph bei der Landtagswahl 2012 beteuerte die Sozialdemokratin, keinesfalls Kanzlerin werden zu wollen, und stutzte sich damit auf Provinzmaß. Weil Kraft die Ambitionslosigkeit auch zum Signum ihrer Politik im Land machte, wurde sie 2017 abgewählt.
Ein "Nie, nie" käme Hendrik Wüst, dem ersten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten aus dem ländlich geprägten Westmünsterland, unter keinen Umständen über die Lippen. Der CDU-Politiker arbeitet im Gegenteil planvoll mit seinem qua Amt erworbenen Potential als Führungsreserve Nummer eins. Im Frühling, Wüst war gerade eineinhalb Jahre im Amt, verlieh er den nordrhein-westfälischen Staatspreis an seine Parteifreundin, die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, schrieb einen Gastbeitrag in der F.A.Z. mit der Kernbotschaft "Wir machen Politik mit dem Herzschlag der Mitte" und äußerte sich flankierend in einem Interview zweideutig über seine Ambitionen. All das war als Angriff auf den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und als Versuch verstanden worden, Wüst wolle sich als Kanzlerkandidat in Stellung bringen. Die Wirkung war auch deshalb so stark, weil es in der CDU immer Zweifel gab, ob der Anti-Merkel-Mann Merz der Richtige an der Spitze ist.
Für die beiden Journalisten Tobias Blasius (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) und Moritz Küpper (Deutschlandfunk) war es ein nicht nur verkaufsfördernder Glücksfall, dass Wüst sich gerade noch rechtzeitig höchst öffentlichkeitswirksam in Szene setzte, bevor sie die Arbeit an ihrer Biographie über den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten abschlossen. Wüsts Frühjahrsaktion untermauert auch die Kernthese des Autorenduos, dass es sich beim Erfolgsrezept des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten um eine Mischung aus handwerklicher Kontrolliertheit und inhaltlicher Flexibilität handle. Tatsächlich war Wüst einst Merkel-Skeptiker und in der Flüchtlingskrise 2015/2016 einer der prominenteren Kritiker der Kanzlerin. Auch schien vor noch gar nicht so langer Zeit kein Blatt Papier zwischen den damaligen CDU-Wirtschaftsflügel-Mann Wüst und Friedrich Merz zu passen. Doch in seinem F.A.Z.-Beitrag erwähnte Wüst den Namen Merz noch nicht einmal, während er ein Loblied auf Angela Merkel und Helmut Kohl sang.
Blasius und Küpper beschreiben Wüst als Wandlungskünstler der Macht (daher der etwas schiefe Titel "Der Machtwandler"). Denn Wüst begann seine Karriere als schneidiger Junge-Union-Politiker. 2007 veröffentlichte er gemeinsam mit dem damaligen CSU-Generalsekretär Markus Söder und anderen "jungen Wilden" ein ernüchternd dünnes Manifest für einen "modernen bürgerlichen Konservativismus". In seiner Funktion als Generalsekretär für den nordrhein-westfälischen CDU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers agierte Wüst als nassforscher Wadenbeißer. Kurz vor der Landtagswahl 2010 musste Wüst die Verantwortung für einen Sponsoring-Skandal der Parteizentrale übernehmen und zurücktreten. Mit noch nicht einmal 35 Jahren war Wüsts politischer Steigflug jäh zu Ende. Sein Borkener Landtagsmandat konnte er (wie bis heute stets) souverän verteidigen. Indem er 2013 Landesvorsitzender der einflussreichen CDU-Mittelstandsvereinigung MIT wurde, baute Wüst sich nicht nur ein Image als Anwalt der Wirtschaft auf, sondern untermauerte auch seine innerparteiliche Position für künftige höhere Ansprüche. Tatsächlich kam Laschet nach seinem Landtagswahlsieg 2017 nicht am MIT-Chef vorbei; Wüst wurde Verkehrsminister - der für viele überraschend nicht nur den Straßenbau vorantrieb, sondern auch engagiert Fahrradpolitik machte.
