Leo Strauss' Frühwerk erwächst der modernen Erfahrung der Herabsetzung von ehemals substantiellen Lebensformen und Identitäten zu nurmehr folkloristischen und dekorativen Momenten. Politische Philosophie analysiert die Grundbegrifflichkeit, die einem solchen ökonomisch und technizistisch verkürzten Selbstverständnis zugrunde liegt und legt in einer alternativen Aufklärung die maßgebenden Fragen wieder frei. Die Studie konturiert diese Fragestellung in der Konfrontation von Strauss mit den Positionen von Hermann Cohen und Franz Rosenzweig. Damit gelingt es erstmals eine Problemstellung herauszuarbeiten, die die scheinbar disparaten philosophiegeschichtlichen Interpretationen absorbieren und das Frühwerk als eine in sich konsistente Position erschließen kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2007Politik für Eingeweihte
Neues über Leo Strauss: Ein Literaturbericht
Als "Sphinx ohne Geheimnis" hat ein Kritiker den in den Vereinigten Staaten sehr einflussreichen Philosophen Leo Strauss bezeichnet. Die intensive Rezeption seiner Lehre hat mittlerweile diesseits der Politik ein mächtiges Gedankenmassiv freigelegt.
Als man in den achtziger Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks bemerkte, dass auffallend viele Schüler des 1973 verstorbenen Philosophen Leo Strauss bis in die Spitzen der amerikanischen Politik vordrangen, wurde er für die einen zum Propheten, für die anderen zum Manipulator. Ihm, der selbst in seinen Rezensionen keinerlei Rücksicht zu nehmen pflegte, war schon zu Lebzeiten eine Rezeption zuteil geworden, die von naiver Begeisterung einerseits, von Unverständnis, ja scharfer Ablehnung andererseits gekennzeichnet war. Die Einwände etwa von Felix Gilbert oder J. G. A. Pocock waren dabei insofern eine Ausnahme, als sie auf intimer Kenntnis der Geistesgeschichte beruhten. Mit M. F. Burnyeats vernichtender Kritik der Lehre von Leo Strauss im "New York Review of Books" vom 30. Mai 1985 jedoch begann die Verquickung von sachlich-gelehrter Auseinandersetzung mit dem Vorwurf eines politisch motivierten und philosophisch begründeten Antiliberalismus.
Dem Angriff antworteten die zahlreichen alten und neuen Straussianer mit einem bei ihrem Meister abgeschauten Gestus: dem unbeirrten Blick in die "alten Bücher". Doch auch die Gegner gaben sich in der Folge immer ignoranter. Man begnügte sich mit dem Hinweis, bei Strauss habe ein elitärer Platonismus die Idee der Demokratie ersetzt und die Folge sei ein hegemoniales Weltbild gewesen.
Diese Frontstellung wirkt sich auf die Literatur zu Strauss aus. Auf der einen Seite findet man jene, die Platon, Maimonides oder Machiavelli, wie es zu Letzterem Kim A. Sorensen (University of Notre Dame Press, 2006) soeben sympathisierend tat, mit Strauss noch einmal lesen. Auch der in Yale lehrende Philosoph Steven B. Smith, der durch seine Veröffentlichungen zu Spinoza bekannt wurde, legt in "Reading Leo Strauss" (University of Chicago Press, 2006) lediglich souveräne Rekonstruktionen vor. Er verlässt in seinen Nachzeichnungen weder den vorgegebenen Textkorpus, noch zieht er neuere Forschungen zu Rate, wenn er Strauss liest. Auch die neuverfasste Einleitung erschließt keinerlei Neuland. Zweifellos lohnt sich die Lektüre seiner Bemerkungen zum Verhältnis von Strauss zu Gershom Scholem, doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jedwede Distanz zum analysierten Gegenstand freiwillig eingezogen wird.
Keinen Hehl aus seiner Verehrung macht hingegen das Ehepaar Catherine und Michael Zuckert, wenn es "The Truth about Leo Strauss" (University of Chicago Press, 2006) verkündet. Man sollte das Buch nicht vorschnell als Produkt von Apologeten abtun. Es ist, selten genug in der Auseinandersetzung mit Strauss, mit Ironie und Witz geschrieben und hat auch als Einführung seine Meriten. Nicht zuletzt wegen der intimen Kenntnis der diversen, über lange Jahre in ihren tiefen Gräben verharrenden Strauss-Schulen bieten die Zuckerts eine kluge Geographie eines einflussreichen Teils des intellektuellen Amerika.
