Der Diskurs über die altägyptischen Hieroglyphen, von den Griechen bis zur Moderne, behandelt die Grundfragen abendländischer Grammatologie, über die man wenig weiß, wenn man den Reichtum an Theorien, Gedanken und Phantasien außer Acht läßt, der in diesem Diskurs gespeichert ist. Hier ging es um grundlegende Probleme der Kultur und ihrer Zeichen. Im Mittelpunkt stand ganz allgemein das Verhältnis von Schrift, Sprache, Denken und Wirklichkeit. Die Hieroglyphen galten als eine vollkommene, weil ebenso natürliche wie universale Bildsprache und als Heilung der babylonischen Sprachverwirrung, zugleich aber auch als Zeichen einer untergegangenen Kultur, eines verschwundenen Ur-Wissens und einer verlorenen Bedeutung. Die Faszination dieses Diskurses dauert auch nach Champollions Entzifferung und Entzauberung der Hieroglyphen ungebrochen fort. Die semiotischen Grundfragen der Kultur sind durch Champollion keineswegs gelöst worden, und es ist der Hieroglyphendiskurs, in dem diese Grundfragen an jeder Medienschwelle mit neuer Dringlichkeit gestellt werden. Der vorliegende Band will der unerschöpflichen Fruchtbarkeit des Hieroglyphendiskurses in seinen Wandlungen nachspüren. Die Thematik reicht von den historischen ägyptischen Schriftzeichen bis in die Literatur- und Kunst-, die Medien- und Filmtheorie des 20. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von: Aleida und Jan Assmann, Stefan M. Maul, Soichiro Itoda, Michael Friedrich, Carlo Severi, Ulrich Gaier, Moshe Barasch, Marcus Kiefer, Franz Mauelshagen, Jürgen Trabant, Barbara Hunfeld, Christian J. Emden, Gabriele Rippl, Lena Christolova, Joachim Paech
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2004Die Lust am Verborgenen
Ein großteils gut zu entziffernder Band über die Geschichte der Bilderschriften
Dieses Buch führt unter dem Titel „Hieroglyphen” die Entstehung der Schrift aus dem Bild vor Augen. Und es erzählt die Geschichte, wie diese Bildlichkeit später, als unsere Buchstabenschrift die Bilderschrift lange abgelöst hatte, umgedeutet wurde - über die Funktion von Schrift als Verständigungsmittel hinaus. Dabei vermeidet der Band VIII der Reihe „Archäologie der literarischen Kommunikation”, von den Erinnerungsexperten Aleida und Jan Assmann herausgegeben, mindestens zu zwei Dritteln den häufigen Fehler von Sammelbände, dass sich aus den einzelnen Beiträgen kaum ein Ganzes ergibt, weil die Sammlung aus Vorträgen auf Tagungen zusammengestellt ist.
Den Untertitel „Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie” sollte man nicht so ernst nehmen: Die hier versammelten Aufsätze verzichten mindestens bei Texten zur Antike und zur Frühen Neuzeit aufs angenehmste auf den „dekonstruktivistischen” kulturwissenschaftlichen Jargon. Das sind auch die Teile, bei denen man weiß, wovon die Rede ist: Nämlich von einer Schrift, die den Charakter der Bildlichkeit noch nicht verloren hat.
Man sollte die versammelten Aufsätze allerdings nicht in der Reihenfolge lesen, wie sie im Buch präsentiert sind, sondern sie ethnologisch-anthropologisch umgruppieren: Wenn man mit dem Aufsatz von Carlo Severi über die Bilderschrift der Kuma-Indianer beginnt und dann die vorzügliche Einführung von Stephan M. Maul in die Geschichte der assyrisch-babylonischen Keilschrift liest, dann wird deutlich, wie man sich den ersten Schritt einer Schriftkultur vorstellen kann, die zunächst nur Bilder und Riten zu Wörtern macht.
