»Wer den Gens'darmenmarkt und Mad. Herz nicht gesehen hat, hat Berlin nicht gesehen.« Nichts spiegelt die gesellschaftliche Position der schönen wie geistvollen Frau besser wider: mit ihrem literarischen Salon war Henriette Herz jahrzehntelang Mittelpunkt des kulturellen Lebens in der preußischen Metropole. Die Herren verehrten sie wegen ihrer Schönheit, erlagen aber genauso wie die Damen ihrer geistigen Reize: Schleiermacher, Madame de Stael, Jean Paul, Börne, die Humboldts und viele andere Gelehrte, Politiker und Künstler genossen ihre Gastfreundschaft. Die Aufzeichnungen der aufgeklärten, kritisch und humanistisch eingestellten Frau jüdischer Herkunft, 1818 in Rom begonnen und erstmals 1850 erschienen, bieten eine einzigartige und einzige Quelle der frühen Berliner Romantik. Den äußeren Rahmen ihres Lebens bildet das bewegte, ausklingende 18. Jahrhundert: Berlin auf dem Weg zur Königsstadt von Weltrang, die Französische Revolution, die Befreiungskriege, die Julirevolution,der Übergang der feudalen in die bürgerliche Welt. Briefe jener Jahre ergänzen das Lebensbild einer gebildeten und hoch intelligenten Frau, die »mit allen vorzüglichen Menschen Berlins in geselligem Verkehr« (Henriette Herz) stand: allen voran Friedrich Schleiermacher, mit dem sie eine langjährige Freundschaft verband, Dorothea von Schlegel, Ludwig Börne, August Wilhelm Schlegel und nicht zuletzt Goethe. Und wir begegnen alten »Bekannten« der AB: Chamisso, Humboldt, Jean Paul und Karl Philipp Moritz.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Diese Lebenszeugnisse waren lange vergriffen, schreibt Rezensent Jakob Hessing, der sich umso mehr freut, sie nun in der Anderen Bibliothek wiederentdecken zu können. Den Herausgeber Rainer Schmitz betreffend hält Hessing sie für eine Schaffenssumme und zwar eine glänzende. Allein die Briefe der Henriette Herz lassen vor den Rezensentenaugen die Welt der Berliner Salons um 1800 lebendig wiedererstehen. Allerdings entgeht Hessing nicht, dass dieser üblicherweise von einer optimistischen Atmosphäre begleiteten Zeit im Band der Optimismus abgeht. Der Herausgeber, so Hessing, setzt einen anderen Akzent, den der Melancholie. Dazu passt laut Rezensent, dass Schmitz Herz als Individuum zeigt, nicht als Repräsentantin einer These. Und wenn Hessing so die große Zeit der "Salondame" plötzlich auch fragwürdig erscheint, das Buch scheint ihm die Lektüre allemal wert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013Ansichten einer Dame
Ihr Salon war das Experimentierfeld für die neue Welt nach der Französischen Revolution: Ein großes Buch zur faszinierenden Welt der Henriette Herz.
Von Jakob Hessing
Auch mit ihrem neuen Band erweist Die Andere Bibliothek sich wieder als verlegerisches Unternehmen der besonderen Art. Die Lebenszeugnisse der Henriette Herz (1764 bis 1847) waren lange vergriffen, und Rainer Schmitz, der sie seit Jahrzehnten sammelt, zieht hier die Summe seiner editorischen Arbeit. In Inhalt und Form ist sie nicht schöner zu wünschen: Neben zahlreichen Korrespondenzen, die an sie gerichtet sind oder von ihr handeln, bilden ihre Erinnerungen und überlieferten Briefe ein reiches, vielschichtiges Panorama, in dessen Mittelpunkt eine große Dame steht.
Die Berliner Salons an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert sind historisch interessant, weil sie sich verschiedenen Perspektiven öffnen. Die Französische Revolution brachte das Ende des Feudalismus mit sich und damit eine neue Gesellschaftsordnung, in der es keine Stände mehr gab. Die aber musste erst erprobt werden, und die Salons boten gleichsam die Laborbedingungen, unter denen das stattfinden konnte. Das Experiment wurde nicht zufällig in jüdischen Häusern gemacht und von Frauen geführt: Juden und Frauen waren neu in dieser Gesellschaft, und sie hatten keine Privilegien zu verteidigen.
