»Charmanter, beinharter Country Noir.« Simone Buchholz
Lucian Wing, der »Hinterwäldler mit Sheriffstern«, bekommt hohen Besuch. Männer in Nadelstreifenanzug und Seidenkrawatte sieht man in dem kleinen Nest in Vermont selten. Der vollmundige Anwalt aus New York behauptet auf der Suche nach der verschwundenen Tochter seines Auftraggebers zu sein. Gemeinsam mit seinem neuen Deputy, dem wortkargen Treat, nimmt Wing die Spur auf. Doch schon bald wünscht er sich, er hätte auf seinen Instinkt gehört. Denn urbaner Großschnäuzigkeit sollte man niemals trauen.
Lucian Wing, der »Hinterwäldler mit Sheriffstern«, bekommt hohen Besuch. Männer in Nadelstreifenanzug und Seidenkrawatte sieht man in dem kleinen Nest in Vermont selten. Der vollmundige Anwalt aus New York behauptet auf der Suche nach der verschwundenen Tochter seines Auftraggebers zu sein. Gemeinsam mit seinem neuen Deputy, dem wortkargen Treat, nimmt Wing die Spur auf. Doch schon bald wünscht er sich, er hätte auf seinen Instinkt gehört. Denn urbaner Großschnäuzigkeit sollte man niemals trauen.
Teufels Möbel
Krimis in Kürze: Hültner, Steinfest und Castle Freeman
Über cultural appropriation, über kulturelle Aneignung, ist in den letzten Jahren reichlich diskutiert worden, über Indianerschmuck im Kindergarten und über die Ausbeutung von Kleidung, Frisuren oder Artefakten unterdrückter Minderheiten im Mainstream. Es gibt nun auch eine harmlose, ästhetisch fatale Variante, wenn sich deutsche Krimiautorinnen und -autoren in Italien, Frankreich oder Portugal bedienen, um ihre Storys aufzupeppen, wobei sie meist den Touristenblick kultivieren, wenn sie nicht gleich einen deutschen Ermittler unter lächerlichen Vorwänden in beliebte Urlaubsregionen schicken.
Mit dieser Form des literarischen Postkolonialismus haben die Bücher von Robert Hültner nichts zu tun. Sein Kommissar Lazare aus Montpellier und dessen Fälle beruhen auf gründlicher Recherche und nicht auf Urlaubsimpressionismus. Sie sind vertraut mit der Struktur des französischen Polizeiapparats und den Regionen und Milieus, in denen sie spielen. "Lazare und die Spuren des Todes" (btb, 318 S., geb., 20,- Euro) ist da keine Ausnahme.
In Sète verschwindet ein junges Mädchen, der Verdacht fällt auf einige übermotivierte Dschihadisten; im bergigen Hinterland wird ein Bauer erschossen, und es gibt Hinweise auf versprengte Überreste katalanischer Anarchisten - Lazare sorgt für die Verknüpfung zwischen beiden Fällen. Viel mehr soll nicht verraten sein. Es lohnt sich, diesem dichten, personenreichen Plot die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verlangt.
Allein schon des Titels wegen ist man neugierig auf Heinrich Steinfests neuen Roman "Die Möbel des Teufels" (Piper, 432 S., br., 16,- Euro). So heißt zugleich ein Buch im Buch, und dieses Buch im Buch ist ein Beleg dafür, wie aus einer Idee eine materielle Gewalt wird, wenn sie, nicht wie bei Marx, die Massen ergreift, sondern Leser mit der nötigen kriminellen Energie.
Ein Mann namens Leo Prager kommt heim nach Wien, nach vierundvierzig Jahren, die Schwester ist unter ungeklärten Umständen verstorben. Er hat, fern der Welt, diese Jahre auf zwei Südseeinseln namens "Claire" und "Mönchengladbach" verbracht, nachdem er überhastet Wien verlassen hatte. Warum, das hat er vergessen oder verdrängt. Und dieses Warum enthüllt der eigenwillige, manchmal verschrobene, oft luzid und bisweilen etwas zu umständlich erzählende Roman mit jenem Gestus, mit dem ein Spieler sein unwiderstehliches Blatt Karte für Karte aufdeckt.
