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SWR-Bestenliste Dezember 2013
Als tägliche Übung, zur Sammlung, zur Erinnerung, zur Selbsterfindung und gegen die reißende Zeit, ist es ein massenhaft verbreitetes Genre, jeder kennt es, jeder hat es irgendwann mal versucht oder in Erwägung gezogen, aber es gibt Höhepunkte in der Geschichte dieser Kunstform: Gemeint ist das Tagebuch. Michael Maar hat besonders schöne, bemerkenswerte, spektakuläre und eindrücklich-typische Beispiele für große Tagebücher zusammengetragen und stellt sie vor, klug, glänzend geschrieben, unterhaltsam und pointiert. Eine Entdeckungsreise zu den großen Diaristen…mehr

Produktbeschreibung
SWR-Bestenliste Dezember 2013

Als tägliche Übung, zur Sammlung, zur Erinnerung, zur Selbsterfindung und gegen die reißende Zeit, ist es ein massenhaft verbreitetes Genre, jeder kennt es, jeder hat es irgendwann mal versucht oder in Erwägung gezogen, aber es gibt Höhepunkte in der Geschichte dieser Kunstform: Gemeint ist das Tagebuch. Michael Maar hat besonders schöne, bemerkenswerte, spektakuläre und eindrücklich-typische Beispiele für große Tagebücher zusammengetragen und stellt sie vor, klug, glänzend geschrieben, unterhaltsam und pointiert. Eine Entdeckungsreise zu den großen Diaristen von Samuel Pepys bis Thomas Mann, von Friedrich Hebbel bis Christa Wolf, von John Cheever bis Peter Sloterdijk. Und Maar vergisst auch nicht, sich mit der Frage zu beschäftigen, was in Zeiten von "Facebook" wohl aus dem Tagebuch werden wird.
Autorenporträt
Michael Maar, geboren 1960 in Stuttgart, lebt in Berlin. Für seine Dissertation über den Zauberberg Auszeichnung 1995 mit dem Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (der er seit 2002 angehört) und 2000 mit dem Lessing-Förderpreis für Kritik. 2002 war er Gastprofessor an der Universität Stanford. Buchveröffentlichungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013

