Produktdetails
- Verlag: Reclam
- Deutsch
- ISBN-13: 9783150006627
- ISBN-10: 3150006627
- Artikelnr.: 00003606
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.19981777
Johann Heinrich Jung-Stilling "Heinrich Stillings Jugend"
Wenn die Frommen in sich gehn und erzählen, wie es mit ihnen so weit gekommen ist, daß sie nun in sich gehn und erzählen können, wie es mit ihnen bis hierher gekommen ist, dann tun sie im Grund das gerade Gegenteil von einem Romancier, der ja, außer vielleicht in seinen Anfängen, gerade solche Leben beschreibt, die andre waren als das seine - er geht immer aus sich heraus und nur deshalb in sich hinein. Für den Leser verwischen sich die Unterschiede eher, nämlich wenn der Fromme auch ein für andre irgendwie interessantes Schicksal gehabt hat (was freilich, anders als der Romancier, der darauf achtet, der Fromme nicht immer bedenkt: nichts ist ihm a priori so interessant, als wie Gott ihn geführt hat) - der Leser kann den Aufstieg aus den Abgründen hinauf ans Licht des Lesens und sogar also des Schreibens dann immer als ein Leben nehmen, das so wenig das seine war (meistens waren seine Geburtsumstände freundlicher), wie in den Romanen der gewöhnlichen Art die Schicksale das dort für beide sind, den Autor und den Leser. Fast haben sogar die autobiographischen Geschichten, aber natürlich nur, wenn man das mag in der Nase, den Romanen diesen eigenartigen Geruch voraus von etwas wie einer wenn auch schwer greifbaren Unerfindlichkeit; einen Geruch, den man nachher dann daran erkennt, daß man froh ist (mit dem Autor), ihm entronnen zu sein: während wirkliche Romane (wenn es vernünftig ist, gerade hier von "wirklich" zu reden) eher dazu verlocken, den Pianisten zu bitten, noch einmal so ein Lied zu spielen. Jung-Stilling, eher vergleichbar dem Toggenburger Bräker, von Rousseau einmal geschwiegen, kaum dem so viel begabteren und irgendwie eben doch wirklich romanschreibenden Moritz (der Gottes Wirken denn auch eher leidvoll fand als Bräker und Jung-Stilling - möglich, daß hier das Schreiben sich differenziert), Jung-Stilling war, als Goethe, 1777, seine Jugendgeschichte herausgab, schon ein siebenunddreißigjähriger, durchaus gemachter Mann, aber er war noch erträglich - das war er dann nicht mehr, weder für Goethe noch für uns, als er, Professor und Hofrat schließlich und kurfürstlicher Pensionär, fortfuhr, sein Leben zu beschreiben und, schlimmer noch, Romane zu verfassen. Hamann hat einmal gesagt, Gott sei ein großer Schriftsteller - die ihm allzusehr nacheifern, pfuschen dann natürlich oft sehr. (Johann Heinrich Jung-Stilling: "Heinrich Stillings Jugend. Eine wahrhafte Geschichte". Reclam Verlag, Stuttgart. 423 S. [mit den Fortsetzungen], br., 16,- DM; ebenfalls die ganze "Lebensgeschichte" bei Insel 1983, 634 S., geb., 48,- DM.) R.V.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Johann Heinrich Jung-Stilling "Heinrich Stillings Jugend"
Wenn die Frommen in sich gehn und erzählen, wie es mit ihnen so weit gekommen ist, daß sie nun in sich gehn und erzählen können, wie es mit ihnen bis hierher gekommen ist, dann tun sie im Grund das gerade Gegenteil von einem Romancier, der ja, außer vielleicht in seinen Anfängen, gerade solche Leben beschreibt, die andre waren als das seine - er geht immer aus sich heraus und nur deshalb in sich hinein. Für den Leser verwischen sich die Unterschiede eher, nämlich wenn der Fromme auch ein für andre irgendwie interessantes Schicksal gehabt hat (was freilich, anders als der Romancier, der darauf achtet, der Fromme nicht immer bedenkt: nichts ist ihm a priori so interessant, als wie Gott ihn geführt hat) - der Leser kann den Aufstieg aus den Abgründen hinauf ans Licht des Lesens und sogar also des Schreibens dann immer als ein Leben nehmen, das so wenig das seine war (meistens waren seine Geburtsumstände freundlicher), wie in den Romanen der gewöhnlichen Art die Schicksale das dort für beide sind, den Autor und den Leser. Fast haben sogar die autobiographischen Geschichten, aber natürlich nur, wenn man das mag in der Nase, den Romanen diesen eigenartigen Geruch voraus von etwas wie einer wenn auch schwer greifbaren Unerfindlichkeit; einen Geruch, den man nachher dann daran erkennt, daß man froh ist (mit dem Autor), ihm entronnen zu sein: während wirkliche Romane (wenn es vernünftig ist, gerade hier von "wirklich" zu reden) eher dazu verlocken, den Pianisten zu bitten, noch einmal so ein Lied zu spielen. Jung-Stilling, eher vergleichbar dem Toggenburger Bräker, von Rousseau einmal geschwiegen, kaum dem so viel begabteren und irgendwie eben doch wirklich romanschreibenden Moritz (der Gottes Wirken denn auch eher leidvoll fand als Bräker und Jung-Stilling - möglich, daß hier das Schreiben sich differenziert), Jung-Stilling war, als Goethe, 1777, seine Jugendgeschichte herausgab, schon ein siebenunddreißigjähriger, durchaus gemachter Mann, aber er war noch erträglich - das war er dann nicht mehr, weder für Goethe noch für uns, als er, Professor und Hofrat schließlich und kurfürstlicher Pensionär, fortfuhr, sein Leben zu beschreiben und, schlimmer noch, Romane zu verfassen. Hamann hat einmal gesagt, Gott sei ein großer Schriftsteller - die ihm allzusehr nacheifern, pfuschen dann natürlich oft sehr. (Johann Heinrich Jung-Stilling: "Heinrich Stillings Jugend. Eine wahrhafte Geschichte". Reclam Verlag, Stuttgart. 423 S. [mit den Fortsetzungen], br., 16,- DM; ebenfalls die ganze "Lebensgeschichte" bei Insel 1983, 634 S., geb., 48,- DM.) R.V.
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