Während die Zuckerts also ganz entspannt über Strauss schreiben und dabei keine Scheu haben, ihn zu kontextualisieren, so zeichnen sich die Arbeiten der Schüler weiterhin durch Eskapismus aus. Man kann die Möglichkeiten und Grenzen dieses Verfahrens jetzt bei Stanley Rosen beobachten, der seine Studie "Plato's Republic" (Yale University Press, 2005) wiederum dem "echten Strauss" widmete und durchaus kritisch verstanden wissen will. Blickt man dagegen etwa in die von Gail Fine herausgegebene, knapp tausendseitige Bilanz mit dem Titel "Plato" (Oxford University Press) aus dem Jahre 2000, dann spielen Strauss und seine Schule überhaupt keine Rolle. Die Sprachlosigkeit zwischen "Insidern" und "Outsidern", wie sich die Straussianer und ihre Gegner seit Jahrzehnten selbst bezeichnen, gereicht dabei niemandem zum Vorteil. Fatal wird es dann, wenn die Beiträge eigenständiger Forscher wie die von Seth Benardete im Lagerdenken untergehen.
Strauss selbst hat einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung. Sein wenig differenziert formulierter Kampf gegen "den" Historismus, das Insistieren auf polaren Gegensätzen als den Wegmarken systematischen Philosophierens, die tiefsitzende, gelegentlich bis ins Groteske gesteigerte Ablehnung geistesgeschichtlicher Ansätze, lassen vor allem manche späten Werke fast skurril erscheinen. Ein gutes Beispiel für diese Praxis, gleichsam aus dem Nichts eine Deutungskultur zu stiften, ist die 1963 veröffentlichte Einführung zu Maimonides' "Führer der Unschlüssigen". So als habe es die Arbeiten von David Kaufmann über Julius Guttmann bis hin zu Harry A. Wolfson niemals gegeben, wird der Leser mit einem scheinbar bislang unbeachteten Text konfrontiert und in die Kunst der einzig richtigen Deutung eingeführt. Der Religionsphilosoph Isadore Twersky, fraglos einer der besten Maimonides-Kenner des letzten Jahrhunderts, hat trotz aller Hochachtung für Strauss im Detail dieses Vorgehen immer wieder scharf kritisiert.
Schon vor fünf Jahren hatte Harald Bluhms eindringliche Gesamtdarstellung "Die Ordnung der Ordnung" (Akademie Verlag, Berlin) Material geliefert, um Strauss in seinen intellektuellen Beziehungen besser verorten zu können. Und mit der mustergültigen, zurzeit aus drei Bänden bestehenden Ausgabe der Gesammelten Schriften (Metzler Verlag, Stuttgart), die Heinrich Meier, der Leiter der Münchner Siemens-Stiftung, herausgibt, ist die Grundlage jeder Beschäftigung mit dem frühen Strauss endlich da. Die Bände enthalten sämtliche auch unveröffentlichten Schriften bis zur Übersiedlung in die Vereinigten Staaten im Jahre 1937. Darüber hinaus werden zentrale Briefwechsel mit Jacob Klein, Gerhard Krüger, Karl Löwith und Scholem geboten - eine Fundgrube für Ideengeschichtler.
Auch in den Vereinigten Staaten ist die Voraussetzung für einen Blick auf die für Strauss prägenden Jahre der Weimarer Republik seit Michael Zanks Auswahl entsprechender Schriften (State University of New York Press, 2002) einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Und die bislang vernachlässigte italienische Forschung hat mit der Ausgabe der letzten in Deutschland erschienenen Schrift "Philosophie und Gesetz" aus dem Jahre 1935, die Carlo Altini bei Giuntina (Florenz, 2003) mit einer hundertzwanzigseitigen Einführung und der besten zurzeit verfügbaren Bibliographie versah, den Blick auf den frühen Strauss zurückgelenkt. Darüber hinaus hat der junge Historiker Eugene R. Sheppard unter dem Titel "Leo Strauss and the Politics of Exile" (Brandeis University Press, 2006) soeben eine luzide und faire intellektuelle Biographie vorgelegt, die den Weg des eigenwilligen Denkers bis 1948 verfolgt. Sheppards Arbeit verbindet die Lebensgeschichte mit den gewählten Fragestellungen, die wechselnden Schreibstrategien mit den politischen Ambitionen und liefert so einen neuen Blick auf Strauss. Der politische Philosoph wird erkennbar als einer, der die Herausforderung des Diasporajudentums mit einer radikalen Verneinung aller bisherigen Lösungsversuche beantwortet und sich stoisch und aristokratisch von der Moderne abwendet.
