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Produktdetails
  • Verlag: Insel Verlag
  • Seitenzahl: 498
  • Abmessung: 196mm x 130mm x 35mm
  • Gewicht: 547g
  • ISBN-13: 9783458141839
  • ISBN-10: 3458141839
  • Artikelnr.: 23996911
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Lebenszeugnisse waren lange vergriffen, schreibt Rezensent Jakob Hessing, der sich umso mehr freut, sie nun in der Anderen Bibliothek wiederentdecken zu können. Den Herausgeber Rainer Schmitz betreffend hält Hessing sie für eine Schaffenssumme und zwar eine glänzende. Allein die Briefe der Henriette Herz lassen vor den Rezensentenaugen die Welt der Berliner Salons um 1800 lebendig wiedererstehen. Allerdings entgeht Hessing nicht, dass dieser üblicherweise von einer optimistischen Atmosphäre begleiteten Zeit im Band der Optimismus abgeht. Der Herausgeber, so Hessing, setzt einen anderen Akzent, den der Melancholie. Dazu passt laut Rezensent, dass Schmitz Herz als Individuum zeigt, nicht als Repräsentantin einer These. Und wenn Hessing so die große Zeit der "Salondame" plötzlich auch fragwürdig erscheint, das Buch scheint ihm die Lektüre allemal wert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2013