Ein Erzähler, der seine Allwissenheit etwas dosierter einsetzt, hätte dabei allerdings nicht geschadet. Steinfest hat wie immer mehr Ideen, als es für einen einzigen Roman braucht, er geht großzügig, fast verschwenderisch mit ihnen um, wenn er zum Beispiel Prager aufgrund einer Makuladegeneration auf einmal die Welt nur noch in Schwarz-Weiß sehen lässt. Und er bringt seine ins Märchenhafte oder zumindest Fabelhafte gleitende Geschichte souverän ins Ziel.
Auf Castle Freeman kann man sich verlassen. Der Texaner, der im nordöstlichen Bundesstaat Vermont schon lange zu Hause ist, schreibt schlanke, klare, sehr geradlinige Romane über Hillbillys und scheinbare Trottel, die ziemlich gerissen sind und die man "bauernschlau" nennen würde, wenn sie denn noch Bauern wären.
Freemans Held Lucian Wing, ein nicht maßlos ambitionierter Sheriff im Windham County, hat ein sehr entspanntes Selbst- und Amtsverständnis. Er weiß, dass es oft klüger ist, nichts zu tun, als um jeden Preis handeln zu wollen. In "Herren der Lage" (Hanser, 184 S., br., 20,- Euro) soll er eine Ausreißerin finden. Nicht irgendeine, nein, die Tochter eines sehr reichen, sehr einflussreichen Mannes, der seinen Anwalt und zwei Männer fürs Grobe schickt.
Wing stellt sich gern dümmer, als er ist, er ist extrem stur wie sein alter Chef, der ihn genau deswegen zum Nachfolger gemacht hat, und er lässt sich nicht einspannen. Ohnehin beschäftigt ihn mehr, dass seine Frau Clementine die Terrasse ausgerechnet von ihrem Highschool-Schwarm bauen lassen will. Und wenn es dann doch richtig eng wird für Wing, schlägt die Natur zurück in Gestalt eines Dreihundertfünfzig-Kilo-Keilers, der auf den Namen "Big John" hört. Wo der wütet, ist die Polizei tendenziell überflüssig. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Hültner, Steinfest und Castle Freeman
Über cultural appropriation, über kulturelle Aneignung, ist in den letzten Jahren reichlich diskutiert worden, über Indianerschmuck im Kindergarten und über die Ausbeutung von Kleidung, Frisuren oder Artefakten unterdrückter Minderheiten im Mainstream. Es gibt nun auch eine harmlose, ästhetisch fatale Variante, wenn sich deutsche Krimiautorinnen und -autoren in Italien, Frankreich oder Portugal bedienen, um ihre Storys aufzupeppen, wobei sie meist den Touristenblick kultivieren, wenn sie nicht gleich einen deutschen Ermittler unter lächerlichen Vorwänden in beliebte Urlaubsregionen schicken.
Mit dieser Form des literarischen Postkolonialismus haben die Bücher von Robert Hültner nichts zu tun. Sein Kommissar Lazare aus Montpellier und dessen Fälle beruhen auf gründlicher Recherche und nicht auf Urlaubsimpressionismus. Sie sind vertraut mit der Struktur des französischen Polizeiapparats und den Regionen und Milieus, in denen sie spielen. "Lazare und die Spuren des Todes" (btb, 318 S., geb., 20,- Euro) ist da keine Ausnahme.
In Sète verschwindet ein junges Mädchen, der Verdacht fällt auf einige übermotivierte Dschihadisten; im bergigen Hinterland wird ein Bauer erschossen, und es gibt Hinweise auf versprengte Überreste katalanischer Anarchisten - Lazare sorgt für die Verknüpfung zwischen beiden Fällen. Viel mehr soll nicht verraten sein. Es lohnt sich, diesem dichten, personenreichen Plot die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verlangt.
Allein schon des Titels wegen ist man neugierig auf Heinrich Steinfests neuen Roman "Die Möbel des Teufels" (Piper, 432 S., br., 16,- Euro). So heißt zugleich ein Buch im Buch, und dieses Buch im Buch ist ein Beleg dafür, wie aus einer Idee eine materielle Gewalt wird, wenn sie, nicht wie bei Marx, die Massen ergreift, sondern Leser mit der nötigen kriminellen Energie.
