Ihre Rituale sind ebenso brutal wie sinnfrei: Drei Jugendliche, die vor der Stumpfsinnigkeit ihres Daseins fliehen, wenden all ihre Aggressionen gegen Rocko, einen Obdachlosen, der ihnen als Punchingball für alle Lebenslagen dient. Rocko wiederum erträgt langmütig alle Misshandlungen - seine Sehnsucht gilt seinem früheren Leben und seiner ihm entwachsenen Tochter, die mit dem Vater nichts zu tun haben will.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2015Harald Darer erzählt vom Abstieg
Rocko ist ein Stadtstreicher, ein Sandler, wie man in Österreich sagt. Im bürgerlichen Leben heißt "Rocko" selbstverständlich anders. Aber sein "bürgerliches Leben" liegt schon länger zurück, so dass er selbst sich daran bloß in kurzen Sequenzen erinnert. Zuletzt klammert er sich gar nurmehr an einen kleinen, schmuddeligen Plüschteddybären. Den hatte er seiner Tochter geschenkt, im hellblauen Rucksack des Kuscheltieres bewahrte sie ihre Buntstifte auf. Sie zeichnete gern, das weiß Rocko auch noch. Aber seit er auf gerichtliche Anordnung das Kind - sie geht jetzt schon auf die "Knödelakademie" - nicht mehr besuchen darf, versteckt er sich immer im letzten Waggon, wenn beide zufällig denselben Zug nehmen müssen; sie zur Schule, er wieder mal zum Arbeitsamt.
Rocko ist nicht einmal der Held in "Herzkörper", dem zweiten Roman von Harald Darer ("Wer mit Hunden schläft" erschien 2013). Helden gibt es bei Darer nicht. Seine tristen Geschichten handeln von Verlierertypen. Von solchen, die schon verloren haben, und solchen, die unausweichlich verlieren werden. Etwa die drei Schulfreunde Andi, Boro und Chris. Boro hat seine Lehrstelle hingeschmissen, wird vermutlich an der Universität ein Studium anfangen. Wenn ihn nicht vorher sein Vater zu Tode prügelt. Die beiden anderen lassen sich beinahe alles von ihren Lehrherren gefallen und ihren Frust darüber aneinander, an Boro und am liebsten, dann zu dritt, an Rocko aus. Diesen mit einem "Doppler Slivowitz" ködern, sich bewusstlos saufen lassen und ihn dann ein bisserl anzünden oder wahlweise auf ihn urinieren, so in der Art.
Darer hat seine Sprache weiterentwickelt, auch seine Form zu erzählen. Es gibt diesmal eine - wenngleich eher verwirrende - Rahmenhandlung um ein Interview mit dem ersten weiblichen Vorstand einer Sozialakademie. Die beiden Ebenen sind eher lose miteinander verknüpft. Was im Leben, mehr ein Durchwursteln und Erdulden, in der Stadtrandsiedlung passiert, schildert Harald Darer in kurzen Kapiteln, deren Chronologie vage bleibt. Eher malt er Szenen aus, allerdings in winterlich-trüben Farben. Bunte Kleckse findet man sehr wenige, und die entwickeln sich am ehesten aus Schadenfreude. Im letzten Abschnitt legt er ein Protokoll an. Dessen hatte er sich in "Wer mit Hunden schläft" noch sehr viel öfter bedient. Eine Schuldfrage stellt er dabei nicht. Es kommt halt, wie es kommt.
Ein herzerwärmendes Buch ist "Herzkörper" keinesfalls. Vielleicht fällt der konsequente und hin und wieder überraschende Einsatz von Austriazismen auf. Wer das mag, wird es hier nicht geringschätzen. Harald Darer ist in der Wortwahl allerdings gleichzeitig etwas derber geworden. Nicht bloß inhaltlich stellt das eine Herausforderung dar. Man kann den schmalen Band zwar nur schwer aus der Hand legen, aber allzu oft wird man ihn nicht lesen.
MARTIN LHOTZKY
Harald Darer: "Herzkörper". Roman.
