»Heute ist Mittwoch« - der Tag, an dem ein Mann seinen älteren, an Parkinson erkrankten Vater zu Untersuchungen begleiten muss. Auf einem ihrer Spaziergänge am Donaukai des Belgrader Vororts Zemun entlang erblickt der bis dahin schweigsame Vater einen Mann, der in ihm böse Erinnerungen weckt, und beginnt aus seinem Leben zu erzählen. Einst gefürchteter Parteiaktivist und Geheimdienstmitarbeiter, hat er Menschen brutal und ohne Skrupel schikaniert. Als sich eines seiner Opfer rächt und ihn als Stalinisten anzeigt, verbannt man ihn in das berüchtigte Arbeitslager auf Goli otok in der Adria. Dass er so seinerseits zum Opfer wird, hält ihn später nicht davon ab, seine Familie zu tyrannisieren. Erst die Krankheit macht aus ihm ein Häufchen Elend. Während er den großspurigen Geschichten seines Vaters lauscht, muss der Sohn entscheiden, wie viel Glauben er ihm schenken kann, ob die Krankheit und das Erlittene ihn von seiner Schuld freisprechen oder nicht.»Heute ist Mittwoch« ist der bisher vielleicht politischste Roman Albaharis über die Missetaten des kommunistischen Regimes gegenüber der Bevölkerung und die lange verschwiegenen grausamen Praktiken, die nach 1948 auf der »nackten Insel« herrschten. Zugleich stellt David Albahari mit schwarzem Humor und erzählerischer Raffinesse vermeintliche Wahrheiten über Täter und Opfer infrage.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2020Das Zittern des
Stalinisten
War er ein Ekel? David Albahari
erzählt von einem kranken Vater
Nichts sei schwieriger, als den eigenen Vater zu lieben, heißt es in David Albaharis Roman „Heute ist Mittwoch“. Was sich so leicht nicht verallgemeinern lässt, gilt doch für den Erzähler, der diesen Satz schreibt, in besonderem Maß. Sein Vater, ein Patriarch zwar durch und durch, aber einer, der nie die Hand gegen seine Kinder erhoben hat, sein für balkanische Verhältnisse fürsorglicher Vater also, erhob als Mitglied eines Erschießungskommandos regelmäßig das Gewehr. Und mehr als das: Als Mitglied der Geheimpolizei Jugoslawien piesackte und quälte dieser Vater alle Großbauern und Pfarrer, deren er habhaft werden konnte, ritt auf ihren Rücken und rammte ihnen die Hacken in die Nieren, riss den Pfarrern die Barthaare aus und warf die Bauern in die Schweineställe, auf dass sie sich dort suhlten wie ihr Vieh.
Ein Ekel also durch und durch? Oder doch nur jemand, den der Glaube an die gerechte Sache zum Unmenschen gemacht hat? In „Heute ist Mittwoch“ ist dieser Vater längst kein den Nachbarn Angst einflößender Stalinist mehr, sondern ein alter Mann, der unter Parkinson leidet, und doch noch hofft, bei der Krankenschwester Nadica mit Hilfe von Viagra zum Schuss zu kommen. Sein Sohn, der Erzähler, geht sogar mit ihm in die Apotheke, um das Zaubermittel zu kaufen, macht sich aber zugleich Sorgen, dass Nadica sich seines Vaters nicht wird erwehren können (sie kann es dann aber sehr wohl).
Wie dieser Erzähler überhaupt hin- und hergerissen ist zwischen familiärer Verbundenheit und ethischen Skrupeln. Einmal schreit er den Arzt an, sein Vater sei keineswegs ein Ungeheuer gewesen, ein anderes Mal schreit er seine Schwester an, der Vater habe sehr wohl übelste Taten verübt, und nichts spreche ihn davon frei. Einmal wird die Krankheit als Strafe für die Verbrechen des Vaters begriffen, ein anderes Mal wird eine solche Interpretation als Aberglaube abgetan.
Man könnte dies alles nun als Ausdruck eines ungelösten Vater-Sohn-Konflikts verstehen. Die unentschiedene Haltung des Erzählers aber hat sich leider auch auf die Erzählstruktur des Romans übertragen. Der Text eiert, steckt voller Redundanzen, man könnte nicht einmal sagen, dass er wie der schließlich demente Vater seiner eigenen Auflösung entgegenarbeitet. So wenig wie der Erzähler eine Haltung gegenüber seinem Vater entwickelt, so wenig entwickelt der Autor eine Haltung gegenüber seinem Text. Unentschieden arbeitet er mit verschiedenen Textbausteinen, bringt sie jedoch in keine literarisch sinnvolle Ordnung.
