"Du warst, als ich dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige." Paul Celan an Ingeborg Bachmann
Die Liebesbeziehung zwischen den beiden bedeutendsten deutschsprachigen Dichtern nach 1945 beginnt im Wien der Nachkriegszeit. Bachmann studiert dort Philosophie, für Paul Celan ist Wien eine Zwischenstation. Im Mai 1948 lernen sie einander kennen, Ende Juni geht er nach Paris. Ihr Briefwechsel nach der Trennung ist zuerst schütter, verläuft zögernd, dann setzt er sich fort in immer neuen dramatischen Phasen. Jede dieser Phasen hat ihr eigenes Gesicht: ihren besonderen Ton, ihre Themen, ihre Hoffnungen, ihre Dynamik, ihre eigene Form des Schweigens. Ende 1961 brechen das briefliche Gespräch und die persönlichen Begegnungen ab, als sich Celans psychische Krise auf dem Höhepunkt der "Goll-Affäre" zuspitzt.Der Briefwechsel zwischen 1948 und 1961 (ein letzter Brief Celans datiert aus dem Juni 1967) ist ein bewegendes Zeugnis: zunächst als das Gespräch einer Liebe nach Auschwitz mit allen symptomatischen Störungen und Krisen aufgrund der so konträren Herkunft der beiden und ihrer schwer zu vereinbarenden Lebensentwürfe als Frau und als Mann und als Schreibende. Aber es ist auch ein Ringen um Freundschaft oder um wenigstens irgendeine Beziehung. Ergänzend zu den beinahe zweihundert Zeugnissen ihrer Korrespondenz wurden die Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange sowie zwischen Paul Celan und Max Frisch in den Band aufgenommen.
Die Liebesbeziehung zwischen den beiden bedeutendsten deutschsprachigen Dichtern nach 1945 beginnt im Wien der Nachkriegszeit. Bachmann studiert dort Philosophie, für Paul Celan ist Wien eine Zwischenstation. Im Mai 1948 lernen sie einander kennen, Ende Juni geht er nach Paris. Ihr Briefwechsel nach der Trennung ist zuerst schütter, verläuft zögernd, dann setzt er sich fort in immer neuen dramatischen Phasen. Jede dieser Phasen hat ihr eigenes Gesicht: ihren besonderen Ton, ihre Themen, ihre Hoffnungen, ihre Dynamik, ihre eigene Form des Schweigens. Ende 1961 brechen das briefliche Gespräch und die persönlichen Begegnungen ab, als sich Celans psychische Krise auf dem Höhepunkt der "Goll-Affäre" zuspitzt.Der Briefwechsel zwischen 1948 und 1961 (ein letzter Brief Celans datiert aus dem Juni 1967) ist ein bewegendes Zeugnis: zunächst als das Gespräch einer Liebe nach Auschwitz mit allen symptomatischen Störungen und Krisen aufgrund der so konträren Herkunft der beiden und ihrer schwer zu vereinbarenden Lebensentwürfe als Frau und als Mann und als Schreibende. Aber es ist auch ein Ringen um Freundschaft oder um wenigstens irgendeine Beziehung. Ergänzend zu den beinahe zweihundert Zeugnissen ihrer Korrespondenz wurden die Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange sowie zwischen Paul Celan und Max Frisch in den Band aufgenommen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2008Du willst das Opfer sein, aber es liegt an dir, es nicht zu sein
An der Kreuzung zweier Lebensachsen: Ihr Briefwechsel zeigt, wie die immer erfolgreicher und selbstbewusster werdende Ingeborg Bachmann von der Geliebten zur Trösterin Paul Celans wurde.
Von Ulla Hahn
Drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg treffen sich ein junger Mann und ein junges Mädchen auf einer Abendgesellschaft in Wien. Er: ein staatenloser Jude aus der Bukowina, fünfundzwanzig Jahre alt, die Eltern von den Nazis ermordet. Sie: eine einundzwanzigjährige Studentin der Philosophie, Tochter eines Klagenfurter Lehrers, ehemaliger Offizier, früh eingetreten in die NSDAP. Sie, in Begleitung eines einflussreichen Mannes des Kulturbetriebs, er, vor kurzem aus Bukarest geflohen, auf dem Weg nach Paris. Einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte ist der Boden bereitet.
Die "romantische Person", so das Mädchen über sich selbst, verliebt sich in den geheimnisvollen Flüchtling, und er schwärmt noch Jahre später: "Du warst, als ich dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige." Doch der Mann ist auf der Durchreise, die Studentin bei der Doktorabeit, nach zwei Monaten ist die Romanze erst einmal zu Ende. Nicht so auf dem Papier. Da geht sie weiter. Mit einem Gedicht, "In Ägypten". "Für Ingeborg" schreibt Celan und schickt es ihr zum zweiundzwanzigsten Geburtstag. Zur Liebesgeschichte kommt Literaturgeschichte.
In seiner Heimat hatte Celan Gedichte geschrieben und veröffentlicht; die Studentin Ingeborg Bachmann eine Erzählung und Gedichte. Dennoch: Die Jüngere himmelt den Älteren an, die Frau den Mann. Sie ist es, die fragt: Soll ich kommen? Wie kann ich helfen? Und sie feiert seine Gedichte. Kurz, sie macht sich zum "kleinen Fisch" für den fernen und eher etwas reserviert reagierenden Geliebten. Dann ist im März der Doktor geschafft, die jetzt vierundzwanzigjährige Bachmann fährt im Oktober nach Paris, bleibt bis Mitte Dezember, reist von dort nach London und im Februar wieder zurück zu Celan. Briefe gibt es erst wieder im Juli 1951 aus Wien, wo die junge Frau Arbeit gefunden hat, zunächst bei der amerikanischen Besatzungsbehörde, später beim Österreichischen Rundfunk. Wieder ist von Liebe und Sehnsucht die Rede, die Redakteurin möchte nun auch konkret etwas für den Geliebten, den Dichter tun: seine Gedichte populär machen, auch eine Form, Liebe zu zeigen. Ihm - und auch sich - will sie einen Platz im Literaturbetrieb erobern, den doch beide verachten. "Ich verstehe Dich, ich kann mit dir fühlen, weil ich nur bestätigt finde, was mir mein eigenes Gefühl sagt. Die Nichtigkeit der Bestrebungen . . . der Kulturbetrieb, in dem ich jetzt selbst mitspiele, all dies widerwärtige Treiben, die dummdreisten Gespräche, die Gefallsüchtigkeit, das großgeschriebene Heute - es wird mir von Tag zu Tag fremder, ich stehe mitten drin und so ist es nur noch gespenstischer, die anderen wohlig turbulieren zu sehen."
Mitte zwanzig ist die Bachmann, als sie dies Anfang der fünfziger Jahre schreibt und - bei allen Bemühungen, auf eigenen Füßen zu stehen - noch nicht frei vom Frauenbild dieser Zeit. Fast unterwürfig bietet sie dem Geliebten ihre Fürsorge an: "Lieber Paul, ich weiß, daß Du mich nicht mehr liebst, daß Du nicht mehr daran denkst, mich zu Dir zu nehmen (welch eine Formulierung! U. H.) doch kann ich nicht anders, als noch zu hoffen, als zu arbeiten, mit der Hoffnung für ein gemeinsames Leben mit Dir einen Boden zu bereiten, der uns eine gewisse finanzielle Sicherheit bietet." Celan antwortet darauf mit dem Angebot von "Freundschaft". "Das Andere ist unrettbar verloren." Denn er ist inzwischen mit Giselle de Lestrange zuammen, Grafikerin, aus begütertem adligen Haus.
