Die Sprache ist die schönste und folgenreichste Erfindung des Menschen, und sie ist wie er: nie ganz greifbar. Mit keiner Logik, keiner Sprachwissenschaft ist ihr endgültig beizukommen. Macht nichts, meint Andreas Thalmayr: um so entspannter dürfen wir ihre Geheimnisse bestaunen und bewundern. Er geht, als Liebhaber der Sprache, ihren Rätseln und Wundern nach - ein abwechslungsreicher Spaziergang durch das Dickicht der Dialekte, das Labyrinth des Satzbaus bis hin zum Halbdunkel der Flüche.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2005Du nix gut, ich nix gut
Wortschatzmeister: Andreas Thalmayrs Spracherkundungen
Schon der Begriff "Wortschatz" läßt die Wertschätzung erkennen, die unsere Sprache verdient hat. Schätze muß man in der Regel hüten, denn es gibt Diebe, Neider und die Inflation. Mit der Sprache verhält es sich anders. Sie ist wertbeständig, und noch der maßloseste Prasser kann beruhigt sein: Die Sprache ist ein Vermögen, das noch kein Verschwender durchgebracht hat. Und wer sie verliert, findet sie in der Regel wenig später wieder.
Es gibt Experten, so weiß es Andreas Thalmayr in seinem ausgesprochen amüsanten und lehrreichen Buch "Heraus mit der Sprache", die herausgefunden haben wollen, daß der Durchschnittsmensch etwa 1500 Wörter aktiv verwendet. Das ist nicht sonderlich viel, wenn man bedenkt, daß allein die Fachsprache der Mediziner eine halbe Million Begriffe umfassen soll oder daß in Shakespeares Werken 21 000 verschiedene Vokabeln nachgewiesen sind, zweitausend davon zum ersten Mal. Shakespeare hat also, wenn er kein Wort fand, das ihm passend erschien, einfach ein neues erfunden. Ja, darf man das denn?
Man darf, selbst dann, wenn man zufälllig nicht Shakespeare heißt. Da ist sich Andreas Thalmayr sicher. Der Sprachliebhaber, hinter dem sich kein anderer als Hans Magnus Enzensberger verbirgt, ist überhaupt weitgehend gegen Verbote im Sprachgebrauch. Die Gesetze, Regeln und Gepflogenheiten, denen unser Sprechen und Schreiben folgt, sind unüberschaubar, niemand darf von sich behaupten, er kennte sie alle, und viele von ihnen sind ohnehin in den Sand geschrieben. Die zahlreichen Lehnwörter aus dem Französischen etwa, die seit dem achtzehnten Jahrhundert im Deutschen gebräuchlich waren, galten mal als modern, mal als vornehm, wurden verballhornt - aus à Dieu wurde adies und tschüß - und werden heute nicht selten als veraltet im Wörterbuch geführt: Man denke nur an Chaussee oder Portemonnaie.
Neuerungen kommen und gehen mit den unterschiedlichsten Geschwindigkeiten. Jahrzehntelang haben Reisende Billets, Fahrscheine und Fahrkarten gekauft oder gelöst - warum eigentlich gelöst? -, heute zieht man sich ein Ticket. Rasend schnell hingegen hat sich das Wort Handy verbreitet, das international klingen soll, aber nur in Deutschland gebraucht und verstanden wird. War, wer das Wort erstmals aussprach, ein Trottel, weil er einen vermeintlich englischen Begriff benutzte, den das Englische gar nicht kennt? Oder war er ein Genie, weil er ein Wort erfunden hat, das seinen Zweck so gut erfüllt, daß sich Millionen Menschen im Handumdrehen in ihrem täglichen Sprachgebrauch darauf geeinigt haben? Bücher haben ihr Schicksal, aber Wörter haben ihre Karrieren.