Ein Mann namens Leo Prager kommt heim nach Wien, nach vierundvierzig Jahren, die Schwester ist unter ungeklärten Umständen verstorben. Er hat, fern der Welt, diese Jahre auf zwei Südseeinseln namens "Claire" und "Mönchengladbach" verbracht, nachdem er überhastet Wien verlassen hatte. Warum, das hat er vergessen oder verdrängt. Und dieses Warum enthüllt der eigenwillige, manchmal verschrobene, oft luzid und bisweilen etwas zu umständlich erzählende Roman mit jenem Gestus, mit dem ein Spieler sein unwiderstehliches Blatt Karte für Karte aufdeckt.
Ein Erzähler, der seine Allwissenheit etwas dosierter einsetzt, hätte dabei allerdings nicht geschadet. Steinfest hat wie immer mehr Ideen, als es für einen einzigen Roman braucht, er geht großzügig, fast verschwenderisch mit ihnen um, wenn er zum Beispiel Prager aufgrund einer Makuladegeneration auf einmal die Welt nur noch in Schwarz-Weiß sehen lässt. Und er bringt seine ins Märchenhafte oder zumindest Fabelhafte gleitende Geschichte souverän ins Ziel.
Auf Castle Freeman kann man sich verlassen. Der Texaner, der im nordöstlichen Bundesstaat Vermont schon lange zu Hause ist, schreibt schlanke, klare, sehr geradlinige Romane über Hillbillys und scheinbare Trottel, die ziemlich gerissen sind und die man "bauernschlau" nennen würde, wenn sie denn noch Bauern wären.
Freemans Held Lucian Wing, ein nicht maßlos ambitionierter Sheriff im Windham County, hat ein sehr entspanntes Selbst- und Amtsverständnis. Er weiß, dass es oft klüger ist, nichts zu tun, als um jeden Preis handeln zu wollen. In "Herren der Lage" (Hanser, 184 S., br., 20,- Euro) soll er eine Ausreißerin finden. Nicht irgendeine, nein, die Tochter eines sehr reichen, sehr einflussreichen Mannes, der seinen Anwalt und zwei Männer fürs Grobe schickt.
Wing stellt sich gern dümmer, als er ist, er ist extrem stur wie sein alter Chef, der ihn genau deswegen zum Nachfolger gemacht hat, und er lässt sich nicht einspannen. Ohnehin beschäftigt ihn mehr, dass seine Frau Clementine die Terrasse ausgerechnet von ihrem Highschool-Schwarm bauen lassen will. Und wenn es dann doch richtig eng wird für Wing, schlägt die Natur zurück in Gestalt eines Dreihundertfünfzig-Kilo-Keilers, der auf den Namen "Big John" hört. Wo der wütet, ist die Polizei tendenziell überflüssig. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2021Teufels Möbel
Krimis in Kürze: Hültner, Steinfest und Castle Freeman
Über cultural appropriation, über kulturelle Aneignung, ist in den letzten Jahren reichlich diskutiert worden, über Indianerschmuck im Kindergarten und über die Ausbeutung von Kleidung, Frisuren oder Artefakten unterdrückter Minderheiten im Mainstream. Es gibt nun auch eine harmlose, ästhetisch fatale Variante, wenn sich deutsche Krimiautorinnen und -autoren in Italien, Frankreich oder Portugal bedienen, um ihre Storys aufzupeppen, wobei sie meist den Touristenblick kultivieren, wenn sie nicht gleich einen deutschen Ermittler unter lächerlichen Vorwänden in beliebte Urlaubsregionen schicken.
Mit dieser Form des literarischen Postkolonialismus haben die Bücher von Robert Hültner nichts zu tun. Sein Kommissar Lazare aus Montpellier und dessen Fälle beruhen auf gründlicher Recherche und nicht auf Urlaubsimpressionismus. Sie sind vertraut mit der Struktur des französischen Polizeiapparats und den Regionen und Milieus, in denen sie spielen. "Lazare und die Spuren des Todes" (btb, 318 S., geb., 20,- Euro) ist da keine Ausnahme.
In Sète verschwindet ein junges Mädchen, der Verdacht fällt auf einige übermotivierte Dschihadisten; im bergigen Hinterland wird ein Bauer erschossen, und es gibt Hinweise auf versprengte Überreste katalanischer Anarchisten - Lazare sorgt für die Verknüpfung zwischen beiden Fällen. Viel mehr soll nicht verraten sein. Es lohnt sich, diesem dichten, personenreichen Plot die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verlangt.
