An einem Tag im August beschließt Irma, die Erde zu verlassen, ihren Eltern und Freunden für immer den Rücken zu kehren und eine Heldin zu werden. Gemeinsam mit dem rätselhaften Sam wird sie in einer spektakulären Fernsehshow dafür ausgewählt, einen neuen Planeten zu besiedeln. Doch dann entscheidet sich Sam plötzlich anders. Er, der abgeschirmt von der Welt und den Menschen aufwuchs, ergreift die Flucht. Er will endlich Antworten auf die Fragen nach seiner Herkunft, nach seiner Geschichte. Und so begeben sich Sam und Irma auf eine Reise - nicht ins All, sondern durch abgestorbene Wälder, lebensfeindliche Städte, entlang leerer Straßen. Sie entdecken eine kaputte Welt von surrealer Schönheit, verfolgt - oder doch gelenkt? - von Mächten, die Puppenspielern gleich im Hintergrund die Fäden ziehen.
Hier ist es schön ist ein so phantastischer wie gegenwärtiger Roman über den Größenwahn der Menschen, die Ausbeutung der Natur, die totale Überwachung, den Zynismus von Reality-Shows - vor allem aber ist es ein Roman über das Wünschen und das Träumen, ein zärtliches Porträt zweier junger Menschen und ihres Kampfes um Freiheit und Selbstbestimmung.
Hier ist es schön ist ein so phantastischer wie gegenwärtiger Roman über den Größenwahn der Menschen, die Ausbeutung der Natur, die totale Überwachung, den Zynismus von Reality-Shows - vor allem aber ist es ein Roman über das Wünschen und das Träumen, ein zärtliches Porträt zweier junger Menschen und ihres Kampfes um Freiheit und Selbstbestimmung.
buecher-magazin.deDie Welt endet wie ein altes Tier, das stirbt. Das Getreide wächst nicht mehr, das Obst geht ein. Benzin wird unfassbar teuer. Wer kann, baut Kartoffeln und Pastinaken an, unter schwefelgelben Himmeln ziehen vereinzelte Menschen über die Autobahnen. In der Steppe um Hannover grast ein magerer Elefant. Zwei Auserwählte, ein Mann und eine Frau, sollen auf einem neuen Planeten von vorne anfangen. Wer das sein wird, entscheidet sich in einer spektakulären Reality Show. Mit 16 ist Irma eine von Zehntausenden, die sich bewerben. Zehn Jahre später sind nur noch Sam und sie übrig - Sam, der Junge ohne Erinnerungen, von dem es heißt, er sei "angespült worden". Sie sind auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit, aufs Überleben im All trainiert. Doch kurz vor dem Start der Rakete reißt Sam aus. Er sucht "die Insel", einen Mythos, der sich hartnäckig hält, obwohl jeder weiß, dass es keine Inseln mehr gibt. Irma wird beauftragt, ihn zurückzuholen. Wer wissenschaftlich fundierte Science-Fiction oder den Spannungsbogen eines Katastrophenfilms erwartet, wird von diesem Buch enttäuscht. Stattdessen erzählt Annika Scheffel in einer leisen, distanzierten Sprache und sinnlichen Bildern, wie die Menschheit sich aufgibt, alles Überflüssige abstreift, wie am Ende nichts bleibt als die bloße Existenz.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2018Zurück in die Zukunft
Heimelige Dystopie: Annika Scheffels "Hier ist es schön"
Die Welt ist müde. Sie ist noch schön an manchen Ecken, aber an ihre Zukunft glaubt man nicht mehr. Dabei hat die jugendliche Irma eigentlich alles, was das Leben liebenswert macht: sorgende Eltern, die ihr Apfelspalten schnitzen und Marmorkuchen backen, Brote schmieren für die lange Reise, die sie unbedingt antreten will, und einen Brief um den anderen schreiben, der sie von dem ebenso verwegenen wie absurden Plan entgegen allen Beteuerungen doch irgendwie abhalten soll.
Die junge Heldin wurde von einer Castingshow auserwählt, eine Weltraumreise ohne Wiederkehr anzutreten. Begleitet wird sie von einem homunkulushaften Jungen, der angeblich an einem Strand angespült wurde und die Welt mit großen staunenden Augen betrachtet. Die technische Vorbereitung der Mission ist zweifelhaft, der zivilisatorische Mehrwert steht in den Sternen. Das zynische Muster der Castingshow scheint über jede vernünftige Zwecksetzung erhaben.
Seit der Mondlandung weiß man, dass der blaue Planet einen besonderen Freizeitwert hat. Die Autorin zögert daher auch nicht lange, das fragwürdige Reisemotiv aufzudecken. Die Sternreisenden fliehen aus der Unübersichtlichkeit ihres hiesigen Lebens, eine zwischen Casting-Fieber und Zukunftsangst schwankende Menschheit will ihre Hoffnungen auf die zwei Avatare im Weltall abladen. So trägt man sich gegenseitig über die Mühen des Alltags hinweg und verliert die Gegenwart aus den Augen.
