1 Haus, 11 Menschen, 65 Gefühle: Tim Krohn schreibt mit leichter Hand einen realitätsgesättigten, sinnlichen und bisweilen hochkomischen Serienroman.
Das Jahrtausend beginnt für den pensionierten Tramfahrer Hubert Brechbühl mit großen Plänen und ohne Katze. Für das junge Paar Pit und Petzi mit viel Sex. Für Julia Sommer ohne Sex. Für Selina May ohne Arbeit. Für Efgenia Costa mit Drogen. Für Erich und Gerda Wyss mit Überlegungen, wer von beiden zuerst sterben sollte. Vieles davon wird sich ändern, anderes nicht. Elf Bewohnerinnen und Bewohner eines Züricher Mietshauses geraten im Jahr 2001 in einen Strudel der Gefühle.
Der Schweizer Bestsellerautor Tim Krohn eröffnet mit diesem Band eine groß angelegte literarische Erkundung aller Gefühle, Charakterzüge und Abgründe des Menschen. So steht jedes der 65 Kapitel in diesem Roman für eine »menschliche Regung«.
Mit unbändiger Erzähllust und ebenso viel Witz wie Sensibilität zeichnet der Autor etwa die zärtliche Beziehung des alten Ehepaars Wyss, das durch »Wagemut« unversehens an den Rand der Kriminalität gerät; er erzählt von »Ödnis« und »Begeisterung« bei Pit und Petzi, denen über allerlei Liebesexperimenten fast ihre Liebe abhandenkommt, und von den fatalen Folgen der »Barmherzigkeit« des Rettungsfahrers Adamo Costa. Auch »Glück« wird erkundet - und da kommt die Katze ins Spiel ...
Dabei gelingt Tim Krohn der wunderbar kunstreiche Spagat zwischen intellektuellem Experiment und großer Erzählkunst. Der Leser staunt, lacht und leidet mit, und am Ende dieses Bandes geht es ihm wie nach jeder einzelnen Erzählung darin: Er möchte gleich weiterlesen!
Das Jahrtausend beginnt für den pensionierten Tramfahrer Hubert Brechbühl mit großen Plänen und ohne Katze. Für das junge Paar Pit und Petzi mit viel Sex. Für Julia Sommer ohne Sex. Für Selina May ohne Arbeit. Für Efgenia Costa mit Drogen. Für Erich und Gerda Wyss mit Überlegungen, wer von beiden zuerst sterben sollte. Vieles davon wird sich ändern, anderes nicht. Elf Bewohnerinnen und Bewohner eines Züricher Mietshauses geraten im Jahr 2001 in einen Strudel der Gefühle.
Der Schweizer Bestsellerautor Tim Krohn eröffnet mit diesem Band eine groß angelegte literarische Erkundung aller Gefühle, Charakterzüge und Abgründe des Menschen. So steht jedes der 65 Kapitel in diesem Roman für eine »menschliche Regung«.
Mit unbändiger Erzähllust und ebenso viel Witz wie Sensibilität zeichnet der Autor etwa die zärtliche Beziehung des alten Ehepaars Wyss, das durch »Wagemut« unversehens an den Rand der Kriminalität gerät; er erzählt von »Ödnis« und »Begeisterung« bei Pit und Petzi, denen über allerlei Liebesexperimenten fast ihre Liebe abhandenkommt, und von den fatalen Folgen der »Barmherzigkeit« des Rettungsfahrers Adamo Costa. Auch »Glück« wird erkundet - und da kommt die Katze ins Spiel ...
Dabei gelingt Tim Krohn der wunderbar kunstreiche Spagat zwischen intellektuellem Experiment und großer Erzählkunst. Der Leser staunt, lacht und leidet mit, und am Ende dieses Bandes geht es ihm wie nach jeder einzelnen Erzählung darin: Er möchte gleich weiterlesen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2017Die Schweiz aus der Beckenperspektive
Vom Nutzen und Nachteil der Sanitärinstallation für die Gegenwartsliteratur: Mit seinem neuen Roman
„Herr Brechbühl sucht eine Katze“ finanziert der Schriftsteller Tim Krohn ein ebenerdiges Bad
VON MARTIN EBELL
Interessanter als ein Buch ist manchmal seine Entstehung. Hier ist so ein Fall. Der Schweizer Autor Tim Krohn, bekannt geworden durch seine Romane „Quatemberkinder“ und „Vrenelis Gärtli“, die Bergler-Sagen ins Heute holten und aus Hochdeutsch und Glarner Mundart ein eigenes Idiom formten, lebt seit einiger Zeit mit Frau und Kindern in Santa Maria im Val Müstair, in einem alten Bauernhaus. Nun sollte auch noch die betagte Mutter aufgenommen und für sie ein ebenerdiges Bad eingerichtet werden. Ja, so privat muss es werden, denn die Finanzierung dieses Bades ist der Ausgangspunkt eines Romanunternehmens, das auf viele Jahre konzipiert ist und am Ende 15 Bände umfassen soll.