Zu begrüßen ist Markus Kartheiningers unter dem Titel "Heterogenität" (Fink Verlag, Paderborn 2006) erschienene umfassende Deutung von Strauss' Schriften bis hin zu der Studie über Hobbes aus dem Jahre 1936. Zentrales Anliegen Kartheiningers ist der Nachweis, dass Strauss in Auseinandersetzung mit Hermann Cohen und Franz Rosenzweigs Deutungen des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung einen ebenso konzisen wie neuen, eigenständigen Begriff der Philosophie etablierte.
Weitere, in den Vereinigten Staaten bereits ausgiebig diskutierte Monographien haben Leora Batnitzky und Heinrich Meier publiziert. Die in Princeton lehrende Leora Batnitzky hat mit ihrer vergleichenden Studie zu Strauss und Emmanuel Levinas (Cambridge University Press, 2006) die falsche Alternative "pro oder contra Strauss" hinter sich gelassen und fast drei Jahrzehnte nach Twersky die überzeugendste Analyse des Gesetzesbegriffs verfasst. Darüber hinaus ist ihr Buch eine ebenso eloquent wie überzeugend formulierte Aufforderung, den Bedingungen der Möglichkeit einer jüdischen Philosophie erneut Aufmerksamkeit zu schenken. Darüber hinaus erweist sie sich neben Sheppard als die unabhängigste Autorin der jüngeren Strauss-Rezeption.
Zuletzt sei auf ein Buch verwiesen, dessen Autor vor gut zwei Monaten von dem liberalen Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde mit guten Gründen als derjenige gekennzeichnet wurde, der das theologisch-politische Problem entscheidend präzisiert habe. Heinrich Meiers Sammelband "Leo Strauss and the theologico-political Problem" vereint, ergänzt um zwei erstmals veröffentlichte Vorträge von Strauss (Cambridge University Press, 2006), die bereits klassisch zu nennenden Arbeiten zu dem besagten Problem. Neben den kritischen Einlassungen von Jürgen Manemann (Aschendorff, Münster 2002) haben Meiers Schriften aus dem ehemaligen Kampfbegriff eine systematische Fragestellung gemacht. Hier liegt das Problem, an dem auch die Arbeiten von Batnitzky, Kartheininger, Sheppard und Zank interessiert sind und das die Loslösung von Strauss begünstigt, ohne ihn dabei als Gesprächspartner zu verlieren.
THOMAS MEYER
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Neues über Leo Strauss: Ein Literaturbericht
Als "Sphinx ohne Geheimnis" hat ein Kritiker den in den Vereinigten Staaten sehr einflussreichen Philosophen Leo Strauss bezeichnet. Die intensive Rezeption seiner Lehre hat mittlerweile diesseits der Politik ein mächtiges Gedankenmassiv freigelegt.
Als man in den achtziger Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks bemerkte, dass auffallend viele Schüler des 1973 verstorbenen Philosophen Leo Strauss bis in die Spitzen der amerikanischen Politik vordrangen, wurde er für die einen zum Propheten, für die anderen zum Manipulator. Ihm, der selbst in seinen Rezensionen keinerlei Rücksicht zu nehmen pflegte, war schon zu Lebzeiten eine Rezeption zuteil geworden, die von naiver Begeisterung einerseits, von Unverständnis, ja scharfer Ablehnung andererseits gekennzeichnet war. Die Einwände etwa von Felix Gilbert oder J. G. A. Pocock waren dabei insofern eine Ausnahme, als sie auf intimer Kenntnis der Geistesgeschichte beruhten. Mit M. F. Burnyeats vernichtender Kritik der Lehre von Leo Strauss im "New York Review of Books" vom 30. Mai 1985 jedoch begann die Verquickung von sachlich-gelehrter Auseinandersetzung mit dem Vorwurf eines politisch motivierten und philosophisch begründeten Antiliberalismus.
Dem Angriff antworteten die zahlreichen alten und neuen Straussianer mit einem bei ihrem Meister abgeschauten Gestus: dem unbeirrten Blick in die "alten Bücher". Doch auch die Gegner gaben sich in der Folge immer ignoranter. Man begnügte sich mit dem Hinweis, bei Strauss habe ein elitärer Platonismus die Idee der Demokratie ersetzt und die Folge sei ein hegemoniales Weltbild gewesen.