Doch auch die Freundschaft zerbricht im Frühjahr 1952 nach dem Treffen der Gruppe 47 in Niendorf, wo Bachmann die Kritiker im Sturm gewinnt, Celan aber mit der "Todesfuge" kopfschüttelnd abgetan wird. Bis zum nächsten Treffen 1957 werden nur wenige Briefe gewechselt. Ingeborg Bachmann festigt ihren Platz im Literaturbetrieb, wird - mit einer Titelseite des "Spiegel" im Jahre 1954 - zum Medienereignis. Celan heiratet Giselle de Lestrange, wird Vater. Bachmann veröffentlicht ihre beiden Gedichtbände "Die gestundete Zeit" und "Anrufung des großen Bären", Celan "Mohn und Gedächtnis" sowie "Von Schwelle zu Schwelle" mit der Widmung "Für Giselle".
Und doch: Fünf Jahre später, nach einer Tagung in Wuppertal, liegen sich Bachmann und Celan wieder in den Armen; wieder werden Briefe geschrieben, sehnsüchtig von beiden Seiten, doch nun begegnet die Bachmann Celan auf Augenhöhe, mehr noch: Sie ist es, die ihn an die Verpflichtungen gegenüber seiner Familie erinnert. "Jeder Tag ist jetzt voll Nachhall. Aber Du darfst meinetwegen jetzt Giselle nicht versäumen." Von nun an lassen sich die Briefe nicht mehr nur als Liebes- und Literaturgeschichte lesen, sondern auch als die Emanzipationsgeschichte der Bachmann. Gemeinsam mit Celan wählt sie Texte für eine Literaturzeitschrift aus, sie ermahnen sich gegenseitig zur Arbeit, schicken und widmen einander Gedichte. Der Plagiatsvorwurf Claire Golls - 1953 zum ersten Mal erhoben - kommt zur Sprache; sie antwortet darauf souverän: "Zu dem neuen Goll-Unfall: ich bitte Dich, laß die Geschichten in Dir zugrunde gehen, dann meine ich, gehen sie auch außen zugrund. Mir ist oft, als könnten die Verfolgungen uns nur etwas anhaben, solang wir bereit sind, uns verfolgen zu lassen."
Zum letzten Mal treffen sich Bachmann und Celan im Mai 1958 in Paris, zum ersten Mal begegnet sie hier Max Frisch. "Ich bin sehr froh, sehr aufgehoben in Güte und Liebe und Verständnis", schreibt sie Celan, der erneut vom Geliebten zum Freund wird; aber auch: "und ich bin nur manchmal traurig über mich selbst, weil eine Angst und ein Zweifel nicht ganz weggehen, der mich selbst betrifft, nicht ihn. Ich glaube, ich darf Dir das sagen, wir wissen es doch, - daß es für uns fast unmöglich ist, mit einem anderen Menschen zu leben." Die Geborgenheit, die sie bei Max Frisch findet, macht sie für Celan zu einer starken, selbstbewussten Freundin. Der braucht diese Freundschaft wie nie zuvor. Claire Golls Plagiatsvorwurf ist nicht aus der Medienwelt zu schaffen; auf die Zusendung einer antisemitischen Karikatur nach einer Lesung Celans in Bonn antwortet sie: "gehört in den Papierkorb . . . Wie das Böse aus der Welt zu schaffen ist, weiß ich nicht . . . Aber Du bist da und hast Deine Wirkung und die Gedichte wirken für sich und beschützen Dich mit - das ist die Antwort und ein Gegengewicht in der Welt."
Doch diesem Gegengewicht vermochte Celan nicht zu trauen. Wollte - oder konnte - seine Gedichte nicht als ästhetische Gebilde betrachten; sah sie vielmehr in erster Linie als Lebenszeugnis und Bekenntnis. Verständlich, wenn man weiß, dass er die "Todesfuge" ein "Grabmal" für seine Mutter nannte. Immer radikaler scheint er seine Existenz auf das "Jude-sein" zu reduzieren, was ihm die Grenzen zwischen ästhetischer Kritik und antisemitischem Ressentiment verschwimmen lässt. So ist auch seine vehemente Reaktion auf die Kritik Günter Blöckers an "Sprachgitter" zu erklären, die sogar seine besten Freunde als unverhältnismäßig empfanden. Hier ist nicht Raum, um Blöckers Kritik und Celans Entgegnung abzudrucken. Aber auch wenn Kommentatoren damals und heute die Kritik als "latent antisemitisch" ansehen: Ich kann mich dem nicht anschließen. Blöcker bezog sich eindeutig auf die Freiheit der Wörter, die Celan aus seiner sprachlichen "Herkunft" gewinnen konnte.
In meiner Lesart der Briefe tritt hier zur Liebes-, Literatur- und Emanzipationsgeschichte die Geschichte eines Mannes, dem, mit Kleist gesprochen, "auf dieser Erde nicht zu helfen war". Beinah triumphierend sammelt Celan Beweise; etwa wenn er Giselle in einem Brief von Nelly Sachs erzählt: "Anläßlich eines Briefes von Ingeborg - geschrieben nach meinem Telefonaufruf (es ging um den Wortlaut der Erwiderung auf Blöckers Kritik U. H.) dem I. ein paar weiße Handschuhe beigelegt hatte, hat Nelly gesagt: ,Weiße Handschuhe, das heißt doch: je lave mes mains dans l'innocence - ich wasche meine Hände in Unschuld - also ein Beweis von Falschheit!!!'"
Nicht mit Verständnis und auch nicht mit Anerkennung ist ihm zu helfen, nicht einmal mit dem Büchner-Preis, nur drei Monate nachdem er Nelly Sachs noch geschrieben hatte: "Täglich kommt mir die Gemeinheit ins Haus . . . Was steht uns Juden noch bevor?" Nicht mit dem Hinweis der Bachmann auf den Verriss ihres eigenen zweiten Gedichtbandes durch Blöcker und ihrer berechtigten Frage: "Ob diesmal (bei Celan U. H.) Antisemitismus der Grund ist? . . . sicher bin ich nicht". Nicht mit Zuspruch: "Paul, ich fürchte oft, daß Du überhaupt nicht wahrnimmst, wie sehr Deine Gedichte bewundert werden, . . . ja, daß nur Deines Ruhmes wegen . . . immer wieder der Versuch gemacht werden wird, ihn zu schmälern". Celans Antwort: "Ich muß Dich jetzt bitten, mir nicht zu schreiben, mich nicht anzurufen, mir keine Bücher zu schicken, nicht jetzt, nicht in den nächsten Monaten - lange nicht."
Was immer seine Freunde nun auch tun, nichts kann ihn beruhigen, nichts das Gefühl tilgen, verraten worden zu sein. Die private Geschichte gewinnt eine zusätzliche, eine politische Dimension. Die Mühen der Verständigung, die Schwierigkeiten, die "wahren Worte" zu finden, gelten nicht nur für Dichterin und Dichter. Galten und gelten nicht nur dort, wo es um Literatur geht. Celans Empfindsamkeit ist die sehr verständliche Folge seines Schicksals. Missverständnisse liegen nah, wann immer die nationalsozialistische Vergangenheit zur Sprache gebracht wird. Die Walser-Bubis Debatte hat dies noch einmal gezeigt. Gezeigt aber auch, dass bei allen Unterschieden die Bereitschaft zum Verständnis besteht. Damals wie heute. "Laß uns die Worte finden", telegrafiert die Bachmann, nachdem Celan sie um Verständnis für seinen "Notschrei" gebeten hat, den sie nicht gehört habe. Vermutlich aber wurden diese Worte nicht gefunden, denn drei Monate später schreibt die Bachmann: "Lieber Paul, nach allem, was geschehen ist, glaube ich, daß es für uns kein Weiter mehr gibt. Es ist mir nicht mehr möglich. Es fällt mir sehr schwer, das zu sagen. Ich wünsche Dir alles Gute." Celan darauf: "Du hast Dich verabenteuert . . . Da kommt so ein Blöcker daher, kommt ein Gräberschänder, ich schreibe Dir in der Verzweiflung, und Du hast kein Wort keine Silbe für mich übrig, Du fährst zu Literatentagungen . . . Schämst Du Dich nicht, Ingeborg?"