Der Geist ist ein gewaltiger Gleichmacher
Wer sie nicht kannte, hatte Berlin nicht gesehen: Die Lebenszeugnisse der Henriette Herz erhellen die glücklichste Zeit der preußischen Hauptstadt
Mehr als zweihundert Jahre ist es her, da hielten Reisende Berlin mit seinen breiten Straßen für eine der schönsten Städte Europas. Und wer an die Spree kam, dem sagte ein Sprichwort, dass er zweierlei nicht verpassen dürfe: den Platz, auf dem das Schauspielhaus stand, und eine schöne Jüdin. „Wer den Gensd’armenmarkt und Mad. Herz nicht gesehen, hat Berlin nicht gesehen“, hieß es. Sie gehöre, schrieb Karl August Böttiger, „durch ihre kolossalischen Vollkommenheiten zu den stolzen junonischen Schönheiten“. Hochgewachsen, gesegnet mit einer „gefälligen Fülle der Formen“, ohne je fett zu wirken, mit leuchtenden Augen und vollem dunklen Haar bezauberte sie eine stolze Reihe von Jünglingen, unter diesen Friedrich Schleiermacher und Ludwig Börne.
  Henriette Herz trug ihr Haar offen, so zeigt sie eine Gipsbüste aus dem Jahr 1783, das erste plastische Werk Johann Gottfried Schadows. Die wallende Pracht stand für einen Freiheitssinn, der in den allerletzten Lebensjahren Friedrichs des Großen geradezu modisch wurde. In ihren Erinnerungen klagt Henriette Herz mehrfach, dass sie ihr Haar unter einer tiefen Haube verbergen musste. Im „gesetzlichen Kopfputz“ aber missfiel sie sich. Im selben Jahr wie Schadow, 1764, kurz nach dem Siebenjährigen Krieg geboren, wurde Henriette de Lemos, Tochter eines portugiesischen Arztes, an den Arzt Marcus Herz verheiratet. „Ich wusste“, schreibt sie über die Verlobung im Alter von zwölf Jahren, „wenig von meinem Bräutigam, er war fünfzehn Jahre älter als ich, klein und hässlich, hatte aber ein geistreiches Gesicht und den Ruf eines Gelehrten.“ Marcus Herz war ein Lieblingsschüler Kants gewesen, bevor er nach Berlin kam und dort rasch Karriere machte. Die Ehe der beiden sehr ungleichen Charaktere scheint glücklich gewesen zu sein – und sie hatte kulturgeschichtlich bedeutende Folgen. Die Abende bei Henriette Herz, ihr Salon, wie man es verkürzt nennt, prägte gut zwei Jahrzehnte das gesellige und intellektuelle Klima in Berlin, jene zwei Jahrzehnte, in denen Aufklärung, Idealismus und Romantik miteinander balgten, in denen in der preußischen Hauptstadt Goethe zum klassischen Autor erkoren und Schiller auf dem Theater durchgesetzt wurde. Die Fülle der berühmten Namen erschlägt bis heute. Man kennt sie aus der Literatur- und Philosophiegeschichte, aus Kunst, Musik, Architektur, und verkennt doch die Eigenart dieser geistigen Revolution, wenn man brav innerhalb der Fachgrenzen bleibt, die eben um 1800 noch gar nicht so streng gezogen waren.
  Der Henriette-Herz-Band, den Rainer Schmitz für die Andere Bibliothek zusammengestellt hat, ist die bislang beste Einführung in den Zauber, den Geist und den Ton der „Berliner Klassik“. In Rom begann Henriette Herz 1818 ihre Erinnerungen niederzuschreiben. Sie wurde nicht recht fertig damit und brach irgendwann ab. Als nach dem Tod der Rahel deren Briefwechsel erschienen, packte sie Furcht vor der indiskreten Nachwelt, und sie vernichtete ihre Korrespondenz. Zum Glück überredete sie der Journalist Joseph Fürst zu Gesprächen über die Zeit vor den Befreiungskriegen, die er festhielt, sodass nach ihrem Tod – sie starb 1847 – eine Auswahl aus den Erinnerungen erscheinen konnte.
  Rainer Schmitz hat aus dem Manuskript und den relevanten Ausgaben einen vollständigen Text erstellt, er hat ihn ergänzt durch Briefe – der Humboldts, Schleiermachers, von Henriette selbst – und Berichte über sie. Nun liegen die Lebenszeugnisse vor, kommentiert unter Heranziehung immer neuen Materials. Bis hinein ins Personenverzeichnis wird ausgiebig aus der Memoirenliteratur und Briefwechseln zitiert: ein Textgebirge, in dem man sich lustvoll verlaufen kann.
  Die naheliegende Frage, wie die einzigartig produktive Großstadtkultur zwischen 1786 und 1806 zustande kam, hat noch keine befriedigende Antwort gefunden. Vielleicht ist diese auch unmöglich. Wesentliche Momente der Blütezeit aber kann jeder Leser in diesem Band zusammentragen. Henriette Herz selber versucht im Rückblick, das Charakteristische der „Gesellschaft und des Konversationstons“ zu erfassen. Und damit ist bereits Wesentliches genannt: Es war die Zeit, da man Geselligkeit und Gesellschaft noch gleichsetzen konnte, da ein gelungener Abend noch zum Modell für das Gemeinwesen zu taugen schien.
