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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2007

Was bleibt, sind Herz, Schmerz, Einsamkeit und Tränen

Hanna Krall trat bisher als Spezialistin für Reportagen hervor. Jetzt hat sie einen bewegenden Roman veröffentlicht: eine Liebe im Warschauer Getto.

Eine Frau, die sie nicht kennt, ruft sie an und teilt ihr mit, dass eine Frau, die sie beide nicht kennen, sie bittet, ein Buch über sie zu schreiben. Mit dieser Verschachtelung begann die Schriftstellerin Hanna Krall Ende der achtziger Jahre ihre Reportage "Eine Story für Hollywood". Izolda Regensberg, die unbekannte Unbekannte, polnische Jüdin, hat "den Krieg" (welch ein Euphemismus!) durch tausend unglückliche und glückliche Fügungen überlebt und hätte das ihr Widerfahrene gerne niedergeschrieben, ein Roman "voller Herz, Schmerz, Einsamkeit und Tränen" - und Hanna Krall sollte die Ghostwriterin sein, weil sie etwas von den Juden und der Liebe verstehe.

Tatsächlich verfasste Hanna Krall damals eine literarische Reportage über die Schwierigkeiten beim Schreiben von Überlebensgeschichten, in der sie die Geschichte der Izolda R. wie nebenbei erzählte: Warschauer Getto, Umschlagplatz, arische Seite, Gestapo, Auschwitz, Wien und Guben lauteten die Stationen. Im Zentrum der Reportage standen scheinbar Fragen an das Erzählen: Etwas Besseres als Borowski und Primo Levi kann man nicht schreiben, räsonierte sie. Wie sollte sie denen in Hollywood die Mauer und den Typhus erklären? Wie konnte es angehen, dass ihr eine "großartige Szene" (Izolda betet im Gefängnis, dass ihre Schwiegermutter möglichst schnell erschossen wird) mehr bedeutete als der einzelne Tod? Wie beginnt eine "Story" für Hollywood?

Mit dieser Reportage hatte die Spezialistin der kleinen Form, Hanna Krall, wie wir heute wissen, vor zwanzig Jahren eine Spur zu dem Roman "Herzkönig" gelegt, der nun erschienen ist. Doch der von Izolda R. gewünschte Schmelz ist, wie nicht anders zu erwarten, ausgeblieben. "Herzkönig" beginnt mit dem Tag, da die Liebe begann: "Anfang des Krieges". Genaueres erfährt man nicht. Beim Besuch einer Freundin trifft Izolda R. einen jungen Mann "mit glattem goldenem Haar". Auch die Hände "schimmern golden". Eine Erscheinung. Eigentlich wollte sich die Protagonistin nur kurz bei der Freundin die Schnürsenkel in die Schuhe fädeln, doch: "Das Einfädeln zieht sich. Nach einer Stunde sagt Szajek: Du hast Augen wie die Tochter eines Rabbiners. Nach zwei Stunden fügt er hinzu: eines zweifelnden Rabbiners." Die Freundin ist erbost: "Umbringen sollte ich dich." So verschränkt sich der Tod gleich auf der ersten Seite mit der Liebe. Hanna Krall, die als Kind den Holocaust überlebte, hat dem Journalismus des (realsozialistischen) Willens ihren ganzen Wirklichkeitssinn entgegengesetzt. Seit dreißig Jahren erzählt sie Geschichten von Menschen und davon, wie deren Leben von der (großen) Geschichte berührt wurde. So arbeitet die gelernte Journalistin an der Bewahrung des kollektiven Gedächtnisses. Viele Geschichten wurden ihr im Laufe der Jahre erzählt, doch nur wenn "hinter einer Geschichte noch ein Geheimnis steckt", kann sie darüber schreiben, sagt sie.

Diese banale und doch so essentielle Voraussetzung jedes Kunstschaffens hat die Autorin auch formal beherzigt. Das "Geheimnis" der Izolda R., ist, um es schnell zu sagen, die Kraft der Liebe. "Als das mit dem Umschlagplatz und den Transporten losging, begriff Izolda R., wozu sie da war. Sie war da, um ihren Mann zu retten", hieß es in der Reportage lapidar. Im Roman sind alle Sinne der Izolda R. auf diese ihre Wette gegen den Krieg ausgerichtet: Sie muss überleben, damit ihr Mann überlebt. Tatsächlich muss sie sich in vielen Gestalten (Krankenschwester, Schmugglerin) retten, wie man erfährt, und auch viele Male gerettet werden, doch von der Liebe erfährt man nichts. Kein Kuss, keine Berührung, nur einmal eine Erinnerung: Ihr Knie sehnt sich nach seiner Hand.