Blasius und Küpper haben - zum Glück - keine politiktheoretische Abhandlung geschrieben. Ihre Biographie ist ein hervorragendes Beispiel für den um Objektivität ringenden kritischen Recherche-Journalismus - beinahe 100 Weggefährten, Mitarbeiter, Freunde, Gegner und Kritiker Wüsts haben die Autoren interviewt. Mit unterhaltsamen szenischen Beschreibungen und tiefgründigen Analysen überlassen sie es ihren Lesern, sich selbst ein Bild von Wüst zu machen, dem sie bescheinigen, sich zur "idealen Projektionsfläche für eine mittlerweile immer stärker ausfransende Unionswählerschaft", zu einem "Manager der Mitte" gemacht zu haben, der anders als Armin Laschet und selbst Angela Merkel nicht permanent gegen den Verdacht ankämpfen müsse, er wolle das konservative Tafelsilber verscherbeln.
Die beiden Autoren geben nicht vor, auf alle Fragen Antworten zu haben. Auch ob es Wüst tatsächlich nach Berlin zieht, lassen Blasius und Küpper offen. Doch prophezeien sie, was der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wirklich wolle, werde er möglichst lange für sich behalten: "Auf seinem Weg nach oben hat Wüst selten an Zäunen gerüttelt. Meist sorgt er im Stillen dafür, dass die Dinge sich fügen."
Tobias Blasius/ Moritz Küpper: Hendrik Wüst. Der Machtwandler. Karriere und Kalkül.
Klartext Verlag, Essen 2023. 224 S., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine aufschlussreiche Biographie über den ambitionierten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst
Von Reiner Burger
Biographien über Ministerpräsidenten haben nur dann das Zeug zum Bestseller, wenn anzunehmen ist, dass der oder die Beschriebene irgendwann nach der Kanzlerschaft greifen könnte. Ein Vorteil im Fall der nordrhein-westfälischen Regierungschefs ist, dass man bei ihnen darüber per se nicht im luftleeren Raum spekulieren muss. Schließlich zählt es seit jeher zur inoffiziellen Amtsbeschreibung eines Ministerpräsidenten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, sich für Höheres im Gespräch zu halten - allein schon, um zu gewährleisten, dass NRW im föderalen Spannungsverhältnis angemessen vertreten bleibt. Umgekehrt gilt, wer als nordrhein-westfälischer Regierungschef ohne Not öffentlich kundtut, "nie, nie" nach Berlin zu wollen, beschädigt sich selbst. So machte es Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Wenige Monate nach ihrem Triumph bei der Landtagswahl 2012 beteuerte die Sozialdemokratin, keinesfalls Kanzlerin werden zu wollen, und stutzte sich damit auf Provinzmaß. Weil Kraft die Ambitionslosigkeit auch zum Signum ihrer Politik im Land machte, wurde sie 2017 abgewählt.
Ein "Nie, nie" käme Hendrik Wüst, dem ersten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten aus dem ländlich geprägten Westmünsterland, unter keinen Umständen über die Lippen. Der CDU-Politiker arbeitet im Gegenteil planvoll mit seinem qua Amt erworbenen Potential als Führungsreserve Nummer eins. Im Frühling, Wüst war gerade eineinhalb Jahre im Amt, verlieh er den nordrhein-westfälischen Staatspreis an seine Parteifreundin, die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, schrieb einen Gastbeitrag in der F.A.Z. mit der Kernbotschaft "Wir machen Politik mit dem Herzschlag der Mitte" und äußerte sich flankierend in einem Interview zweideutig über seine Ambitionen. All das war als Angriff auf den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und als Versuch verstanden worden, Wüst wolle sich als Kanzlerkandidat in Stellung bringen. Die Wirkung war auch deshalb so stark, weil es in der CDU immer Zweifel gab, ob der Anti-Merkel-Mann Merz der Richtige an der Spitze ist.
