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Die genealogische Erforschung der Macht, die Giorgio Agamben 1995 mit Homo sacer begonnen hat, nimmt mit diesem Buch eine entscheidende Wendung: Warum hat in der westlichen Welt die Macht die Form der Ökonomie angenommen? Und: Weshalb bedarf sie der Herrlichkeit, also jenes liturgisch-zeremoniellen Aufwands, der seit jeher um sie betrieben wird?Um den Monotheismus mit den "drei Personen" zu vereinbaren, entwarfen die Kirchenväter die Trinitätslehre als "Ökonomie" des göttlichen Lebens: als eine Frage der Führung und Verwaltung sowohl des himmlischen als auch des irdischen "Hauses" (griech.:…mehr

Produktbeschreibung
Die genealogische Erforschung der Macht, die Giorgio Agamben 1995 mit Homo sacer begonnen hat, nimmt mit diesem Buch eine entscheidende Wendung: Warum hat in der westlichen Welt die Macht die Form der Ökonomie angenommen? Und: Weshalb bedarf sie der Herrlichkeit, also jenes liturgisch-zeremoniellen Aufwands, der seit jeher um sie betrieben wird?Um den Monotheismus mit den "drei Personen" zu vereinbaren, entwarfen die Kirchenväter die Trinitätslehre als "Ökonomie" des göttlichen Lebens: als eine Frage der Führung und Verwaltung sowohl des himmlischen als auch des irdischen "Hauses" (griech.: oikía). Agamben zeigt, daß grundlegende Kategorien der modernen Politik - von der Gewaltenteilung bis zur militärischen Doktrin des Kollateralschadens, vom Liberalismus der "unsichtbaren Hand" bis zum Ordnungs- und Sicherheitsdenken - auf dieses theologisch-ökonomische Paradigma zurückgeführt werden können. Die zeremoniellen Aspekte der Macht sind nicht bloß Überreste vergangener Zeiten, sondern bilden - noch immer - ihr Fundament: eine bislang übersehene Genealogie, die die Funktion des Konsenses und der Medien in den modernen Demokratien in einem neuen Licht erscheinen läßt.
Autorenporträt
Giorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.   Andreas Hiepko, geboren 1963 in Berlin, studierte Germanistik und Romanistik in Berlin und Barcelona. Heute ist er als Publizist und freier Übersetzer tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2010

Politik ist ein anderes Wort für Gewalt

In dieser Woche erscheint Giorgio Agambens neueste Provokation der akademischen Philosophie: eine Engelkunde als Theorie der politischen Macht.

Für Giorgio Agamben, den theologisierenden Provokateur der akademischen Philosophie, sind die modernen Engel Beamte oder Gouverneure. Sie verkörpern die Weltregierung schlechthin. So lässt der venezianische doctor angelicus seine Engelkunde ganz mit der Theorie der Macht zusammenfallen. Zwei Aspekte hat die Macht: Macht als Regierung und Macht als zeremonielles und liturgisches Königtum. Agamben will die seiner Meinung nach sowohl in der politischen Philosophie als auch in der Politologie vernachlässigte Frage beantworten: Warum braucht die Macht die Herrlichkeit? Wenn sie Stärke, Handlungs- und Regierungsfähigkeit ist, weshalb tritt sie dann in der glorreichen Form der Zeremonie auf? Für Agamben bilden Akklamationen eine Übergangszone, in der Politik und Theologie ununterscheidbar werden. Wie die liturgischen Doxologien Gottes Herrlichkeit erzeugen und festigen, so sind auch die profanen Akklamationen kein Ornament der politischen Macht, sie begründen und rechtfertigen sie.

Akklamationen und die Herrlichkeit in ihrer modernen Gestalt als öffentliche Meinung und Konsens stehen für den Autor immer noch im Zentrum der politischen Dispositive. Spielen die Medien in den heutigen Demokratien eine so wichtige Rolle, so nicht nur deshalb, weil sie die Kontrolle und Lenkung der öffentlichen Meinung ermöglichen, sondern vor allem auch, weil sie, so Agamben, die Herrlichkeit verwalten und zuteilen. In den Medien sei jene akklamatorische und doxologische Dimension der Macht wirksam, die in der Neuzeit verschwunden zu sein schien, die aber in der heutigen Demokratie, die Guy Debord Gesellschaft des Spektakels nenne, in der akklamatorischen Gestalt des Konsenses wiederkehre. So könne man gegen Habermas "mit guten Argumenten" einwenden, dass er letztlich die politische Macht in die Hände der Medien gebe. Hier verlässt Agamben seine zweifellos faszinierende spekulative Philologie der Antike und des Mittelalters und argumentiert zunehmend pauschal und ungenau.

Heute leben wir tatsächlich in einer Gesellschaft der Akklamation, die aber keine wirkliche politische Partizipation zulässt. Sie ist vielmehr eine entpolitisierte Gesellschaft des Spektakels, in der es auch nicht mehr um politische Machtergreifung oder Herrschaft geht. Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die das gegenwärtige System über sich selbst hält, sein lobpreisender Monolog. Hier figuriert selbst die Regierungsgewalt, so Debord, als ein Pseudostar, der sich wie der Star des Konsums durch das passive Zuschauerpublikum akklamieren lässt. Die entpolitisierte Gesellschaft der Akklamation verdrängt zunehmend die kritische Öffentlichkeit, die es Jürgen Habermas zufolge zu verteidigen gilt. Darum ist Agambens Habermas-Interpretation sehr irreführend, denn Habermas grenzt die kommunikative Vernunft strikt von der Akklamation ab. In "Strukturwandel der Öffentlichkeit", worauf sich Agamben selbst bezieht, unterscheidet Habermas zwischen der "kritischen Öffentlichkeit" und der "zu Zwecken der Akklamation bloß hergestellten Öffentlichkeit".

