Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2009Die visionäre Bimmelbahn
Jetzt mit Holzlok: James Krüss' Bilderbuchklassiker
Manchmal lässt sich sehr genau sagen, warum bestimmte Vornamen äußerst angenehm im Ohr klingen. "Henriette" ist so ein Fall, wenigstens für diejenigen, die nach 1958 geboren und wohlversorgt mit Bilderbüchern aufgewachsen sind. Vermutlich kreuzte irgendwann einmal eine kleine graue Dampflok ihren Weg, die fröhliche Anarchie ins Kinderzimmer brachte, möglicherweise sogar, ohne dass die vorlesenden Eltern, eingelullt durch die plätschernden Verse, dies so richtig bemerkten: "Henriette heißt die nette, alte kleine Bimmelbahn", lasen sie gerührt, blind für den Sprengsatz, der kurz darauf zünden sollte: "Henriette, Henriette fuhr noch nie nach einem Plan." Denn auf den folgenden Seiten kehrt die Lok alles um, wofür die Staatsbahn 1958 stand (und beweist dabei einiges Talent als Visionärin), sie bestimmt eigenmächtig den Moment der Abfahrt, wählt ihre Strecke selbst, die Haltepunkte sowieso, und wenn unterwegs eine Blumenwiese kommt, hält sie besonders lange, damit jedes mitfahrende Kind Blumen pflücken kann. Die Großeltern, bei denen die Kinder abgeliefert werden, danken es ihr. Am Ende kehrte Henriette, redlich ermattet, in die Stadt zurück und ruht sich von all den Abenteuern aus.
Was heute Axel Scheffler & Julia Donaldson sind, waren in den fünfziger und sechziger Jahren James Krüss & Lisl Stich, die gemeinsam eine Reihe reizender Bilderbücher wie "Der blaue Autobus", "Der kleine Doppeldecker" oder eben Henriette schufen, kindsköpfiger Wortspieler der eine, Perspektivendurchwirblerin die andere. Der Boje-Verlag nimmt sich ihrer seit je an. Jetzt ist dort eine Sonderausgabe von "Henriette Bimmelbahn" erschienen, im Kleinformat, dafür aber mit kleinkindgerecht dicken Pappseiten, der ein Holzmodell der Lok beigegeben ist, mit echter Glocke. Schienen oder gar Fahrpläne finden sich in dem Päckchen nicht. Und das ist bei dieser Bahn nur konsequent.
TILMAN SPRECKELSEN
James Krüss, Lisl Stich: "Henriette Bimmelbahn". Jubiläumsset mit Holzspielzeug. Boje Verlag, Köln 2009. 26 S., br., 14,95 [Euro]. Ab 4. J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jetzt mit Holzlok: James Krüss' Bilderbuchklassiker
Manchmal lässt sich sehr genau sagen, warum bestimmte Vornamen äußerst angenehm im Ohr klingen. "Henriette" ist so ein Fall, wenigstens für diejenigen, die nach 1958 geboren und wohlversorgt mit Bilderbüchern aufgewachsen sind. Vermutlich kreuzte irgendwann einmal eine kleine graue Dampflok ihren Weg, die fröhliche Anarchie ins Kinderzimmer brachte, möglicherweise sogar, ohne dass die vorlesenden Eltern, eingelullt durch die plätschernden Verse, dies so richtig bemerkten: "Henriette heißt die nette, alte kleine Bimmelbahn", lasen sie gerührt, blind für den Sprengsatz, der kurz darauf zünden sollte: "Henriette, Henriette fuhr noch nie nach einem Plan." Denn auf den folgenden Seiten kehrt die Lok alles um, wofür die Staatsbahn 1958 stand (und beweist dabei einiges Talent als Visionärin), sie bestimmt eigenmächtig den Moment der Abfahrt, wählt ihre Strecke selbst, die Haltepunkte sowieso, und wenn unterwegs eine Blumenwiese kommt, hält sie besonders lange, damit jedes mitfahrende Kind Blumen pflücken kann. Die Großeltern, bei denen die Kinder abgeliefert werden, danken es ihr. Am Ende kehrte Henriette, redlich ermattet, in die Stadt zurück und ruht sich von all den Abenteuern aus.
