Dreißig Jahre nach seiner Ermordung: ein neuer Blick auf Alfred Herrhausen
Er war geprägt von der Erziehung an einer NS-Eliteschule, verwurzelt im rheinischen Kapitalismus, vernetzt mit den Spitzen von Politik und Wirtschaft - und zugleich war Alfred Herrhausen seiner Zeit immer voraus. Seine Karriere als Quereinsteiger bei der Deutschen Bank schien unaufhaltsam, bis sie durch ein vermutlich von der RAF verübtes Attentat im November 1989 ein jähes Ende fand. In ihrer umfassenden Biographie zeigt Friederike Sattler, dass Herrhausen ein Visionär war, der immer auch die gesellschaftlichen Folgen seines Handelns mit bedachte und sich etwa für einen Schuldenerlass gegenüber der "Dritten Welt" engagierte. Das Buch erkundet auch die Frage, inwiefern er mitverantwortlich war für die Probleme, mit denen die Deutsche Bank heute so schwer zu kämpfen hat.
Ausstattung: mit Abbildungen
Er war geprägt von der Erziehung an einer NS-Eliteschule, verwurzelt im rheinischen Kapitalismus, vernetzt mit den Spitzen von Politik und Wirtschaft - und zugleich war Alfred Herrhausen seiner Zeit immer voraus. Seine Karriere als Quereinsteiger bei der Deutschen Bank schien unaufhaltsam, bis sie durch ein vermutlich von der RAF verübtes Attentat im November 1989 ein jähes Ende fand. In ihrer umfassenden Biographie zeigt Friederike Sattler, dass Herrhausen ein Visionär war, der immer auch die gesellschaftlichen Folgen seines Handelns mit bedachte und sich etwa für einen Schuldenerlass gegenüber der "Dritten Welt" engagierte. Das Buch erkundet auch die Frage, inwiefern er mitverantwortlich war für die Probleme, mit denen die Deutsche Bank heute so schwer zu kämpfen hat.
Ausstattung: mit Abbildungen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2019Der Banker
Über die Modernität Alfred Herrhausens
Alfred Herrhausen (1930 bis 1989) ist nicht der einzige deutsche Bankmanager, der einem Anschlag zum Opfer gefallen ist. Aber anders als Jürgen Ponto, der im Jahre 1977 von Terroristen der RAF ermordet wurde, ist Herrhausen heute in der öffentlichen Erinnerung noch sehr präsent. An beruflicher Qualifikation kann diese unterschiedliche Wahrnehmung nicht liegen, denn auch Ponto war ein bedeutender Manager.
Friederike Sattlers nun vorgelegte umfangreiche Biographie Alfred Herrhausens lässt erkennen, warum Herrhausen unvergessen ist. Er war ein zutiefst politischer Mensch, dessen Überzeugungen in unserer unruhigen Zeit wieder entdeckt werden: "Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein." Das sind eigentlich selbstverständliche Sätze, aber allein die Maxime, das zu sagen, was man denkt, klingt in einer Zeit, in der - vermeintliche oder tatsächliche - Sprechverbote zu einem öffentlichen Thema geworden sind, sehr modern. Auch das hochaktuelle Thema Freiheit hat Herrhausen, der kurz vor seinem Tode noch die Öffnung der Berliner Mauer sehen durfte, zeitlebens bewegt.
Die Wirtschaftshistorikerin Sattler hat rund zehn Jahre in das gut 800 Seiten dicke Buch investiert. "Wie ich dich einschätze, bist du mindestens durchschnittlich intelligent, und wenn du jeden Tag mehr als eine Stunde arbeitest, dann muss es klappen", hatte ihm sein Vater Karl mit auf den Weg gegeben. Auf einer sehr reichen Quellenbasis fußend, beschreibt Sattler den Aufstieg des jungen Alfred Herrhausen, der aus Essen stammte und schon früh eine reiche Begabung und einen hohen Einsatzwillen an den Tag legte.
Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre stieg Herrhausen in den in Dortmund ansässigen Energieversorger VEW ein, in dem er es bis zum Vorstandsmitglied brachte. Nebenher schrieb er eine Doktorarbeit über ein eher volkswirtschaftliches Thema. Auch später interessierte er sich sehr für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Herrhausens guter Ruf verbreitete sich rasch über Dortmund hinaus. So erhielt er, damals ein sehr ungewöhnlicher Schritt, den Ruf, in den Vorstand der Deutschen Bank einzutreten, die damals sehr viel enger mit der deutschen Wirtschaft verbunden war als heute. Als versierte Wirtschaftshistorikerin versteht Sattler ihr Metier: Durch eine kundige Kontextualisierung baut sie Herrhausens Aufstieg in die politische und wirtschaftliche Entwicklung jener Zeit ein.