Allein schon des Titels wegen ist man neugierig auf Heinrich Steinfests neuen Roman "Die Möbel des Teufels" (Piper, 432 S., br., 16,- Euro). So heißt zugleich ein Buch im Buch, und dieses Buch im Buch ist ein Beleg dafür, wie aus einer Idee eine materielle Gewalt wird, wenn sie, nicht wie bei Marx, die Massen ergreift, sondern Leser mit der nötigen kriminellen Energie.
Ein Mann namens Leo Prager kommt heim nach Wien, nach vierundvierzig Jahren, die Schwester ist unter ungeklärten Umständen verstorben. Er hat, fern der Welt, diese Jahre auf zwei Südseeinseln namens "Claire" und "Mönchengladbach" verbracht, nachdem er überhastet Wien verlassen hatte. Warum, das hat er vergessen oder verdrängt. Und dieses Warum enthüllt der eigenwillige, manchmal verschrobene, oft luzid und bisweilen etwas zu umständlich erzählende Roman mit jenem Gestus, mit dem ein Spieler sein unwiderstehliches Blatt Karte für Karte aufdeckt.
Ein Erzähler, der seine Allwissenheit etwas dosierter einsetzt, hätte dabei allerdings nicht geschadet. Steinfest hat wie immer mehr Ideen, als es für einen einzigen Roman braucht, er geht großzügig, fast verschwenderisch mit ihnen um, wenn er zum Beispiel Prager aufgrund einer Makuladegeneration auf einmal die Welt nur noch in Schwarz-Weiß sehen lässt. Und er bringt seine ins Märchenhafte oder zumindest Fabelhafte gleitende Geschichte souverän ins Ziel.
Auf Castle Freeman kann man sich verlassen. Der Texaner, der im nordöstlichen Bundesstaat Vermont schon lange zu Hause ist, schreibt schlanke, klare, sehr geradlinige Romane über Hillbillys und scheinbare Trottel, die ziemlich gerissen sind und die man "bauernschlau" nennen würde, wenn sie denn noch Bauern wären.
Freemans Held Lucian Wing, ein nicht maßlos ambitionierter Sheriff im Windham County, hat ein sehr entspanntes Selbst- und Amtsverständnis. Er weiß, dass es oft klüger ist, nichts zu tun, als um jeden Preis handeln zu wollen. In "Herren der Lage" (Hanser, 184 S., br., 20,- Euro) soll er eine Ausreißerin finden. Nicht irgendeine, nein, die Tochter eines sehr reichen, sehr einflussreichen Mannes, der seinen Anwalt und zwei Männer fürs Grobe schickt.
Wing stellt sich gern dümmer, als er ist, er ist extrem stur wie sein alter Chef, der ihn genau deswegen zum Nachfolger gemacht hat, und er lässt sich nicht einspannen. Ohnehin beschäftigt ihn mehr, dass seine Frau Clementine die Terrasse ausgerechnet von ihrem Highschool-Schwarm bauen lassen will. Und wenn es dann doch richtig eng wird für Wing, schlägt die Natur zurück in Gestalt eines Dreihundertfünfzig-Kilo-Keilers, der auf den Namen "Big John" hört. Wo der wütet, ist die Polizei tendenziell überflüssig. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Hültner, Steinfest und Castle Freeman
Über cultural appropriation, über kulturelle Aneignung, ist in den letzten Jahren reichlich diskutiert worden, über Indianerschmuck im Kindergarten und über die Ausbeutung von Kleidung, Frisuren oder Artefakten unterdrückter Minderheiten im Mainstream. Es gibt nun auch eine harmlose, ästhetisch fatale Variante, wenn sich deutsche Krimiautorinnen und -autoren in Italien, Frankreich oder Portugal bedienen, um ihre Storys aufzupeppen, wobei sie meist den Touristenblick kultivieren, wenn sie nicht gleich einen deutschen Ermittler unter lächerlichen Vorwänden in beliebte Urlaubsregionen schicken.
Mit dieser Form des literarischen Postkolonialismus haben die Bücher von Robert Hültner nichts zu tun. Sein Kommissar Lazare aus Montpellier und dessen Fälle beruhen auf gründlicher Recherche und nicht auf Urlaubsimpressionismus. Sie sind vertraut mit der Struktur des französischen Polizeiapparats und den Regionen und Milieus, in denen sie spielen. "Lazare und die Spuren des Todes" (btb, 318 S., geb., 20,- Euro) ist da keine Ausnahme.
