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Ein französisches Gericht verurteilte ihn wegen Kollaboration mit den Nazis 1945 zum Tod, Politiker und Klerus beschützten ihn. Jahrzehntelang blieb Pierre Brossard unbehelligt, bis den Siebzigjährigen seine Vergangenheit einholt. Verbrechen verjährennach 40 Jahren - nicht aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
›Wirklich heimisch fühlte er sich nur in Klöstern. Gastfreundschaft gegenüber Fremden war hier Gesetz, über Jahrhunderte des Glaubens tradiert, Erinnerung an eine Zeit, als die Kirche eine eigene Macht unabhängig von aller weltlichen Autorität war und es ihr freistand, jenen
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Produktbeschreibung
Ein französisches Gericht verurteilte ihn wegen Kollaboration mit den Nazis 1945 zum Tod, Politiker und Klerus beschützten ihn. Jahrzehntelang blieb Pierre Brossard unbehelligt, bis den Siebzigjährigen seine Vergangenheit einholt. Verbrechen verjährennach 40 Jahren - nicht aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
›Wirklich heimisch fühlte er sich nur in Klöstern. Gastfreundschaft gegenüber Fremden war hier Gesetz, über Jahrhunderte des Glaubens tradiert, Erinnerung an eine Zeit, als die Kirche eine eigene Macht unabhängig von aller weltlichen Autorität war und es ihr freistand, jenen Fliehenden Asyl zu gewähren, denen sie zu helfen gewillt war. Hinter den Klostermauern hörte die Welt auf. Mönche sehen nicht fern und lesen keine Zeitungen. Das war das Allerwichtigste. Gerade jetzt...‹
In den Weinbergen zwischen Aix, Nizza und Avignon fährt ein weißer unscheinbarer Peugeot von einem Kloster zum anderen. Sein 70jähriger Fahrer ist den Mönchen stets willkommen, auch für längere Zeit.
Wer würde auch hinter jenem Mann am Steuer die Zielscheibe eines Killerkommandos vermuten, einen Mann, dem die Militärpolizei auf den Fersen ist? Ein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verurteilter, der jederzeit einen stillen Winkel in so mancher Abtei findet? Der vom Staatspräsidenten begnadigt wurde, da man auch in den höheren Rängen jene unselige Vichy-Zeit vergessen möchte?
Und dennoch ist der alte Mann auf der Flucht: vor mysteriösen Attentätern. Schon schwinden allseits Sympathien. Die Zahl der Orte, an denen der Gesuchte sich sicher fühlen kann, verringert sich, er entkommt nur noch mit knapper Not.
Seit der Gesuchte ins Rampenlicht geraten ist, scheint es noch weitere Kollaborateure in hohen Positionen zu geben, die belangt zu werden fürchten…
Brian Moore, der die Kunst des Schreibens packender Romane mit enormer literarischer Meisterschaft verbindet, deckt jenes labyrinthische Minenfeld auf, das zum Erbe von Nachkriegsfrankreich gehört.
Autorenporträt
Brian Moore, geboren 1921 in Belfast, diente als britischer Soldat in Nordafrika von 1943 bis 1945, war UNO-Beauftragter in Polen von 1946 bis 1947 und 1948 wanderte er nach Kanada aus. 1959 übersiedelte Moore nach Kalifornien. Er starb am 11. Januar 1999 in seinem Haus in Malibu.