Um die Kosten der Sanitärinstallation tragen zu können, griff Krohn eine Idee auf, die seit einiger Zeit Furore macht: Crowdfunding. Dabei finanzieren kunstsinnige Bürger etwa eine Theateraufführung, einen Dokumentarfilm oder eine CD-Aufnahme vor und freuen sich, wenn sie zustande kommt. Für die Literatur bedeutet das Verfahren Neuland. Auf der Plattform wemakeit.com lancierte Krohn 2014 sein Projekt, einen Roman aus vielen Geschichten über „menschliche Regungen“. Jedes Kapitel wäre einer solchen zugeordnet, von „Aalglätte“ über „Mitgefühl“ und „Sinnlichkeit“ bis „Zynismus“.
Rund 1000 solche Regungen – begrifflich ist die Sache nicht ganz scharf gefasst, wenn „Glück“ oder „Gnade“ auch dazu zählen – hatte Krohn gesammelt und bot nun 111 zum Kauf an. Ja: Interessenten konnten gegen 250 Franken Einsatz einen Begriff aussuchen, dazu drei Wörter eigener Wahl eingeben, und bekamen dafür von Krohn eine entsprechende Geschichte. Für
500 Franken gab’s das Ganze „express“, für 750 zusätzlich eine Übernachtung in Krohns Haus und für 5000 Franken einen einwöchigen Schreibworkshop plus Privatlesung vor Freunden.
40 000 Franken sollte die Aktion einwerben; nach nur einem Monat war die Sammelbüchse bereits übervoll, und auch bei einer zweiten Auflage meldeten sich genügend zahlungswillige und auf ihre „persönliche Geschichte“ erpichte Leser. Krohn konnte das Bad einbauen lassen und musste nun die Gegenleistung dieser neuen Form von Auftragskunst erbringen, also nicht nur die Leser literarisch bezahlen, sondern aus den in beliebiger Reihenfolge eintrudelnden Begriffen ein Ganzes formen, einen Roman. Der Roman wurde schnell so umfangreich, dass der Verlag ihn als Dreiteiler herausbringt, Band eins ist gerade erschienen, die nächsten beiden folgen. Damit nicht genug, der Handel „Geld gegen Geschichten“ geht weiter, Krohn plant 15 Bände, „zweifellos mein Hauptwerk“, kündigt er keck an.
Was als Geschäftsmodell glänzend reüssiert hat, muss literarisch nicht gleichermaßen glücken. Zumal Krohn große Vorgänger über die schmalen Schultern schauen. Seine Lösung, das Begriffssammelsurium auch formal schlüssig zu machen, knüpft an gleich zwei Modelle an. Zum einen an die enzyklopädischen Romane des Barock, zum anderen an die Formel „Die Welt in einem Mietshaus“, wie es etwa Georges Perec in „La vie mode d’emploi“ oder Alaa al-Aswani im „Jakubijân-Bau“ vorgemacht haben, beides Weltliteratur.
Tim Krohns Mietshaus steht in Zürich in der Röntgenstrasse (dort hat der Autor tatsächlich einmal selbst gewohnt). Es gibt sieben Mietparteien plus eine Gästewohnung, wenn das Personal einmal eine Auffrischung braucht. Das Spektrum reicht vom 80-jährigen Ehepaar Wyss über den pensionierten Trämler Brechbühl, das Migrantenpaar Costa, die Schauspielerin Selina, die alleinerziehende Kinderbuch-Lektorin Julia samt vierjähriger Tochter, den Studenten Moritz bis zum 18- und 19-jährigen Pärchen Pit und Petzi. Genug Variablen also, um das pralle Menschenleben einzufangen und aufeinander loszulassen.
Die Sorgen und Nöte dieses Menschenlebens sind: Altersgebrechen, Nutzlosigkeitsgefühle, prekärer Berufsalltag, drohender Jobverlust, Arbeitsunfähigkeit, Doppelbelastung, Geldmangel, Liebeskummer, Beziehungsprobleme, Selbstfindung. Dazu kommen die Spezialprobleme der Hausgemeinschaft: Gerümpel im Treppenhaus, nächtlicher Lärm und – eine Schweizer Konfliktspezialität, die schon Hugo Loetscher literaturfähig gemacht hat: die gemeinsame Waschmaschine. In einer Szene kommt es dort zum Streit zwischen der schlampigen Efgenia und dem blutjungen Pit, der nach einer Ohrfeige eskaliert und in spontanen, dreckigen Sex übergeht.