Das gilt auch für so unscheinbare Einsilber wie "der, die, und, in, den, von, zu" etc., die allesamt zu den 25 häufigsten deutschen Wörtern zählen. Das behaupten zumindest Wissenschaftler der Universität Leipzig. Es gehört zu den Charakteristika von Thalmayrs Buch, daß es zahlreiche solcher Ranglisten, Zählungen, Schätzungen, Theorien und Thesen zitiert und vorstellt und sie allesamt mit der gebührenden Skepsis behandelt: "Daß das Wort ich auf der Liste nur den 79. Platz einnimmt, stimmt schon sehr mißtrauisch."
Zurück zum aktiven Wortschatz von durchschnittlich 1500 Wörtern. Ist das nicht kümmerlich, alarmierend, gar skandalös, wenn man bedenkt, was da alles ungenutzt bleibt? Ein schlichter Vergleich: Die Zahl der heute auf der Welt gesprochenen Sprachen ist mit etwa 6500 mehr als viermal so hoch. Andererseits zeigt uns Thalmayr, immer zu klugen Zahlenspielereien aufgelegt, was sich aus sieben simplen Wörtern alles machen läßt. Man nehme: "2 x ich, 2 x weiß, 1 x nichts, 1 x daß und 1 x auch." Durch kräftiges Rühren erhält man genau 5040 mögliche Sätze, von denen die meisten natürlich wenig sinnvoll sind. Dreizehn korrekte Sätze führt Thalmayr an, von "Auch ich weiß, daß ich nichts weiß" bis "Weiß auch ich, daß ich nichts weiß?", und zeigt so nicht nur den Reichtum möglicher Varianten, sondern schärft auch den Sinn für die Vielzahl von Nuancen, die allein durch unterschiedliche Wortstellungen erzeugt werden können.
Wer das alles für Spielerei hält, wird bei Thalmayr nicht auf Widerspruch stoßen. Hier wird mit der Sprache gespielt und mit ihren Hütern und Verwaltern, den anmaßenden Bürokraten und den regelverliebten Linguisten, die nicht ganz so schlimm sind, wie sie hier oft gezeichnet werden. Aber auch Selbstironie darf nicht fehlen. Thalmayrs Sprachumkreisung in sieben Runden lebt nicht zuletzt von zahlreichen verblüffenden und komischen Beispielen. Nicht immer wird die Quelle genannt. Einmal wird als Beispiel für deutsche Sondersprachen wie "Gastarbeiterdeutsch" oder "Türksprech" der Rap eines Verliebten zitiert, der verrückt ist nach einer gewissen Amara, die nur Ärger macht: "Wenn du kommen ich wissen, nix gut / du da sein, links nix gut, rechts nix gut / wenn du abhauen ich nix gut". Eine vollständige Ausgabe der Gedichte von Hans Magnus Enzensberger sollte auf das Lied für Amara nicht verzichten.
Kurzum, es ist ein hemmungsloser und ernsthafter, ein ebenso laxer wie fleißiger, also ein begnadeter Sprachspieler, der hier auf ansteckende Weise am Werke ist. Wer sich nicht anstecken lassen will, kann ja das Maul halten, drauf trommeln oder es sich zerreißen. Die Sprache gibt ihm alle Freiheit.
Andreas Thalmayr: "Heraus mit der Sprache". Ein bißchen Deutsch für Deutsche, Österreicher, Schweizer und andere Aus- und Inländer. Hanser Verlag, München 2005. 192 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wortschatzmeister: Andreas Thalmayrs Spracherkundungen
Schon der Begriff "Wortschatz" läßt die Wertschätzung erkennen, die unsere Sprache verdient hat. Schätze muß man in der Regel hüten, denn es gibt Diebe, Neider und die Inflation. Mit der Sprache verhält es sich anders. Sie ist wertbeständig, und noch der maßloseste Prasser kann beruhigt sein: Die Sprache ist ein Vermögen, das noch kein Verschwender durchgebracht hat. Und wer sie verliert, findet sie in der Regel wenig später wieder.