Beschwerdestelle,
Beichtstuhlersatz
Michael Maar über große
Tagebücher von Pepys bis Mann
Warum eigentlich immer nur Tagebücher, warum keine Nachtbücher? Der einzige, der da gegensteuerte, war der bewundernswerte katholische Publizist Theodor Haecker, einer der geistigen Mentoren der „Weißen Rose“, der das Ende des „Dritten Reiches“ nicht mehr miterleben durfte, aber „Tag- und Nachtbücher“ für die Zeit von 1939–1945 und für die Schublade schrieb, die zu den bedeutendsten Beiträgen zum Genre gehören. Haecker kommt bei Michael Maar nicht vor, aber wie soll auch ein Buch von rund 250 Seiten so etwas wie Vollständigkeit anstreben?
  Maar verweist auf die fast 1200 Seiten von Gustav René Hockes „Europäisches Tagebuch“ aus den siebziger Jahren, Analyse und Anthologie gleichermaßen. Robert Musil schließt er verwunderlichweise als „Nicht-Diaristen“ aus. Und Karl Kraus könnte man durchaus einbeziehen, denn der hat mal die 23 000 Seiten seiner Fackel als Tagebuch bezeichnet, das er in Form einer Zeitschrift herausgebe, aber das ist ein echter Sonderfall. Dafür vertreten hier das Austriakische durchaus überzeugend Arthur Schnitzler und Heimito von Doderer.
  Davon abgesehen: Michael Maar legt einen sehr vergnüglichen und erhellenden „tour d’horizon“ vor, der vor allem eines bewirken soll und bewirken wird: die Steigerung der Lust, jene Tagebücher zur Hand zu nehmen, die er dem Leser so schmackhaft zu machen versteht, dass einem das Wasser in den Augen zusammenläuft. Und Michael Maar kennt sich aus in dieser speziellen Form einer „Beschwerdestelle, deren Schalter nie geschlossen hat, einer Hotline ohne Warteschleife – und noch dazu gebührenfrei“. Ein andermal nennt er das Tagebuch einen „Beichtstuhlersatz“.
  Der Blick auf das Tagebuch ist, wie bei der stupenden Belesenheit Maars nicht anders zu erwarten, weit in Raum und Zeit. Er beginnt mit Samuel Pepys, der scharfen Lästerzunge aus dem London des ausgehenden 17. Jahrhunderts, und endet bei den Blogs von Rainald Goetz und Wolfgang Herrndorf. Facebook gegenüber, angeblich die Tagebuchform unserer schönen neuen Welt, bleibt er skeptisch. Susan Sontag und Brigitte Reimann stehen plötzlich geschwisterlich nebeneinander, Virginia Woolf tritt neben Kafka, Harry Graf Kessler neben Arno Schmidts getreues Eheweib Alice.
  Die Brüder Goncourt weiden das Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf vielen tausend Seiten genüsslich und klatschsüchtig aus. Maar, als Liebhaber und Kenner der angloamerikanischen wie der französischen Literatur, weist auch auf nahezu Unbekannte hin, wie John Cheever und John W. Dunne. Letzterer war ein Flugzeugpionier, Parapsychologe, Präkognitionsträumer und Zeitphilosoph, auf den man hier unabdingbar neugierig wird. Der gelegentlich misstrauisch beäugte Fritz J. Raddatz erhält sein Recht als Chronist der Nachwendezeit: Wer über diese etwas erfahren wolle, der solle lieber Raddatz’ Tagebuch lesen als so manche einschlägigen Romane.
  Goethes Bemerkung, dass der Tagebuchschreiber lerne, den Moment zu würdigen, wenn er ihn durch die Aufzeichnung zu einem historischen mache, mag nicht alle Verfasser geleitet haben. Der Solipsist Henri-Frédéric Amiel schrieb unendliche Seiten lang gegen seine hoffnungslose Einsamkeit an, ein akademisch unbedeutender Genfer Philosophieprofessor am Ende des 19. Jahrhunderts, der dem Gefühl des Scheiterns, der Unproduktivität, der Vergeblichkeit seines Lebens eben diese monomanischen, aber auch heroischen Seiten entgegenstellte, durch die er seine eigene, eigenartige Unsterblichkeit erlangte.
  Ob die Tagebücher Thomas Manns wirklich das Beste des Autors sind – man mag mit Maar darüber rechten, aber man wird ihm immer mit Vergnügen folgen. Dieses Buch unterhält auf hohem Niveau, der Leser flaniert mit ihm durch den Zaubergarten vieler faszinierender Tagebücher der Weltliteratur, und seine Knappheit und Wendigkeit haben auf jeden Fall einen Vorteil: im Gegensatz zu umfangreichen Biografien, die den trügerischen Eindruck vermitteln können, man müsse sich mit dem Gegenstand der Biografie nicht weiter befassen, die Bücher des behandelten Genies nicht mehr lesen, die Musik nicht hören, wird der Leser dieses Buches sich doch aufgefordert fühlen müssen, sich aus der Blütenlese der anschmeckenden Zitate jene herauszusuchen, die nach weiterer Lektüre schreien – das sind eine ganze Menge.
  „Tagebücher, wenn sie nicht heucheln, zeigen uns, wie wir als Sündensäcke doch alle Brüder und Schwestern sind. Das ist bis heute ihr pietistischer Kern. ,Du bist nicht allein‘ – das ist die tiefste Botschaft, die uns aus Tagebüchern entgegenschallt“ – und nun lest diese selbst, schallt es uns aufmunternd aus Michael Maars Buch übers Tagebuch entgegen.
JENS MALTE FISCHER
Facebook gegenüber (angeblich
die Tagebuchform der schönen
neuen Welt) bleibt Maar skeptisch
  
  
  
Michael Maar:
Heute bedeckt und kühl. Große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf. Verlag C.H. Beck, München 2013.
258 Seiten, 19,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hans von Trotha ist bei der Lektüre von Michael Maars Tagebücher-Buch fast ein wenig neidisch auf den Autor geworden, so ansteckend ist die Freude am "Voyeurismus gegenüber dem Intimen", die den Tagebuchleser heimsucht. "Heute bedeckt und kühl" ist eigentlich weniger Wissenschaft als Literatur, verrät der Rezensent, es versammelt schöne Fundstücke und stellt nur vorsichtig Thesen auf, die eher Vorschläge und Selbstbeobachtungen Maars sind, eigentlich ist es ein Tagebuch über die Tagebuchlektüren des Autors, fasst von Trotha zusammen.

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