Pits Freundin will erst mal – vor einem Aids-Test jedenfalls nicht! – nichts mehr von ihm wissen; ohnehin hat sie ein Kuss des attraktiven Moritz durcheinandergebracht, sodass sie zu ihren Eltern zieht. Moritz ist eigentlich der Liebhaber Julias; das Migrantenpaar hat nur deshalb keinen Sex, weil Efgenia wegen ihrer Rückenschmerzen mit Tabletten und Morphium sediert ist. Ja selbst unter Gerda und Erich Wyss, den 80-Jährigen, kommt der Gedanke auf, ob man sich nicht mal wieder nackt ins Bett legen sollte.
Es sind also eindeutige menschliche Regungen, zu denen es den Autor zieht. Krohns Immobilie ist, um in seiner Begrifflichkeit zu bleiben, ein rechtes Vögel-Haus. Der Autor befindet sich, wenn er nicht gerade die Lenden- oder Beckenperspektive einnimmt, auf Augenhöhe mit seinen Personen. Augenhöhe: Das bedeutet, dass er sein Lesepublikum nicht überfordert mit allzu komplexen Gedanken, zwischen den Zeilen zu Lesendem, Ambivalentem, Abgründigem. Auch nicht mit Verschwiegenem. Denn der Autor kann in jedes Zimmer hineinschauen, und zudem sind die Figuren offene Bücher für einander. Alles wird laut gedacht, alles wird ausgesprochen. Und alles in einem gleichermaßen treuherzigen Ton.
Ein Mietshaus kann die Hölle sein; dieses ist ein Hort der Mitmenschlichkeit, in dem sich alle Konflikte wundersam auflösen. Selbst die Bosheit Efgenias, die über den gestürzten Erich Wyss cool bemerkt: „Ich habe nichts dagegen, dass er stirbt“, verfliegt; nach einer Bandscheibenoperation wird sie ein produktives Mitglied der Hausgemeinschaft. Gut für die Gemeinschaft, schade für die Lektüre. Allzu viel Nettigkeit tut der Literatur nicht gut.
Alaa al-Aswanis „Jakubijân-Bau“ bildete die ägyptische Gesellschaft in nuce ab; Georges Perecs Roman hatte ein thematisches Zentrum und ein strenges formales Gerüst. Bei Tim Krohn stand wohl das Bemühen allzu sehr im Vordergrund, seine Financiers mit hübschen Geschichten zu entlohnen. Wie soll das weitergehen, noch zwei oder noch dreizehn Bände? Immerhin taucht gegen Ende des Debütbandes noch ein richtiger Taugenichts auf, der vorbestrafte Enkel der Wyss. Er glaubt, in der Schweiz warte „das Geld nur darauf, dass man es abholt“. Er verwickelt seinen Großvater in ein groß angelegtes Betrugsprojekt. Vielleicht sollte er es besser mit Crowdfunding versuchen.
Sorgen und Nöte gibt es genug:
Altersgebrechen, Selbstfindung,
Arbeitsunfähigkeit
Ein Mietshaus kann die Hölle
sein, dieses aber ist
ein Hort der Mitmenschlichkeit
Und ewig lockt die gemeinsame Waschmaschine, eine Schweizer Konfliktspezialität auch in Tim Krohns Romanmietshaus.
Foto: picture alliance/KEYSTONE
Tim Krohn: Herr Brechbühl sucht eine Katze. Roman. Galiani, Berlin 2017. 472 S., 24 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Vom Nutzen und Nachteil der Sanitärinstallation für die Gegenwartsliteratur: Mit seinem neuen Roman
„Herr Brechbühl sucht eine Katze“ finanziert der Schriftsteller Tim Krohn ein ebenerdiges Bad
VON MARTIN EBELL
Interessanter als ein Buch ist manchmal seine Entstehung. Hier ist so ein Fall. Der Schweizer Autor Tim Krohn, bekannt geworden durch seine Romane „Quatemberkinder“ und „Vrenelis Gärtli“, die Bergler-Sagen ins Heute holten und aus Hochdeutsch und Glarner Mundart ein eigenes Idiom formten, lebt seit einiger Zeit mit Frau und Kindern in Santa Maria im Val Müstair, in einem alten Bauernhaus. Nun sollte auch noch die betagte Mutter aufgenommen und für sie ein ebenerdiges Bad eingerichtet werden. Ja, so privat muss es werden, denn die Finanzierung dieses Bades ist der Ausgangspunkt eines Romanunternehmens, das auf viele Jahre konzipiert ist und am Ende 15 Bände umfassen soll.