In Sète verschwindet ein junges Mädchen, der Verdacht fällt auf einige übermotivierte Dschihadisten; im bergigen Hinterland wird ein Bauer erschossen, und es gibt Hinweise auf versprengte Überreste katalanischer Anarchisten - Lazare sorgt für die Verknüpfung zwischen beiden Fällen. Viel mehr soll nicht verraten sein. Es lohnt sich, diesem dichten, personenreichen Plot die Aufmerksamkeit zu schenken, die er verlangt.
Allein schon des Titels wegen ist man neugierig auf Heinrich Steinfests neuen Roman "Die Möbel des Teufels" (Piper, 432 S., br., 16,- Euro). So heißt zugleich ein Buch im Buch, und dieses Buch im Buch ist ein Beleg dafür, wie aus einer Idee eine materielle Gewalt wird, wenn sie, nicht wie bei Marx, die Massen ergreift, sondern Leser mit der nötigen kriminellen Energie.
Ein Mann namens Leo Prager kommt heim nach Wien, nach vierundvierzig Jahren, die Schwester ist unter ungeklärten Umständen verstorben. Er hat, fern der Welt, diese Jahre auf zwei Südseeinseln namens "Claire" und "Mönchengladbach" verbracht, nachdem er überhastet Wien verlassen hatte. Warum, das hat er vergessen oder verdrängt. Und dieses Warum enthüllt der eigenwillige, manchmal verschrobene, oft luzid und bisweilen etwas zu umständlich erzählende Roman mit jenem Gestus, mit dem ein Spieler sein unwiderstehliches Blatt Karte für Karte aufdeckt.
Ein Erzähler, der seine Allwissenheit etwas dosierter einsetzt, hätte dabei allerdings nicht geschadet. Steinfest hat wie immer mehr Ideen, als es für einen einzigen Roman braucht, er geht großzügig, fast verschwenderisch mit ihnen um, wenn er zum Beispiel Prager aufgrund einer Makuladegeneration auf einmal die Welt nur noch in Schwarz-Weiß sehen lässt. Und er bringt seine ins Märchenhafte oder zumindest Fabelhafte gleitende Geschichte souverän ins Ziel.
Auf Castle Freeman kann man sich verlassen. Der Texaner, der im nordöstlichen Bundesstaat Vermont schon lange zu Hause ist, schreibt schlanke, klare, sehr geradlinige Romane über Hillbillys und scheinbare Trottel, die ziemlich gerissen sind und die man "bauernschlau" nennen würde, wenn sie denn noch Bauern wären.
Freemans Held Lucian Wing, ein nicht maßlos ambitionierter Sheriff im Windham County, hat ein sehr entspanntes Selbst- und Amtsverständnis. Er weiß, dass es oft klüger ist, nichts zu tun, als um jeden Preis handeln zu wollen. In "Herren der Lage" (Hanser, 184 S., br., 20,- Euro) soll er eine Ausreißerin finden. Nicht irgendeine, nein, die Tochter eines sehr reichen, sehr einflussreichen Mannes, der seinen Anwalt und zwei Männer fürs Grobe schickt.