Die Bachmann übergeht diesen Brief, bedankt sich herzlich für die Übersetzung Valérys "Die junge Parze", Freundschaft scheint noch einmal möglich. "Ich glaube an Gespräche, Ingeborg, Ja, laß uns miteinander sprechen -" Bachmanns Antwort darauf ist der Angelpunkt dieser Briefsammlung. Liebes- und Literaturgeschichte, das Zu-sich-Kommen der Bachmann, das Sich-Verstricken Celans und die Verkettung des privaten mit dem politischen Schicksal fallen nun zusammen in der Reflexion einer reifen selbstbewussten Schriftstellerin. Dreizehn Jahre sind seit den Tagen in Wien vergangen. "Wer bin ich für Dich, wer nach soviel Jahren?" Dass er wie kein anderer die Macht habe, sie zu verletzten, gesteht sie ihm und macht ihm zum ersten Mal klar, dass er nicht der Einzige ist, der unter Kritiken zu leiden habe. Die aber tue sie ab, da sie wisse, "daß der Weg, den ich eingeschlagen habe, nicht mit Rosen eingefaßt sein würde". Ihm aber sagt sie: "Du willst das Opfer sein, aber es liegt an dir, es nicht zu sein . . . Du willst, daß es (Klatsch und Kritik, U. H.) stärker ist, Du willst Dich begraben lassen darunter . . . Du willst, daß sie Schuld haben an Dir". Und sie mahnt: "Ich glaube wirklich, daß das größere Unglück in dir selbst ist. Das Erbärmliche, das von außen kommt . . . ist zwar vergiftend, aber es ist zu überstehen, es muß zu überstehen sein. Es kann jetzt nur von Dir abhängen, ihm richtig zu begegnen." Auch die Bachmann hat wohl nicht das ganze Ausmaß der Verletzbarkeit des so früh Verfolgten, sein depressives Trauma erfassen können.
Abgeschickt hat sie diesen Brief nicht, der sich im Nachhinein auch lesen lässt wie eine Selbstermutigung. Denn kaum ein Jahr später ist die Bachmann allein, Frisch hat sie verlassen. Im letzten Brief an Celan heißt es: "Oft kommt mir vor, daß Du auch schon weißt, wieviel an Dir liegt und daß Du Dich von da her fassen kannst, wo Du Dich einsiehst. Unsere Lektionen werden immer schwieriger. Laß sie uns lernen." Ob sie ahnte, was ihr selbst noch zu lernen bevorstand?
Bleibt die Frage, ob Leser Bachmanns und Celans mit Kenntnis des Briefwechsels deren Werke jetzt mit anderen Augen sehen. Wem es Freude macht, in literarischen Texten biographische Bezüge oder wechselseitige Einflüsse aufzuspüren, findet Anregungen, die die "Poetischen Korrespondenzen", so der Titel des von Bernhard Böschenstein und Sigrid Weigel 1997 edierten Bandes zum Werk der beiden Autoren, noch erweitern können. Nichts aber spricht dagegen, "Herzzeit" als eine sich überlagernde Sammlung von Geschichten in privaten, literarischen und politischen Dialogen zu lesen und sich dennoch an Lyrik und Prosa der Autoren nur mit der doch einzig gültigen Frage des Lesers zu erfreuen: Was sagt dieser Text mir?
- "Herzzeit. Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Der Briefwechsel". Hrsg. u. kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 404 S., Abb., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
An der Kreuzung zweier Lebensachsen: Ihr Briefwechsel zeigt, wie die immer erfolgreicher und selbstbewusster werdende Ingeborg Bachmann von der Geliebten zur Trösterin Paul Celans wurde.
Von Ulla Hahn
Drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg treffen sich ein junger Mann und ein junges Mädchen auf einer Abendgesellschaft in Wien. Er: ein staatenloser Jude aus der Bukowina, fünfundzwanzig Jahre alt, die Eltern von den Nazis ermordet. Sie: eine einundzwanzigjährige Studentin der Philosophie, Tochter eines Klagenfurter Lehrers, ehemaliger Offizier, früh eingetreten in die NSDAP. Sie, in Begleitung eines einflussreichen Mannes des Kulturbetriebs, er, vor kurzem aus Bukarest geflohen, auf dem Weg nach Paris. Einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte ist der Boden bereitet.
Die "romantische Person", so das Mädchen über sich selbst, verliebt sich in den geheimnisvollen Flüchtling, und er schwärmt noch Jahre später: "Du warst, als ich dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige." Doch der Mann ist auf der Durchreise, die Studentin bei der Doktorabeit, nach zwei Monaten ist die Romanze erst einmal zu Ende. Nicht so auf dem Papier. Da geht sie weiter. Mit einem Gedicht, "In Ägypten". "Für Ingeborg" schreibt Celan und schickt es ihr zum zweiundzwanzigsten Geburtstag. Zur Liebesgeschichte kommt Literaturgeschichte.
In seiner Heimat hatte Celan Gedichte geschrieben und veröffentlicht; die Studentin Ingeborg Bachmann eine Erzählung und Gedichte. Dennoch: Die Jüngere himmelt den Älteren an, die Frau den Mann. Sie ist es, die fragt: Soll ich kommen? Wie kann ich helfen? Und sie feiert seine Gedichte. Kurz, sie macht sich zum "kleinen Fisch" für den fernen und eher etwas reserviert reagierenden Geliebten. Dann ist im März der Doktor geschafft, die jetzt vierundzwanzigjährige Bachmann fährt im Oktober nach Paris, bleibt bis Mitte Dezember, reist von dort nach London und im Februar wieder zurück zu Celan. Briefe gibt es erst wieder im Juli 1951 aus Wien, wo die junge Frau Arbeit gefunden hat, zunächst bei der amerikanischen Besatzungsbehörde, später beim Österreichischen Rundfunk. Wieder ist von Liebe und Sehnsucht die Rede, die Redakteurin möchte nun auch konkret etwas für den Geliebten, den Dichter tun: seine Gedichte populär machen, auch eine Form, Liebe zu zeigen. Ihm - und auch sich - will sie einen Platz im Literaturbetrieb erobern, den doch beide verachten. "Ich verstehe Dich, ich kann mit dir fühlen, weil ich nur bestätigt finde, was mir mein eigenes Gefühl sagt. Die Nichtigkeit der Bestrebungen . . . der Kulturbetrieb, in dem ich jetzt selbst mitspiele, all dies widerwärtige Treiben, die dummdreisten Gespräche, die Gefallsüchtigkeit, das großgeschriebene Heute - es wird mir von Tag zu Tag fremder, ich stehe mitten drin und so ist es nur noch gespenstischer, die anderen wohlig turbulieren zu sehen."
Mitte zwanzig ist die Bachmann, als sie dies Anfang der fünfziger Jahre schreibt und - bei allen Bemühungen, auf eigenen Füßen zu stehen - noch nicht frei vom Frauenbild dieser Zeit. Fast unterwürfig bietet sie dem Geliebten ihre Fürsorge an: "Lieber Paul, ich weiß, daß Du mich nicht mehr liebst, daß Du nicht mehr daran denkst, mich zu Dir zu nehmen (welch eine Formulierung! U. H.) doch kann ich nicht anders, als noch zu hoffen, als zu arbeiten, mit der Hoffnung für ein gemeinsames Leben mit Dir einen Boden zu bereiten, der uns eine gewisse finanzielle Sicherheit bietet." Celan antwortet darauf mit dem Angebot von "Freundschaft". "Das Andere ist unrettbar verloren." Denn er ist inzwischen mit Giselle de Lestrange zuammen, Grafikerin, aus begütertem adligen Haus.
Doch auch die Freundschaft zerbricht im Frühjahr 1952 nach dem Treffen der Gruppe 47 in Niendorf, wo Bachmann die Kritiker im Sturm gewinnt, Celan aber mit der "Todesfuge" kopfschüttelnd abgetan wird. Bis zum nächsten Treffen 1957 werden nur wenige Briefe gewechselt. Ingeborg Bachmann festigt ihren Platz im Literaturbetrieb, wird - mit einer Titelseite des "Spiegel" im Jahre 1954 - zum Medienereignis. Celan heiratet Giselle de Lestrange, wird Vater. Bachmann veröffentlicht ihre beiden Gedichtbände "Die gestundete Zeit" und "Anrufung des großen Bären", Celan "Mohn und Gedächtnis" sowie "Von Schwelle zu Schwelle" mit der Widmung "Für Giselle".