Bernhard Robben, geboren 1955, war nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie als Deutschlehrer in Nordirland tätig. Seit 1986 arbeitet der Spezialist für irische und angelsächsische Literatur als freier Übersetzer und Journalist. Nebenbei ist er ehrenamtlicher Bürgermeister von Brunne, wo er seit 1992 mit seiner Familie lebt. 2003 wurde er für die Übersetzung des Romans "Abbitte" von Ian McEwan und für sein Lebenswerk mit dem Übersetzerpreis der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW ausgezeichnet. 2013 wurde Bernhard Robben mit dem "Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis" für sein literarisches Lebenswerk auf dem Gebiet der Übersetzung aus dem Englischen gewürdigt.
Rezensionen
»Brian Moores spannender, glänzend geschriebener Politthriller Hetzjagd ist, wie fast alle Romane des gebürtigen Nordiren, ein zutiefst moralisches Buch, eine Abhandlung über Schuld, Sühne, Gerechtigkeit und Rache – und eine bittere, aber keineswegs billige Abrechnung mit der Verlogenheit der katholischen Amtskirche.«
Der Spiegel, Hamburg
»Wirklichheit und Fiktion greifen so ineinander, daß man beim Lesen den Eindruck hat, es könnte sich durchaus um einen authentischen Fall handeln. Dieser Realismus gibt der Spannung des Buches eine besondere Qualität.«
Barbara Dobrick / Radio Bremen
»Der totgesagte Spionageroman lebt: John le Carré und Brian Moore führen den Beweis.«
Wolfram Knorr / Die Weltwoche, Zürich
»Hetzjagd lesen Sie in einem Zug: als knallharten Schocker, als psychologischen Thriller, als Verfolgungsjagd oder als abenteuerliche Reise durch Frankreich, als religiös-politisches Rätsel – doch wofür Sie sich auchentscheiden, Sie fahren gut mit diesem Buch.«
The New York Times Book Review
»Hochbrisant. Exzellent. Hetzjagd ist ein neues Format des politischen Romans.«
Christian Seiler / Profil, Wien
»Brian Moore, der ausgezeichnet schreiben kann und bei Diogenes auch adäquat übersetzt wird, hat einen faszinierenden Thriller geschrieben, der dem Leser über viele, viele Seiten die Chance gibt, sich selbst auf eine der Seiten zu schlagen. Zum uneinsichtigen Kollaborateur, der allmählich in Stich gelassen wird und in Notwehr mordet, oder zu einer der möglichen staatlichen oder kirchlichen Persönlichkeiten, die an ihrer Vergangenheit leiden.«
Kurier, Wien
»Ein glänzend und rasant geschriebener psychologischer Thriller. Denn nicht nur die gnadenlose Verfolgung Brossards zieht einen in den Bann. Faszinierend zu lesen ist auch das vielschichtige Portrait Brossards. Mal ist er ein einsamer alter Mann, dann wieder der alte listige Fuchs, der seinen Verfolgern immer wieder entkommt, dann mimt er wieder den gläubigen Christen, um schließlich sein wahres Gesicht zu zeigen – das eines eiskalten, unberechenbaren, brutalen Menschen. Diese Kombination macht den Roman zu einem spannenden, atemberaubenden Erlebnis.«
Silke Arning / Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart
»Ein atemberaubender Polit-Thriller über Aufrechnung, Abrechnung, Schuld und Heuchelei. … Es ist wohl – wieder einmal – sein größtes Verdienst, daß er ebenso ruhig wie kraftvoll, ebenso geradlinig wie komplex die Geschichte eines Menschen erzählt (und dies auf ungemein spannende Weise). Darüber hinaus aber schubst Moore den Leser, ganz unmerklich, zu den großen Fragen – diesmal sind es die Fragen nach Schuld, Sühne und Vergebung.«
Peter Godazgar / Mitteldeutsche Zeitung, Hannover
»Ein praller Polit-Thriller auf höchstem Niveau. Brisant und packend.«
Brigitte, Hamburg
»Moore gelingt es, mit einem Maximum an Mitgefühl ein Höchstmaß an Wahrhaftigkeit herzustellen. Die Psyche des Gejagten ist Morre genauso wichtig wie die Motive seiner Jäger, der Gottglauben des Kriegsverbrechers wird ebenso ernst genommen wie der latente Antisemitismus entscheidender katholischer Würdenträger. Daß Moore die Hetzjagd dazu benützt, seine Leser in die psychologisch-politischen Abgründe der Zeitgeschichte und derer, die sie prägen, zu führen, ist eine der unersetzlichen Leistungen großer Literatur.«
Christian Seiler / Profil, Wien
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2006