Für die beiden Journalisten Tobias Blasius (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) und Moritz Küpper (Deutschlandfunk) war es ein nicht nur verkaufsfördernder Glücksfall, dass Wüst sich gerade noch rechtzeitig höchst öffentlichkeitswirksam in Szene setzte, bevor sie die Arbeit an ihrer Biographie über den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten abschlossen. Wüsts Frühjahrsaktion untermauert auch die Kernthese des Autorenduos, dass es sich beim Erfolgsrezept des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten um eine Mischung aus handwerklicher Kontrolliertheit und inhaltlicher Flexibilität handle. Tatsächlich war Wüst einst Merkel-Skeptiker und in der Flüchtlingskrise 2015/2016 einer der prominenteren Kritiker der Kanzlerin. Auch schien vor noch gar nicht so langer Zeit kein Blatt Papier zwischen den damaligen CDU-Wirtschaftsflügel-Mann Wüst und Friedrich Merz zu passen. Doch in seinem F.A.Z.-Beitrag erwähnte Wüst den Namen Merz noch nicht einmal, während er ein Loblied auf Angela Merkel und Helmut Kohl sang.
Blasius und Küpper beschreiben Wüst als Wandlungskünstler der Macht (daher der etwas schiefe Titel "Der Machtwandler"). Denn Wüst begann seine Karriere als schneidiger Junge-Union-Politiker. 2007 veröffentlichte er gemeinsam mit dem damaligen CSU-Generalsekretär Markus Söder und anderen "jungen Wilden" ein ernüchternd dünnes Manifest für einen "modernen bürgerlichen Konservativismus". In seiner Funktion als Generalsekretär für den nordrhein-westfälischen CDU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers agierte Wüst als nassforscher Wadenbeißer. Kurz vor der Landtagswahl 2010 musste Wüst die Verantwortung für einen Sponsoring-Skandal der Parteizentrale übernehmen und zurücktreten. Mit noch nicht einmal 35 Jahren war Wüsts politischer Steigflug jäh zu Ende. Sein Borkener Landtagsmandat konnte er (wie bis heute stets) souverän verteidigen. Indem er 2013 Landesvorsitzender der einflussreichen CDU-Mittelstandsvereinigung MIT wurde, baute Wüst sich nicht nur ein Image als Anwalt der Wirtschaft auf, sondern untermauerte auch seine innerparteiliche Position für künftige höhere Ansprüche. Tatsächlich kam Laschet nach seinem Landtagswahlsieg 2017 nicht am MIT-Chef vorbei; Wüst wurde Verkehrsminister - der für viele überraschend nicht nur den Straßenbau vorantrieb, sondern auch engagiert Fahrradpolitik machte.
Blasius und Küpper haben - zum Glück - keine politiktheoretische Abhandlung geschrieben. Ihre Biographie ist ein hervorragendes Beispiel für den um Objektivität ringenden kritischen Recherche-Journalismus - beinahe 100 Weggefährten, Mitarbeiter, Freunde, Gegner und Kritiker Wüsts haben die Autoren interviewt. Mit unterhaltsamen szenischen Beschreibungen und tiefgründigen Analysen überlassen sie es ihren Lesern, sich selbst ein Bild von Wüst zu machen, dem sie bescheinigen, sich zur "idealen Projektionsfläche für eine mittlerweile immer stärker ausfransende Unionswählerschaft", zu einem "Manager der Mitte" gemacht zu haben, der anders als Armin Laschet und selbst Angela Merkel nicht permanent gegen den Verdacht ankämpfen müsse, er wolle das konservative Tafelsilber verscherbeln.
Die beiden Autoren geben nicht vor, auf alle Fragen Antworten zu haben. Auch ob es Wüst tatsächlich nach Berlin zieht, lassen Blasius und Küpper offen. Doch prophezeien sie, was der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wirklich wolle, werde er möglichst lange für sich behalten: "Auf seinem Weg nach oben hat Wüst selten an Zäunen gerüttelt. Meist sorgt er im Stillen dafür, dass die Dinge sich fügen."
Tobias Blasius/ Moritz Küpper: Hendrik Wüst. Der Machtwandler. Karriere und Kalkül.
Klartext Verlag, Essen 2023. 224 S., 22,- Euro.
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