Und doch: Fünf Jahre später, nach einer Tagung in Wuppertal, liegen sich Bachmann und Celan wieder in den Armen; wieder werden Briefe geschrieben, sehnsüchtig von beiden Seiten, doch nun begegnet die Bachmann Celan auf Augenhöhe, mehr noch: Sie ist es, die ihn an die Verpflichtungen gegenüber seiner Familie erinnert. "Jeder Tag ist jetzt voll Nachhall. Aber Du darfst meinetwegen jetzt Giselle nicht versäumen." Von nun an lassen sich die Briefe nicht mehr nur als Liebes- und Literaturgeschichte lesen, sondern auch als die Emanzipationsgeschichte der Bachmann. Gemeinsam mit Celan wählt sie Texte für eine Literaturzeitschrift aus, sie ermahnen sich gegenseitig zur Arbeit, schicken und widmen einander Gedichte. Der Plagiatsvorwurf Claire Golls - 1953 zum ersten Mal erhoben - kommt zur Sprache; sie antwortet darauf souverän: "Zu dem neuen Goll-Unfall: ich bitte Dich, laß die Geschichten in Dir zugrunde gehen, dann meine ich, gehen sie auch außen zugrund. Mir ist oft, als könnten die Verfolgungen uns nur etwas anhaben, solang wir bereit sind, uns verfolgen zu lassen."
Zum letzten Mal treffen sich Bachmann und Celan im Mai 1958 in Paris, zum ersten Mal begegnet sie hier Max Frisch. "Ich bin sehr froh, sehr aufgehoben in Güte und Liebe und Verständnis", schreibt sie Celan, der erneut vom Geliebten zum Freund wird; aber auch: "und ich bin nur manchmal traurig über mich selbst, weil eine Angst und ein Zweifel nicht ganz weggehen, der mich selbst betrifft, nicht ihn. Ich glaube, ich darf Dir das sagen, wir wissen es doch, - daß es für uns fast unmöglich ist, mit einem anderen Menschen zu leben." Die Geborgenheit, die sie bei Max Frisch findet, macht sie für Celan zu einer starken, selbstbewussten Freundin. Der braucht diese Freundschaft wie nie zuvor. Claire Golls Plagiatsvorwurf ist nicht aus der Medienwelt zu schaffen; auf die Zusendung einer antisemitischen Karikatur nach einer Lesung Celans in Bonn antwortet sie: "gehört in den Papierkorb . . . Wie das Böse aus der Welt zu schaffen ist, weiß ich nicht . . . Aber Du bist da und hast Deine Wirkung und die Gedichte wirken für sich und beschützen Dich mit - das ist die Antwort und ein Gegengewicht in der Welt."
Doch diesem Gegengewicht vermochte Celan nicht zu trauen. Wollte - oder konnte - seine Gedichte nicht als ästhetische Gebilde betrachten; sah sie vielmehr in erster Linie als Lebenszeugnis und Bekenntnis. Verständlich, wenn man weiß, dass er die "Todesfuge" ein "Grabmal" für seine Mutter nannte. Immer radikaler scheint er seine Existenz auf das "Jude-sein" zu reduzieren, was ihm die Grenzen zwischen ästhetischer Kritik und antisemitischem Ressentiment verschwimmen lässt. So ist auch seine vehemente Reaktion auf die Kritik Günter Blöckers an "Sprachgitter" zu erklären, die sogar seine besten Freunde als unverhältnismäßig empfanden. Hier ist nicht Raum, um Blöckers Kritik und Celans Entgegnung abzudrucken. Aber auch wenn Kommentatoren damals und heute die Kritik als "latent antisemitisch" ansehen: Ich kann mich dem nicht anschließen. Blöcker bezog sich eindeutig auf die Freiheit der Wörter, die Celan aus seiner sprachlichen "Herkunft" gewinnen konnte.
In meiner Lesart der Briefe tritt hier zur Liebes-, Literatur- und Emanzipationsgeschichte die Geschichte eines Mannes, dem, mit Kleist gesprochen, "auf dieser Erde nicht zu helfen war". Beinah triumphierend sammelt Celan Beweise; etwa wenn er Giselle in einem Brief von Nelly Sachs erzählt: "Anläßlich eines Briefes von Ingeborg - geschrieben nach meinem Telefonaufruf (es ging um den Wortlaut der Erwiderung auf Blöckers Kritik U. H.) dem I. ein paar weiße Handschuhe beigelegt hatte, hat Nelly gesagt: ,Weiße Handschuhe, das heißt doch: je lave mes mains dans l'innocence - ich wasche meine Hände in Unschuld - also ein Beweis von Falschheit!!!'"
Nicht mit Verständnis und auch nicht mit Anerkennung ist ihm zu helfen, nicht einmal mit dem Büchner-Preis, nur drei Monate nachdem er Nelly Sachs noch geschrieben hatte: "Täglich kommt mir die Gemeinheit ins Haus . . . Was steht uns Juden noch bevor?" Nicht mit dem Hinweis der Bachmann auf den Verriss ihres eigenen zweiten Gedichtbandes durch Blöcker und ihrer berechtigten Frage: "Ob diesmal (bei Celan U. H.) Antisemitismus der Grund ist? . . . sicher bin ich nicht". Nicht mit Zuspruch: "Paul, ich fürchte oft, daß Du überhaupt nicht wahrnimmst, wie sehr Deine Gedichte bewundert werden, . . . ja, daß nur Deines Ruhmes wegen . . . immer wieder der Versuch gemacht werden wird, ihn zu schmälern". Celans Antwort: "Ich muß Dich jetzt bitten, mir nicht zu schreiben, mich nicht anzurufen, mir keine Bücher zu schicken, nicht jetzt, nicht in den nächsten Monaten - lange nicht."
Was immer seine Freunde nun auch tun, nichts kann ihn beruhigen, nichts das Gefühl tilgen, verraten worden zu sein. Die private Geschichte gewinnt eine zusätzliche, eine politische Dimension. Die Mühen der Verständigung, die Schwierigkeiten, die "wahren Worte" zu finden, gelten nicht nur für Dichterin und Dichter. Galten und gelten nicht nur dort, wo es um Literatur geht. Celans Empfindsamkeit ist die sehr verständliche Folge seines Schicksals. Missverständnisse liegen nah, wann immer die nationalsozialistische Vergangenheit zur Sprache gebracht wird. Die Walser-Bubis Debatte hat dies noch einmal gezeigt. Gezeigt aber auch, dass bei allen Unterschieden die Bereitschaft zum Verständnis besteht. Damals wie heute. "Laß uns die Worte finden", telegrafiert die Bachmann, nachdem Celan sie um Verständnis für seinen "Notschrei" gebeten hat, den sie nicht gehört habe. Vermutlich aber wurden diese Worte nicht gefunden, denn drei Monate später schreibt die Bachmann: "Lieber Paul, nach allem, was geschehen ist, glaube ich, daß es für uns kein Weiter mehr gibt. Es ist mir nicht mehr möglich. Es fällt mir sehr schwer, das zu sagen. Ich wünsche Dir alles Gute." Celan darauf: "Du hast Dich verabenteuert . . . Da kommt so ein Blöcker daher, kommt ein Gräberschänder, ich schreibe Dir in der Verzweiflung, und Du hast kein Wort keine Silbe für mich übrig, Du fährst zu Literatentagungen . . . Schämst Du Dich nicht, Ingeborg?"
