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"Wer über Herodot schreibt, steht in bester Gesellschaft, läuft aber gerade dadurch Gefahr, zu langweilen oder zu verärgern. Denn Neues zu bringen fällt schwer. So viel Literatur ist schon über die Historien veröffentlicht worden, daß mit jedem weiteren Anlauf fast zwangsläufig Bekanntes wiederholt und viel Mühe fremder Forschung ignoriert wird. Allein, die gedankliche Tiefe eines Autors, über dessen Leben wir so wenig wissen, wird immer wieder dazu drängen, Herodot ins Zentrum der Reflexion über Grundfragen der historischen Wissenschaft zu stellen. Kein anderes Werk des Altertums brachte es…mehr

Produktbeschreibung
"Wer über Herodot schreibt, steht in bester Gesellschaft, läuft aber gerade dadurch Gefahr, zu langweilen oder zu verärgern. Denn Neues zu bringen fällt schwer. So viel Literatur ist schon über die Historien veröffentlicht worden, daß mit jedem weiteren Anlauf fast zwangsläufig Bekanntes wiederholt und viel Mühe fremder Forschung ignoriert wird. Allein, die gedankliche Tiefe eines Autors, über dessen Leben wir so wenig wissen, wird immer wieder dazu drängen, Herodot ins Zentrum der Reflexion über Grundfragen der historischen Wissenschaft zu stellen. Kein anderes Werk des Altertums brachte es gleichermaßen zustande, die ganze Oikumene in ihrer Vielfalt gedanklich zu erfassen und das Leben der Völker, ihre unterschiedlichen Sitten und kulturellen Leistungen, ihre Taten und ihr historisches Geschick zu betrachten, um daraus einen Maßstab für die Vorstellung von der eigenen Geschichte zu gewinnen und diese gleichzeitig in einer Zusammenschau zu erfassen und darzustellen, deren erzählerische Anmut ihrem geschichtsphilosophischen Gehalt ebenbürtig ist." (R. Bichler)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das älteste erhaltene Geschichtswerk des mediterranen Raums, meint Rezensent Karl Christ, gewinnt durch die Globalisierung und ihre Folgen neue Aktualität. Denn Herodot vermittele nicht nur Historie, sondern zugleich die damals bekannte, außergriechische Welt. Der Althistoriker Reinhold Bircher nun, erläutert Christ, führt den Leser "gleichsam vom Rande der bekannten und erahnten Welt" in Herodots Weltbild ein und untersucht dann "die Völker zwischen Wildheit und Zivilisation". Die weitgefächerte Fragestellung, meint er, wird eingerahmt von dem Versuch, Herodots Auffassung "von der Gestalt der Erde und ihrer Randzonen" zu erklären. Der zweite Hauptteil befasse sich dann mit dem Vorderen Orient. Kenntnis- und gedankenreich findet Christ diese Analyse, die auf einer "kritischen Synthese der modernen Forschung" aufbaue. Auch das Vorhaben des Historikers, `das Bild der fremden Welt als Maßstab der herodoteischen Historie zu würdigen`, hält er für "weitgehend gelungen". Die sechzehnseitige Bibliografie sei "tatsächlich ausgewertet" worden. Der "ungewöhnlich reichhaltige" Anmerkungsapparat, in dem die wichtigsten kontroversen zur Sprache kämen, biete insgesamt "eine Art von Kommentar". Gelobt wird auch, dass die "Genealogien und Skizzen früherer Weltvorstellungen" didaktisch hervorragende Hilfsmittel seien.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2001

Wilde sind eben nicht unvernünftiger
Von den Rändern her erkennt man die Relativität der Kultur: Reinhold Bichler kartographiert Herodots Welt

In einer Gegenwart, deren Weltbild durch neue, kosmische Dimensionen bestimmt wird, da die Folgen des Globalisierungsprozesses ebenso schärfere Konturen gewinnen wie die vielfältigen Erfahrungen mit den Fremden, kann das älteste erhaltene Geschichtswerk des mediterranen Raumes, die "Historien" des Herodot von Halikarnaß (zirka 484 bis 430 vor Christus), eine neue Aktualität gewinnen. Denn dieses Buch gibt eben nicht nur eine Rekonstruktion und Darstellung der Perserkriege und ihrer Voraussetzungen, nicht nur deren Deutung als Kampf zwischen Barbaren und Griechen, Asien und Europa, Despotie und Freiheit, sondern es vermittelt zugleich, aufgeschlossen und differenzierend, die damals bekannte außergriechische Welt, ihre Räume, Sitten, Eigenart und Geschichte. Es faßt isolierte historische Ereignisse wie langfristige Entwicklungen zu einem in sich kohärenten Geschehensstrang zusammen und wagt eine frühe, aber erfolgreiche Sinnstiftung, die das europäische Geschichtsbild lange Zeit bestimmen sollte.