Picus Verlag, Wien 2015. 206 S., geb., 17,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rocko ist ein Stadtstreicher, ein Sandler, wie man in Österreich sagt. Im bürgerlichen Leben heißt "Rocko" selbstverständlich anders. Aber sein "bürgerliches Leben" liegt schon länger zurück, so dass er selbst sich daran bloß in kurzen Sequenzen erinnert. Zuletzt klammert er sich gar nurmehr an einen kleinen, schmuddeligen Plüschteddybären. Den hatte er seiner Tochter geschenkt, im hellblauen Rucksack des Kuscheltieres bewahrte sie ihre Buntstifte auf. Sie zeichnete gern, das weiß Rocko auch noch. Aber seit er auf gerichtliche Anordnung das Kind - sie geht jetzt schon auf die "Knödelakademie" - nicht mehr besuchen darf, versteckt er sich immer im letzten Waggon, wenn beide zufällig denselben Zug nehmen müssen; sie zur Schule, er wieder mal zum Arbeitsamt.
Rocko ist nicht einmal der Held in "Herzkörper", dem zweiten Roman von Harald Darer ("Wer mit Hunden schläft" erschien 2013). Helden gibt es bei Darer nicht. Seine tristen Geschichten handeln von Verlierertypen. Von solchen, die schon verloren haben, und solchen, die unausweichlich verlieren werden. Etwa die drei Schulfreunde Andi, Boro und Chris. Boro hat seine Lehrstelle hingeschmissen, wird vermutlich an der Universität ein Studium anfangen. Wenn ihn nicht vorher sein Vater zu Tode prügelt. Die beiden anderen lassen sich beinahe alles von ihren Lehrherren gefallen und ihren Frust darüber aneinander, an Boro und am liebsten, dann zu dritt, an Rocko aus. Diesen mit einem "Doppler Slivowitz" ködern, sich bewusstlos saufen lassen und ihn dann ein bisserl anzünden oder wahlweise auf ihn urinieren, so in der Art.
Darer hat seine Sprache weiterentwickelt, auch seine Form zu erzählen. Es gibt diesmal eine - wenngleich eher verwirrende - Rahmenhandlung um ein Interview mit dem ersten weiblichen Vorstand einer Sozialakademie. Die beiden Ebenen sind eher lose miteinander verknüpft. Was im Leben, mehr ein Durchwursteln und Erdulden, in der Stadtrandsiedlung passiert, schildert Harald Darer in kurzen Kapiteln, deren Chronologie vage bleibt. Eher malt er Szenen aus, allerdings in winterlich-trüben Farben. Bunte Kleckse findet man sehr wenige, und die entwickeln sich am ehesten aus Schadenfreude. Im letzten Abschnitt legt er ein Protokoll an. Dessen hatte er sich in "Wer mit Hunden schläft" noch sehr viel öfter bedient. Eine Schuldfrage stellt er dabei nicht. Es kommt halt, wie es kommt.
Ein herzerwärmendes Buch ist "Herzkörper" keinesfalls. Vielleicht fällt der konsequente und hin und wieder überraschende Einsatz von Austriazismen auf. Wer das mag, wird es hier nicht geringschätzen. Harald Darer ist in der Wortwahl allerdings gleichzeitig etwas derber geworden. Nicht bloß inhaltlich stellt das eine Herausforderung dar. Man kann den schmalen Band zwar nur schwer aus der Hand legen, aber allzu oft wird man ihn nicht lesen.
MARTIN LHOTZKY
Harald Darer: "Herzkörper". Roman.
Picus Verlag, Wien 2015. 206 S., geb., 17,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Warm ums Herz ist Rezensent Martin Lhotzky während der Lektüre von Harald Darers neuem Roman "Herzkörper" zwar nicht gerade geworden, dennoch hat er dieses Buch in einem Atemzug gelesen. Einmal mehr begegnen ihm hier veritable Verlierertypen, der Stadtstreicher Rocko etwa, der seine Tochter nicht mehr sehen darf und gelegentlich von den drei halbstarken Schulfreunden Andi, Boro und Chris angezündet oder bepinkelt wird. "Derb" erscheint dem Kritiker auch Darers von Austriazismen durchzogener Erzählton. Denjenigen, die sich an so viel Tristesse nicht stören, kann der Rezensent dieses Buch aber durchaus empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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