Als Archäologe der Macht hat Agamben offensichtlich Mühe, die kommunikative Dimension der Demokratie zu begreifen, die diesseits der Herrschaft und Herrlichkeit angesiedelt ist. Als ganz falsch erweist sich auch die von ihm vermutete Nähe zwischen Schmitt und Habermas. Habermas kritisiert nämlich die Schmittsche Auffassung des Gesetzes als eines Willensausdrucks, dem das Moment des gewaltsam durchgesetzten Herrschaftsanspruchs innewohnt. Die kommunikative Vernunft distanziert sich gerade von diesem Willen und dem Herrschaftssubjekt. "Diskurse", so Habermas' Diktum, "herrschen nicht." Der Einwand, der gegen Habermas' Theorie der diskursiven Vernunft vorzubringen wäre, beträfe eher die von ihm geknüpfte Verbindung von "subjektlosen Kommunikationsformen" und kommunikativer Erzeugung der Macht. Die Macht setzt immer eine individuelle oder kollektive Subjektivität voraus. Die kommunikativ verflüssigte, subjektlose Diskursivität wäre somit frei von der Machtökonomie, die immer eine Ökonomie der Subjektivität und des Willens ist.

Die Demokratie ist zwar faktisch mit machtökonomischen Elementen durchsetzt, aber ihr wohnt unauslöschlich ein kommunikativer Kern inne, der es nicht zulässt, sie mit der Machtökonomie zusammenfallen zu lassen. Agamben ignoriert ganz den kommunikativen Kern der Demokratie und lässt diese in der medialen Herrlichkeit des Spektakels aufgehen. So verfehlt er abermals das Wesen der Demokratie und Kommunikation.

Politik ist für Agamben ihrem Wesen nach Gewalt. So politisiert sich das menschliche Leben "nur durch das Überlassensein an eine unbedingte Macht über den Tod", nämlich an die der Souveränität. Das Urphänomen der Politik ist, so steht es bereits in "Homo sacer", der Bann, der das nackte, tötbare Leben des Homo sacer erzeugt. Agamben ignoriert ganz die kommunikative Dimension der Politik. Sowohl die Politik als gouvernementale "Maschine" als auch die Sprache als linguistische "Maschine" produzieren Gewalt. Für Agamben ist die Repräsentation als solche Gewalt. Darin ist er heideggerischer als Heidegger. So ist die Rückkehr zur unmittelbaren Präsenz, zum paradiesischen Zustand der Unterscheidungslosigkeit seine messianische Erlösungsformel.

Agamben denkt undialektisch. Ihm fehlt die Geduld zur Dialektik. Foucault denkt wesentlich dialektischer als Agamben. Die "Maschine" ist, so würde er sagen, nicht nur repressiv, sondern auch produktiv. Die linguistische Maschine sondert gewiss das Nichtrepräsentierbare ab, aber sie produziert auch Sinn und Sinnvolles. Ohne die Sinnproduktion gäbe es nur ein sinnloses Stammeln, das Agamben aber als Zustand der Sprache nach dem Jüngsten Gericht darstellen würde. Die Engel der Kommunikation stammeln nicht. Politik ist auch Vermittlung und Kommunikation. Agambens Dämonisierung der Handlung und Entscheidung, ja des Tuns überhaupt, zerstört den Raum des Politischen. So mündet Agambens Genealogie der Herrlichkeit wieder in die Lobpreisung der Untätigkeit.

Trotz aller Einseitigkeit der Agambenschen Genealogie der Macht lässt seine wiederholte Beschwörung der vita contemplativa den Leser doch aufhorchen, vor allem angesichts der Hyperaktivität und des Imperativs der Arbeit und Leistung, das die heutige Gesellschaft beherrscht und das in seiner pathologischen Zuspitzung tatsächlich eine neue Form der Gewalt anzunehmen scheint. Die Opfer der Hyperaktivität, der Depression oder des Burn-Out-Syndroms wären ja tatsächlich moderne homines sacri. So wäre es an der Zeit, nicht nur weitere Engel der Kommunikation, sondern auch neue Engel der Kontemplation zu erfinden, und zwar jenseits der Ökonomie der Macht.

BYUNG-CHUL HAN

Giorgio Agamben: "Herrschaft und Herrlichkeit". Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung. Homo sacer II.2. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 368 S., br., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Byung-Chul Han hat Giorgio Agambens neues Buch mit Spannung gelesen, überzeugt ist er aber nicht. Agamben verbinde hier der Darstellung des Rezensenten zufolge seine Engelskunde mit einer "Theorie der Macht". Macht versteht Agamben offenbar ähnlich wie Herrschaft als Regierung aber auch "zeremonielles Königtum", erklärt Byung-Chul Han, und die Frage, die er stelle, sei: "Warum braucht die Macht die Herrlichkeit? Und wer gibt sie ihr? Die Verwalter der Herrlichkeit erkennt Agamben in den Medien, sie verteilen Aufmerksamkeit und Akklamation. Das aber sieht der Rezensent ganz anders, hier verstehe Agamben, der die Politik als Gewalt denke, das kommunikative Wesen der Demokratie nicht. Da hält er es lieber mit Jürgen Habermas, dem Agamben vorwerfe, die politische Macht in die Hände der Medien gegeben zu haben, obwohl dieser, meint Byung-Chul Han, in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" doch Vernunft und Akklamation sehr genau auseinanderhalte.

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