Um die Kosten der Sanitärinstallation tragen zu können, griff Krohn eine Idee auf, die seit einiger Zeit Furore macht: Crowdfunding. Dabei finanzieren kunstsinnige Bürger etwa eine Theateraufführung, einen Dokumentarfilm oder eine CD-Aufnahme vor und freuen sich, wenn sie zustande kommt. Für die Literatur bedeutet das Verfahren Neuland. Auf der Plattform wemakeit.com lancierte Krohn 2014 sein Projekt, einen Roman aus vielen Geschichten über „menschliche Regungen“. Jedes Kapitel wäre einer solchen zugeordnet, von „Aalglätte“ über „Mitgefühl“ und „Sinnlichkeit“ bis „Zynismus“.
Rund 1000 solche Regungen – begrifflich ist die Sache nicht ganz scharf gefasst, wenn „Glück“ oder „Gnade“ auch dazu zählen – hatte Krohn gesammelt und bot nun 111 zum Kauf an. Ja: Interessenten konnten gegen 250 Franken Einsatz einen Begriff aussuchen, dazu drei Wörter eigener Wahl eingeben, und bekamen dafür von Krohn eine entsprechende Geschichte. Für
500 Franken gab’s das Ganze „express“, für 750 zusätzlich eine Übernachtung in Krohns Haus und für 5000 Franken einen einwöchigen Schreibworkshop plus Privatlesung vor Freunden.
40 000 Franken sollte die Aktion einwerben; nach nur einem Monat war die Sammelbüchse bereits übervoll, und auch bei einer zweiten Auflage meldeten sich genügend zahlungswillige und auf ihre „persönliche Geschichte“ erpichte Leser. Krohn konnte das Bad einbauen lassen und musste nun die Gegenleistung dieser neuen Form von Auftragskunst erbringen, also nicht nur die Leser literarisch bezahlen, sondern aus den in beliebiger Reihenfolge eintrudelnden Begriffen ein Ganzes formen, einen Roman. Der Roman wurde schnell so umfangreich, dass der Verlag ihn als Dreiteiler herausbringt, Band eins ist gerade erschienen, die nächsten beiden folgen. Damit nicht genug, der Handel „Geld gegen Geschichten“ geht weiter, Krohn plant 15 Bände, „zweifellos mein Hauptwerk“, kündigt er keck an.
Was als Geschäftsmodell glänzend reüssiert hat, muss literarisch nicht gleichermaßen glücken. Zumal Krohn große Vorgänger über die schmalen Schultern schauen. Seine Lösung, das Begriffssammelsurium auch formal schlüssig zu machen, knüpft an gleich zwei Modelle an. Zum einen an die enzyklopädischen Romane des Barock, zum anderen an die Formel „Die Welt in einem Mietshaus“, wie es etwa Georges Perec in „La vie mode d’emploi“ oder Alaa al-Aswani im „Jakubijân-Bau“ vorgemacht haben, beides Weltliteratur.
Tim Krohns Mietshaus steht in Zürich in der Röntgenstrasse (dort hat der Autor tatsächlich einmal selbst gewohnt). Es gibt sieben Mietparteien plus eine Gästewohnung, wenn das Personal einmal eine Auffrischung braucht. Das Spektrum reicht vom 80-jährigen Ehepaar Wyss über den pensionierten Trämler Brechbühl, das Migrantenpaar Costa, die Schauspielerin Selina, die alleinerziehende Kinderbuch-Lektorin Julia samt vierjähriger Tochter, den Studenten Moritz bis zum 18- und 19-jährigen Pärchen Pit und Petzi. Genug Variablen also, um das pralle Menschenleben einzufangen und aufeinander loszulassen.
Die Sorgen und Nöte dieses Menschenlebens sind: Altersgebrechen, Nutzlosigkeitsgefühle, prekärer Berufsalltag, drohender Jobverlust, Arbeitsunfähigkeit, Doppelbelastung, Geldmangel, Liebeskummer, Beziehungsprobleme, Selbstfindung. Dazu kommen die Spezialprobleme der Hausgemeinschaft: Gerümpel im Treppenhaus, nächtlicher Lärm und – eine Schweizer Konfliktspezialität, die schon Hugo Loetscher literaturfähig gemacht hat: die gemeinsame Waschmaschine. In einer Szene kommt es dort zum Streit zwischen der schlampigen Efgenia und dem blutjungen Pit, der nach einer Ohrfeige eskaliert und in spontanen, dreckigen Sex übergeht.