  Historisch beginnt das freiere geistige Leben in Berlin mit Moses Mendelssohn, der trotz kaum ausreichender Einkünfte ein offenes Haus führte. „Selten berührte ein fremder Gelehrter Berlin, ohne sich bei ihm einführen zu lassen. Seine und der Seinigen Freunde kamen ungeladen, daher auch die geistreichen Freundinnen der Töchter des Hauses.“ Und bei Mendelssohn fehlten auch „alte orthodoxe Juden“ nicht, er praktizierte eine Aufklärung, die nicht bevormundete. Die materiellen Genüsse blieben in den „Grenzen strengster Mäßigkeit“. Die Hausfrau, erinnerte Henriette Herz, zählte Rosinen und Mandeln „in einem bestimmten Verhältnis je nach der Zahl der Gäste in die Präsentierteller“.
  Allzu üppig darf man sich die Abende bei Henriette Herz nicht vorstellen. Aber hier wurden Geladene und Ungeladene, Freunde und Fremde gleichermaßen empfangen. Die jüdischen Familien taten, was der zahlenmäßig kleine, christliche Mittelstand versäumte. Aus der Freude am gemeinsamen Lesen entwickelte sich der Salon, in dem Beamte, Aristokraten, Gelehrte, genialische Jünglinge und Glücksritter zusammentrafen.
  Henriette Herz war davon überzeugt, dass jeder von einiger Bedeutung zu ihren Gästen gezählt hatte. Einigen, etwa Karl Philipp Moritz, Friedrich Gentz, Wilhelm von Humboldt und dem Tugendbund oder der Mendelssohn-Tochter Dorothea Schlegel, widmet sie knappe, treffsichere Porträts. Die Geselligkeit lebte vom Willen, sich zu bilden, und von einer neuen Liebe zum Individuellen. Nicht als Gleicher war der Gast willkommen, sondern als Ergänzung. Konfessionen und Stand spielten eine für damalige Verhältnisse unglaublich geringe Rolle. Der Geist war „ein gewaltiger Gleichmacher“. Henriette Herz sprach mehrere Sprachen, und sie las über Physik ebenso wie die neueste Dichtung. Das Gefühl des Anfangens, eines Aufbruchs beflügelte. Man legte die Haube auf vielen Gebieten ab, las die Bücher der Saison, „Götz“, „Werther“, freute sich am Theater.
  Produktiv wurde die neue Freiheit, weil ein hartleibiger Aufklärer wie Friedrich Nicolai, ein Pedant der alten Schule wie Karl Wilhelm Ramler, ein Herold der Weimarer Klassik wie Wilhelm von Humboldt, weil Kantianer und Popularphilosophen, Theologen und romantische Spötter einander schwer aus dem Weg gehen konnten. Man schenkte sich nichts, doch gab es noch nicht die scharfe Abgrenzung, die nach dem Sieg über Napoleon das gesellige Leben verderben, der Parteibildung und Gesinnungsertüchtigung unterwerfen sollte.
  Über die erotische Freizügigkeit in Berlin ist damals und später viel gefaselt worden. Henriette Herz selber klagte bereits 1802, dass die Männer sie nicht mehr suchen würden. Schleiermacher erklärte ihr, sie sei „sehr schön, aber ich möchte sagen, Du bist zu schön, Du bist zu imponierend und zu wenig pikant, es ist nichts an Dir, was ein bißchen liederlich aussähe, und das ist so notwendig für die Asthenie der Männer.“ Marcus Herz, dem die literarischen Vorlieben seiner Frau fremd blieben, hat sie bis zu seinem Tode 1803 kaum mit Eifersucht gequält. Sie spricht nur gut über ihn und wirbt zugleich um Verständnis für Dorothea Veit, die ihrer arrangierten Ehe entflieht. Friedrich Schlegels „Lucinde“ bot das Modell einer von innen kommenden, nicht durch Verbote erzwungenen Kultivierung der Sinnlichkeit. Und in diesem Fall sollte man ruhig Literatur und Leben verwechseln, denn um die Überschreitung dieser Grenze ging es programmatisch. In einer lieblosen Ehe auszuharren, schien Henriette Herz und vielen ihres Kreises eine Entheiligung der Ehe. Prüfend gegenüber den Regeln der Väter, von Schönheit und ihrer Schwester, der Freiheit, entflammt, sollten vernünftige Menschen einander im freien Umgang bilden, so Schleiermacher. Sie hatten die Aufgabe und die Möglichkeit, „das gesellige Leben als ein Kunstwerk zu construiren“.
  Noch warf der Ruhm Friedrichs des Großen einen Schatten, in dem man sich geborgen fühlen, eine ästhetische Existenz erproben konnte. Ohne die politische Schwäche Preußens wäre die geistige Revolution um 1800 kaum möglich gewesen. Die Königin Luise und der Prinz Louis Ferdinand wirkten vor allem als ästhetische Figuren.
  Auch die Religion schien anfangs schwach, keine Verordnung konnte das lose Verhältnis der Jungen zu Glaube und Sitten der Väter korrigieren. Erst die Zeit nach 1806 beförderte eine neue Frömmigkeit. Henriette Herz ließ sich 1817 taufen und registrierte irritiert eine neue, konfessionell und politisch motivierte Unduldsamkeit. Dem Schönheitsglauben blieb sie treu. Sie sprach lieber vom Teufel als vom Alter. Das war mehr als eine Marotte, es war der Geist ihrer Jugend, der Geist der schönsten Jugendzeit Berlins.
JENS BISKY
Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen. Neu ediert von Rainer Schmitz. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 576 Seiten, 40 Euro.
Henriette Herz trug ihr Haar
offen – das war ein Zeichen für
den Freiheitssinn in ihrem Kreis
Über die erotische Freizügigkeit
in Berlin ist damals und
später viel gefaselt worden
Henriette Herz, 1778 porträtiert von Anna Dorothea Therbusch.
Foto: bpk
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013