Ein Optimismus des Aufbruchs begleitet die Salons in ihrer Frühphase. Er hat sich später als wenig berechtigt erwiesen, doch seine Spuren finden sich auch heute noch in der Forschung. Selbst Schmitz ist in seinem informativen Nachwort nicht ganz frei davon, doch die Texte seines Buches sind objektiv zusammengestellt und setzen einen anderen Akzent. Nicht Optimismus geht von ihnen aus, sondern Melancholie.
Henriette Herz kommt in diesem Buch nicht als "Repräsentantin" einer vorgefassten These in den Blick, sondern als Individuum. Der These nach wird sie als berühmte Schönheit und als kluge Frau gehandelt, die junge Männer der Frühromantik - Humboldt, Schlegel, Schleiermacher - um sich scharte und aus der Gefühlskälte der Aufklärung befreite. Daran ist manches wahr, zugleich aber subtiler: Auf mehr als fünfhundert Seiten sprechen die Dokumente eine andere, komplexere Sprache.
Das mag zunächst daran liegen, dass vieles im Rückblick geschrieben ist. Ihre Erinnerungen, der weitaus längste Teil des Buches, entstehen in den Jahrzehnten nach den napoleonischen Kriegen, als die große Zeit der Henriette Herz längst vorbei ist und die Blütenträume ihrer Anfänge schon im Vormärz verwelken. Haben wir es also mit einer perspektivischen Verschiebung zu tun, mit einer optischen Täuschung des Alters? Oder anders gefragt: Hat es die große Zeit der Henriette Herz jemals gegeben?
Sie war die Tochter eines Arztes, dessen Großvater aus Portugal geflohen war, um der Inquisition zu entgehen, und in ihrer Kindheit kannte sie noch das orthodoxe Ritual. Davon hält sie jedoch nichts mehr fest, denn ihre Erinnerungen schreibt sie bereits als Protestantin. "Beim Mittagessen", lesen wir, "fragte mich mein Vater, ob ich lieber einen Doktor oder einen Rabbiner heiraten wolle." Das ist symbolisch zu deuten: Mit ihrem Mann, dem Arzt und Philosophen Marcus Herz, wendet sie sich von der jüdischen Tradition ab; ob es eine Ehe nach ihrer Wahl war, muss freilich dahingestellt bleiben - sie war fünfzehn, als sie 1779 verheiratet wurde.
Im Haus des Ehepaars Herz lebten in Wirklichkeit zwei Generationen, und es wurden zwei getrennte Salons geführt. In Königsberg war ihr Mann der Lieblingsschüler Kants gewesen, der Philosoph beriet sich mit ihm als ebenbürtigem Partner, und der ältere Marcus lud die Anhänger der Aufklärung ins Haus, während seine Frau die sehr viel jüngeren Romantiker bewirtete. Im Mythos der Zeit mag das den Reichtum der Salonkultur belegen, aber Henriette zahlte einen hohen Preis dafür. Ihrem Mann war das Denken der Romantiker fremd, und für das ungleiche Paar blieb dies nicht folgenlos. "Eine Liebe, wie ich sie im Herzen trug, kannte er nicht, ja wenn ich sie äußerte, wies er sie gleich einer Kinderei zurück."
Sie hatte keine Kinder, und anders als Dorothea Schlegel - die Tochter Moses Mendelssohns, die ihren jüdischen Mann verließ, um mit Friedrich Schlegel zu leben - hat sie den Schritt in eine erotische Freiheit niemals getan. Oder zumindest wissen wir es nicht, denn einen großen Teil ihrer Korrespondenz hat sie von ihren Briefpartnern zurückgefordert und vernichtet. "Warum Dich die Männer nicht mehr suchen, fragst Du?", schreibt ihr der Theologe Friedrich Schleiermacher, der Freund, der ihr am nächsten steht. "Nun bist Du freilich sehr schön, aber ich möchte sagen, Du bist zu schön, Du bist zu imponierend und zu wenig pikant, es ist nichts an Dir, was ein bisschen liederlich aussähe." Diesen Brief hat sie aufbewahrt, und er ist aufschlussreich: So wollte sie gesehen werden.
Als Marcus Herz 1803 stirbt, ist sie noch keine vierzig, aber sie wird keine lustige Witwe. Ihre finanziellen Mittel sind jetzt eingeschränkt, und schon bald bricht die Welt zusammen, in der der Salon der Henriette Herz einst repräsentativ war. 1805 werden die Weichen gestellt, die im folgenden Jahr zu Napoleons Zerschlagung des preußischen Staates führen: "Es gab kein Vaterland mehr, daher auch keine bessere Zukunft für dasselbe, wie andererseits die Geschichte seiner glorreichen Vergangenheit vergessen schien. Und das zwanzig Jahre nach dem Tode Friedrichs des Großen!"