Pits Freundin will erst mal – vor einem Aids-Test jedenfalls nicht! – nichts mehr von ihm wissen; ohnehin hat sie ein Kuss des attraktiven Moritz durcheinandergebracht, sodass sie zu ihren Eltern zieht. Moritz ist eigentlich der Liebhaber Julias; das Migrantenpaar hat nur deshalb keinen Sex, weil Efgenia wegen ihrer Rückenschmerzen mit Tabletten und Morphium sediert ist. Ja selbst unter Gerda und Erich Wyss, den 80-Jährigen, kommt der Gedanke auf, ob man sich nicht mal wieder nackt ins Bett legen sollte.
Es sind also eindeutige menschliche Regungen, zu denen es den Autor zieht. Krohns Immobilie ist, um in seiner Begrifflichkeit zu bleiben, ein rechtes Vögel-Haus. Der Autor befindet sich, wenn er nicht gerade die Lenden- oder Beckenperspektive einnimmt, auf Augenhöhe mit seinen Personen. Augenhöhe: Das bedeutet, dass er sein Lesepublikum nicht überfordert mit allzu komplexen Gedanken, zwischen den Zeilen zu Lesendem, Ambivalentem, Abgründigem. Auch nicht mit Verschwiegenem. Denn der Autor kann in jedes Zimmer hineinschauen, und zudem sind die Figuren offene Bücher für einander. Alles wird laut gedacht, alles wird ausgesprochen. Und alles in einem gleichermaßen treuherzigen Ton.
Ein Mietshaus kann die Hölle sein; dieses ist ein Hort der Mitmenschlichkeit, in dem sich alle Konflikte wundersam auflösen. Selbst die Bosheit Efgenias, die über den gestürzten Erich Wyss cool bemerkt: „Ich habe nichts dagegen, dass er stirbt“, verfliegt; nach einer Bandscheibenoperation wird sie ein produktives Mitglied der Hausgemeinschaft. Gut für die Gemeinschaft, schade für die Lektüre. Allzu viel Nettigkeit tut der Literatur nicht gut.
Alaa al-Aswanis „Jakubijân-Bau“ bildete die ägyptische Gesellschaft in nuce ab; Georges Perecs Roman hatte ein thematisches Zentrum und ein strenges formales Gerüst. Bei Tim Krohn stand wohl das Bemühen allzu sehr im Vordergrund, seine Financiers mit hübschen Geschichten zu entlohnen. Wie soll das weitergehen, noch zwei oder noch dreizehn Bände? Immerhin taucht gegen Ende des Debütbandes noch ein richtiger Taugenichts auf, der vorbestrafte Enkel der Wyss. Er glaubt, in der Schweiz warte „das Geld nur darauf, dass man es abholt“. Er verwickelt seinen Großvater in ein groß angelegtes Betrugsprojekt. Vielleicht sollte er es besser mit Crowdfunding versuchen.
Sorgen und Nöte gibt es genug:
Altersgebrechen, Selbstfindung,
Arbeitsunfähigkeit
Ein Mietshaus kann die Hölle
sein, dieses aber ist
ein Hort der Mitmenschlichkeit
Und ewig lockt die gemeinsame Waschmaschine, eine Schweizer Konfliktspezialität auch in Tim Krohns Romanmietshaus.
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Tim Krohn: Herr Brechbühl sucht eine Katze. Roman. Galiani, Berlin 2017. 472 S., 24 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Tatsächlich zeigt sich der Autor in seinem Roman einmal mehr als feinfühliger Beobachter, der die Balance zwischen Ernst und Komik, Philosophie und Leichtigkeit findet. (...) Insgesamt zeichnet Tim Krohn aber mit viel Schalk ein alltagsnahes Bild einer Genossenschaft. All die liebenswerten, schrägen Figuren würden sich auch für eine Fernsehserie eignen. Babina Cathomen Berner Zeitung
»Tim Krohn ist ein Autor, den man kennt als heiteren und auch witzigen Unterhalter, als Erzähler leuchtender, schwebender Geschichten von Liebe und der ihr bisweilen innewohnenden Leichtfertigkeit.« Gabriele von Arnim / Tages-Anzeiger Tages-Anzeiger