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Produktdetails
  • Verlag: WBG Academic
  • 1995.
  • Seitenzahl: 253
  • Deutsch
  • Abmessung: 22mm x 141mm x 221mm
  • Gewicht: 456g
  • ISBN-13: 9783534101191
  • ISBN-10: 3534101197
  • Artikelnr.: 05717372
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.1995

Stalin hätte sich gefreut
Friedrich Battenberg will in den politischen Prozessen des Mittelalters kein Unrecht erkennen

Nach Friedrich Battenberg ist der politische Prozeß ein forensisches Verfahren, das Konflikte um die Grundlegung, die Stabilisierung, die Ausweitung oder Verteidigung von Herrschaft lösen sollte, nicht also, wie es noch 1984 ein Artikel im "Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte" umschrieb, eine Veranstaltung, mit der rechtsförmliche Normen unter anderem dazu mißbraucht wurden, den politischen Gegner zu ächten und aus seiner Verurteilung Nutzen zu ziehen. "Hier von einem Mißbrauch prozessualer Formen zu sprechen, die von der Rechtsordnung für andere Zwecke bereitgestellt wurden, verkennt die Funktion des ,politischen' Achtprozesses. Dieser sollte gerade dazu dienen, königliche und kaiserliche Herrschaft zu legitimieren, sie ideologisch-symbolisch zu konkretisieren und propagandistisch in der Reichsöffentlichkeit sichtbar zu machen. Der ,politische' und modernem Verständnis nach über das Rechtsverfahren hinausgehende Nutzen war notwendiger Bestandteil des Prozesses und kann deshalb auf keinen Fall mit Begriffen wie ,Instrumentalisierung' oder ,Mißbrauch' denunziert werden."

Es bleibt abzuwarten, ob im Zuge einer ja durchaus denkbaren Restauration des Sowjetsystems diese Definition nicht als nützliche Formulierungshilfe für eine positive Würdigung Stalinscher Schauprozesse aufgegriffen werden könnte. Gewiß ist es sinnvoll, zunächst einmal den Sachverhalt "politischer Prozeß" unabhängig von den jeweiligen historischen Parteiungen zu definieren. Nicht jedes Verfahren des Königs gegen einen politischen Gegner war ein "politischer Prozeß" in dem oben skizzierten negativen Sinn. Jedoch ist es wenig einleuchtend, die Möglichkeit des Mißbrauchs von rechtsförmlichen Verfahren in der weltlichen Sphäre des deutschen Mittelalters generell zu bestreiten, sie aber für den nach kanonischen Regeln ablaufenden Prozeß, zum Beispiel den der Päpste gegen Ludwig den Bayern, also sozusagen naturgemäß vorauszusetzen.

Der Autor untersucht zunächst acht Verfahren aus der Zeit von 1236 bis 1466 und faßt die Ergebnisse in einem knappen Abschnitt zusammen. Auch hier bleibt er stets angestrengt bemüht, sich prinzipiell von der älteren Forschung abzusetzen und dieser fortlaufend Unkenntnis oder anachronistische Fehldeutungen anzukreiden. Im Fall des Prozesses, den Rudolf von Habsburg gegen König Ottokar II. von Böhmen führen ließ, sind es nationale Urteilsmuster, die zu solchen Fehleinschätzungen geführt haben sollen. "Rudolf von Habsburg", so resümierte Oswald Redlich noch 1903, "habe den Hochmut des slawischen Zepters zerbrochen." Tatsächlich handelt es sich bei diesen Worten jedoch nicht um eine Aussage Redlichs, sondern um den Titel eines Gedichts, das der Abt Engelbert von Admont kurz nach Ottokars Ende geschrieben hatte und von Redlich als eines der Indizien für die nationale Einfärbung des Konflikts zwischen den beiden Königen gewertet wurde. Auch bei der Analyse des eigentlichen Sachverhalts unterlaufen dem Autor nahezu ständig ähnliche Ungenauigkeiten und Fehler.