Diese Frontstellung wirkt sich auf die Literatur zu Strauss aus. Auf der einen Seite findet man jene, die Platon, Maimonides oder Machiavelli, wie es zu Letzterem Kim A. Sorensen (University of Notre Dame Press, 2006) soeben sympathisierend tat, mit Strauss noch einmal lesen. Auch der in Yale lehrende Philosoph Steven B. Smith, der durch seine Veröffentlichungen zu Spinoza bekannt wurde, legt in "Reading Leo Strauss" (University of Chicago Press, 2006) lediglich souveräne Rekonstruktionen vor. Er verlässt in seinen Nachzeichnungen weder den vorgegebenen Textkorpus, noch zieht er neuere Forschungen zu Rate, wenn er Strauss liest. Auch die neuverfasste Einleitung erschließt keinerlei Neuland. Zweifellos lohnt sich die Lektüre seiner Bemerkungen zum Verhältnis von Strauss zu Gershom Scholem, doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jedwede Distanz zum analysierten Gegenstand freiwillig eingezogen wird.
Keinen Hehl aus seiner Verehrung macht hingegen das Ehepaar Catherine und Michael Zuckert, wenn es "The Truth about Leo Strauss" (University of Chicago Press, 2006) verkündet. Man sollte das Buch nicht vorschnell als Produkt von Apologeten abtun. Es ist, selten genug in der Auseinandersetzung mit Strauss, mit Ironie und Witz geschrieben und hat auch als Einführung seine Meriten. Nicht zuletzt wegen der intimen Kenntnis der diversen, über lange Jahre in ihren tiefen Gräben verharrenden Strauss-Schulen bieten die Zuckerts eine kluge Geographie eines einflussreichen Teils des intellektuellen Amerika.
Während die Zuckerts also ganz entspannt über Strauss schreiben und dabei keine Scheu haben, ihn zu kontextualisieren, so zeichnen sich die Arbeiten der Schüler weiterhin durch Eskapismus aus. Man kann die Möglichkeiten und Grenzen dieses Verfahrens jetzt bei Stanley Rosen beobachten, der seine Studie "Plato's Republic" (Yale University Press, 2005) wiederum dem "echten Strauss" widmete und durchaus kritisch verstanden wissen will. Blickt man dagegen etwa in die von Gail Fine herausgegebene, knapp tausendseitige Bilanz mit dem Titel "Plato" (Oxford University Press) aus dem Jahre 2000, dann spielen Strauss und seine Schule überhaupt keine Rolle. Die Sprachlosigkeit zwischen "Insidern" und "Outsidern", wie sich die Straussianer und ihre Gegner seit Jahrzehnten selbst bezeichnen, gereicht dabei niemandem zum Vorteil. Fatal wird es dann, wenn die Beiträge eigenständiger Forscher wie die von Seth Benardete im Lagerdenken untergehen.
Strauss selbst hat einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung. Sein wenig differenziert formulierter Kampf gegen "den" Historismus, das Insistieren auf polaren Gegensätzen als den Wegmarken systematischen Philosophierens, die tiefsitzende, gelegentlich bis ins Groteske gesteigerte Ablehnung geistesgeschichtlicher Ansätze, lassen vor allem manche späten Werke fast skurril erscheinen. Ein gutes Beispiel für diese Praxis, gleichsam aus dem Nichts eine Deutungskultur zu stiften, ist die 1963 veröffentlichte Einführung zu Maimonides' "Führer der Unschlüssigen". So als habe es die Arbeiten von David Kaufmann über Julius Guttmann bis hin zu Harry A. Wolfson niemals gegeben, wird der Leser mit einem scheinbar bislang unbeachteten Text konfrontiert und in die Kunst der einzig richtigen Deutung eingeführt. Der Religionsphilosoph Isadore Twersky, fraglos einer der besten Maimonides-Kenner des letzten Jahrhunderts, hat trotz aller Hochachtung für Strauss im Detail dieses Vorgehen immer wieder scharf kritisiert.