Bedenkt man, dass sie aus dem Judentum stammt, so sind diese Worte erstaunlich. Als sie ihre Erinnerungen schreibt, hat Heinrich Heine längst sein "Buch Le Grand" veröffentlicht, in dem er nicht Preußens Sturz betrauert, sondern seine Wiederauferstehung nach dem Ende Napoleons. Er ist nur eine Generation jünger als sie, aber die Zeiten haben sich gewandelt, und er lebt nicht mehr in Deutschland, sondern in Paris.
Zur Tragik der Henriette Herz gehört es, dass sie die Gründe, die Heine ins Exil trieben, nur allzu gut kennt. Auch sie ist nicht glücklich im Berlin des Vormärz und seiner politischen Unsicherheit. "Seit das Wort Salon statt unseres guten deutschen Wortes Gesellschaftszimmer sich bei uns einbürgerte, hat das letztere aufgehört, ein neutraler Boden zu sein." Ein bemerkenswerter Satz über die Geschichte eines Wortes, zugleich ein Befund: Das Experiment, an dem sie selbst einst entscheidenden Anteil hatte, ist gescheitert.
"Henriette Herz - In Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen".
Neu ediert von Rainer Schmitz. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 674 S., geb., 40,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ihr Salon war das Experimentierfeld für die neue Welt nach der Französischen Revolution: Ein großes Buch zur faszinierenden Welt der Henriette Herz.
Von Jakob Hessing
Auch mit ihrem neuen Band erweist Die Andere Bibliothek sich wieder als verlegerisches Unternehmen der besonderen Art. Die Lebenszeugnisse der Henriette Herz (1764 bis 1847) waren lange vergriffen, und Rainer Schmitz, der sie seit Jahrzehnten sammelt, zieht hier die Summe seiner editorischen Arbeit. In Inhalt und Form ist sie nicht schöner zu wünschen: Neben zahlreichen Korrespondenzen, die an sie gerichtet sind oder von ihr handeln, bilden ihre Erinnerungen und überlieferten Briefe ein reiches, vielschichtiges Panorama, in dessen Mittelpunkt eine große Dame steht.
Die Berliner Salons an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert sind historisch interessant, weil sie sich verschiedenen Perspektiven öffnen. Die Französische Revolution brachte das Ende des Feudalismus mit sich und damit eine neue Gesellschaftsordnung, in der es keine Stände mehr gab. Die aber musste erst erprobt werden, und die Salons boten gleichsam die Laborbedingungen, unter denen das stattfinden konnte. Das Experiment wurde nicht zufällig in jüdischen Häusern gemacht und von Frauen geführt: Juden und Frauen waren neu in dieser Gesellschaft, und sie hatten keine Privilegien zu verteidigen.
Ein Optimismus des Aufbruchs begleitet die Salons in ihrer Frühphase. Er hat sich später als wenig berechtigt erwiesen, doch seine Spuren finden sich auch heute noch in der Forschung. Selbst Schmitz ist in seinem informativen Nachwort nicht ganz frei davon, doch die Texte seines Buches sind objektiv zusammengestellt und setzen einen anderen Akzent. Nicht Optimismus geht von ihnen aus, sondern Melancholie.
Henriette Herz kommt in diesem Buch nicht als "Repräsentantin" einer vorgefassten These in den Blick, sondern als Individuum. Der These nach wird sie als berühmte Schönheit und als kluge Frau gehandelt, die junge Männer der Frühromantik - Humboldt, Schlegel, Schleiermacher - um sich scharte und aus der Gefühlskälte der Aufklärung befreite. Daran ist manches wahr, zugleich aber subtiler: Auf mehr als fünfhundert Seiten sprechen die Dokumente eine andere, komplexere Sprache.
Das mag zunächst daran liegen, dass vieles im Rückblick geschrieben ist. Ihre Erinnerungen, der weitaus längste Teil des Buches, entstehen in den Jahrzehnten nach den napoleonischen Kriegen, als die große Zeit der Henriette Herz längst vorbei ist und die Blütenträume ihrer Anfänge schon im Vormärz verwelken. Haben wir es also mit einer perspektivischen Verschiebung zu tun, mit einer optischen Täuschung des Alters? Oder anders gefragt: Hat es die große Zeit der Henriette Herz jemals gegeben?