Die Bachmann übergeht diesen Brief, bedankt sich herzlich für die Übersetzung Valérys "Die junge Parze", Freundschaft scheint noch einmal möglich. "Ich glaube an Gespräche, Ingeborg, Ja, laß uns miteinander sprechen -" Bachmanns Antwort darauf ist der Angelpunkt dieser Briefsammlung. Liebes- und Literaturgeschichte, das Zu-sich-Kommen der Bachmann, das Sich-Verstricken Celans und die Verkettung des privaten mit dem politischen Schicksal fallen nun zusammen in der Reflexion einer reifen selbstbewussten Schriftstellerin. Dreizehn Jahre sind seit den Tagen in Wien vergangen. "Wer bin ich für Dich, wer nach soviel Jahren?" Dass er wie kein anderer die Macht habe, sie zu verletzten, gesteht sie ihm und macht ihm zum ersten Mal klar, dass er nicht der Einzige ist, der unter Kritiken zu leiden habe. Die aber tue sie ab, da sie wisse, "daß der Weg, den ich eingeschlagen habe, nicht mit Rosen eingefaßt sein würde". Ihm aber sagt sie: "Du willst das Opfer sein, aber es liegt an dir, es nicht zu sein . . . Du willst, daß es (Klatsch und Kritik, U. H.) stärker ist, Du willst Dich begraben lassen darunter . . . Du willst, daß sie Schuld haben an Dir". Und sie mahnt: "Ich glaube wirklich, daß das größere Unglück in dir selbst ist. Das Erbärmliche, das von außen kommt . . . ist zwar vergiftend, aber es ist zu überstehen, es muß zu überstehen sein. Es kann jetzt nur von Dir abhängen, ihm richtig zu begegnen." Auch die Bachmann hat wohl nicht das ganze Ausmaß der Verletzbarkeit des so früh Verfolgten, sein depressives Trauma erfassen können.
Abgeschickt hat sie diesen Brief nicht, der sich im Nachhinein auch lesen lässt wie eine Selbstermutigung. Denn kaum ein Jahr später ist die Bachmann allein, Frisch hat sie verlassen. Im letzten Brief an Celan heißt es: "Oft kommt mir vor, daß Du auch schon weißt, wieviel an Dir liegt und daß Du Dich von da her fassen kannst, wo Du Dich einsiehst. Unsere Lektionen werden immer schwieriger. Laß sie uns lernen." Ob sie ahnte, was ihr selbst noch zu lernen bevorstand?
Bleibt die Frage, ob Leser Bachmanns und Celans mit Kenntnis des Briefwechsels deren Werke jetzt mit anderen Augen sehen. Wem es Freude macht, in literarischen Texten biographische Bezüge oder wechselseitige Einflüsse aufzuspüren, findet Anregungen, die die "Poetischen Korrespondenzen", so der Titel des von Bernhard Böschenstein und Sigrid Weigel 1997 edierten Bandes zum Werk der beiden Autoren, noch erweitern können. Nichts aber spricht dagegen, "Herzzeit" als eine sich überlagernde Sammlung von Geschichten in privaten, literarischen und politischen Dialogen zu lesen und sich dennoch an Lyrik und Prosa der Autoren nur mit der doch einzig gültigen Frage des Lesers zu erfreuen: Was sagt dieser Text mir?
- "Herzzeit. Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Der Briefwechsel". Hrsg. u. kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 404 S., Abb., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2008Es ist Zeit, dass man weiß!
Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan – ein literaturgeschichtliches Ereignis
In „Corona”, dem wohl schönsten Gedicht Paul Celans, heißt es: „Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten: / wir sehen uns an, / wir sagen uns Dunkles, / wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis (. . . )”. Lange ahnte niemand, dass sich hinter dieser „Geliebten” Ingeborg Bachmann verbirgt. Der Briefwechsel zwischen den beiden Dichtern erscheint jetzt nach vielen Jahren des Raunens, und er wird nicht nur die Fachwelt für längere Zeit in Atem halten. Es ist ein Drama mit allem, was dazugehört: Verwicklungen, Dreiecksgeschichten, Höhenflüge des Gefühls und abrupte Abstürze, Schürzungen des Knotens und das Bewusstsein, dass es keine Lösung geben wird.
Bachmann und Celan verbringen im Frühling des Jahres 1948 wenige Wochen zusammen in Wien. Er ist 27 Jahre alt, sie noch nicht einmal 22. Die Personen, die sich da begegnen, haben wenig mit denen zu tun, die in den siebziger und achtziger Jahren die Lesebücher und Seminare beherrschen werden. Es handelt sich um eine schwarz-weiß verwischte Vorgeschichte der Literaturgeschichte, ganz im Stil des Orson Welles-Films „Der dritte Mann”, der zur selben Zeit im Wiener Untergrund spielt. Den dritten Mann gibt hier jemand namens Hans Weigel. Bachmann hat ein Verhältnis mit diesem viel älteren Emigranten, einem wichtigen Multiplikator im Literaturbetrieb, und sie löst dieses Verhältnis auch nicht, als sie Celan trifft. Sie sehen sich am 16. Mai 1948 zum ersten Mal. Bachmann schreibt an ihre Eltern, dass sie auf einer Party „den bekannten Lyriker Paul Celan etwas ins Auge fasste”. Drei Tage später fügt sie hinzu, dass er „sich herrlicherweise” in sie „verliebt” habe: „Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.”
Diese Briefe – damals nannte man eine junge Dame mit solch frivolem Touch gern „Backfisch” –sind nahezu die einzigen direkten Zeugnisse jenes Frühlings. Celan zieht weiter nach Paris. Bald aber wird der gemeinsame Frühling zu einem Mirakel. Bachmann bekennt: „Ich werd gewiss nie mehr durch den Stadtpark gehen, ohne zu wissen, dass er die ganze Welt sein kann, und ohne wieder der kleine Fisch von damals zu werden.”
Ästhetische Fragen spielen in diesem Briefwechsel kaum eine Rolle. Er handelt von intimsten Gefühlen. So etwas hat man von Bachmann wie von Celan bisher noch nicht gelesen. Bachmann kommt im Herbst 1950 nach Paris. Über den Versuch eines gemeinsamen Lebens in Celans Hotelzimmer erfahren wir nur, dass Bachmann nach einem Monat auszieht – „als die Ehe strindbergisch wurde”, wie sie an Hans Weigel schreibt. Die Spannung zwischen den unterschiedlichen Lebensläufen scheint unerträglich geworden zu sein – zwischen dem Czernowitzer, knapp dem Massenmord an den Juden entronnen, und der Klagenfurterin, die diese Stadt mit Adolf Hitler teilen musste. Aber vermutlich ist dies nicht die einzige Erklärung. Wenn Celan später schreiben wird: „Du warst beides für mich: das Sinnliche und das Geistige”, dann ist, bei allem Pathos, etwas von der Dynamik angedeutet – die gegenseitige Anziehung und Abstoßung zweier Schriftsteller, die zwischen Leben und Schreiben nicht trennen wollen. In den Monaten danach wird sich Bachmann über ihre Liebe immer klarer, aber auf verzweifelte Weise: „Ich liebe Dich und will Dich nicht lieben.”
Den ersten Kulminationspunkt erreicht der Briefwechsel im Spätherbst 1951. Zur selben Zeit, als Celan seine künftige Ehefrau Gisèle kennenlernt, will Bachmann eine feste Stellung beim Radio annehmen, „für uns”, bietet ihm finanzielle Sicherheit an. Sie leidet zusehends am Kulturbetrieb, obwohl sie sich erfolgreich in ihm zu bewegen beginnt. Sie spürt, „dass ich niemand habe außer Dir”, niemanden, der sonst das „Andere” zu leben versucht. Die harsche Absage Celans trifft sie wie ein Schlag: „Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und ich habe verloren.” Es ist die Zeit, in der sie ihren Band „Die gestundete Zeit” zusammenstellt und sich in etlichen Gedichten an Celan abarbeitet, mit vielen wörtlichen Zitaten und Anspielungen. Fast könnte man meinen – sie legt es nahe – sie sei durch ihn der Literatur selbst begegnet.