Wie in früheren Romanen benutzt Annika Scheffel eine bewusst anonymisierte Außenwelt als Kontrastfolie einer märchenhaften Herkunftswelt, die sie mit überbordender Erzählfreude und Sprachphantasie ausstaffiert. Das Universum der Castingshow, in der jede soziale Routine abgestreift, jede menschliche Bindung ausgelöscht oder künstlich wiederhergestellt ist, wird nur skizzenhaft angerissen und bleibt amorph. Das Casting-Prozedere läuft unter der Aufsicht von obskuren Männern mit blauen Umhängen und Schnabelmasken ab, die wie Pfadfinder nach dem Besuch des Theaterfundus wirken. So bleibt unentschieden, ob die ins Anonyme gezogene feindliche Macht deren Unheimlichkeit oder Harmlosigkeit verstärkt.
Diese Welt steht deutlich im Schatten der lebendig und mit viel Detailliebe beschriebenen Elternwelt, aus der es die Protagonistin aus Gründen fortzieht, die man bis zum Schluss nicht recht nachvollziehen kann. Der ungekünstelte, persönliche Ton der Autorin kann sich hier am besten entfalten. Das schafft aber auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. So fortschrittsgeplagt und entfremdet will diese Welt nicht erscheinen, ganz im Gegenteil. Sie ist von einem lieblichen Retrocharme überzogen, den Scheffel zwar selbst ironisiert, aber das schafft ihn nicht aus der Welt.
Vor dem Abflug ins All beginnt für die Astronauten in spe eine Robinsonade, die sie aus Motiven, deren Dringlichkeit sich diskutieren lässt, zu einer mythischen Insel führt. Ein dunstiges Grau umhüllt die Reise, durch das gelegentlich die Sonne bricht. Die Welt ist verwildert und von ihren Bewohnern abgeschrieben: Man reist kaum noch, arbeitet in Geheimorganisationen, Hasen und Füchse kreuzen die leere Autobahn. Wie zwei Königskinder ziehen Sam und Irma durch diese Ödnis. Leute hängen sich sporadisch an ihre Fersen, sie werden bestaunt, gefeiert, vereinzelt auch geschmäht. Man diniert in einem Fackelsaal, taucht in einem verlassenen Schwimmbad, ohne dass sich Nennenswertes daraus ergibt. Der geschichtslose Sam wird der irdischen Naturwunder gewahr und kommt aus dem Staunen nicht heraus, ist aber ein Gefäß, das sich darüber nicht mit Inhalt füllt. Bei alldem ist nie klar, ob die Reise mehr als eine ausgeklügelte Marketingidee der Casting-Gesellschaft ist.
Den ersten Teil der Reise absolviert das Duo in Begleitung von Tom, Irmas inzwischen verheiratetem Sandkastenfreund. Man bedeutet sich noch etwas. Bei den Dialogen der beiden funkelt der Sprachwitz von Annika Scheffel, und man wünscht sich als Leser, das Paar müsste sich nicht wegen eines Insel- und Weltraumtrips trennen, von dem auch die Autorin am Ende nicht recht weiß, wozu es ihn gibt. Der geschichtsphilosophische und zivilisationskritische Apparat der Erzählung wird zunehmend zur Last. Auch in den mythisierenden Passagen zieht die sinnliche Sprache von Annika Scheffel in den Bann. Die sprachliche Virtuosität kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit ihren märchenhaften und dystopischen Ausgriffen mehr verspricht, als sie einlösen kann, und viel Aufwand für einfache Wahrheiten betreibt. Dass die Helden am Ende auf einer treibenden Bohrinsel landen, wirkt wie eine Metapher des Romans selbst: ankerlos in die Welt geworfen, gestrandet im Nirgendwo.
THOMAS THIEL
Annika Scheffel: "Hier ist es schön". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 389 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heimelige Dystopie: Annika Scheffels "Hier ist es schön"
Die Welt ist müde. Sie ist noch schön an manchen Ecken, aber an ihre Zukunft glaubt man nicht mehr. Dabei hat die jugendliche Irma eigentlich alles, was das Leben liebenswert macht: sorgende Eltern, die ihr Apfelspalten schnitzen und Marmorkuchen backen, Brote schmieren für die lange Reise, die sie unbedingt antreten will, und einen Brief um den anderen schreiben, der sie von dem ebenso verwegenen wie absurden Plan entgegen allen Beteuerungen doch irgendwie abhalten soll.