Herodots "Darlegung der Erkundung" verbindet somit Forschung mit Reflexion und Gestaltung; sie fixiert ein großes Geschehen räumlich wie chronologisch und ist zugleich ein Meisterwerk effektvoller, farbiger Erzählkunst. Doch sie ist nicht nur, wie einst Thukydides (zirka 460 bis zirka 400) meinte, ein "Prunkstück für einmaliges Hören", obwohl ihre stilistische Qualität wie ihr hoher Unterhaltungswert unbestritten sind. Ihren Ausgangspunkt bilden wahrscheinlich geographische Impulse im weitesten Sinne, die Kritik am Weltbild und an den Raumvorstellungen des Hekataios von Milet (zirka 550 bis 490). Wo immer es ging, drängte Herodot auf Autopsie; so wurde er einer der großen Forschungsreisenden der Antike. Zugleich sollte er zu einem Pionier der "Oral History" werden, wobei seine Gewährsmänner freilich meist anonym blieben. Doch Herodot hatte keine andere Wahl; Staatsarchive standen ihm nicht zur Verfügung.

Herodot wurde durch Epos und Tragödie, nicht zuletzt durch Aischylos' "Perser", nicht weniger beeinflußt als durch Novellen und Erzählungen, die seinem Werk immer wieder das unverwechselbare, persönliche Kolorit verliehen. Abstraktionen und Theorien spielen bei ihm nur eine völlig untergeordnete Rolle, im Mittelpunkt stehen auf allen Ebenen die Individuen. Bestimmend ist dabei noch immer ein primär religiöses Geschichtsbild. Obwohl es an Ansätzen rationalistischer Kritik nicht fehlt, wirkt nach wie vor "das Göttliche" in der Geschichte. Das ganze Buch ist eine einzige Warnung vor menschlicher Hybris.

Während Thukydides vor allem den brutalen Kampf um Macht schildert, das "Naturrecht des Stärkeren" exemplifiziert, eine düstere Geschichte der Leiden und des Leides gibt, "eine nur männliche, grausame und kalte Welt" (Hermann Strasburger) widerspiegelt, den Vorrang von politischer Geschichte und Zeitgeschichte begründet, sind Herodots Perspektiven weit umfassender. Bei ihm kann man den Begriff der Universalität anwenden, den Übergang vom Mythos zur historischen Realität erkennen, von einer frühen Geschichte der Zivilisationen und Kulturen sprechen, in welcher exotische Naturerscheinungen und Beobachtungen ebenso berücksichtigt wurden wie utopische Elemente oder die Mentalitäten der Randvölker.

Schon in der Antike wurden daher viele Vorwürfe gegen Herodot erhoben. Die Tatsache, daß er grundsätzlich alle Auskünfte seiner Informanten weitergab, obwohl er vieles bezweifelte, und daß er seiner Fabulierfreude nie Zügel anlegte, ließ ihn zum Lügner und Phantasten werden, sein Bemühen um ein angemessenes Verständnis fremder Lebensformen, Sitten und Werte zum Barbarenfreund. Doch dank einem neuen Interesse an der Ethnographie fremder Welten wurde er seit dem sechzehnten Jahrhundert wieder stärker beachtet. Zahlreiche moderne Berichte von Forschungsreisenden, Anthropologen, Ethnologen und Soziologen ließen sich mit Herodots Tradition verbinden. Die wachsende Zahl von Herodotuntersuchungen dokumentiert die Aktualität der so vielfältigen Welt und Geschichte dieses großen Pioniers. Zu ihr trägt auch Reinhold Bichlers neue Untersuchung bei.

Der Althistoriker wurde durch die Forschungsschwerpunkte des nach dem Zweiten Weltkrieg von Franz Hampl in eigenwilliger Weise strukturierten Innsbrucker Seminars für Alte Geschichte und Vergleichende Geschichtswissenschaft geprägt. Schon Hampl hatte sich energisch um die Probleme und Interdependenzen von Mythos, Sage und Geschichte, vor allem aber auch um Herodot bemüht. Bichler selbst ist dann gerade in den beiden letzten Jahrzehnten durch eine ganze Reihe spezieller Herodotstudien hervorgetreten, durch Arbeiten über antike Utopien sowie über das Bild fremder Kulturen und Räume in der frühen griechischen Welt, nicht zuletzt durch sein starkes Interesse an den Fragen der Geschichte der Historiographie und der eigenen Disziplin. Aus diesen Wurzeln erwuchs das originelle Buch über Herodots Welt und Werk.