Es gibt Experten, so weiß es Andreas Thalmayr in seinem ausgesprochen amüsanten und lehrreichen Buch "Heraus mit der Sprache", die herausgefunden haben wollen, daß der Durchschnittsmensch etwa 1500 Wörter aktiv verwendet. Das ist nicht sonderlich viel, wenn man bedenkt, daß allein die Fachsprache der Mediziner eine halbe Million Begriffe umfassen soll oder daß in Shakespeares Werken 21 000 verschiedene Vokabeln nachgewiesen sind, zweitausend davon zum ersten Mal. Shakespeare hat also, wenn er kein Wort fand, das ihm passend erschien, einfach ein neues erfunden. Ja, darf man das denn?
Man darf, selbst dann, wenn man zufälllig nicht Shakespeare heißt. Da ist sich Andreas Thalmayr sicher. Der Sprachliebhaber, hinter dem sich kein anderer als Hans Magnus Enzensberger verbirgt, ist überhaupt weitgehend gegen Verbote im Sprachgebrauch. Die Gesetze, Regeln und Gepflogenheiten, denen unser Sprechen und Schreiben folgt, sind unüberschaubar, niemand darf von sich behaupten, er kennte sie alle, und viele von ihnen sind ohnehin in den Sand geschrieben. Die zahlreichen Lehnwörter aus dem Französischen etwa, die seit dem achtzehnten Jahrhundert im Deutschen gebräuchlich waren, galten mal als modern, mal als vornehm, wurden verballhornt - aus à Dieu wurde adies und tschüß - und werden heute nicht selten als veraltet im Wörterbuch geführt: Man denke nur an Chaussee oder Portemonnaie.
Neuerungen kommen und gehen mit den unterschiedlichsten Geschwindigkeiten. Jahrzehntelang haben Reisende Billets, Fahrscheine und Fahrkarten gekauft oder gelöst - warum eigentlich gelöst? -, heute zieht man sich ein Ticket. Rasend schnell hingegen hat sich das Wort Handy verbreitet, das international klingen soll, aber nur in Deutschland gebraucht und verstanden wird. War, wer das Wort erstmals aussprach, ein Trottel, weil er einen vermeintlich englischen Begriff benutzte, den das Englische gar nicht kennt? Oder war er ein Genie, weil er ein Wort erfunden hat, das seinen Zweck so gut erfüllt, daß sich Millionen Menschen im Handumdrehen in ihrem täglichen Sprachgebrauch darauf geeinigt haben? Bücher haben ihr Schicksal, aber Wörter haben ihre Karrieren.
Das gilt auch für so unscheinbare Einsilber wie "der, die, und, in, den, von, zu" etc., die allesamt zu den 25 häufigsten deutschen Wörtern zählen. Das behaupten zumindest Wissenschaftler der Universität Leipzig. Es gehört zu den Charakteristika von Thalmayrs Buch, daß es zahlreiche solcher Ranglisten, Zählungen, Schätzungen, Theorien und Thesen zitiert und vorstellt und sie allesamt mit der gebührenden Skepsis behandelt: "Daß das Wort ich auf der Liste nur den 79. Platz einnimmt, stimmt schon sehr mißtrauisch."
Zurück zum aktiven Wortschatz von durchschnittlich 1500 Wörtern. Ist das nicht kümmerlich, alarmierend, gar skandalös, wenn man bedenkt, was da alles ungenutzt bleibt? Ein schlichter Vergleich: Die Zahl der heute auf der Welt gesprochenen Sprachen ist mit etwa 6500 mehr als viermal so hoch. Andererseits zeigt uns Thalmayr, immer zu klugen Zahlenspielereien aufgelegt, was sich aus sieben simplen Wörtern alles machen läßt. Man nehme: "2 x ich, 2 x weiß, 1 x nichts, 1 x daß und 1 x auch." Durch kräftiges Rühren erhält man genau 5040 mögliche Sätze, von denen die meisten natürlich wenig sinnvoll sind. Dreizehn korrekte Sätze führt Thalmayr an, von "Auch ich weiß, daß ich nichts weiß" bis "Weiß auch ich, daß ich nichts weiß?", und zeigt so nicht nur den Reichtum möglicher Varianten, sondern schärft auch den Sinn für die Vielzahl von Nuancen, die allein durch unterschiedliche Wortstellungen erzeugt werden können.