Offenbar hat dieser schwache Roman des großen serbischen Erzählers Albahari auch Mirjana und Klaus Wittmann, dieses an sich verdienstvolle Übersetzerpaar, irritiert. So finden sich zahlreiche ungelenke, im Deutschen zuweilen fast unverständliche Sätze, etwa wenn der Arzt den Erzähler fragt: „Hat es einen Schuss gegeben?“. Anders als zu erwarten, bezieht er sich nicht auf Feuerwaffen, sondern auf die immer wieder auftauchende Viagra-Frage, und damit auf das einzig bizarre und wie aufgesetzt wirkende Erzählelement.
TOBIAS LEHMKUHL
David Albahari: Heute ist Mittwoch. Roman. Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2020. 208 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Stalinisten
War er ein Ekel? David Albahari
erzählt von einem kranken Vater
Nichts sei schwieriger, als den eigenen Vater zu lieben, heißt es in David Albaharis Roman „Heute ist Mittwoch“. Was sich so leicht nicht verallgemeinern lässt, gilt doch für den Erzähler, der diesen Satz schreibt, in besonderem Maß. Sein Vater, ein Patriarch zwar durch und durch, aber einer, der nie die Hand gegen seine Kinder erhoben hat, sein für balkanische Verhältnisse fürsorglicher Vater also, erhob als Mitglied eines Erschießungskommandos regelmäßig das Gewehr. Und mehr als das: Als Mitglied der Geheimpolizei Jugoslawien piesackte und quälte dieser Vater alle Großbauern und Pfarrer, deren er habhaft werden konnte, ritt auf ihren Rücken und rammte ihnen die Hacken in die Nieren, riss den Pfarrern die Barthaare aus und warf die Bauern in die Schweineställe, auf dass sie sich dort suhlten wie ihr Vieh.
Ein Ekel also durch und durch? Oder doch nur jemand, den der Glaube an die gerechte Sache zum Unmenschen gemacht hat? In „Heute ist Mittwoch“ ist dieser Vater längst kein den Nachbarn Angst einflößender Stalinist mehr, sondern ein alter Mann, der unter Parkinson leidet, und doch noch hofft, bei der Krankenschwester Nadica mit Hilfe von Viagra zum Schuss zu kommen. Sein Sohn, der Erzähler, geht sogar mit ihm in die Apotheke, um das Zaubermittel zu kaufen, macht sich aber zugleich Sorgen, dass Nadica sich seines Vaters nicht wird erwehren können (sie kann es dann aber sehr wohl).
Wie dieser Erzähler überhaupt hin- und hergerissen ist zwischen familiärer Verbundenheit und ethischen Skrupeln. Einmal schreit er den Arzt an, sein Vater sei keineswegs ein Ungeheuer gewesen, ein anderes Mal schreit er seine Schwester an, der Vater habe sehr wohl übelste Taten verübt, und nichts spreche ihn davon frei. Einmal wird die Krankheit als Strafe für die Verbrechen des Vaters begriffen, ein anderes Mal wird eine solche Interpretation als Aberglaube abgetan.
Man könnte dies alles nun als Ausdruck eines ungelösten Vater-Sohn-Konflikts verstehen. Die unentschiedene Haltung des Erzählers aber hat sich leider auch auf die Erzählstruktur des Romans übertragen. Der Text eiert, steckt voller Redundanzen, man könnte nicht einmal sagen, dass er wie der schließlich demente Vater seiner eigenen Auflösung entgegenarbeitet. So wenig wie der Erzähler eine Haltung gegenüber seinem Vater entwickelt, so wenig entwickelt der Autor eine Haltung gegenüber seinem Text. Unentschieden arbeitet er mit verschiedenen Textbausteinen, bringt sie jedoch in keine literarisch sinnvolle Ordnung.
Offenbar hat dieser schwache Roman des großen serbischen Erzählers Albahari auch Mirjana und Klaus Wittmann, dieses an sich verdienstvolle Übersetzerpaar, irritiert. So finden sich zahlreiche ungelenke, im Deutschen zuweilen fast unverständliche Sätze, etwa wenn der Arzt den Erzähler fragt: „Hat es einen Schuss gegeben?“. Anders als zu erwarten, bezieht er sich nicht auf Feuerwaffen, sondern auf die immer wieder auftauchende Viagra-Frage, und damit auf das einzig bizarre und wie aufgesetzt wirkende Erzählelement.