Schon vor fünf Jahren hatte Harald Bluhms eindringliche Gesamtdarstellung "Die Ordnung der Ordnung" (Akademie Verlag, Berlin) Material geliefert, um Strauss in seinen intellektuellen Beziehungen besser verorten zu können. Und mit der mustergültigen, zurzeit aus drei Bänden bestehenden Ausgabe der Gesammelten Schriften (Metzler Verlag, Stuttgart), die Heinrich Meier, der Leiter der Münchner Siemens-Stiftung, herausgibt, ist die Grundlage jeder Beschäftigung mit dem frühen Strauss endlich da. Die Bände enthalten sämtliche auch unveröffentlichten Schriften bis zur Übersiedlung in die Vereinigten Staaten im Jahre 1937. Darüber hinaus werden zentrale Briefwechsel mit Jacob Klein, Gerhard Krüger, Karl Löwith und Scholem geboten - eine Fundgrube für Ideengeschichtler.
Auch in den Vereinigten Staaten ist die Voraussetzung für einen Blick auf die für Strauss prägenden Jahre der Weimarer Republik seit Michael Zanks Auswahl entsprechender Schriften (State University of New York Press, 2002) einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Und die bislang vernachlässigte italienische Forschung hat mit der Ausgabe der letzten in Deutschland erschienenen Schrift "Philosophie und Gesetz" aus dem Jahre 1935, die Carlo Altini bei Giuntina (Florenz, 2003) mit einer hundertzwanzigseitigen Einführung und der besten zurzeit verfügbaren Bibliographie versah, den Blick auf den frühen Strauss zurückgelenkt. Darüber hinaus hat der junge Historiker Eugene R. Sheppard unter dem Titel "Leo Strauss and the Politics of Exile" (Brandeis University Press, 2006) soeben eine luzide und faire intellektuelle Biographie vorgelegt, die den Weg des eigenwilligen Denkers bis 1948 verfolgt. Sheppards Arbeit verbindet die Lebensgeschichte mit den gewählten Fragestellungen, die wechselnden Schreibstrategien mit den politischen Ambitionen und liefert so einen neuen Blick auf Strauss. Der politische Philosoph wird erkennbar als einer, der die Herausforderung des Diasporajudentums mit einer radikalen Verneinung aller bisherigen Lösungsversuche beantwortet und sich stoisch und aristokratisch von der Moderne abwendet.
Zu begrüßen ist Markus Kartheiningers unter dem Titel "Heterogenität" (Fink Verlag, Paderborn 2006) erschienene umfassende Deutung von Strauss' Schriften bis hin zu der Studie über Hobbes aus dem Jahre 1936. Zentrales Anliegen Kartheiningers ist der Nachweis, dass Strauss in Auseinandersetzung mit Hermann Cohen und Franz Rosenzweigs Deutungen des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung einen ebenso konzisen wie neuen, eigenständigen Begriff der Philosophie etablierte.
Weitere, in den Vereinigten Staaten bereits ausgiebig diskutierte Monographien haben Leora Batnitzky und Heinrich Meier publiziert. Die in Princeton lehrende Leora Batnitzky hat mit ihrer vergleichenden Studie zu Strauss und Emmanuel Levinas (Cambridge University Press, 2006) die falsche Alternative "pro oder contra Strauss" hinter sich gelassen und fast drei Jahrzehnte nach Twersky die überzeugendste Analyse des Gesetzesbegriffs verfasst. Darüber hinaus ist ihr Buch eine ebenso eloquent wie überzeugend formulierte Aufforderung, den Bedingungen der Möglichkeit einer jüdischen Philosophie erneut Aufmerksamkeit zu schenken. Darüber hinaus erweist sie sich neben Sheppard als die unabhängigste Autorin der jüngeren Strauss-Rezeption.
Zuletzt sei auf ein Buch verwiesen, dessen Autor vor gut zwei Monaten von dem liberalen Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde mit guten Gründen als derjenige gekennzeichnet wurde, der das theologisch-politische Problem entscheidend präzisiert habe. Heinrich Meiers Sammelband "Leo Strauss and the theologico-political Problem" vereint, ergänzt um zwei erstmals veröffentlichte Vorträge von Strauss (Cambridge University Press, 2006), die bereits klassisch zu nennenden Arbeiten zu dem besagten Problem. Neben den kritischen Einlassungen von Jürgen Manemann (Aschendorff, Münster 2002) haben Meiers Schriften aus dem ehemaligen Kampfbegriff eine systematische Fragestellung gemacht. Hier liegt das Problem, an dem auch die Arbeiten von Batnitzky, Kartheininger, Sheppard und Zank interessiert sind und das die Loslösung von Strauss begünstigt, ohne ihn dabei als Gesprächspartner zu verlieren.
THOMAS MEYER
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