Band 48
Dunkle Vergangenheit
Brian Moores „Hetzjagd”
Brian Moore hat bereits Mitte der neunziger Jahre etwas vorgeführt, was just in diesen Tagen als große Neuerung, als suggestives erzählerisches Manöver gefeiert wird. Nicht nur in Frankreich sprechen alle vom Sensationserfolg „Les Bienveillantes” des Jungstars Jonathan Littell, vom überrumpelnden Einfall, das Geschehen aus der Perspektive eines hohen SS-Mannes zu erleben, seine wahnwitzige Emotionalität, seine Binnenlogik, seine menschlichen Regungen als die eigenen wahrzunehmen. Dasselbe Muster findet sich jedoch schon 1993 in Brian Moores Erfolgskrimi „Hetzjagd”.
Hauptfigur ist Pierre Brossard, ein ranghoher Angehöriger der Miliz im französischen Vichy-Regime. Als offensiver Kollaborateur mit den Nazis hat er in der Zeit der deutschen Besatzung den Abtransport von französischen Juden in die Konzentrationslager organisiert. Und wegen einer ganz bestimmten Aktion wird er im Jahr des Romangeschehens, 1989, als Siebzigjähriger immer noch gesucht: Er ist verantwortlich für die Erschießung von 14 Juden im südfranzösischen Dombey, ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit”. 1944 und abermals 1946 wurde er von einem französischen Gericht „in Abwesenheit” zum Tode verurteilt, ist aber nie gefasst worden: Mehr als vierzig Jahre lang hält er sich in Frankreich versteckt und profitiert vor allem von der Unterstützung durch die katholische Kirche. Auf ausgeklügelten Routen sucht Brossard regelmäßig eine Reihe von unzugänglichen Klöstern auf, geschützt von den Kirchenoberen, die immer noch der Tradition des VichyRegimes verhaftet sind und gleichermaßen von den Feindbildern Juden und Kommunisten zehren.
Jetzt aber, im Jahr 1989, wird es eng. In der katholischen Kirche gibt es deutliche Tendenzen, sich der Gegenwart zu öffnen. Und Pierre Brossard sieht sich plötzlich einer Organisation gegenüber, die er nicht richtig einschätzen kann und die gedungene Killer auf ihn ansetzt. Die Ereignisse werden immer undurchsichtiger. Er kann nicht mehr voll auf die Unterstützung der Kirche setzen. Zudem ist die anscheinend jüdische Terrororganisation, die ihn verfolgt, über seine Unterschlupfmöglichkeiten genauestens informiert. Und dann gibt es noch eine andere Größe, die ungreifbar und nur in einzelnen Schemen im Hintergrund aufscheint: Brossard konnte bisher immer auf höchste Stellen im staatlichen Verwaltungsapparat setzen, die ein ureigenes Interesse daran haben, dass er nicht gefasst wird, weil die dunkle Vergangenheit hoher Funktionsträger dann ebenfalls ins Licht der Öffentlichkeit geraten würde . . .
Brian Moore schildert in effektvollen Szenen, wie sich die Schlinge um Pierre Brossard immer weiter zuzuziehen scheint. Dabei spielen Einblicke in die verdrängte Vichy-Vergangenheit, ein Trauma im öffentlichen Bewusstsein der Franzosen, atmosphärisch eine wichtige Rolle. Auch das Innenleben in katholischen Klöstern, die Gebetsrituale, die Speisen im Refektorium verdichten die Spannung: Die Äbte und Prioren verkörpern in ihren Redeweisen und Verhaltensmustern idealtypisch die Undurchdringlichkeit der Weltläufte. Zwangsläufig nimmt der Leser die Position des unheimlichen Helden Brossard ein, aber er lernt ihn gleichzeitig zu hassen, seine Geistesgegenwart, seine Berechnung, seinen perfiden Scharfsinn – eine Gratwanderung ist das, in dünner Höhenluft.HELMUT BÖTTIGER
Brian Moore Foto: Jerry Bauer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Zu Boden mit dem, der stürzen will
Die Verfehlungen der Kirche und das Gewissen eines Mörders: Brian Moores Roman "Hetzjagd" / Von Paul Ingendaay