TOBIAS LEHMKUHL
David Albahari: Heute ist Mittwoch. Roman. Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2020. 208 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Andreas Breitenstein liest in David Albaharis Versuch, die Geschichte seiner Heimat Jugoslawien mit der eines Parkinson-Leidens zu verbinden als großes Werk des Trostes. Mit "radikaler Offenheit", Genauigkeit, Witz und Würze, erklärt Breitenstein, lässt der Autor seinen Erzähler dem an Parkinson erkrankten Vater hinter die Kulissen schauen, wo sich die der "Skandal seines Lebens", eine ungeheure Kriegsschuld, verbirgt. Was der Rezensent nicht für möglich gehalten hatte, Parkinson als Literatur, Albahari macht's möglich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2020Das elastische Gewissen
Krankheit als Strafe für jugendlichen Terrorismus? David Albaharis Roman "Heute ist Mittwoch" prüft Familienbande.
Die Insel Goli Otok liegt vor der kroatischen Adriaküste. Seit dem Ersten Weltkrieg diente sie verschiedenen Regierungen immer wieder als Lager für Kriegsgefangene und politische Häftlinge, besonders intensiv genutzt wurde sie in Titos Jugoslawien, als nach dem Bruch des Landes mit der Sowjetunion Tausende inhaftiert wurden, denen etwa Treue zu Moskau vorgeworfen wurde. Auf der Insel erwartete sie ein undurchschaubares Willkürregime, Spießrutenläufe mit Schlägen von den bisherigen Insassen, harte Arbeit und Hunger. Wer dorthin kam, konnte über den wahren Grund der Deportation oft nur mutmaßen. Und nahm das, was er dort darüber erkannt, gehört oder ergrübelt hatte, zurück in die Zivilgesellschaft, falls er die Lagerhaft überlebte.
Über seine Zeit auf Goli Otok, der "nackten Insel", hat der Vater des Erzählers von David Albaharis Roman "Heute ist Mittwoch" lange Zeit nicht groß gesprochen, wenigstens nicht mit seinen beiden Kindern, die trotzdem von der neunmonatigen Haft wussten. Nach dem Krebstod von deren Mutter, den der Vater mit unfassbarer Bösartigkeit begleitet, zeigen sich auch bei ihm Symptome, die schließlich als Parkinsonsche Krankheit diagnostiziert werden. Während seine Tochter, die damals die Mutter gepflegt hatte, sich von dem zänkischen Alten zurückzieht, widmet ihm sein knapp sechzigjähriger Sohn nun seine Zeit: Er zieht in die Wohnung des Achtzigjährigen, hilft ihm beim Anziehen, obwohl der Vater diese Hilfe wütend ablehnt, und ist geduldig, wenn er den Greis wieder einmal vom Boden aufheben muss, weil der beim Versuch, alles allein zu machen, gestürzt ist.
Vor allem aber wird er zum Adressaten einer Art Beichte, die der Vater in immer neuen Anläufen ablegt, einem lückenhaften Schuldgeständnis in vielen Variationen, das den Sohn dazu zwingt, seinerseits immer wieder nachzufragen, weil er verstehen will, was sein Vater, ehedem und vielleicht noch immer überzeugter Parteisoldat, verbrochen hat. Es sind Exzesse der Grausamkeit, staatlich sanktionierte Überfälle auf vermeintliche Faschisten und sogenannte Volksverräter, willkürliche Übergriffe, die im Bewusstsein verübt werden, als junger Vertreter der jugoslawischen Revolution könnte man sich alles erlauben. Bis eine andere Strömung an die Macht kommt und ihn nach Goli Otok verbannt.
"Ich dachte, er musste erst so schwer krank werden, damit zwischen uns ein Gefühl der Nähe entsteht", sagt der Erzähler einmal, aber dieser harmlos klingende Satz hat es in sich: Zum einen, weil er eine lange Zeit der Distanz einräumt und - im Leser wie wohl auch im diskreten Erzähler - die Frage aufwirft, wie es dazu eigentlich gekommen ist. Zweitens, weil die Frage, was das für eine Nähe ist, die der Sohn entstehen sieht, keine abschließende Antwort findet, sondern je nach der Situation, nach dem zwischen den beiden verhandelten Themen und auch dem Grad der väterlichen Krankheit unterschiedlich erscheint. Und drittens, weil auch die Krankheit selbst allen Beteiligten Rätsel aufgibt. Dem Sohn jedenfalls erscheint die Demenz, die der Vater schließlich entwickelt, als eine Flucht aus einer Welt, die sich immer mehr gegen ihn wendet.
Es sind Schuldfragen, die Vater und Sohn wälzen, der Sohn ehrlich bemüht, der Vater voller Winkelzüge. Darf man die Verbrechen des Vaters, die alten wie die aus der jüngeren Zeit, mit dem Hinweis auf die entsetzliche Haft auf Goli Otok relativieren? Welchen inneren Prozess hat der Vater, der sich gern auf sein Gewissen beruft, bereits in Gang gesetzt, um sich ganz allein von seinen Verbrechen freizusprechen? Wie passt dazu der Satz des Vaters, den der Sohn aus der Erinnerung zitiert: "Ein Gewissen zu haben, sagte er, bedeute im Frieden mit der Welt und mit sich selbst zu leben, was einfach klingt, jedoch nicht so leicht zu erreichen sei"? Er habe also mit der Vergangenheit abgeschlossen, "nur noch etwa zwei Dutzend Menschen" lasteten auf seinem Gewissen", aber jetzt, mit der "vom Herrgott" geschickten Krankheit, sei auch das beglichen. Dass der Sohn trotzdem nicht locker lässt, passt dem Greis ersichtlich nicht.
Die Handlung des Romans besteht im Wesentlichen aus langen Spaziergängen von Vater und Sohn am Donauufer in Belgrad, unterbrochen von Stürzen und Schwächeanfällen des Vaters, begleitet von langen Gesprächen und, wie es scheint, ebenso langem Schweigen. Und auch die Rückblenden sind an solche Gespräche geknüpft oder an die hilflosen Erörterungen zwischen Bruder und Schwester, denen der Vater weiterhin rätselhaft bleibt. So folgt der Roman einer in sich geschlossenen Struktur, in der das Ende unübersehbar an den Beginn anknüpft, und zugleich ist die Geschichte bestimmt vom Fortschreiten der Parkinson-Erkrankung des Vaters.
Auch der Sohn findet dafür eine Deutung, die aber nichts von einer himmlischen Strafe oder Sühne hat. Er stellt sich vor, dass Körper und Geist seines Vaters - und mithin auch dessen Gewissen - uneins sind, wenn es um die Deutung der Vergangenheit geht, dass der angespannte, schwache Zustand des Vaters also eine Folge der Lebenslüge ist, die ihn seit jeher begleitet.
Dass es Albahari in vielen Büchern bisher und auch in diesem nicht zuletzt um die Frage geht, wie in einem unentwirrbaren Gestrüpp von Äußerungen, Erinnerungen, Bezichtigungen und Verteidigungen zwischen Lüge und Wahrheit unterschieden werden könne, ist offensichtlich, und auch das hartnäckige Bohren und Wühlen seiner Protagonisten in diesem Gestrüpp ist ein vertrautes Element im Werk dieses Autors. Hier kommt hinzu, dass es für den Erzähler verführerisch wäre, den Mann, der ihm selbst, wie er einmal sagt, immer ein guter Vater gewesen ist, in dieser schwierigen Phase in Ruhe zu lassen, so dass er sich selbst mitunter fragt, in wessen Namen er den alten Mann eigentlich bedrängt.
Was dabei zutage kommt, was Albahari dem Leser in unnachahmlicher Beiläufigkeit und umso nachdrücklicher präsentiert, sind tatsächlich wahre Abgründe, und wie die Frage nach Täterschaft und Opferdasein vom Vater verzweifelt unbekümmert beantwortet, vom Sohn immer mehr als heillos verworren erkannt wird, entwickelt Albahari meisterlich und oft genug an seinem Erzähler vorbei.
Natürlich zielt der Autor auf einen Umkreis, der viel weiter ist als der dieser Familie, und dass man Anschauungsmaterial nicht nur dort findet, wo ein Krieg vorbei ist und ein Regimewechsel stattgefunden hat, liegt auf der Hand. Und doch ist "Heute ist Mittwoch" auch ein anrührendes Porträt einer Gruppe von Individuen, die sich verzweifelt fragen, was sie eigentlich miteinander zu tun haben und warum es ihnen nicht gelingt, die Fäden, die sie verbinden, endlich zu durchtrennen.
TILMAN SPRECKELSEN.
David Albahari: "Heute ist Mittwoch". Roman.
Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt 2020. 208 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krankheit als Strafe für jugendlichen Terrorismus? David Albaharis Roman "Heute ist Mittwoch" prüft Familienbande.
Die Insel Goli Otok liegt vor der kroatischen Adriaküste. Seit dem Ersten Weltkrieg diente sie verschiedenen Regierungen immer wieder als Lager für Kriegsgefangene und politische Häftlinge, besonders intensiv genutzt wurde sie in Titos Jugoslawien, als nach dem Bruch des Landes mit der Sowjetunion Tausende inhaftiert wurden, denen etwa Treue zu Moskau vorgeworfen wurde. Auf der Insel erwartete sie ein undurchschaubares Willkürregime, Spießrutenläufe mit Schlägen von den bisherigen Insassen, harte Arbeit und Hunger. Wer dorthin kam, konnte über den wahren Grund der Deportation oft nur mutmaßen. Und nahm das, was er dort darüber erkannt, gehört oder ergrübelt hatte, zurück in die Zivilgesellschaft, falls er die Lagerhaft überlebte.
Über seine Zeit auf Goli Otok, der "nackten Insel", hat der Vater des Erzählers von David Albaharis Roman "Heute ist Mittwoch" lange Zeit nicht groß gesprochen, wenigstens nicht mit seinen beiden Kindern, die trotzdem von der neunmonatigen Haft wussten. Nach dem Krebstod von deren Mutter, den der Vater mit unfassbarer Bösartigkeit begleitet, zeigen sich auch bei ihm Symptome, die schließlich als Parkinsonsche Krankheit diagnostiziert werden. Während seine Tochter, die damals die Mutter gepflegt hatte, sich von dem zänkischen Alten zurückzieht, widmet ihm sein knapp sechzigjähriger Sohn nun seine Zeit: Er zieht in die Wohnung des Achtzigjährigen, hilft ihm beim Anziehen, obwohl der Vater diese Hilfe wütend ablehnt, und ist geduldig, wenn er den Greis wieder einmal vom Boden aufheben muss, weil der beim Versuch, alles allein zu machen, gestürzt ist.
Vor allem aber wird er zum Adressaten einer Art Beichte, die der Vater in immer neuen Anläufen ablegt, einem lückenhaften Schuldgeständnis in vielen Variationen, das den Sohn dazu zwingt, seinerseits immer wieder nachzufragen, weil er verstehen will, was sein Vater, ehedem und vielleicht noch immer überzeugter Parteisoldat, verbrochen hat. Es sind Exzesse der Grausamkeit, staatlich sanktionierte Überfälle auf vermeintliche Faschisten und sogenannte Volksverräter, willkürliche Übergriffe, die im Bewusstsein verübt werden, als junger Vertreter der jugoslawischen Revolution könnte man sich alles erlauben. Bis eine andere Strömung an die Macht kommt und ihn nach Goli Otok verbannt.
"Ich dachte, er musste erst so schwer krank werden, damit zwischen uns ein Gefühl der Nähe entsteht", sagt der Erzähler einmal, aber dieser harmlos klingende Satz hat es in sich: Zum einen, weil er eine lange Zeit der Distanz einräumt und - im Leser wie wohl auch im diskreten Erzähler - die Frage aufwirft, wie es dazu eigentlich gekommen ist. Zweitens, weil die Frage, was das für eine Nähe ist, die der Sohn entstehen sieht, keine abschließende Antwort findet, sondern je nach der Situation, nach dem zwischen den beiden verhandelten Themen und auch dem Grad der väterlichen Krankheit unterschiedlich erscheint. Und drittens, weil auch die Krankheit selbst allen Beteiligten Rätsel aufgibt. Dem Sohn jedenfalls erscheint die Demenz, die der Vater schließlich entwickelt, als eine Flucht aus einer Welt, die sich immer mehr gegen ihn wendet.
Es sind Schuldfragen, die Vater und Sohn wälzen, der Sohn ehrlich bemüht, der Vater voller Winkelzüge. Darf man die Verbrechen des Vaters, die alten wie die aus der jüngeren Zeit, mit dem Hinweis auf die entsetzliche Haft auf Goli Otok relativieren? Welchen inneren Prozess hat der Vater, der sich gern auf sein Gewissen beruft, bereits in Gang gesetzt, um sich ganz allein von seinen Verbrechen freizusprechen? Wie passt dazu der Satz des Vaters, den der Sohn aus der Erinnerung zitiert: "Ein Gewissen zu haben, sagte er, bedeute im Frieden mit der Welt und mit sich selbst zu leben, was einfach klingt, jedoch nicht so leicht zu erreichen sei"? Er habe also mit der Vergangenheit abgeschlossen, "nur noch etwa zwei Dutzend Menschen" lasteten auf seinem Gewissen", aber jetzt, mit der "vom Herrgott" geschickten Krankheit, sei auch das beglichen. Dass der Sohn trotzdem nicht locker lässt, passt dem Greis ersichtlich nicht.
Die Handlung des Romans besteht im Wesentlichen aus langen Spaziergängen von Vater und Sohn am Donauufer in Belgrad, unterbrochen von Stürzen und Schwächeanfällen des Vaters, begleitet von langen Gesprächen und, wie es scheint, ebenso langem Schweigen. Und auch die Rückblenden sind an solche Gespräche geknüpft oder an die hilflosen Erörterungen zwischen Bruder und Schwester, denen der Vater weiterhin rätselhaft bleibt. So folgt der Roman einer in sich geschlossenen Struktur, in der das Ende unübersehbar an den Beginn anknüpft, und zugleich ist die Geschichte bestimmt vom Fortschreiten der Parkinson-Erkrankung des Vaters.
Auch der Sohn findet dafür eine Deutung, die aber nichts von einer himmlischen Strafe oder Sühne hat. Er stellt sich vor, dass Körper und Geist seines Vaters - und mithin auch dessen Gewissen - uneins sind, wenn es um die Deutung der Vergangenheit geht, dass der angespannte, schwache Zustand des Vaters also eine Folge der Lebenslüge ist, die ihn seit jeher begleitet.
Dass es Albahari in vielen Büchern bisher und auch in diesem nicht zuletzt um die Frage geht, wie in einem unentwirrbaren Gestrüpp von Äußerungen, Erinnerungen, Bezichtigungen und Verteidigungen zwischen Lüge und Wahrheit unterschieden werden könne, ist offensichtlich, und auch das hartnäckige Bohren und Wühlen seiner Protagonisten in diesem Gestrüpp ist ein vertrautes Element im Werk dieses Autors. Hier kommt hinzu, dass es für den Erzähler verführerisch wäre, den Mann, der ihm selbst, wie er einmal sagt, immer ein guter Vater gewesen ist, in dieser schwierigen Phase in Ruhe zu lassen, so dass er sich selbst mitunter fragt, in wessen Namen er den alten Mann eigentlich bedrängt.
Was dabei zutage kommt, was Albahari dem Leser in unnachahmlicher Beiläufigkeit und umso nachdrücklicher präsentiert, sind tatsächlich wahre Abgründe, und wie die Frage nach Täterschaft und Opferdasein vom Vater verzweifelt unbekümmert beantwortet, vom Sohn immer mehr als heillos verworren erkannt wird, entwickelt Albahari meisterlich und oft genug an seinem Erzähler vorbei.
Natürlich zielt der Autor auf einen Umkreis, der viel weiter ist als der dieser Familie, und dass man Anschauungsmaterial nicht nur dort findet, wo ein Krieg vorbei ist und ein Regimewechsel stattgefunden hat, liegt auf der Hand. Und doch ist "Heute ist Mittwoch" auch ein anrührendes Porträt einer Gruppe von Individuen, die sich verzweifelt fragen, was sie eigentlich miteinander zu tun haben und warum es ihnen nicht gelingt, die Fäden, die sie verbinden, endlich zu durchtrennen.
TILMAN SPRECKELSEN.
David Albahari: "Heute ist Mittwoch". Roman.
Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt 2020. 208 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Eleganter und unaufwendiger als David Albahari zieht kaum jemand dem Leser den Boden unter den Füßen weg.«Deutschlandradio Kultur»Kunstvoll und gnadenlos macht Albahari deutlich, dass jedes Heute von Vergangenheit bestimmt ist.«Deutschlandfunk Kultur Lesart