Bichlers Analyse, die wie Herodot selbst geographische und ethnologische, mythologische und historische Elemente verbindet, könnte zunächst durch die Vielfalt der Themenfelder und Perspektiven verwirren. Doch sie ist in sich konsequent strukturiert. Gleichsam vom Rande der bekannten oder erahnten Welt her führt sie den Leser eingangs in Herodots Bild der äußeren wie der inneren Zonen der Randvölker ein und untersucht dann "die Völker zwischen Wildheit und Zivilisation" im Vorfeld der Hochkulturen.

Die Fragestellungen sind dabei weitgefächert: Generelle Vorstellungen frommen und wilden Daseins kommen ebenso zur Sprache wie die speziellen Phänomene in den Bereichen von Kannibalismus, Sexualität, Jungfrauenideal und Frauenrollen, Magie und Menschenopfern, Totenritual, Götterwelt, Riten und Mysterien. Neben den allgemeinen Prioritäten stehen, wiederum ganz in der Tradition Herodots, die kritischen Erörterungen der größeren geographischen und ethnischen Einheiten von Herodots Weltbild, vor allem von Indien und Arabien, Libyen, Thrakien und dem Raum der Skythen. Insbesondere an Libyern, Skythen und Kimmeriern wird dabei der Übergang vom "zeitlosen Dasein der Randvölker" zur Verflechtung mit historischen Aktionen aufgezeigt.

Den Rahmen zu all dem, zur zusammenfassenden Untersuchung der aus dem großen Geschehensfluß herausgelösten Logoi und Exkurse, bildet der Versuch, Herodots Auffassung von der Gestalt der Erde und ihrer Randzonen zu klären. Dabei schmücken, wie Bichler nachweist, durchaus unkritische und phantastische Deskriptionen sowie utopische Elemente Herodots Erzählungen aus. Die indischen Riesenameisen in goldreicher Wüste, eine monströse Tier- und Menschenwelt und die exotischen Reichtümer der äußersten Zone dürften die Erwartungen vieler Leser wohl ebenso befriedigt haben wie die geradezu obsessive Fixierung auf die "Verstöße gegen die vertraute Norm sexuellen Verhaltens" in der inneren Zone, wo dies bei der Frauengemeinschaft am Tritonsee ebenso eindrucksvoll dargestellt ist wie bei den Amazonen.

Exemplarisch wird Herodots Bild der Skythen untersucht, das "Musterbild eines naturhaft-unkultivierten Landes" und "Gegenbild Ägyptens". Der Nomadismus der Skythen ist hier in all seinen Aspekten beleuchtet, später wird auch die historische Rolle der Skythen seit ihrer mythischen Frühzeit skizziert, in ähnlich plastischer Weise danach die Massagetenkönigin Tomyris vergegenwärtigt. Ob man freilich von einer "weitgehenden Areligiosität" der Randvölker insgesamt sprechen kann, wie sie sich aus Herodot ergeben könnte, dürfte problematisch bleiben.

In einem zweiten Hauptteil wendet sich Bichler dann Herodots Sicht des Vorderen Orients zu. Zu Recht weist er auf das alte Dilemma hin, "daß die Juden und ihre Kultur in den Historien nicht als eine erkennbare Größe sui generis faßbar sind". Während Herodot eine geschlossene Geschichte der Assyrier nicht ausführen konnte, galt Babylon sein besonderes Interesse. Dieses "Zentrum von Kultur und Herrschaft", das in einem geradezu utopischen Stadtbild vorgestellt wurde, muß ihn besonders fasziniert haben: "Im Gesamtbild der Sitten und der religiösen Vorstellungen fällt" dabei, nach Bichler, "das starke erotische Moment auf". Eingehender werden deshalb auch die babylonischen Institutionen des "Heiratsmarktes" und der "Tempelprostitution" besprochen.

Sehr viel ausführlicher, geradezu umfassend, wurde von Herodot Ägypten beschrieben, das er näher kannte. Bichler erörtert denn auch sehr eingehend die Berichte über Landesnatur, Niltheorien, Tierwelt, Sitten, Institutionen, Berufsstände sowie die Eigenart der ägyptischen Religion. Er würdigt die Rekonstruktion und Periodisierung der ägyptischen Geschichte ebenso verständnisvoll wie die Erzählung von Rhampsinits Schatzhaus und Unterweltsfahrt oder "Schelmenstück und Staatskunst" des Amasis. Hatte Joseph Vogt einst in seiner einflußreichen Studie "Herodot in Ägypten" (1929) den Historiker vor allem als Zeugen griechischen Kulturbewußtseins interpretiert, so ist Bichlers Bild sehr viel komplexer.