Es ist ein heißer Nachmittag im Süden Frankreichs, und R. möchte einen Mord begehen. Der alte Mann, den er schon seit Tagen beschattet, heißt Pierre Brossard und läßt sich bei seinen Verrichtungen viel Zeit. Soeben hat er in einem Café seine Post entgegengenommen, dann hat er beim Bäcker ein Mandeltörtchen gekauft, das er im Auto verzehrt. Schließlich ist es soweit: Brossard und sein Verfolger setzen sich in Bewegung. R. überholt den Peugeot des Alten, er ahnt dessen Ziel und wird weiter oben eine Panne vortäuschen, die Pistole griffbereit in der Aktentasche. Doch nicht Brossard verliert sein Leben, sondern R., und sobald die Waffe abgefeuert ist, wechselt der Erzähler abrupt die Perspektive. Er versetzt sich in das Innere Brossards, als wäre sein Platz auf der Seite der Mörder.

Nicht nur wegen der sorgfältig gesteigerten Spannung beeindruckt diese Szene, sondern auch wegen der Dreistheit, mit der Brian Moore gegen erzählerische Konventionen verstößt. Es ist, als wollte der Autor vor seiner Hauptfigur den Vorhang wegreißen. "Hetzjagd", sein achtzehnter Roman, handelt von einem alten Mann auf der Flucht, der viel gefährlicher ist, als er aussieht. Während ihm noch die Krümel des Mandeltörtchens am Kinn kleben, setzt er seinem Widersacher "mit dem Geschick langjähriger Erfahrung" die Pistole an den Kopf, um ihm den Gnadenschuß zu geben. Welche Erfahrung ist da gemeint? Und woher stammt sie?

In diesen Tagen wird man Brian Moores Roman mit anderen Augen lesen. Denn Pierre Brossard trägt die Züge von Paul Touvier, dem ehemaligen Geheimdienstchef der Vichy-Miliz in der Gegend von Lyon, der für die Folterung und Ermordung von Juden und Widerstandskämpfern zweimal in absentia zum Tode verurteilt, dann von Pompidou begnadigt und schließlich zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Er starb 1996 in einem Pariser Gefängnis. Rund vierzig Jahre hatte Touvier sich in französischen Klöstern vor der Polizei versteckt. Das warf unangenehme Fragen auf, nicht nur nach der Gesetzestreue der Kirche, sondern auch nach ihrer humanitären Haltung zur Zeit der Vichy-Regierung. Soeben hat die katholische Kirche Frankreichs ein aufsehenerregendes Reuebekenntnis abgelegt. Ihr Schweigen zur Judenverfolgung, hieß es in einer Erklärung der französischen Bischofskonferenz Ende letzten Monats, sei eine "Verfehlung" gewesen und habe "einer todbringenden Verkettung freien Lauf gelassen". Von dieser Verkettung handelt Brian Moores Buch.