Die junge Heldin wurde von einer Castingshow auserwählt, eine Weltraumreise ohne Wiederkehr anzutreten. Begleitet wird sie von einem homunkulushaften Jungen, der angeblich an einem Strand angespült wurde und die Welt mit großen staunenden Augen betrachtet. Die technische Vorbereitung der Mission ist zweifelhaft, der zivilisatorische Mehrwert steht in den Sternen. Das zynische Muster der Castingshow scheint über jede vernünftige Zwecksetzung erhaben.
Seit der Mondlandung weiß man, dass der blaue Planet einen besonderen Freizeitwert hat. Die Autorin zögert daher auch nicht lange, das fragwürdige Reisemotiv aufzudecken. Die Sternreisenden fliehen aus der Unübersichtlichkeit ihres hiesigen Lebens, eine zwischen Casting-Fieber und Zukunftsangst schwankende Menschheit will ihre Hoffnungen auf die zwei Avatare im Weltall abladen. So trägt man sich gegenseitig über die Mühen des Alltags hinweg und verliert die Gegenwart aus den Augen.
Wie in früheren Romanen benutzt Annika Scheffel eine bewusst anonymisierte Außenwelt als Kontrastfolie einer märchenhaften Herkunftswelt, die sie mit überbordender Erzählfreude und Sprachphantasie ausstaffiert. Das Universum der Castingshow, in der jede soziale Routine abgestreift, jede menschliche Bindung ausgelöscht oder künstlich wiederhergestellt ist, wird nur skizzenhaft angerissen und bleibt amorph. Das Casting-Prozedere läuft unter der Aufsicht von obskuren Männern mit blauen Umhängen und Schnabelmasken ab, die wie Pfadfinder nach dem Besuch des Theaterfundus wirken. So bleibt unentschieden, ob die ins Anonyme gezogene feindliche Macht deren Unheimlichkeit oder Harmlosigkeit verstärkt.
Diese Welt steht deutlich im Schatten der lebendig und mit viel Detailliebe beschriebenen Elternwelt, aus der es die Protagonistin aus Gründen fortzieht, die man bis zum Schluss nicht recht nachvollziehen kann. Der ungekünstelte, persönliche Ton der Autorin kann sich hier am besten entfalten. Das schafft aber auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. So fortschrittsgeplagt und entfremdet will diese Welt nicht erscheinen, ganz im Gegenteil. Sie ist von einem lieblichen Retrocharme überzogen, den Scheffel zwar selbst ironisiert, aber das schafft ihn nicht aus der Welt.
Vor dem Abflug ins All beginnt für die Astronauten in spe eine Robinsonade, die sie aus Motiven, deren Dringlichkeit sich diskutieren lässt, zu einer mythischen Insel führt. Ein dunstiges Grau umhüllt die Reise, durch das gelegentlich die Sonne bricht. Die Welt ist verwildert und von ihren Bewohnern abgeschrieben: Man reist kaum noch, arbeitet in Geheimorganisationen, Hasen und Füchse kreuzen die leere Autobahn. Wie zwei Königskinder ziehen Sam und Irma durch diese Ödnis. Leute hängen sich sporadisch an ihre Fersen, sie werden bestaunt, gefeiert, vereinzelt auch geschmäht. Man diniert in einem Fackelsaal, taucht in einem verlassenen Schwimmbad, ohne dass sich Nennenswertes daraus ergibt. Der geschichtslose Sam wird der irdischen Naturwunder gewahr und kommt aus dem Staunen nicht heraus, ist aber ein Gefäß, das sich darüber nicht mit Inhalt füllt. Bei alldem ist nie klar, ob die Reise mehr als eine ausgeklügelte Marketingidee der Casting-Gesellschaft ist.
Den ersten Teil der Reise absolviert das Duo in Begleitung von Tom, Irmas inzwischen verheiratetem Sandkastenfreund. Man bedeutet sich noch etwas. Bei den Dialogen der beiden funkelt der Sprachwitz von Annika Scheffel, und man wünscht sich als Leser, das Paar müsste sich nicht wegen eines Insel- und Weltraumtrips trennen, von dem auch die Autorin am Ende nicht recht weiß, wozu es ihn gibt. Der geschichtsphilosophische und zivilisationskritische Apparat der Erzählung wird zunehmend zur Last. Auch in den mythisierenden Passagen zieht die sinnliche Sprache von Annika Scheffel in den Bann. Die sprachliche Virtuosität kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit ihren märchenhaften und dystopischen Ausgriffen mehr verspricht, als sie einlösen kann, und viel Aufwand für einfache Wahrheiten betreibt. Dass die Helden am Ende auf einer treibenden Bohrinsel landen, wirkt wie eine Metapher des Romans selbst: ankerlos in die Welt geworfen, gestrandet im Nirgendwo.
THOMAS THIEL
Annika Scheffel: "Hier ist es schön". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 389 S., geb., 22,- [Euro].
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