Ein Kapitel "Die Herrscher über Asiens Zentren: Lyder, Meder und Perser", das im "Drama von Glück, Hybris und Sturz" des Kroisos seinen Höhepunkt erlangt, leitet dann zur bekannteren imperialen Phase der persischen Geschichte und zur persisch-griechischen Auseinandersetzung über. Vor allem an den Gestalten des Kyros, Kambyses, Dareios und Xerxes wird die Problematik der exzessiven Ausweitung des Achämenidenreiches und dessen Kampfes gegen die hellenische Welt aufgezeigt; Bichlers Werk ist hier nichts Geringeres als ein Handbuch zur Geschichte der Perserkriege. Doch auch das verhängnisvolle Dilemma der Sieger wird beleuchtet. Insbesondere diese letzte Partie, in welcher der Autor die "Pentekontaetie im Streiflicht der Historien" zu erfassen sucht und einen "Ausblick auf den Beginn des Peloponnesischen Kriegs und seine mythische Vorgeschichte" gibt, erscheint besonders anregend.

Wie Reinhold Bichler in der Einleitung seines Buches schreibt, imponieren ihm bei Herodot "die gedankliche Tiefe des Werks, sein literarischer Reiz und der in ihm wirkende Charme", doch auch die "hohe Balance von Spiel und Ernst, von tragischen und ironischen Elementen". In inhaltlicher Hinsicht sieht er die Einordnung der griechischen Welt in ein Gesamtbild der Oikumene und zugleich des Geschehens der Perserkriege in die historische Gesamtentwicklung Asiens und Europas, damit die klassische Verzahnung des Griechischen mit dem Fremden als bestimmend an. Bichlers Ziel war es deshalb, "das Bild der fremden Welt als Maßstab der herodoteischen Historie zu würdigen". Zweifellos ist ihm dies in seiner kenntnis- und gedankenreichen Analyse, die auf einer kritischen Synthese der modernen Forschung aufbaut, auch weithin gelungen.

Die sechzehn Seiten enggedruckter Bibliographie sind tatsächlich auch ausgewertet worden, der ungewöhnlich reichhaltige Anmerkungsapparat, in dem die wichtigsten Kontroversen zur Sprache kommen und nicht wenige lediglich maschinenschriftliche Texte ausgeschöpft sind, bietet insgesamt "eine Art von Kommentar". Die Genealogien und die Skizzen früher Weltvorstellungen bilden didaktisch hervorragende Hilfsmittel.

Bichler ist kein Freund von Pathos und Panegyrik. Doch es war sinnvoll, am Ende seines Buches noch einmal auf Herodots grundlegende historische Erfahrungen zurückzukommen und an dessen tiefste Überzeugungen zu erinnern. Danach ging es Herodot "um das wechselhafte Schicksal der festen Stätten, die sich die Menschheit gegründet hat, und um die Unbeständigkeit menschlichen Glücks". Doch wie der letzte Satz des Werkes besagt, warnt uns Herodots "historische Kunst . . . vor allzuviel Zuversicht in unsere Fähigkeit, unser politisches Geschick weise zu gestalten".

KARL CHRIST

Reinhold Bichler: "Herodots Welt". Der Aufbau der Historie am Bild der fremden Länder und Völker, ihrer Zivilisation und ihrer Geschichte. Akademie Verlag, Berlin 2000. 425 S. 4 Genealogien, 7 Karten, geb., 178,- DM.

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"Wer über Herodot schreibt, steht in bester Gesellschaft, läuft aber gerade dadurch Gefahr, zu langweilen oder zu verärgern. Denn Neues zu bringen fällt schwer. So viel Literatur ist schon über die Historien veröffentlicht worden, daß mit jedem weiteren Anlauf fast zwangsläufig Bekanntes wiederholt und viel Mühe fremder Forschung ignoriert wird. Allein, die gedankliche Tiefe eines Autors, über dessen Leben wir so wenig wissen, wird immer wieder dazu drängen, Herodot ins Zentrum der Reflexion über Grundfragen der historischen Wissenschaft zu stellen. Kein anderes Werk des Altertums brachte es gleichermaßen zustande, die ganze Oikumene in ihrer Vielfalt gedanklich zu erfassen und das Leben der Völker, ihre unterschiedlichen Sitten und kulturellen Leistungen, ihre Taten und ihr historisches Geschick zu betrachten, um daraus einen Maßstab für die Vorstellung von der eigenen Geschichte zu gewinnen und diese gleichzeitig in einer Zusammenschau zu erfassen und darzustellen, deren erzählerische Anmut ihrem geschichtsphilosophischen Gehalt ebenbürtig ist." (R. Bichler)