Wie erkläre ich einem Kind die Welt in ihrer ganzen Vielfalt? Dass es Berge und Seen gibt, aber auch Wüste? Dass kein Mensch wie der andere ist, und dass wir doch alle die gleichen Bedürfnisse haben.Oliver Jeffers macht seinem Sohn mit wenigen, präzis gewählten Worten und eindrücklichen Bildern die Welt begreifbar. Denn letztlich ist unser Fortbestehen in unserer Verantwortung. »Achte gut auf die Erde, denn es ist die einzige, die wir haben.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2018Die Zeit ist vorbei, bevor du es merkst
Verliebter Monolog mit Säugling im Arm: Das Bilderbuch "Hier sind wir" von Oliver Jeffers ist weniger und mehr als eine Anleitung zum Leben auf der Erde.
Vielleicht ist "Hier sind wir" gar nicht unbedingt ein Bilderbuch, von dem die Kinder, mit denen es gelesen wird, so viel mehr haben als ihre Eltern. Ganz sicher ist es noch keines für den Säugling, an den sich der Vater in Oliver Jeffers' Geschichte wendet, für den er diese "Anleitung zum Leben auf der Erde" verfasst. Der australische Illustrator hat sein neues Werk seinem Sohn Harland gewidmet, geschrieben hat er es in den ersten zwei Monaten als dessen Vater, als er versuchte, sich "auf das Ganze einen Reim zu machen".
Und das Ganze ist ganz schön viel: Gleich auf der ersten Doppelseite ist von Billionen Sonnensystemen die Rede, und kaum ist den staunenden Lesern "diese große Kugel, die im All schwebt und auf der wir leben" als Erde vorgestellt worden, erfahren sie auch schon, wie weit der Mars, unser nächstgelegener Planet, von uns entfernt ist.
"Wir sind glücklich, dass du uns gefunden hast", schreibt Oliver Jeffers, "denn das Weltall ist wirklich groß." Und noch bevor der erzählende Vater in einer hinreißenden Mischung aus Akribie und Lakonie zeigt, wie unterschiedlich alles ist, das Land, das Meer und der Himmel, die Menschen und die Tiere, lange bevor die letzten Doppelseiten des Buchs diese umfassende Einführung mit einer wunderbaren Bildidee voller Zärtlichkeit auf den Boden des Kinderzimmers zurückbringen, deutet sich ein erstes Mal an, worum es dem Bilderbuchkünstler geht: um das Bezaubertsein von einem neuen Erdenkind, um das Ergreifende dieses Kontakts, um das in dieser frühen Zeit im Grunde lächerliche Bedürfnis, ihm alles zu zeigen und zu erklären, ihm die Welt vorzustellen, es der Welt vorzustellen, während es doch eigentlich nur unter dem Sternenmobile im elterlichen Arm liegt und schläft.
"Hier sind wir" ist der verliebte Monolog eines Vaters über dem Kind in seinem Arm, ein Buch, in dem sich viele Eltern wiederfinden werden, ein schönes Geschenk für frischgebackene Eltern, die sich in der ersten Zeit selbst neu einrichten müssen in einer Welt, in der "ganz klein" und "ganz groß" auf einmal eine neue Bedeutung bekommen haben. Und doch ist es nicht allein ein Buch für Eltern, schließlich geht es dem Erzähler nicht um sich, sondern um nicht weniger als die Welt - und das auf eine Art, die schon für Kinder im Alter von vier Jahren in ihrer Klarheit einleuchtend und in ihrer Nachdenklichkeit einladend sein wird. "Obwohl es uns schon ewig gibt, haben wir noch lange nicht alles verstanden", heißt es an einer Stelle, "es gibt also noch viel für dich zu entdecken."
Da haben die jungen Leser bereits einiges entdeckt auf den Bildern von Oliver Jeffers: den Mann auf dem Hochrad oder den Dodo, das Baby, das nachts mit einem Hammer fuchtelt, während die Eltern seelenruhig schlafen - und viele Seiten vor Schluss in einem kleinen dunklen Fenster einer großen Stadt den Vater mit dem Kind unter dem Sternenmobile: Meistens vergehe die Zeit viel zu schnell, schreibt Jeffers zu diesem farbenprächtigen Bild: "Nütze sie, so gut du kannst. Sie wird vorbei sein, bevor du es merkst." Und spätestens dieser Rat gilt für beide Lesergruppen gleichermaßen: die kleinen Kinder, die sich gerade die Welt erschließen - und ihre Eltern, die sie dabei begleiten.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Oliver Jeffers: "Hier sind wir". Anleitung zum Leben auf der Erde.
Nord-Süd Verlag, Zürich 2018. 48 S., geb., 16,- [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verliebter Monolog mit Säugling im Arm: Das Bilderbuch "Hier sind wir" von Oliver Jeffers ist weniger und mehr als eine Anleitung zum Leben auf der Erde.