Wie schon der frühe autobiographische Roman "Die Untermieterin" hat auch "Herzkönig" eine zweite Zeitebene. In diesen, in die Geschichte hineinmontierten Passagen erfährt man, dass Izoldas und Szajeks Liebe zwar den Krieg gewonnen, den Frieden aber nicht lange überdauert hat. Die "Spezialistin des Überlebens" versucht, für sich und die Nachgeborenen eine Lehre aus der Geschichte zu ziehen, doch alle Wenn-dann-Sätze greifen angesichts der erfahrenen Grausamkeit und Ohnmacht ins Leere. Hanna Kralls Werk entwickelt ein Panorama der polnisch-jüdischen Beziehungen, in dem ihre Helden um ihre Identität ringen ("Existenzbeweise") und mit der Unterwerfung unter eine wie auch immer geartete Vorsehung hadern ("Dem Herrgott zuvorkommen"). In ihrem fieberhaften Bemühen um ihren Mann, der erst nach Auschwitz, später nach Mauthausen gebracht wird, ruft die Protagonistin alle Mächte ihrer kleinen Welt zu ihrer Hilfe herbei: die Wahrsagerin, das Daimonion, die Muttergottes und den Herrgott selber, mit dem sie sogar einen Handel abschließt. Glaube und Zugehörigkeit regieren die Welt, doch sie sind Konstrukte. Hanna Krall hat ihre Reportagen zunehmend literarisiert, ihre Erzählweise mit den leitmotivisch wiederkehrenden Details verknappt. Irrtümlicherweise dachte man, ihr Schreiben, das mit seinen Ellipsen und Parataxen den Gestus der gesprochenen Sprache imitiert, sei an die kurze Form gebunden. In dem Roman "Herzkönig" hat sie nun in der Sprache und in der Handlung die Minimalisierung und Verknappung weiter radikalisiert und so die konzentrierte Stille im Innern erhöht. Erklärungen oder Reflexionen über mögliche Zusammenhänge sind zum Zerreißen lose geknüpft. Im ausgesparten Raum, von wenigen Details erhellt, begegnen sich nur mehr einzelne Menschen.

Kralls atonale Sprache kündet von der "Ungültigkeit jeder Übereinkunft" (Kertész). Das Beziehungsgeflecht ist zerrissen, die schroff montierten Satz- und Gedankengefüge machen den Verlust menschlicher Gewissheiten spürbar. Als es im Getto brennt und sich die blondgefärbte Izolda und ihr Mann längst mit falschen Papieren auf die arische Seite gerettet haben, heißt es: "Es kommt vor, dass auf der Straße an der Straßenbahnhaltestelle jemand sie anspricht. Wenn jemand traurig sagt: ,Jesus Maria was für ein Unglück' oder etwas Ähnliches, dann packt sie die Angst. Warum sagt er das zu ihnen? Sie antworten nicht und gehen schnell weg, von Mitleid und Trauer wollen sie so weit wie möglich weg sein. Und wenn jemand sagt: ,Oho, der Jude wird gebraten', dann sind sie ruhig. Er hält sie für seinesgleichen. Dann haben sie es nicht eilig, dann bleiben sie stehen: Nun ja, er wird gebraten."

Die Welt ist aus den Fugen, wenn man vor dem Mitleid die Flucht ergreift oder wenn "einen Bekannten treffen" ein Synonym für tödliche Bedrohung ist. Durch die Lakonik schafft Krall eine Leichtigkeit, die das Grauen bergen kann. "Je größer die Verzweiflung, desto weniger Sätze braucht man." Diese ihr eigentümliche Reduktion hat Hanna Krall nun in einem Roman zur Meisterschaft gebracht. Schrecken und Staunen breiten sich im Leser aus. Unglaublich, unfassbar bleibt das Überlebthaben.

MARIE LUISE KNOTT.

Hanna Krall: "Herzkönig". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Renate Schmidgall. Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2007. 174 S., geb., 19,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Marie Luise Knott zeichnet den Weg der Autorin nach. Von Hanna Kralls Reportagen im Dienst des kollektiven Gedächtnisses bis zu diesem Roman über eine Liebe im Warschauer Ghetto, mit dem die Autorin ihre Lakonie laut Knott "zur Meisterschaft" bringt. Dass auf diese Weise das Geheimnis der erzählten Geschichte bewahrt bleibt, verbucht Knott als Gewinn, weil für sie im Ausgesparten der "Verlust menschlicher Gewissheiten spürbar" ist. Weil die Autorin Sprache außerdem nicht überformt, ergreifen "Schrecken und Staunen" angesichts der beschriebenen Welt die Rezensentin.

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