Andererseits verläuft sich das Buch ein wenig in sehr ausführlichen Schilderungen beispielsweise des Aufbaus des Geschäfts in Australien, für den Herrhausen seinerzeit verantwortlich zeichnete und der ihn zu mehreren Reisen nach Sydney veranlasste. Ebenfalls sehr ausführlich geraten ist die Schilderung der Tätigkeit Herrhausens als Aufsichtsratsvorsitzender des Reifenherstellers Continental. Sattler beschreibt sehr gut die wechselvolle geschäftliche Entwicklung des Unternehmens und den letztlich begrenzten Einfluss, den damals Herrhausen als Aufsichtsratsvorsitzender besaß. Aber dies wäre auch kürzer darstellbar gewesen.
Sehr viel weniger detailliert, weil wohl weniger präzise dokumentierbar, fällt dagegen lange Zeit die Beschreibung des Innenlebens in der Führung der Deutschen Bank aus, in der es Herrhausen als ehrgeiziger Seiteneinsteiger, der das Metier erst richtig lernen musste, nicht immer leicht hatte. Auch seine Berufung zum Vorstandssprecher (zunächst an der Seite Friedrich Wilhelm Christians) wird zwar geschildert, aber nicht wirklich erklärt - was schade ist, weil Herrhausen damals vielleicht nicht der einzige Kandidat war.
Sehr deutlich schildert Sattler dagegen die Entfremdung zwischen Herrhausen und dem Rest des Vorstands in seinen letzten Monaten, als er die Bank mit Hilfe externer Berater wie Roland Berger und Gertrud Höhler umbauen wollte und bei nicht wenigen seiner Kollegen auf Granit stieß. Dieses Thema bewegte Herrhausen noch am Tage vor seiner Ermordung, und Äußerungen gegenüber Vertrauten legen nahe, dass er, obgleich er eigentlich ein sehr optimistischer Mensch war, damals daran dachte, die Deutsche Bank enttäuscht zu verlassen.
Gespräche Sattlers mit anderen Vorstandsmitgliedern dokumentieren eine Entfremdung: Herrhausen, der auch mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit bei seinen Kollegen aneckte, war in gewisser Weise aus der Bank herausgewachsen. "Nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern genauso auf dem internationalen Parkett galt der blendend aussehende, stets wie aus dem Ei gepellt gekleidete, durch seinen Charme bestechende und mitreißend redende Bankier als einer der einflussreichsten Männer der Bundesrepublik, wenn nicht Europas", schrieb Daimler-Chef Edzard Reuter.
Gleichwohl besaß Herrhausens Gestaltungsspielraum in der Deutschen Bank Grenzen: Da er "nur" Vorstandssprecher und nicht Vorstandsvorsitzender war, verfügte er nicht über die Macht, seinen Vorstandskollegen seinen Willen aufzuzwingen. Er war auf ihre Zustimmung zu seiner Geschäftspolitik angewiesen.
Nach Herrhausens Tod und erst recht nach der Finanzkrise sind viele Bankmanager in der Öffentlichkeit auf Tauchstation gegangen. Mittlerweile sind erste Anzeichen zu erkennen, dass Manager (und darunter auch Bankmanager) eine größere Verpflichtung fühlen, in der Öffentlichkeit auf politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hinzuweisen. Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber die Herausforderungen.
GERALD BRAUNBERGER
Friederike Sattler: Herrhausen. Banker, Querdenker, Global Player Siedler, Berlin 2019. 812 Seiten. 36 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über die Modernität Alfred Herrhausens
Alfred Herrhausen (1930 bis 1989) ist nicht der einzige deutsche Bankmanager, der einem Anschlag zum Opfer gefallen ist. Aber anders als Jürgen Ponto, der im Jahre 1977 von Terroristen der RAF ermordet wurde, ist Herrhausen heute in der öffentlichen Erinnerung noch sehr präsent. An beruflicher Qualifikation kann diese unterschiedliche Wahrnehmung nicht liegen, denn auch Ponto war ein bedeutender Manager.
Friederike Sattlers nun vorgelegte umfangreiche Biographie Alfred Herrhausens lässt erkennen, warum Herrhausen unvergessen ist. Er war ein zutiefst politischer Mensch, dessen Überzeugungen in unserer unruhigen Zeit wieder entdeckt werden: "Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein." Das sind eigentlich selbstverständliche Sätze, aber allein die Maxime, das zu sagen, was man denkt, klingt in einer Zeit, in der - vermeintliche oder tatsächliche - Sprechverbote zu einem öffentlichen Thema geworden sind, sehr modern. Auch das hochaktuelle Thema Freiheit hat Herrhausen, der kurz vor seinem Tode noch die Öffnung der Berliner Mauer sehen durfte, zeitlebens bewegt.