Sie war die Tochter eines Arztes, dessen Großvater aus Portugal geflohen war, um der Inquisition zu entgehen, und in ihrer Kindheit kannte sie noch das orthodoxe Ritual. Davon hält sie jedoch nichts mehr fest, denn ihre Erinnerungen schreibt sie bereits als Protestantin. "Beim Mittagessen", lesen wir, "fragte mich mein Vater, ob ich lieber einen Doktor oder einen Rabbiner heiraten wolle." Das ist symbolisch zu deuten: Mit ihrem Mann, dem Arzt und Philosophen Marcus Herz, wendet sie sich von der jüdischen Tradition ab; ob es eine Ehe nach ihrer Wahl war, muss freilich dahingestellt bleiben - sie war fünfzehn, als sie 1779 verheiratet wurde.
Im Haus des Ehepaars Herz lebten in Wirklichkeit zwei Generationen, und es wurden zwei getrennte Salons geführt. In Königsberg war ihr Mann der Lieblingsschüler Kants gewesen, der Philosoph beriet sich mit ihm als ebenbürtigem Partner, und der ältere Marcus lud die Anhänger der Aufklärung ins Haus, während seine Frau die sehr viel jüngeren Romantiker bewirtete. Im Mythos der Zeit mag das den Reichtum der Salonkultur belegen, aber Henriette zahlte einen hohen Preis dafür. Ihrem Mann war das Denken der Romantiker fremd, und für das ungleiche Paar blieb dies nicht folgenlos. "Eine Liebe, wie ich sie im Herzen trug, kannte er nicht, ja wenn ich sie äußerte, wies er sie gleich einer Kinderei zurück."
Sie hatte keine Kinder, und anders als Dorothea Schlegel - die Tochter Moses Mendelssohns, die ihren jüdischen Mann verließ, um mit Friedrich Schlegel zu leben - hat sie den Schritt in eine erotische Freiheit niemals getan. Oder zumindest wissen wir es nicht, denn einen großen Teil ihrer Korrespondenz hat sie von ihren Briefpartnern zurückgefordert und vernichtet. "Warum Dich die Männer nicht mehr suchen, fragst Du?", schreibt ihr der Theologe Friedrich Schleiermacher, der Freund, der ihr am nächsten steht. "Nun bist Du freilich sehr schön, aber ich möchte sagen, Du bist zu schön, Du bist zu imponierend und zu wenig pikant, es ist nichts an Dir, was ein bisschen liederlich aussähe." Diesen Brief hat sie aufbewahrt, und er ist aufschlussreich: So wollte sie gesehen werden.
Als Marcus Herz 1803 stirbt, ist sie noch keine vierzig, aber sie wird keine lustige Witwe. Ihre finanziellen Mittel sind jetzt eingeschränkt, und schon bald bricht die Welt zusammen, in der der Salon der Henriette Herz einst repräsentativ war. 1805 werden die Weichen gestellt, die im folgenden Jahr zu Napoleons Zerschlagung des preußischen Staates führen: "Es gab kein Vaterland mehr, daher auch keine bessere Zukunft für dasselbe, wie andererseits die Geschichte seiner glorreichen Vergangenheit vergessen schien. Und das zwanzig Jahre nach dem Tode Friedrichs des Großen!"
Bedenkt man, dass sie aus dem Judentum stammt, so sind diese Worte erstaunlich. Als sie ihre Erinnerungen schreibt, hat Heinrich Heine längst sein "Buch Le Grand" veröffentlicht, in dem er nicht Preußens Sturz betrauert, sondern seine Wiederauferstehung nach dem Ende Napoleons. Er ist nur eine Generation jünger als sie, aber die Zeiten haben sich gewandelt, und er lebt nicht mehr in Deutschland, sondern in Paris.
Zur Tragik der Henriette Herz gehört es, dass sie die Gründe, die Heine ins Exil trieben, nur allzu gut kennt. Auch sie ist nicht glücklich im Berlin des Vormärz und seiner politischen Unsicherheit. "Seit das Wort Salon statt unseres guten deutschen Wortes Gesellschaftszimmer sich bei uns einbürgerte, hat das letztere aufgehört, ein neutraler Boden zu sein." Ein bemerkenswerter Satz über die Geschichte eines Wortes, zugleich ein Befund: Das Experiment, an dem sie selbst einst entscheidenden Anteil hatte, ist gescheitert.
"Henriette Herz - In Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen".
Neu ediert von Rainer Schmitz. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 674 S., geb., 40,- [Euro].
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