Wer das alles für Spielerei hält, wird bei Thalmayr nicht auf Widerspruch stoßen. Hier wird mit der Sprache gespielt und mit ihren Hütern und Verwaltern, den anmaßenden Bürokraten und den regelverliebten Linguisten, die nicht ganz so schlimm sind, wie sie hier oft gezeichnet werden. Aber auch Selbstironie darf nicht fehlen. Thalmayrs Sprachumkreisung in sieben Runden lebt nicht zuletzt von zahlreichen verblüffenden und komischen Beispielen. Nicht immer wird die Quelle genannt. Einmal wird als Beispiel für deutsche Sondersprachen wie "Gastarbeiterdeutsch" oder "Türksprech" der Rap eines Verliebten zitiert, der verrückt ist nach einer gewissen Amara, die nur Ärger macht: "Wenn du kommen ich wissen, nix gut / du da sein, links nix gut, rechts nix gut / wenn du abhauen ich nix gut". Eine vollständige Ausgabe der Gedichte von Hans Magnus Enzensberger sollte auf das Lied für Amara nicht verzichten.
Kurzum, es ist ein hemmungsloser und ernsthafter, ein ebenso laxer wie fleißiger, also ein begnadeter Sprachspieler, der hier auf ansteckende Weise am Werke ist. Wer sich nicht anstecken lassen will, kann ja das Maul halten, drauf trommeln oder es sich zerreißen. Die Sprache gibt ihm alle Freiheit.
Andreas Thalmayr: "Heraus mit der Sprache". Ein bißchen Deutsch für Deutsche, Österreicher, Schweizer und andere Aus- und Inländer. Hanser Verlag, München 2005. 192 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Andreas Thalmayr alias Hans Magnus Enzensberger begibt sich in "Heraus mit der Sprache" auf einen 'längeren Spaziergang' durch die deutsche (Prosa-)Sprache, auf den ihn der Rezensent Johan Schloemann einigermassen unbeeindruckt begleitet. Enzensberger schreibe über Eigenheiten und Phänomene des Deutschen, mitunter "leichtfüßig", häufiger aber "redundant und banal" und obenderein "nicht recht präzise", wie Schloemann bemerkt. Verwundert nimmt der Rezensent ferner zur Kenntnis, dass der Schreibstil des Verfassers einerseits bewusst auf sprachwissenschaftliche Standards verzichte, auf der anderen Seite jedoch Beispiele aus der Lutherbibel unkommentiert in der Schreibweise des 16. Jahrhunderts bemühe. Und trotz der gelegentlich scharfen Geschütze, wie sie Enzensberger beispielsweise gegen die Rechtschreibreform auffahre, handele es sich insgesamt um ein "harmloses" Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"... leichtfüßig, oft mit amüsanten und erhellenden Beispielen..."
Johan Schloemann, Süddeutsche Zeitung (Literaturbeilage), 10.05.2005
"Hans Magnus Enzensberger, der Sprachschöpfer, hat sich diesmal darauf beschränkt, sein Arbeitsinstrument genau anzuschauen. Wir dürfen ihm dabei über die Schulter schauen - und behalten von der Lektüre einen gewaltigen Respekt zurück..."
Martin Ebel, TAGES-ANZEIGER ZÜRICH, 10.06.2005
Johan Schloemann, Süddeutsche Zeitung (Literaturbeilage), 10.05.2005
"Hans Magnus Enzensberger, der Sprachschöpfer, hat sich diesmal darauf beschränkt, sein Arbeitsinstrument genau anzuschauen. Wir dürfen ihm dabei über die Schulter schauen - und behalten von der Lektüre einen gewaltigen Respekt zurück..."
Martin Ebel, TAGES-ANZEIGER ZÜRICH, 10.06.2005