Der Briefwechsel leuchtet auch den Hintergrund jenes Fotos aus, das als einziges Bachmann und Celan zusammen zeigt. Es wurde bei dem Treffen der Gruppe 47 im Mai 1952 gemacht: Bachmann, die ängstlich zu Celan blickt; Celan, der starr wirkt, wie in sich gefangen. Es war nur wenige Monate nach der Zurückweisung Bachmanns durch Celan, dennoch hatte sie bis zum Schluss mit dem Gruppenchef Hans Werner Richter um die Teilnahme Celans gekämpft: „Und lies unbedingt die ‚Todesfuge’ – trotz allem – denn ich glaube, die Gruppe 47 ein wenig zu kennen.” Ausgerechnet Bachmann wird gegen Celan bei dieser Tagung in den Gruppendiskussionen ausgespielt, Celan lastet Bachmann das auch an. Der Briefwechsel ebbt ab, für fünfeinhalb Jahre.
Dann aber kommt es zum Unerhörten. Bachmann und Celan begegnen sich im Oktober 1957 zufällig auf einer Tagung in Wuppertal. Und nun schickt Celan Bachmann fast jeden Tag ein neues Gedicht sowie glühende Liebesbriefe. Sein Gedicht „Köln, Am Hof”, das über Jahre hinweg ausgefeilteste Exegesen auslöste, wird jetzt durch die Entstehungsgeschichte transparent: Celan und Bachmann mieteten in der Nacht des 14. Oktober ein Hotelzimmer in Köln, mit der Adresse „Am Hof”, und das Gedicht reagiert auf diese Liebesnacht – „Ihr Dome. // Ihr Dome ungesehn, / ihr Ströme unbelauscht, / ihr Uhren tief in uns.”
Das Verhältnis der beiden scheint sich umzukehren: jetzt ist es Celan, der Bachmann mit Liebesbekundungen überhäuft. Bachmann bittet ihn, ihre „Lieder auf der Flucht” noch einmal zu lesen: „In jenem Winter vor zwei Jahren bin ich am Ende gewesen und habe die Verwerfung angenommen. Ich habe nicht mehr gehofft, freigesprochen zu werden. Zu welchem Ende?” Sie ahnt, dass die neue Konstellation sie überfordern könnte. Celan besucht Bachmann in den nächsten Monaten mehrfach auf Lesereisen in der Bundesrepublik, und als sie eine Lesung in Wien hat, schickt er ihr in einem Briefumschlag nur folgende Zeilen: „Du liest jetzt. Ich denk an Deine Stimme.”
In Celans Gedicht „Köln, Am Hof” heißt es: „Verbannt und Verloren / waren daheim”. „Am Hof” gehörte zum ehemaligen Judenviertel. Bachmann, die mittlerweile in München wohnt, widmet Celan ihren Band „Die gestundete Zeit” mit den Worten: „München, Am Hof”, nimmt das „Verbannt und Verloren” in Celans Gedicht also auch als ihren Ort an, vor allem ihren Part der „Verlorenen”. Bachmann identifiziert sich mit Celan im Bewusstsein, dass dies nicht lebbar ist. Schon bald wirft die „Goll-Affäre” ihre ersten Schatten: Claire Goll, die Witwe Yvan Golls, verleumdet Celan mit perfiden, haltlosen Plagiatsvorwürfen, und Celan reagiert darauf nicht einfach nur überempfindlich – diese Verleumdung aktualisiert sein Trauma, ein überlebender Jude zu sein. Sie ist der Auslöser für seine ernsthafte psychische Erkrankung.
Es entwickelt sich eine verständnisvolle Beziehung zwischen Celans Geliebter und Celans Ehefrau, im Sommer fährt Bachmann zu einer Klärung nach Paris. Die Daten sind wie aus einem Film, dessen Drehbuch offensichtliche psychologische Fährten legen möchte: Am 2. Juli 1958 hat Bachmann das letzte Gespräch mit Celan, am 3. Juli beginnt sie, noch in Paris, ihre Liaison mit Max Frisch. Gleich schreibt sie jedoch an Celan: „Der vergangene Herbst drängt sich in diesen Herbst”, und sie wird zwischen der Bindung zu Celan und dem Zusammenleben mit Max Frisch fast zerrissen.
Ingeborg Bachmann ist die Heldin dieses Briefwechsels, sie kämpft beherzt auf verlorenem Posten und zerbricht schließlich daran. Welche Rolle Celan in ihrem Leben spielte, hat man bisher, trotz aller Indizien, unterschätzt. In ihrem Roman „Malina” konfrontiert sie später ihre weibliche Hauptfigur mit einer unverkennbaren Celan-Gestalt: „Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.” Das ist viel konkreter, als man lange glaubte.
Max Frisch wirkt dagegen kläglich. Als Celan beide, Bachmann und Frisch, um Unterstützung gegen eine von ihm (zurecht) als antisemitisch empfundene Kritik von Günter Blöcker bittet und dabei auf die „Todeslager” zu sprechen kommt, reduziert Frisch dies auf die üblichen Autorenprobleme mit Verrissen. Er, der Schweizer, schreibt an den überlebenden Juden: „Wäre in Ihnen, mit Bezug auf diese Kritik, auch nur ein Funke gekränkter Eitelkeit, so wäre ja die Nennung der Todeslager, scheint mir, unerlaubt, ungeheuerlich.” Bachmann dagegen ahnt, was hier vorgeht, sie fleht Celan an, doch zu sehen, wie viele Freunde er habe, wie groß seine Anerkennung sei: „Du willst das Opfer sein”, schreibt sie in einem nicht abgeschickten, beeindruckenden Brief, „ich glaube wirklich, dass das größere Unglück in Dir selbst ist.”
Es gibt mehrere Stellen in diesem Briefwechsel, an denen einem der Atem stockt. Einmal geht es um die Haltung Bachmanns und Celans zu Martin Heidegger. Bachmann lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Zusammenhang zwischen Heideggers Denken und seiner anfänglichen Begeisterung für den Nationalsozialismus sieht. Celan aber schreibt: „Ich bin, Du weißts, sicherlich der letzte, der über die Freiburger Rektoratsrede und einiges andere hinwegsehen kann; aber ich sage mir auch, zumal jetzt, da ich meine höchst konkreten Erfahrungen mit so patentierten Antinazis wie Böll oder Andersch gemacht habe, dass derjenige, der an seinen Verfehlungen würgt, besser ist als derjenige, der sich in seiner seinerzeitigen Unbescholtenheit auf das bequemste und einträglichste eingerichtet hat.” Diese Sätze bilden einen schwierig zu handhabenden, kaum benutzten Schlüssel zum Verständnis Celans. Es geht ihm weniger um die Vergangenheit als um die unbedingte Gegenwart.
Das Aufgebot an Herausgebern dieses Briefwechsels ist beträchtlich: jeweils zwei aus der Celan- und der Bachmann-Philologie, der Bedeutung des Anlasses gemäß. Es gibt deswegen auch gleich zwei Nachworte. Dass man sich da bei allen verdienstvollen Querverweisen und Materialsichtungen manchmal nicht ganz einigen konnte, ist verständlich. Verblüffend sind aber einige Fehler, die angesichts des Selbstverständnisses wissenschaftlicher Sorgfalt recht gravierend wirken. So wird behauptet, die Wendung „sie sagten sich Dunkles und Helles” sei eine Zeile von Celan – dabei handelt es sich um ein Zitat aus Bachmanns „Malina”, mit dem sie Celan variiert. Celan und Bachmann lernten Walter Höllerer keineswegs bereits 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 kennen, Höllerer war erst zwei Jahre später dabei. Die Ausrufe „Du weißt” oder „Du weißt ja”, die in den Briefen Bachmanns und Celans auftauchen, werden zudem als bloße Füllsel bezeichnet, die „oftmals die direkte Aussage ersetzen”. Man hätte durchaus sehen können, dass sich dies auf eine Zeile in Celans Gedicht „Corona” bezieht, die beide wie eine Losung verwenden: „Es ist Zeit, dass man weiß!”