Ansichten einer Dame

Ihr Salon war das Experimentierfeld für die neue Welt nach der Französischen Revolution: Ein großes Buch zur faszinierenden Welt der Henriette Herz.

Von Jakob Hessing

Auch mit ihrem neuen Band erweist Die Andere Bibliothek sich wieder als verlegerisches Unternehmen der besonderen Art. Die Lebenszeugnisse der Henriette Herz (1764 bis 1847) waren lange vergriffen, und Rainer Schmitz, der sie seit Jahrzehnten sammelt, zieht hier die Summe seiner editorischen Arbeit. In Inhalt und Form ist sie nicht schöner zu wünschen: Neben zahlreichen Korrespondenzen, die an sie gerichtet sind oder von ihr handeln, bilden ihre Erinnerungen und überlieferten Briefe ein reiches, vielschichtiges Panorama, in dessen Mittelpunkt eine große Dame steht.

Die Berliner Salons an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert sind historisch interessant, weil sie sich verschiedenen Perspektiven öffnen. Die Französische Revolution brachte das Ende des Feudalismus mit sich und damit eine neue Gesellschaftsordnung, in der es keine Stände mehr gab. Die aber musste erst erprobt werden, und die Salons boten gleichsam die Laborbedingungen, unter denen das stattfinden konnte. Das Experiment wurde nicht zufällig in jüdischen Häusern gemacht und von Frauen geführt: Juden und Frauen waren neu in dieser Gesellschaft, und sie hatten keine Privilegien zu verteidigen.

Ein Optimismus des Aufbruchs begleitet die Salons in ihrer Frühphase. Er hat sich später als wenig berechtigt erwiesen, doch seine Spuren finden sich auch heute noch in der Forschung. Selbst Schmitz ist in seinem informativen Nachwort nicht ganz frei davon, doch die Texte seines Buches sind objektiv zusammengestellt und setzen einen anderen Akzent. Nicht Optimismus geht von ihnen aus, sondern Melancholie.

Henriette Herz kommt in diesem Buch nicht als "Repräsentantin" einer vorgefassten These in den Blick, sondern als Individuum. Der These nach wird sie als berühmte Schönheit und als kluge Frau gehandelt, die junge Männer der Frühromantik - Humboldt, Schlegel, Schleiermacher - um sich scharte und aus der Gefühlskälte der Aufklärung befreite. Daran ist manches wahr, zugleich aber subtiler: Auf mehr als fünfhundert Seiten sprechen die Dokumente eine andere, komplexere Sprache.

Das mag zunächst daran liegen, dass vieles im Rückblick geschrieben ist. Ihre Erinnerungen, der weitaus längste Teil des Buches, entstehen in den Jahrzehnten nach den napoleonischen Kriegen, als die große Zeit der Henriette Herz längst vorbei ist und die Blütenträume ihrer Anfänge schon im Vormärz verwelken. Haben wir es also mit einer perspektivischen Verschiebung zu tun, mit einer optischen Täuschung des Alters? Oder anders gefragt: Hat es die große Zeit der Henriette Herz jemals gegeben?

Sie war die Tochter eines Arztes, dessen Großvater aus Portugal geflohen war, um der Inquisition zu entgehen, und in ihrer Kindheit kannte sie noch das orthodoxe Ritual. Davon hält sie jedoch nichts mehr fest, denn ihre Erinnerungen schreibt sie bereits als Protestantin. "Beim Mittagessen", lesen wir, "fragte mich mein Vater, ob ich lieber einen Doktor oder einen Rabbiner heiraten wolle." Das ist symbolisch zu deuten: Mit ihrem Mann, dem Arzt und Philosophen Marcus Herz, wendet sie sich von der jüdischen Tradition ab; ob es eine Ehe nach ihrer Wahl war, muss freilich dahingestellt bleiben - sie war fünfzehn, als sie 1779 verheiratet wurde.