Wing stellt sich gern dümmer, als er ist, er ist extrem stur wie sein alter Chef, der ihn genau deswegen zum Nachfolger gemacht hat, und er lässt sich nicht einspannen. Ohnehin beschäftigt ihn mehr, dass seine Frau Clementine die Terrasse ausgerechnet von ihrem Highschool-Schwarm bauen lassen will. Und wenn es dann doch richtig eng wird für Wing, schlägt die Natur zurück in Gestalt eines Dreihundertfünfzig-Kilo-Keilers, der auf den Namen "Big John" hört. Wo der wütet, ist die Polizei tendenziell überflüssig. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Krimiexperte Thomas Wörtche kann diesen Krimi vom Lande nur empfehlen: Er sei gerade kein "Country Noir". Dieses modische Genre malt ihm viel zu düstere Bilder. Die Helden, mit denen wir es hier zu tun haben, sind nur scheinbar schlichte Pragmatiker vom Lande, vom "vermutlich wahnsinnigen Wildschwein" Big John abgesehen. Wörtche erzählt natürlich nicht, wie die Antwort aussieht, die die Helden des Krimis auf den schnöseligen Anwalt aus der großen Stadt finden, aber er versichert: Es macht Spaß, das herauszufinden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Das Wunderbare an Castle Freemans Geschichten vom Lande ist die Lakonik, mit der sie erzählt werden. Wortkarg, aber jedes einzelne Wort wohlüberlegt. Wirklich witzig, weil eben gewitzt und nicht albern lustig. Pointenreich, weil 'on point'." Thomas Wörtche, Deutschlandfunk Kultur, 10.9.21
"Sheriff Lucian Wing ist der 'Abreger', löst im Plauderton bewaffnete Konflikte. Und regt sich auch nicht auf, wenn ihn ein Milliardärsanwalt herumkommandiert, um in die Wälder abgehauene Reichenkinder zu suchen, sondern sorgt einfach nur - sehr, sehr komisch - für gute Laune." Deutschlandfunk Krimibestenliste September 2021
"Man wünscht, man wäre Teil des Ganzen. Dann befände man sich in der tröstlichen Obhut von Leuten, die auch in schwierigen Zeiten nichts und niemand aus der Ruhe bringt." Peter Henning, Aargauer Zeitung, 21.08.2021
"Castle Freeman schreibt wunderbare Dialoge, nahe am Alltag und doch zugespitzt. Es wäre kein Wunder, wenn das Buch verfilmt würde. Kinobilder hat man schon beim Lesen im Kopf." Stefan Keim, WDR 4, 17.08.2021
"Die Hauptattraktion ist hier wieder einmal Castle Freemans trockener Humor, der dem kleinen Roman jede Menge Leben einhaucht." Ferdinand Quante, WDR 5 Bücher, 07.08.2021
"Auf Castle Freeman kann man sich verlassen. Der Texaner, der im nordöstlichen Bundesstaat Vermont schon lange zu Hause ist, schreibt schlanke, klare, sehr geradlinige Romane über Hillbillys und scheinbare Trottel, die ziemlich gerissen sind und die man 'bauernschlau' nennen würde, wenn sie denn noch Bauern wären." Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.08.2021
"Castle Freeman kommt ohne Umschweife zur Sache. Mit zarten, aber präzisen Strichen wirft er eine hinreißende Figurenfamilie in die schlecht gelaunte Schönheit Vermonts - charmanter, beinharter Country Noir, in dem alle immer sehr viel klüger sind, als sie tun." Simone Buchholz
"Sheriff Lucian Wing ist der 'Abreger', löst im Plauderton bewaffnete Konflikte. Und regt sich auch nicht auf, wenn ihn ein Milliardärsanwalt herumkommandiert, um in die Wälder abgehauene Reichenkinder zu suchen, sondern sorgt einfach nur - sehr, sehr komisch - für gute Laune." Deutschlandfunk Krimibestenliste September 2021
"Man wünscht, man wäre Teil des Ganzen. Dann befände man sich in der tröstlichen Obhut von Leuten, die auch in schwierigen Zeiten nichts und niemand aus der Ruhe bringt." Peter Henning, Aargauer Zeitung, 21.08.2021
"Castle Freeman schreibt wunderbare Dialoge, nahe am Alltag und doch zugespitzt. Es wäre kein Wunder, wenn das Buch verfilmt würde. Kinobilder hat man schon beim Lesen im Kopf." Stefan Keim, WDR 4, 17.08.2021
"Die Hauptattraktion ist hier wieder einmal Castle Freemans trockener Humor, der dem kleinen Roman jede Menge Leben einhaucht." Ferdinand Quante, WDR 5 Bücher, 07.08.2021
"Auf Castle Freeman kann man sich verlassen. Der Texaner, der im nordöstlichen Bundesstaat Vermont schon lange zu Hause ist, schreibt schlanke, klare, sehr geradlinige Romane über Hillbillys und scheinbare Trottel, die ziemlich gerissen sind und die man 'bauernschlau' nennen würde, wenn sie denn noch Bauern wären." Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.08.2021
"Castle Freeman kommt ohne Umschweife zur Sache. Mit zarten, aber präzisen Strichen wirft er eine hinreißende Figurenfamilie in die schlecht gelaunte Schönheit Vermonts - charmanter, beinharter Country Noir, in dem alle immer sehr viel klüger sind, als sie tun." Simone Buchholz