Die Wirtschaftshistorikerin Sattler hat rund zehn Jahre in das gut 800 Seiten dicke Buch investiert. "Wie ich dich einschätze, bist du mindestens durchschnittlich intelligent, und wenn du jeden Tag mehr als eine Stunde arbeitest, dann muss es klappen", hatte ihm sein Vater Karl mit auf den Weg gegeben. Auf einer sehr reichen Quellenbasis fußend, beschreibt Sattler den Aufstieg des jungen Alfred Herrhausen, der aus Essen stammte und schon früh eine reiche Begabung und einen hohen Einsatzwillen an den Tag legte.
Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre stieg Herrhausen in den in Dortmund ansässigen Energieversorger VEW ein, in dem er es bis zum Vorstandsmitglied brachte. Nebenher schrieb er eine Doktorarbeit über ein eher volkswirtschaftliches Thema. Auch später interessierte er sich sehr für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Herrhausens guter Ruf verbreitete sich rasch über Dortmund hinaus. So erhielt er, damals ein sehr ungewöhnlicher Schritt, den Ruf, in den Vorstand der Deutschen Bank einzutreten, die damals sehr viel enger mit der deutschen Wirtschaft verbunden war als heute. Als versierte Wirtschaftshistorikerin versteht Sattler ihr Metier: Durch eine kundige Kontextualisierung baut sie Herrhausens Aufstieg in die politische und wirtschaftliche Entwicklung jener Zeit ein.
Andererseits verläuft sich das Buch ein wenig in sehr ausführlichen Schilderungen beispielsweise des Aufbaus des Geschäfts in Australien, für den Herrhausen seinerzeit verantwortlich zeichnete und der ihn zu mehreren Reisen nach Sydney veranlasste. Ebenfalls sehr ausführlich geraten ist die Schilderung der Tätigkeit Herrhausens als Aufsichtsratsvorsitzender des Reifenherstellers Continental. Sattler beschreibt sehr gut die wechselvolle geschäftliche Entwicklung des Unternehmens und den letztlich begrenzten Einfluss, den damals Herrhausen als Aufsichtsratsvorsitzender besaß. Aber dies wäre auch kürzer darstellbar gewesen.
Sehr viel weniger detailliert, weil wohl weniger präzise dokumentierbar, fällt dagegen lange Zeit die Beschreibung des Innenlebens in der Führung der Deutschen Bank aus, in der es Herrhausen als ehrgeiziger Seiteneinsteiger, der das Metier erst richtig lernen musste, nicht immer leicht hatte. Auch seine Berufung zum Vorstandssprecher (zunächst an der Seite Friedrich Wilhelm Christians) wird zwar geschildert, aber nicht wirklich erklärt - was schade ist, weil Herrhausen damals vielleicht nicht der einzige Kandidat war.
Sehr deutlich schildert Sattler dagegen die Entfremdung zwischen Herrhausen und dem Rest des Vorstands in seinen letzten Monaten, als er die Bank mit Hilfe externer Berater wie Roland Berger und Gertrud Höhler umbauen wollte und bei nicht wenigen seiner Kollegen auf Granit stieß. Dieses Thema bewegte Herrhausen noch am Tage vor seiner Ermordung, und Äußerungen gegenüber Vertrauten legen nahe, dass er, obgleich er eigentlich ein sehr optimistischer Mensch war, damals daran dachte, die Deutsche Bank enttäuscht zu verlassen.
Gespräche Sattlers mit anderen Vorstandsmitgliedern dokumentieren eine Entfremdung: Herrhausen, der auch mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit bei seinen Kollegen aneckte, war in gewisser Weise aus der Bank herausgewachsen. "Nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern genauso auf dem internationalen Parkett galt der blendend aussehende, stets wie aus dem Ei gepellt gekleidete, durch seinen Charme bestechende und mitreißend redende Bankier als einer der einflussreichsten Männer der Bundesrepublik, wenn nicht Europas", schrieb Daimler-Chef Edzard Reuter.
Gleichwohl besaß Herrhausens Gestaltungsspielraum in der Deutschen Bank Grenzen: Da er "nur" Vorstandssprecher und nicht Vorstandsvorsitzender war, verfügte er nicht über die Macht, seinen Vorstandskollegen seinen Willen aufzuzwingen. Er war auf ihre Zustimmung zu seiner Geschäftspolitik angewiesen.
Nach Herrhausens Tod und erst recht nach der Finanzkrise sind viele Bankmanager in der Öffentlichkeit auf Tauchstation gegangen. Mittlerweile sind erste Anzeichen zu erkennen, dass Manager (und darunter auch Bankmanager) eine größere Verpflichtung fühlen, in der Öffentlichkeit auf politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hinzuweisen. Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber die Herausforderungen.
GERALD BRAUNBERGER
Friederike Sattler: Herrhausen. Banker, Querdenker, Global Player Siedler, Berlin 2019. 812 Seiten. 36 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Sattlers Buch ist äußerst lesenswert, weil es einen tiefen Einblick in die Umbrüche der deutschen Unternehmens- und Bankenwelt jener Jahre bietet.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Dennis Kremer)