Am Ereignischarakter dieses Briefwechsels ändert das nichts. Der Versuch, in spürbar dünner Höhenluft Dichtung und Leben miteinander in Einklang zu bringen, verbindet die Briefe Ingeborg Bachmanns und Paul Celans mit den großen Marksteinen der Literaturgeschichte. So etwas hat es seit Kafkas Briefen an Felice und Milena nicht mehr gegeben. HELMUT BÖTTIGER
INGEBORG BACHMANN / PAUL CELAN: Herzzeit. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 399 Seiten. 24,80 Euro.
„Mein Zimmer ist ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.”
„Ich glaube wirklich, dass das größere Unglück in Dir selbst ist.”
Das einzige Foto, das beide zusammen zeigt: Ingeborg Bachmann und Paul Celan (re.) während der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf 1952 Foto: Suhrkamp Verlag
Paul Celan schrieb an „Mademoiselle Ingeborg Bachmann”, sie schrieb an „Monsieur Paul Celan”, hier mit Stempel vom 18. 1. 1958. Foto: Suhrkamp Verlag
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Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan – ein literaturgeschichtliches Ereignis
In „Corona”, dem wohl schönsten Gedicht Paul Celans, heißt es: „Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten: / wir sehen uns an, / wir sagen uns Dunkles, / wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis (. . . )”. Lange ahnte niemand, dass sich hinter dieser „Geliebten” Ingeborg Bachmann verbirgt. Der Briefwechsel zwischen den beiden Dichtern erscheint jetzt nach vielen Jahren des Raunens, und er wird nicht nur die Fachwelt für längere Zeit in Atem halten. Es ist ein Drama mit allem, was dazugehört: Verwicklungen, Dreiecksgeschichten, Höhenflüge des Gefühls und abrupte Abstürze, Schürzungen des Knotens und das Bewusstsein, dass es keine Lösung geben wird.
Bachmann und Celan verbringen im Frühling des Jahres 1948 wenige Wochen zusammen in Wien. Er ist 27 Jahre alt, sie noch nicht einmal 22. Die Personen, die sich da begegnen, haben wenig mit denen zu tun, die in den siebziger und achtziger Jahren die Lesebücher und Seminare beherrschen werden. Es handelt sich um eine schwarz-weiß verwischte Vorgeschichte der Literaturgeschichte, ganz im Stil des Orson Welles-Films „Der dritte Mann”, der zur selben Zeit im Wiener Untergrund spielt. Den dritten Mann gibt hier jemand namens Hans Weigel. Bachmann hat ein Verhältnis mit diesem viel älteren Emigranten, einem wichtigen Multiplikator im Literaturbetrieb, und sie löst dieses Verhältnis auch nicht, als sie Celan trifft. Sie sehen sich am 16. Mai 1948 zum ersten Mal. Bachmann schreibt an ihre Eltern, dass sie auf einer Party „den bekannten Lyriker Paul Celan etwas ins Auge fasste”. Drei Tage später fügt sie hinzu, dass er „sich herrlicherweise” in sie „verliebt” habe: „Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.”
Diese Briefe – damals nannte man eine junge Dame mit solch frivolem Touch gern „Backfisch” –sind nahezu die einzigen direkten Zeugnisse jenes Frühlings. Celan zieht weiter nach Paris. Bald aber wird der gemeinsame Frühling zu einem Mirakel. Bachmann bekennt: „Ich werd gewiss nie mehr durch den Stadtpark gehen, ohne zu wissen, dass er die ganze Welt sein kann, und ohne wieder der kleine Fisch von damals zu werden.”
Ästhetische Fragen spielen in diesem Briefwechsel kaum eine Rolle. Er handelt von intimsten Gefühlen. So etwas hat man von Bachmann wie von Celan bisher noch nicht gelesen. Bachmann kommt im Herbst 1950 nach Paris. Über den Versuch eines gemeinsamen Lebens in Celans Hotelzimmer erfahren wir nur, dass Bachmann nach einem Monat auszieht – „als die Ehe strindbergisch wurde”, wie sie an Hans Weigel schreibt. Die Spannung zwischen den unterschiedlichen Lebensläufen scheint unerträglich geworden zu sein – zwischen dem Czernowitzer, knapp dem Massenmord an den Juden entronnen, und der Klagenfurterin, die diese Stadt mit Adolf Hitler teilen musste. Aber vermutlich ist dies nicht die einzige Erklärung. Wenn Celan später schreiben wird: „Du warst beides für mich: das Sinnliche und das Geistige”, dann ist, bei allem Pathos, etwas von der Dynamik angedeutet – die gegenseitige Anziehung und Abstoßung zweier Schriftsteller, die zwischen Leben und Schreiben nicht trennen wollen. In den Monaten danach wird sich Bachmann über ihre Liebe immer klarer, aber auf verzweifelte Weise: „Ich liebe Dich und will Dich nicht lieben.”
Den ersten Kulminationspunkt erreicht der Briefwechsel im Spätherbst 1951. Zur selben Zeit, als Celan seine künftige Ehefrau Gisèle kennenlernt, will Bachmann eine feste Stellung beim Radio annehmen, „für uns”, bietet ihm finanzielle Sicherheit an. Sie leidet zusehends am Kulturbetrieb, obwohl sie sich erfolgreich in ihm zu bewegen beginnt. Sie spürt, „dass ich niemand habe außer Dir”, niemanden, der sonst das „Andere” zu leben versucht. Die harsche Absage Celans trifft sie wie ein Schlag: „Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und ich habe verloren.” Es ist die Zeit, in der sie ihren Band „Die gestundete Zeit” zusammenstellt und sich in etlichen Gedichten an Celan abarbeitet, mit vielen wörtlichen Zitaten und Anspielungen. Fast könnte man meinen – sie legt es nahe – sie sei durch ihn der Literatur selbst begegnet.
Der Briefwechsel leuchtet auch den Hintergrund jenes Fotos aus, das als einziges Bachmann und Celan zusammen zeigt. Es wurde bei dem Treffen der Gruppe 47 im Mai 1952 gemacht: Bachmann, die ängstlich zu Celan blickt; Celan, der starr wirkt, wie in sich gefangen. Es war nur wenige Monate nach der Zurückweisung Bachmanns durch Celan, dennoch hatte sie bis zum Schluss mit dem Gruppenchef Hans Werner Richter um die Teilnahme Celans gekämpft: „Und lies unbedingt die ‚Todesfuge’ – trotz allem – denn ich glaube, die Gruppe 47 ein wenig zu kennen.” Ausgerechnet Bachmann wird gegen Celan bei dieser Tagung in den Gruppendiskussionen ausgespielt, Celan lastet Bachmann das auch an. Der Briefwechsel ebbt ab, für fünfeinhalb Jahre.
Dann aber kommt es zum Unerhörten. Bachmann und Celan begegnen sich im Oktober 1957 zufällig auf einer Tagung in Wuppertal. Und nun schickt Celan Bachmann fast jeden Tag ein neues Gedicht sowie glühende Liebesbriefe. Sein Gedicht „Köln, Am Hof”, das über Jahre hinweg ausgefeilteste Exegesen auslöste, wird jetzt durch die Entstehungsgeschichte transparent: Celan und Bachmann mieteten in der Nacht des 14. Oktober ein Hotelzimmer in Köln, mit der Adresse „Am Hof”, und das Gedicht reagiert auf diese Liebesnacht – „Ihr Dome. // Ihr Dome ungesehn, / ihr Ströme unbelauscht, / ihr Uhren tief in uns.”
Das Verhältnis der beiden scheint sich umzukehren: jetzt ist es Celan, der Bachmann mit Liebesbekundungen überhäuft. Bachmann bittet ihn, ihre „Lieder auf der Flucht” noch einmal zu lesen: „In jenem Winter vor zwei Jahren bin ich am Ende gewesen und habe die Verwerfung angenommen. Ich habe nicht mehr gehofft, freigesprochen zu werden. Zu welchem Ende?” Sie ahnt, dass die neue Konstellation sie überfordern könnte. Celan besucht Bachmann in den nächsten Monaten mehrfach auf Lesereisen in der Bundesrepublik, und als sie eine Lesung in Wien hat, schickt er ihr in einem Briefumschlag nur folgende Zeilen: „Du liest jetzt. Ich denk an Deine Stimme.”
