Was lange gärt, wird endlich Wut. Jeder kennt das.Plötzliche, zornige Affekthandlungen, überschäumend aggressive Entladungen erwischen die soziale Umwelt oft auf dem falschen Fuß. Dabei haben Wutausbrüche meist eine lange Vorgeschichte, sind die letzte drastische Reaktion auf eine Umgebung, die sich gegenüber spezifischen Anliegen des Aggressors hartnäckig taub stellt. Auf dieser Ebene setzt individueller wie kollektiver Zorn bisweilen ungeahnte produktive und kreative Energien frei, findet originelle bis skurrile Formen, die im Langzeitgedächtnis hängenbleiben. Weil sie eine Gesellschaft zum Nach- oder Umdenken gezwungen haben. Bonifatius' Unmut über die naturgläubigen Germanen ließ ihn einen Baum fällen, ein Akt per Axt, der das Christentum voranbrachte. Die Fan-Bewegung der Frankfurter "Ultras" setzt ihren Zorn über eine durchkommerzialisierte Fußballkultur in aufregende Choreographien um. Und was wäre die Stadt Kassel heute, wenn Landgraf Karl nicht einst von dem barocken Virus der Bauwut befallen gewesen wäre? Mancher Zorn in Hessens Geschichte hat nachhaltige Wirkung gehabt, mancher verpuffte aber auch, vielleicht, weil man seinen Absender nicht verstand. Die Geschichten in "Hessen zornig" belegen jedenfalls, dass es sich lohnt, Erregung auszuleben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2008Die heilsamen Wutausbrüche
Schon die alten Griechen priesen den Zorn als treibende Kraft der Geschichte. Wer daran zweifelt und die Wut lieber als Untugend abtun möchte, sollte das von Martin Maria Schwarz und Ulrich Sonnenschein herausgegebene Buch "Hessen zornig" zur Hand nehmen. Es versammelt die trefflichsten Wutausbrüche, die sich über die Jahrhunderte zwischen Kassel und dem Odenwald ereignet haben. Auf hundertsechzig Seiten breiten sich die vielfältigsten Erregungszustände vor dem Leser aus, mit bekannten und weniger bekannten Wüterichen, die mit ihrem Zorn nicht selten Geschichte schrieben. Im Zentrum des Orkans steht Frankfurt, jene Stadt spontaner Erregung, aus der Schopenhauer gegen den in Berlin residierenden Hegel tobte, der für ihn ein "platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan" war. Der Bogen reicht vom Aufstand des Frankfurters Vinzenz Fettmilch am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, an den Ruth Fühner erinnert, über die im Jahr 1848 mit ihrem Regenschirm prügelnde Henriette Zobel, wofür sie, wie Eva Ludwig festhält, bitter bezahlen musste, bis zum legendären Wutausbruch des Balletchefs William Forsythe, die Stadt Frankfurt werde mit ihrer Kulturpolitik "den Bach runtergehen", allerdings ohne ihn. Für den Einzelnen, der spontan und oft genug ohne Strategie in die Räder der Geschichte greift - so viel scheint klar -, ist danach oft nichts mehr wie zuvor. Martin Maria Schwarz und Ulrich Sonnenschein, die in ihrer Buchreihe schon das kriminelle, das gefälschte, das riskante und das vergessene Hessen aufgespürt haben, entdecken aber auch leise Erregungen am Wegesrand, etwa die des "Pinkelbaums" im Frankfurter Stadtwald, der sich dank F.K. Waechter mit einer Wasserspritze dagegen wehrt, dass Hunde seit dreihundert Jahren an ihm ihr Bein heben. Sogar ein Baum kann also zurückschlagen.
S.K.
"Hessen zornig - Orte spontaner Erregung" herausgegeben von Martin Maria Schwarz und Ulrich Sonnenschein. Jonas Verlag, Marburg 2007. 160 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 15 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schon die alten Griechen priesen den Zorn als treibende Kraft der Geschichte. Wer daran zweifelt und die Wut lieber als Untugend abtun möchte, sollte das von Martin Maria Schwarz und Ulrich Sonnenschein herausgegebene Buch "Hessen zornig" zur Hand nehmen. Es versammelt die trefflichsten Wutausbrüche, die sich über die Jahrhunderte zwischen Kassel und dem Odenwald ereignet haben. Auf hundertsechzig Seiten breiten sich die vielfältigsten Erregungszustände vor dem Leser aus, mit bekannten und weniger bekannten Wüterichen, die mit ihrem Zorn nicht selten Geschichte schrieben. Im Zentrum des Orkans steht Frankfurt, jene Stadt spontaner Erregung, aus der Schopenhauer gegen den in Berlin residierenden Hegel tobte, der für ihn ein "platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan" war. Der Bogen reicht vom Aufstand des Frankfurters Vinzenz Fettmilch am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, an den Ruth Fühner erinnert, über die im Jahr 1848 mit ihrem Regenschirm prügelnde Henriette Zobel, wofür sie, wie Eva Ludwig festhält, bitter bezahlen musste, bis zum legendären Wutausbruch des Balletchefs William Forsythe, die Stadt Frankfurt werde mit ihrer Kulturpolitik "den Bach runtergehen", allerdings ohne ihn. Für den Einzelnen, der spontan und oft genug ohne Strategie in die Räder der Geschichte greift - so viel scheint klar -, ist danach oft nichts mehr wie zuvor. Martin Maria Schwarz und Ulrich Sonnenschein, die in ihrer Buchreihe schon das kriminelle, das gefälschte, das riskante und das vergessene Hessen aufgespürt haben, entdecken aber auch leise Erregungen am Wegesrand, etwa die des "Pinkelbaums" im Frankfurter Stadtwald, der sich dank F.K. Waechter mit einer Wasserspritze dagegen wehrt, dass Hunde seit dreihundert Jahren an ihm ihr Bein heben. Sogar ein Baum kann also zurückschlagen.
S.K.
"Hessen zornig - Orte spontaner Erregung" herausgegeben von Martin Maria Schwarz und Ulrich Sonnenschein. Jonas Verlag, Marburg 2007. 160 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 15 Euro.
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