Ein Abschnitt handelt von den beiden Verfahren, die 1348/50 unter Karl IV. um den Falschen Woldemar geführt wurden, einem Mann, der kurz nach dem Tode Kaiser Ludwigs des Bayern mit der Behauptung auftrat, der (tatsächlich schon 1319 verstorbene) Markgraf Woldemar von Brandenburg zu sein. Die Mark hatte der Bayer nach dem Tode dieses letzten der brandenburgischen Askanier einem seiner Söhne zu Lehen gegeben. Das Erscheinen des mutmaßlichen Betrügers paßte wunderbar in die Politik Karls IV., der auf Betreiben des Papstes gegen den als Ketzer verurteilten Kaiser zum römischen König erhoben worden war und sich jetzt in die Lage versetzt sah, der bayerischen Herrschaft über die Mark ein Ende zu setzen. So ließ er den Untoten durch sein Hofgericht als Markgrafen anerkennen.

Wenig später wollte Karl sich mit den Wittelsbachern aussöhnen, ergo kam sein erneut bemühtes Hofgericht zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Prätendenten nicht um den echten Markgrafen handeln könne. Die hier skizzierten Fakten und deren Funktion im Rahmen von Karls IV. Politik werden vom Autor nicht negiert, gleichwohl bestreitet er, daß die Prozesse als politische Willkürakte diskreditiert werden dürften. Die Legitimierung von Woldemars Herrschaft im ersten Prozeß sei vielmehr als "durchaus sachgerechtes Verfahrensziel mit friedensstiftender Wirkung" zu werten. Auch im zweiten Akt sei nicht aus politischem Kalkül heraus Unrecht zu Recht gewandelt, sondern der Tatsache Rechnung getragen worden, "daß es sich nachträglich herausstellte, daß die legitime (!) Herrschaft des Pseudo-Askaniers usurpiert und diejenige der Wittelsbacher zwar zeitweilig suspendiert war, aber nicht ihre Legitimation verloren hatte".

Obendrein wird das zweite Verfahren, bei dem Hofrichter und Gerichtsschreiber aus der Klientel der Bayern herangezogen worden seien, als Beweis für die Existenz eines "bürokratischen Apparates" gewertet, der nicht mehr ein lenkbares Instrument in der Hand des Königs gewesen sei. Vielmehr habe Karl IV. in diesem zweiten Prozeß die unter seinem Vorgänger erreichten Sachgesetzlichkeiten des Verfahrens anerkennen müssen. Welch sachfremde Vorstellungen Battenberg vom möglichen Ausmaß königlicher Gerichtsbarkeit im vierzehnten Jahrhundert hegt, demonstriert er mit einem Seitenhieb auf die ältere Forschung, die der Tätigkeit des Hofgerichts in der Zeit des Bayern nur eine marginale Bedeutung zugemessen hatte. Als Beweis für die fortgeschrittene Institutionalisierung dieses Gerichts verweist er auf den Umfang von dessen Urkundenproduktion, ohne allerdings Zahlen zu nennen: In der fraglichen Zeit von 1328 bis 1347 waren es 62 Stück, elf davon entfielen auf einen einzigen Prozeß des Jahres 1332. Die vom Autor nicht beachtete Regestenpublikation für das vergleichbare Gericht in Frankreich, das Pariser Parlament, verzeichnet für dieselbe Zeitspanne rund 7700 Dokumente.

Kurzum: Battenbergs Studien leiden nicht nur unter der Ungenauigkeit der Quellenauslegung und der kuriosen Dialektik der Urteile über den deutschen Sachverhalt, sondern auch unter einem Mangel an Kenntnissen über vergleichbare Institutionen in anderen Reichen des Spätmittelalters. Die vom Verlag intendierte Fortsetzung des Buches von Heinrich Mitteis über den politischen Prozeß im früheren Mittelalter muß erst noch geschrieben werden. HEINZ THOMAS

Friedrich Battenberg: "Herrschaft und Verfahren". Politische Prozesse im mittelalterlichen Römisch-Deutschen Reich. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995. X, 251 S., geb., 78,- DM.

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