Vielleicht ist "Hier sind wir" gar nicht unbedingt ein Bilderbuch, von dem die Kinder, mit denen es gelesen wird, so viel mehr haben als ihre Eltern. Ganz sicher ist es noch keines für den Säugling, an den sich der Vater in Oliver Jeffers' Geschichte wendet, für den er diese "Anleitung zum Leben auf der Erde" verfasst. Der australische Illustrator hat sein neues Werk seinem Sohn Harland gewidmet, geschrieben hat er es in den ersten zwei Monaten als dessen Vater, als er versuchte, sich "auf das Ganze einen Reim zu machen".
Und das Ganze ist ganz schön viel: Gleich auf der ersten Doppelseite ist von Billionen Sonnensystemen die Rede, und kaum ist den staunenden Lesern "diese große Kugel, die im All schwebt und auf der wir leben" als Erde vorgestellt worden, erfahren sie auch schon, wie weit der Mars, unser nächstgelegener Planet, von uns entfernt ist.
"Wir sind glücklich, dass du uns gefunden hast", schreibt Oliver Jeffers, "denn das Weltall ist wirklich groß." Und noch bevor der erzählende Vater in einer hinreißenden Mischung aus Akribie und Lakonie zeigt, wie unterschiedlich alles ist, das Land, das Meer und der Himmel, die Menschen und die Tiere, lange bevor die letzten Doppelseiten des Buchs diese umfassende Einführung mit einer wunderbaren Bildidee voller Zärtlichkeit auf den Boden des Kinderzimmers zurückbringen, deutet sich ein erstes Mal an, worum es dem Bilderbuchkünstler geht: um das Bezaubertsein von einem neuen Erdenkind, um das Ergreifende dieses Kontakts, um das in dieser frühen Zeit im Grunde lächerliche Bedürfnis, ihm alles zu zeigen und zu erklären, ihm die Welt vorzustellen, es der Welt vorzustellen, während es doch eigentlich nur unter dem Sternenmobile im elterlichen Arm liegt und schläft.
"Hier sind wir" ist der verliebte Monolog eines Vaters über dem Kind in seinem Arm, ein Buch, in dem sich viele Eltern wiederfinden werden, ein schönes Geschenk für frischgebackene Eltern, die sich in der ersten Zeit selbst neu einrichten müssen in einer Welt, in der "ganz klein" und "ganz groß" auf einmal eine neue Bedeutung bekommen haben. Und doch ist es nicht allein ein Buch für Eltern, schließlich geht es dem Erzähler nicht um sich, sondern um nicht weniger als die Welt - und das auf eine Art, die schon für Kinder im Alter von vier Jahren in ihrer Klarheit einleuchtend und in ihrer Nachdenklichkeit einladend sein wird. "Obwohl es uns schon ewig gibt, haben wir noch lange nicht alles verstanden", heißt es an einer Stelle, "es gibt also noch viel für dich zu entdecken."
Da haben die jungen Leser bereits einiges entdeckt auf den Bildern von Oliver Jeffers: den Mann auf dem Hochrad oder den Dodo, das Baby, das nachts mit einem Hammer fuchtelt, während die Eltern seelenruhig schlafen - und viele Seiten vor Schluss in einem kleinen dunklen Fenster einer großen Stadt den Vater mit dem Kind unter dem Sternenmobile: Meistens vergehe die Zeit viel zu schnell, schreibt Jeffers zu diesem farbenprächtigen Bild: "Nütze sie, so gut du kannst. Sie wird vorbei sein, bevor du es merkst." Und spätestens dieser Rat gilt für beide Lesergruppen gleichermaßen: die kleinen Kinder, die sich gerade die Welt erschließen - und ihre Eltern, die sie dabei begleiten.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Oliver Jeffers: "Hier sind wir". Anleitung zum Leben auf der Erde.
Nord-Süd Verlag, Zürich 2018. 48 S., geb., 16,- [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Im Bereich der Kinderbücher beobachtet Christine Knödler die Tendenz, "so genannte große Fragen" zu stellen, etwa nach dem richtigen Leben, dem Umgang mit der Erde, mit dem Tod. Kinder zu kriegen ist ein plausibler Anlass, über diese Dinge nachzudenken, und der Wunsch, sie Kindern zu vermitteln, ist verständlich, meint die Rezensentin. Ob der Umgang mit diesen Erwachsenenthemen für Kinder allerdings bereichernd ist und, noch wichtiger, ob Kinder überhaupt Freude an diesen Büchern haben, ist für Knödler hingegen fraglich. Ein typisches Exemplar ist etwa Oliver Jeffers' programmatisch "Anleitung zum Leben auf der Erde" untertiteltes und seinem Sohn gewidmetes Bilderbuch "Hier sind wir", meint Knödler. Hier und da werden Geschichten erzählt oder Entdeckungen ermöglicht, aber vor allem stellt da ein Vater seinem Kind einen "Wegweiser" auf und gibt Ratschläge mit auf den Weg. Dass Kinder nach dem Anschauen "Noch mal!" rufen, kann sich die Rezensentin nicht so recht vorstellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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