Im Haus des Ehepaars Herz lebten in Wirklichkeit zwei Generationen, und es wurden zwei getrennte Salons geführt. In Königsberg war ihr Mann der Lieblingsschüler Kants gewesen, der Philosoph beriet sich mit ihm als ebenbürtigem Partner, und der ältere Marcus lud die Anhänger der Aufklärung ins Haus, während seine Frau die sehr viel jüngeren Romantiker bewirtete. Im Mythos der Zeit mag das den Reichtum der Salonkultur belegen, aber Henriette zahlte einen hohen Preis dafür. Ihrem Mann war das Denken der Romantiker fremd, und für das ungleiche Paar blieb dies nicht folgenlos. "Eine Liebe, wie ich sie im Herzen trug, kannte er nicht, ja wenn ich sie äußerte, wies er sie gleich einer Kinderei zurück."

Sie hatte keine Kinder, und anders als Dorothea Schlegel - die Tochter Moses Mendelssohns, die ihren jüdischen Mann verließ, um mit Friedrich Schlegel zu leben - hat sie den Schritt in eine erotische Freiheit niemals getan. Oder zumindest wissen wir es nicht, denn einen großen Teil ihrer Korrespondenz hat sie von ihren Briefpartnern zurückgefordert und vernichtet. "Warum Dich die Männer nicht mehr suchen, fragst Du?", schreibt ihr der Theologe Friedrich Schleiermacher, der Freund, der ihr am nächsten steht. "Nun bist Du freilich sehr schön, aber ich möchte sagen, Du bist zu schön, Du bist zu imponierend und zu wenig pikant, es ist nichts an Dir, was ein bisschen liederlich aussähe." Diesen Brief hat sie aufbewahrt, und er ist aufschlussreich: So wollte sie gesehen werden.

Als Marcus Herz 1803 stirbt, ist sie noch keine vierzig, aber sie wird keine lustige Witwe. Ihre finanziellen Mittel sind jetzt eingeschränkt, und schon bald bricht die Welt zusammen, in der der Salon der Henriette Herz einst repräsentativ war. 1805 werden die Weichen gestellt, die im folgenden Jahr zu Napoleons Zerschlagung des preußischen Staates führen: "Es gab kein Vaterland mehr, daher auch keine bessere Zukunft für dasselbe, wie andererseits die Geschichte seiner glorreichen Vergangenheit vergessen schien. Und das zwanzig Jahre nach dem Tode Friedrichs des Großen!"

Bedenkt man, dass sie aus dem Judentum stammt, so sind diese Worte erstaunlich. Als sie ihre Erinnerungen schreibt, hat Heinrich Heine längst sein "Buch Le Grand" veröffentlicht, in dem er nicht Preußens Sturz betrauert, sondern seine Wiederauferstehung nach dem Ende Napoleons. Er ist nur eine Generation jünger als sie, aber die Zeiten haben sich gewandelt, und er lebt nicht mehr in Deutschland, sondern in Paris.

Zur Tragik der Henriette Herz gehört es, dass sie die Gründe, die Heine ins Exil trieben, nur allzu gut kennt. Auch sie ist nicht glücklich im Berlin des Vormärz und seiner politischen Unsicherheit. "Seit das Wort Salon statt unseres guten deutschen Wortes Gesellschaftszimmer sich bei uns einbürgerte, hat das letztere aufgehört, ein neutraler Boden zu sein." Ein bemerkenswerter Satz über die Geschichte eines Wortes, zugleich ein Befund: Das Experiment, an dem sie selbst einst entscheidenden Anteil hatte, ist gescheitert.

"Henriette Herz - In Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen".

Neu ediert von Rainer Schmitz. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 674 S., geb., 40,- [Euro].

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