Was heute Axel Scheffler & Julia Donaldson sind, waren in den fünfziger und sechziger Jahren James Krüss & Lisl Stich, die gemeinsam eine Reihe reizender Bilderbücher wie "Der blaue Autobus", "Der kleine Doppeldecker" oder eben Henriette schufen, kindsköpfiger Wortspieler der eine, Perspektivendurchwirblerin die andere. Der Boje-Verlag nimmt sich ihrer seit je an. Jetzt ist dort eine Sonderausgabe von "Henriette Bimmelbahn" erschienen, im Kleinformat, dafür aber mit kleinkindgerecht dicken Pappseiten, der ein Holzmodell der Lok beigegeben ist, mit echter Glocke. Schienen oder gar Fahrpläne finden sich in dem Päckchen nicht. Und das ist bei dieser Bahn nur konsequent.
TILMAN SPRECKELSEN
James Krüss, Lisl Stich: "Henriette Bimmelbahn". Jubiläumsset mit Holzspielzeug. Boje Verlag, Köln 2009. 26 S., br., 14,95 [Euro]. Ab 4. J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Absoluter Klassiker deutscher Kinderliteratur
Ob es wohl ein Kinderzimmer im Deutschland der Sechziger und Siebziger gibt, in dem dieses Bilderbuch fehlte? Schwer vorzustellen.
Wie schön, dass man sich da entschieden hat, diesen absoluten Klassiker deutscher Kinderliteratur neu aufzulegen. Mögen auch die zauberhaften Illustrationen von Lisl Stich heutigen Kids auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, kann sich doch bald kein Kind ihrem Zauber, kombiniert mit den eingängigen und leicht nachsprechbaren Reimen entziehen.
Verlockend
Und, ganz ehrlich, ist sie nicht verlockend die Vorstellung, sich in einen Zug zu setzen, zu dessen Abfahrt man sich nicht hetzen muss, der nicht hechelnd von einem Bahnhof zum anderen jagt, sondern gemächlich durch die Landschaft tuckert, hier einer Kuh begegnet, dort ein paar Häschen grüßt und sich als Ziel ein großes Blumenfeld auserkoren hat, in dem man Sträuße für die Daheimgebliebenen pflücken kann? Aber wundern Sie sich bitte nicht, wenn Ihr Kind nach der Lektüre verkündet: "Mit der Henriette möchte ich auch mal fahren! Wann machen wir das?" (Michaela Pelz)
Ob es wohl ein Kinderzimmer im Deutschland der Sechziger und Siebziger gibt, in dem dieses Bilderbuch fehlte? Schwer vorzustellen.
Wie schön, dass man sich da entschieden hat, diesen absoluten Klassiker deutscher Kinderliteratur neu aufzulegen. Mögen auch die zauberhaften Illustrationen von Lisl Stich heutigen Kids auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, kann sich doch bald kein Kind ihrem Zauber, kombiniert mit den eingängigen und leicht nachsprechbaren Reimen entziehen.
Verlockend
Und, ganz ehrlich, ist sie nicht verlockend die Vorstellung, sich in einen Zug zu setzen, zu dessen Abfahrt man sich nicht hetzen muss, der nicht hechelnd von einem Bahnhof zum anderen jagt, sondern gemächlich durch die Landschaft tuckert, hier einer Kuh begegnet, dort ein paar Häschen grüßt und sich als Ziel ein großes Blumenfeld auserkoren hat, in dem man Sträuße für die Daheimgebliebenen pflücken kann? Aber wundern Sie sich bitte nicht, wenn Ihr Kind nach der Lektüre verkündet: "Mit der Henriette möchte ich auch mal fahren! Wann machen wir das?" (Michaela Pelz)
"Die liebevoll gezeichneten Bilder und der heitere, einprägsame Text machen den Band zum Dauerbrenner." Baby & Co, 01.03.2019