Die ominöse Figur, die Touvier und das Bekenntnis der Kirche verbindet, heißt Maurice Papon. Als unantastbarer Ehrenmann der französischen Gesellschaft, als Freund und Berater von Staatspräsidenten geistert er unter anderem Namen durch die halbdunklen Kulissen des Romans. Touvier sei ein kleiner Fisch, gibt der Autor zu verstehen, Papon dagegen ein Hai. Zwischen 1942 und 1944, als Generalsekretär des Departements Gironde, soll er die Deportation von 1690 Juden nach Auschwitz veranlaßt haben. Nach dem Krieg brachte er es zum Polizeipräfekten von Paris und zum Budgetminister der Regierung Giscard d'Estaing. Erst jetzt, nach sechzehn Jahren verschleppter Voruntersuchungen und von weit oben vereitelter Strafverfahren, muß sich der Siebenundachtzigjährige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten. Es wird für Frankreich die letzte Chance sein, über einen maßgeblichen Kollaborateur ein Urteil zu sprechen. Und es könnte das formelle Eingeständnis sein, daß nicht der Widerstand gegen Hitler das französische Volk geeint hat, sondern das kollektive Stillhalten danach.

Für einen Thriller sind solche Themen keineswegs unüblich, aber sie bürden ihm auch Lasten auf. Erläuterungen müssen her, längere Exkurse, ein historisches Proseminar über Pétain, Vichy, de Gaulle und die Nachkriegszeit in Frankreich. Brian Moore, der 1921 in Irland geboren wurde und in den späten vierziger Jahren die kanadische Staatsbürgerschaft annahm, erledigt das mit Routine, aber durchaus nicht immer elegant. Daß er sich einige Freiheiten gegenüber den Tatsachen im Fall Touvier herausgenommen hat, ist legitim. Und da der Autor seit langem in Kalifornien lebt, hat er wahrscheinlich ein amerikanisches Publikum vor Augen, muß also in geschichtlichen Dingen auf einige Ahnungslosigkeit gefaßt sein.

Die Erklärungen lädt er, wie im Thriller üblich, den Dialogen auf. Eine neue Untersuchungsrichterin hat sich des Falls Brossard angenommen, und weil es in der Vergangenheit nicht nur zu Indiskretionen, sondern offensichtlich zu handfester Vertuschung durch die Pariser Polizeibehörden gekommen ist, beauftragt Madame Livi mit den Nachforschungen das Militär. Das bringt Colonel Roux ins Spiel, einen geradlinigen Mann in gebügelter Uniform, der mit Madame Livi gemein hat, daß ihn der Leser gewiß ebenso sympathisch und ähnlich flach finden wird.

Wer Brian Moore kennt, weiß um seine Einzigartigkeit in der Gegenwartsliteratur: Graham Greene, der ihn schätzte, dürfte in ihm seinen legitimen Nachfolger gesehen haben. Denn Moore hat mit dem Zynismus, der durch amerikanische Serienkiller und andere Psychopathologien des letzten Jahrzehnts in Filme und Romane eingezogen ist, genausowenig zu tun wie mit deren sentimentaler Kehrseite, dem gebrochenen Cop in urbaner Wüste. Ihn interessiert das einzelne Zahnrad, nicht der Gesamtmechanismus. Für Moore offenbart sich der Mensch unter Entscheidungsdruck und besonders in der Fähigkeit, mit Schuld umzugehen: sie anzuerkennen oder abzuwälzen, mit ihr zu leben oder ihr um den Preis von Lüge und Selbsttäuschung auszuweichen. Mit anderen Worten, Brian Moore fasziniert an Brossard alias Touvier nicht so sehr die Psychologie, sondern deren ältere Schwester aus vorsäkularen Zeiten: das Gewissen.

So stehen plötzlich zwei Themen nebeneinander: hier die Versuche kirchlicher Sympathisanten, vom Küster über den Privatsekretär des Kardinals bis zum Abt, den Kollaborateur Pierre Brossard mit allen Mitteln dem Zugriff der Justiz zu entziehen; und dort der Flüchtige selbst, ein alter Mann in alter Kleidung, dem sein Herz Schwierigkeiten macht und der, statt von einem Kloster zum nächsten zu fliehen, nichts so dringend brauchte wie einen Zahnarzt.