In Celans Gedicht „Köln, Am Hof” heißt es: „Verbannt und Verloren / waren daheim”. „Am Hof” gehörte zum ehemaligen Judenviertel. Bachmann, die mittlerweile in München wohnt, widmet Celan ihren Band „Die gestundete Zeit” mit den Worten: „München, Am Hof”, nimmt das „Verbannt und Verloren” in Celans Gedicht also auch als ihren Ort an, vor allem ihren Part der „Verlorenen”. Bachmann identifiziert sich mit Celan im Bewusstsein, dass dies nicht lebbar ist. Schon bald wirft die „Goll-Affäre” ihre ersten Schatten: Claire Goll, die Witwe Yvan Golls, verleumdet Celan mit perfiden, haltlosen Plagiatsvorwürfen, und Celan reagiert darauf nicht einfach nur überempfindlich – diese Verleumdung aktualisiert sein Trauma, ein überlebender Jude zu sein. Sie ist der Auslöser für seine ernsthafte psychische Erkrankung.
Es entwickelt sich eine verständnisvolle Beziehung zwischen Celans Geliebter und Celans Ehefrau, im Sommer fährt Bachmann zu einer Klärung nach Paris. Die Daten sind wie aus einem Film, dessen Drehbuch offensichtliche psychologische Fährten legen möchte: Am 2. Juli 1958 hat Bachmann das letzte Gespräch mit Celan, am 3. Juli beginnt sie, noch in Paris, ihre Liaison mit Max Frisch. Gleich schreibt sie jedoch an Celan: „Der vergangene Herbst drängt sich in diesen Herbst”, und sie wird zwischen der Bindung zu Celan und dem Zusammenleben mit Max Frisch fast zerrissen.
Ingeborg Bachmann ist die Heldin dieses Briefwechsels, sie kämpft beherzt auf verlorenem Posten und zerbricht schließlich daran. Welche Rolle Celan in ihrem Leben spielte, hat man bisher, trotz aller Indizien, unterschätzt. In ihrem Roman „Malina” konfrontiert sie später ihre weibliche Hauptfigur mit einer unverkennbaren Celan-Gestalt: „Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.” Das ist viel konkreter, als man lange glaubte.
Max Frisch wirkt dagegen kläglich. Als Celan beide, Bachmann und Frisch, um Unterstützung gegen eine von ihm (zurecht) als antisemitisch empfundene Kritik von Günter Blöcker bittet und dabei auf die „Todeslager” zu sprechen kommt, reduziert Frisch dies auf die üblichen Autorenprobleme mit Verrissen. Er, der Schweizer, schreibt an den überlebenden Juden: „Wäre in Ihnen, mit Bezug auf diese Kritik, auch nur ein Funke gekränkter Eitelkeit, so wäre ja die Nennung der Todeslager, scheint mir, unerlaubt, ungeheuerlich.” Bachmann dagegen ahnt, was hier vorgeht, sie fleht Celan an, doch zu sehen, wie viele Freunde er habe, wie groß seine Anerkennung sei: „Du willst das Opfer sein”, schreibt sie in einem nicht abgeschickten, beeindruckenden Brief, „ich glaube wirklich, dass das größere Unglück in Dir selbst ist.”
Es gibt mehrere Stellen in diesem Briefwechsel, an denen einem der Atem stockt. Einmal geht es um die Haltung Bachmanns und Celans zu Martin Heidegger. Bachmann lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Zusammenhang zwischen Heideggers Denken und seiner anfänglichen Begeisterung für den Nationalsozialismus sieht. Celan aber schreibt: „Ich bin, Du weißts, sicherlich der letzte, der über die Freiburger Rektoratsrede und einiges andere hinwegsehen kann; aber ich sage mir auch, zumal jetzt, da ich meine höchst konkreten Erfahrungen mit so patentierten Antinazis wie Böll oder Andersch gemacht habe, dass derjenige, der an seinen Verfehlungen würgt, besser ist als derjenige, der sich in seiner seinerzeitigen Unbescholtenheit auf das bequemste und einträglichste eingerichtet hat.” Diese Sätze bilden einen schwierig zu handhabenden, kaum benutzten Schlüssel zum Verständnis Celans. Es geht ihm weniger um die Vergangenheit als um die unbedingte Gegenwart.
Das Aufgebot an Herausgebern dieses Briefwechsels ist beträchtlich: jeweils zwei aus der Celan- und der Bachmann-Philologie, der Bedeutung des Anlasses gemäß. Es gibt deswegen auch gleich zwei Nachworte. Dass man sich da bei allen verdienstvollen Querverweisen und Materialsichtungen manchmal nicht ganz einigen konnte, ist verständlich. Verblüffend sind aber einige Fehler, die angesichts des Selbstverständnisses wissenschaftlicher Sorgfalt recht gravierend wirken. So wird behauptet, die Wendung „sie sagten sich Dunkles und Helles” sei eine Zeile von Celan – dabei handelt es sich um ein Zitat aus Bachmanns „Malina”, mit dem sie Celan variiert. Celan und Bachmann lernten Walter Höllerer keineswegs bereits 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 kennen, Höllerer war erst zwei Jahre später dabei. Die Ausrufe „Du weißt” oder „Du weißt ja”, die in den Briefen Bachmanns und Celans auftauchen, werden zudem als bloße Füllsel bezeichnet, die „oftmals die direkte Aussage ersetzen”. Man hätte durchaus sehen können, dass sich dies auf eine Zeile in Celans Gedicht „Corona” bezieht, die beide wie eine Losung verwenden: „Es ist Zeit, dass man weiß!”
Am Ereignischarakter dieses Briefwechsels ändert das nichts. Der Versuch, in spürbar dünner Höhenluft Dichtung und Leben miteinander in Einklang zu bringen, verbindet die Briefe Ingeborg Bachmanns und Paul Celans mit den großen Marksteinen der Literaturgeschichte. So etwas hat es seit Kafkas Briefen an Felice und Milena nicht mehr gegeben. HELMUT BÖTTIGER
INGEBORG BACHMANN / PAUL CELAN: Herzzeit. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 399 Seiten. 24,80 Euro.
„Mein Zimmer ist ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.”
„Ich glaube wirklich, dass das größere Unglück in Dir selbst ist.”
Das einzige Foto, das beide zusammen zeigt: Ingeborg Bachmann und Paul Celan (re.) während der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf 1952 Foto: Suhrkamp Verlag
Paul Celan schrieb an „Mademoiselle Ingeborg Bachmann”, sie schrieb an „Monsieur Paul Celan”, hier mit Stempel vom 18. 1. 1958. Foto: Suhrkamp Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Als faszinierende Geschichte einer "Entliebung" sieht Rezensent Dirk Knipphals die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die in diesem nun veröffentlichten Briefwechsel nachvollziehbar wird. Nicht vollständig, denn die vielen Gespräche übers Telefon sind verweht, wenn auch teilweise aus schriftlichen Bemerkungen rekonstruierbar. Kurz währte das eigentliche Liebesglück; es fällt ins Jahr 1948; nach dem Ende blieb zunächst Freundschaft, es gab ein Wiederaufflammen im Jahr 1957 und dann ein bitteres Ende, als Bachmann Celan nicht in der gewünschten Form gegen eine vom Dichter als antisemitisch empfundene Kritik Günter Blöckers in Schutz nahm. Faszinierend findet der Rezensent weniger die von den Kommentatoren stark betonten Aspekte - nämlich eines Lebens und Dichtens im Schatten von Auschwitz -, sondern die Tatsache, dass im Briefdialog der bedeutenden Dichter auch "die Schmonzette und der süße Kitsch" ihren Platz haben. Was die Ausgabe selbst angeht, vermisst Knipphals vor allem biografische Informationen, auch und gerade über die anderen Liebesverhältnisse von Bachmann und Celan. Dem Einwand, dass diese irrelevante Privatsachen seien, widerspricht er ausdrücklich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wer etwas über das existentielle Drama der Nachkriegszeit erfahren will, erfährt alles hier.«
Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung