Mirko Bonnés Gedichte treten auf wie die Blüten des Hibiskus, die sich in strenger Folge eine nach der anderen entfalten, öffnen und verblühen, um so einmalige Reihen und Übergänge zu schaffen.
In bezwingend eigenwilligen Äußerungen hebt Mirko Bonné die Gegenstände des täglichen Lebens, die Begebenheiten und Erinnerungen in eine - sinnliche Schwebe (Frankfurter Rundschau), in der man auf Gedächtniseingreiftruppen ebenso stößt wie auf Instrumente zur Verzeichnung der Sorgengebiete .
In bezwingend eigenwilligen Äußerungen hebt Mirko Bonné die Gegenstände des täglichen Lebens, die Begebenheiten und Erinnerungen in eine - sinnliche Schwebe (Frankfurter Rundschau), in der man auf Gedächtniseingreiftruppen ebenso stößt wie auf Instrumente zur Verzeichnung der Sorgengebiete .
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2003Ein junger Mann, was der so kann
Erlösung light und Heiterkeit weit: Mirko Bonné huldigt den versammelten Blüten des „Hibiskus Code”
Die Wetterrose muss ein geradezu magisches Gewächs sein. Unter all den Arten des Hibiskus ist sie jene kleine Zierpflanze, deren dunkel gefleckte Blüten nur für kurze Zeit geöffnet sind. An diese Wetterrose mit ihrem schillernden Versprechen auf momenthaftes Glück mag der Schriftsteller Mirko Bonné gedacht haben, als er nach einem griffigen Titel für seinen neuen Lyrikband suchte: „Augenuntersuchung. Die Pupillen / weit gestellt, schon ist das Licht / nicht Favoritin dieses Tages. / Alles strahlt für den Moment, / Bäume, Leute, Maulheld.”
„Trikolore” nennt sich der erste Text des schmalen Buches, und hier wird, wenn schon kein Programm, so doch eine Schreibhaltung skizziert, die das Gedicht auf den genauen Blick einzuschwören sucht. Die Augen wollen die eigentlichen Protagonisten dieser Alltagsszenerien sein, und was sie fixieren – „Neppläden”, einen „verrosteten Montagekran” oder „stotternde Laubgebläse” – zeigt sich im zuweilen schalen, zuweilen erfüllenden Glanz des Momenthaften. Mirko Bonnés Lyrik, so könnte man also meinen, will zum Wesentlichen der Dinge vordringen, indem sie sich konsequent an die präzise Beschreibung der erhaschten Oberfläche hält.
Doch der lyrische Analyst begnügt sich nicht mit dem Versuch, Gegenstände und „Leute / mit der Augenschere zu packen”, seine Verse wollen immer schon auswerten, was die geschärften Pupillen registriert haben. Der 1965 geborene Bonné scheint der suggestiven Kraft des arrangierten Materials nicht recht zu trauen, vielmehr staffiert er seine Gedichte ein ums andere Mal mit diagnostischen Sätzen aus: „Im Morgenchlor hält alles fest / an aller Rückzugsmöglichkeit, d.h. / es ist Herbst im nervösen Jahrhundert”. Die großen Erzählungen haben keine Bedeutung mehr, rufen uns diese Verse zu – und allen ironischen Zwischentönen zum Trotz meinen sie es durchaus ernst. „Kahlere Stunden” dräuen am Horizont vieler Gedichte, so dass allein die Möglichkeit des Fragens übrig bleibt: „Ein junger / Mann an eine Mauer gelehnt, das ist / ein wohlbekanntes Bild, die Neon- / röhre lässt nicht an Lichtjahre denken. / Wo sind wir zu dieser Zeit? Wo?” Noch der kleinste Bildsplitter soll hier zum Spiegel kosmischer Erregungszustände werden.
In den Dienst seiner lyrischen Befundekunde nimmt der Autor das Stimmengewirr der literarischen Moderne ebenso wie geschichtliche Spuren, den Jargon der Straße oder die Wortspeicher mancher Wissenschaft. Das hat nur dann seinen Reiz, wenn es ihm gelingt, seine Anspielungen an die eingestreuten Beobachtungen rückzubinden. Allein, es sind nicht selten zu viele Töne und Motive, die Bonné seinen Gedichten einzuschreiben sucht. Während es in Texten wie „Weltausstellung”, einem Parforceritt durch die Menschheitsgeschichte in 28 Zeilen, gerade zum Notieren einiger der bekanntesten Topoi reicht, versammelt Bonné in „Ode an Null” so heterogene Sprach- und Weltteilchen, dass er sie nicht mehr bändigen kann.
Konziser wird es dort, wo der Zeitdiagnostiker sich in einen Gedächtnismenschen verwandelt, der seine Bilder aus der Erinnerung oder aus eigens präparierten geschichtlichen Ereignissen hervortreibt. „Krebsquartett” ist ein solcher Text, in dessen rhythmischen Strophen eine Krankenhausszenerie, Kindheitsrituale und Benns Morgue- Sektionen ausbalanciert werden. So manche stilistische Ungenauigkeit aus der ersten Hälfte des Bandes kann hier wettgemacht werden. Statt auf Wortungetüme wie „Hungertotengrimasse”, „Gedächtniseingreiftruppe” oder „mundhöhlenhafte Aufenthaltsräume” stößt man auf kühle, zugreifende Formulierungen. Statt bemüht ironischer Verse, in denen der Autor ganz unbekümmert „Verona” auf „Hotelbewohner” und „Erlösung light” auf „Heiterkeit” reimt, gibt es hier die kalkulierte Assonanz: „Das Losungswort, das Doppel-K, / stand für malignes Karzinom und Schwester K. / im gelben Licht der Krebsstation.” Doch allzu kurz sind die Momente, in welchen Bonné die Pupillen weit stellt und Holzschachteln skizziert oder „Tuschzeichnungen von Blumen, / die es auf der Welt überhaupt nicht gab”. Am Ende ist er wieder bei seinen Diagnosen über das „nervöse Jahrhundert” angelangt, die so gefällig sind, dass sie jedes Detail in einer süßen Wässrigkeit auflösen: „Hibiskus, Held, es wird Zeit: so zu blühen, / mit zwei grauen Sonnen auch nachts. / Keine Wendemöglichkeit: die Augen verzuckert, / ist die Blume im Spiegel verschwommen.”
NICO BLEUTGE
MIRKO BONNÉ: Hibiskus Code. Gedichte. DuMont Literaturverlag, Köln 2003. 96 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Erlösung light und Heiterkeit weit: Mirko Bonné huldigt den versammelten Blüten des „Hibiskus Code”
Die Wetterrose muss ein geradezu magisches Gewächs sein. Unter all den Arten des Hibiskus ist sie jene kleine Zierpflanze, deren dunkel gefleckte Blüten nur für kurze Zeit geöffnet sind. An diese Wetterrose mit ihrem schillernden Versprechen auf momenthaftes Glück mag der Schriftsteller Mirko Bonné gedacht haben, als er nach einem griffigen Titel für seinen neuen Lyrikband suchte: „Augenuntersuchung. Die Pupillen / weit gestellt, schon ist das Licht / nicht Favoritin dieses Tages. / Alles strahlt für den Moment, / Bäume, Leute, Maulheld.”
„Trikolore” nennt sich der erste Text des schmalen Buches, und hier wird, wenn schon kein Programm, so doch eine Schreibhaltung skizziert, die das Gedicht auf den genauen Blick einzuschwören sucht. Die Augen wollen die eigentlichen Protagonisten dieser Alltagsszenerien sein, und was sie fixieren – „Neppläden”, einen „verrosteten Montagekran” oder „stotternde Laubgebläse” – zeigt sich im zuweilen schalen, zuweilen erfüllenden Glanz des Momenthaften. Mirko Bonnés Lyrik, so könnte man also meinen, will zum Wesentlichen der Dinge vordringen, indem sie sich konsequent an die präzise Beschreibung der erhaschten Oberfläche hält.
Doch der lyrische Analyst begnügt sich nicht mit dem Versuch, Gegenstände und „Leute / mit der Augenschere zu packen”, seine Verse wollen immer schon auswerten, was die geschärften Pupillen registriert haben. Der 1965 geborene Bonné scheint der suggestiven Kraft des arrangierten Materials nicht recht zu trauen, vielmehr staffiert er seine Gedichte ein ums andere Mal mit diagnostischen Sätzen aus: „Im Morgenchlor hält alles fest / an aller Rückzugsmöglichkeit, d.h. / es ist Herbst im nervösen Jahrhundert”. Die großen Erzählungen haben keine Bedeutung mehr, rufen uns diese Verse zu – und allen ironischen Zwischentönen zum Trotz meinen sie es durchaus ernst. „Kahlere Stunden” dräuen am Horizont vieler Gedichte, so dass allein die Möglichkeit des Fragens übrig bleibt: „Ein junger / Mann an eine Mauer gelehnt, das ist / ein wohlbekanntes Bild, die Neon- / röhre lässt nicht an Lichtjahre denken. / Wo sind wir zu dieser Zeit? Wo?” Noch der kleinste Bildsplitter soll hier zum Spiegel kosmischer Erregungszustände werden.
In den Dienst seiner lyrischen Befundekunde nimmt der Autor das Stimmengewirr der literarischen Moderne ebenso wie geschichtliche Spuren, den Jargon der Straße oder die Wortspeicher mancher Wissenschaft. Das hat nur dann seinen Reiz, wenn es ihm gelingt, seine Anspielungen an die eingestreuten Beobachtungen rückzubinden. Allein, es sind nicht selten zu viele Töne und Motive, die Bonné seinen Gedichten einzuschreiben sucht. Während es in Texten wie „Weltausstellung”, einem Parforceritt durch die Menschheitsgeschichte in 28 Zeilen, gerade zum Notieren einiger der bekanntesten Topoi reicht, versammelt Bonné in „Ode an Null” so heterogene Sprach- und Weltteilchen, dass er sie nicht mehr bändigen kann.
Konziser wird es dort, wo der Zeitdiagnostiker sich in einen Gedächtnismenschen verwandelt, der seine Bilder aus der Erinnerung oder aus eigens präparierten geschichtlichen Ereignissen hervortreibt. „Krebsquartett” ist ein solcher Text, in dessen rhythmischen Strophen eine Krankenhausszenerie, Kindheitsrituale und Benns Morgue- Sektionen ausbalanciert werden. So manche stilistische Ungenauigkeit aus der ersten Hälfte des Bandes kann hier wettgemacht werden. Statt auf Wortungetüme wie „Hungertotengrimasse”, „Gedächtniseingreiftruppe” oder „mundhöhlenhafte Aufenthaltsräume” stößt man auf kühle, zugreifende Formulierungen. Statt bemüht ironischer Verse, in denen der Autor ganz unbekümmert „Verona” auf „Hotelbewohner” und „Erlösung light” auf „Heiterkeit” reimt, gibt es hier die kalkulierte Assonanz: „Das Losungswort, das Doppel-K, / stand für malignes Karzinom und Schwester K. / im gelben Licht der Krebsstation.” Doch allzu kurz sind die Momente, in welchen Bonné die Pupillen weit stellt und Holzschachteln skizziert oder „Tuschzeichnungen von Blumen, / die es auf der Welt überhaupt nicht gab”. Am Ende ist er wieder bei seinen Diagnosen über das „nervöse Jahrhundert” angelangt, die so gefällig sind, dass sie jedes Detail in einer süßen Wässrigkeit auflösen: „Hibiskus, Held, es wird Zeit: so zu blühen, / mit zwei grauen Sonnen auch nachts. / Keine Wendemöglichkeit: die Augen verzuckert, / ist die Blume im Spiegel verschwommen.”
NICO BLEUTGE
MIRKO BONNÉ: Hibiskus Code. Gedichte. DuMont Literaturverlag, Köln 2003. 96 Seiten, 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Trotz einer gewissen Anerkennung in manchen Teilen steht Nico Bleutge diesem Gedichtband von Mirko Bonne größtenteils skeptisch gegenüber. Der Dichter versuche, sich den Dingen über das genaue Betrachten zu nähern, diese gleichzeitig aber auch zu analysieren. Obwohl ihm dies in Teilen durch "kühle, zugreifende Formulierungen" gelinge, sei seine "lyrische Befundekunde", sein Versammeln verschiedenster Stile und Themen, einfach zu viel des Guten seien, meint der Rezensent, was in Verbindung mit "stilistischen Ungenauigkeiten" dazu führe, dass der Dichter seine eigenen Beobachtungen und Analysen verwässere.
© Perlentaucher Medien GmbH
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