Das Merkwürdige ist nun, daß sich Brian Moores Roman allein dadurch, daß er Brossard die Bühne überläßt, in gewissem Sinn auf seine Seite schlägt. Nicht daß er damit die vierzig Jahre zuvor begangenen Grausamkeiten entschuldigen oder relativieren würde. Exakt in der Mitte des Buches suchen die ermordeten Juden den Mörder im Traum heim, und die Schilderung läßt keinen Zweifel daran, daß das Vorgehen Brossards von Allmachtsphantasien gelenkt, feige und unmoralisch war. Doch Brian Moore interessiert sich für diesen Mörder, und er fühlt tiefer mit ihm, als durch Voyeurismus und selbst durch gute sozialtherapeutische Absicht gedeckt wäre. Er fühlt mit ihm, weil Brossard gesündigt hat und nun gejagt wird, gejagt nicht nur von seiner schwachen Gesundheit und den näherrückenden Kräften des Colonel Roux, sondern auch von ehemaligen politischen Freunden, mächtigeren Kollaborateuren als ihm, die ihn beiseite schaffen wollen, damit der Prozeß um seine Verfehlungen keine Lawine auslöst.

Rette sich, wer kann: So könnte das Motto des Romans lauten. Oder: Wie einer, der zu stürzen droht, erst recht zu Boden getreten wird. Und wie immer in solchen Fällen geht es ums Aufrechnen und Abrechnen, um Verstellung und Heuchelei. Ein unerquickliches Beispiel dafür bieten die Kleriker, die sich von Brossard Schritt für Schritt zurückziehen, weil sie in ihm nicht mehr den gläubigen Patrioten sehen, dem "liberale" Kreise ans Leder wollen, sondern einen Mörder auf der Flucht. Am Ende findet er nur noch im Kloster eines starrköpfigen Lefebvre-Anhängers Aufnahme.

Brian Moore ist ein guter Handwerker (und die Übersetzung trifft seinen ruhigen, auf Effekte verzichtenden Ton); er überdehnt keine Szene, hat Sinn für das Tempo seiner Geschichte und läßt uns zusehen, wie sich die Schlinge langsam zusammenzieht. Daß der Leser sich dabei selbst ein wenig kennenlernt, kalkuliert der Autor ein: Das größte Vergnügen am Leiden anderer entsteht wohl dann, wenn der Leidende sein Schicksal zwar verdient hat, aber nicht so verworfen ist, daß wir in ihm nicht unser Abbild erkennen könnten. Erst vor diesem Hintergrund, dem Drama der Hetzjagd, die der deutsche Titel (gegenüber dem trockenen "The Statement" des Originals) noch betont, erhält die Debatte, die den Roman wie ein Geflecht überzieht, ihre Dringlichkeit.

Es ist, wenn man so will, eine moraltheologische Debatte, eine Erörterung der Frage, wer wem vergeben darf. In welchen Fällen. Und aus welchen Motiven. In einem der inneren Monologe, die Brian Moore so gern benutzt, überlegt ein Abt, ob er, der Brossard einen Schuft und Lügner nennt, nicht selbst einer sei. Und er fragt sich: "Kennen wir wirklich die verborgenen Motive hinter unseren Taten?" Selbst Brossard, der mit Meßbuch und Heiligenbildchen im Koffer durchs Land irrt, vielleicht ein Heuchler, womöglich aber auch zu elf oder dreizehn Prozent ein Gläubiger, hat ein Recht auf Sätze wie diese: "Erzähl mir nicht, daß Gott mir nicht vergeben hat. Woher willst du das wissen?"

Das Grau in Grau der Überzeugungen, in dem alle Gewißheiten fragwürdig werden, ist Teil einer ziemlich beunruhigenden Botschaft. Denn mit der historischen "Aufarbeitung" der Vergangenheit ist es noch längst nicht getan. Zu Recht hat man bei Moores Büchern von metaphysischen Thrillern gesprochen. Das heißt: Sie hören nicht auf, wenn der Mörder diese Welt verlassen hat.

Brian Moore: "Hetzjagd". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 298 S., geb., 38,- DM.

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