Diese Riten-Bilder repräsentieren, so der zweite Schritt, nicht nur die dargestellten Gegenstände. Dann werden auch ähnlich klingende Worte und Silben unter demselben Zeichen zusammengefasst: So wird drittens aus einem Wortzeichen ein Silbenzeichen. Der Schritt, der schließlich zur Buchstabenschrift führt, erfolgt dann, wenn die Zeichen nur noch als Repräsentanten von gesprochenen Silben figurieren.
Im vorliegenden Buch geht es um die Schriften, die ihre Bildlichkeit noch bewahrt haben. Beispielhaft für diese Entwicklung sind die wirkungsmächtigsten Bilderschriften: die ägyptischen Hieroglyphen und die chinesisch-japanische Schrift. Bei beiden handelt es sich nicht um Schriften, die unter Umgehung der Sprache die „Dinge” abbilden. Beide Schriften sind vielmehr sprachgebunden, indem sie Wortteile und Silben darstellen, die semantische - und damit immer auch sprachliche - Einheiten sind. Aber sie sind es nie nur allein. Die Bildlichkeit, die freilich nicht Abbildlichkeit ist, bleibt ihnen. Genau dieses Faktum führt und verführt schon in der Antike die hochprofessionellen Schreiber dazu, die dargestellten Worte als Bilder von etwas Geheimnisvollem zu interpretieren und die schriftliche Kommunikation zu mystifizieren.
Diese Geheimniskrämerei von Experten findet sich in den großen Bilderschriftkulturen gleichermaßen, im Ägyptischen, in den Keilschriftkulturen, im Chinesischen, im Japanischen, wie die einschlägigen Aufsätze von Soichiro Itoda und Jan Assmann belegen. Die Bilderschriften bestehen dann neben den Buchstabenschriften weiter, das gilt für die Antike, das gilt für die chinesisch-japanische Schrift noch heute.
Wegen ihrer Bildlichkeit sind diese Schriften zugleich eine ikonische Herausforderung der abendländischen Kultur, die Buchstabenschriften benutzt. Die Unterstellung, es handele sich bei der Bilderschrift um ein geheimes, verschlüsseltes Wissen, zieht sich durch die Geschichte - von der griechischen Spätantike, die sich explizit mit den Hieroglyphen auseinandersetzt (die wichtigsten Belege dafür sind als Anhang der Einleitung des Bandes mit abgedruckt) bis zur Entzifferung der Hieroglyphen durch den französischen Philologen J. F. Champoillon im Jahr 1822. Dieselbe Lust am Verborgenen findet sich auch in der abendländischen Rezeption der chinesischen Schrift, deren Rezeption Michael Friedrich eindrucksvoll darstellt.
In der abendländischen Wirkungsgeschichte der ägyptischen Bilderschriften spielt die Renaissance eine Schlüsselrolle. Der christliche Platonismus dieser Epoche begriff die Hieroglyphen als unmittelbare Abbilder göttlicher Ideen - diese seien in besonderen Offenbarungsakten den biblischen Patriarchen und durch sie den „heidnischen” Weisen kundgetan worden, hieß es. Embleme und Hieroglyphen sollten also den Sinn der Schöpfung offenbaren. Historisch war diese Interpretation gewiss unhaltbar, aber sie war, wie so viele Fehlinterpretationen, fruchtbar. Die Aufsätze von Moshe Barak, Marcus Kiefer, Franz Mauelshagen und Jürgen Trabant zeigen varianten- und kenntnisreich: Vom vierzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert prägte die Idee der geheimnisvollen Sinn-Bilder die Naturphilosophie, die Philologie, die Kunst.
Wie in allen Geschichten von Geheimnissen, so verursacht auch hier der philologische Historismus einen Traditionsbruch. Als mit der Entzifferung der Hieroglyphen deutlich wird, dass sie nichts Mystisches transportieren, und als diese philologische Erkenntnis auch anhand der chinesischen Schrift bestärkt wird, wir das Geheimnis ortlos. Das ist die Situation des Sinnbildes in der Romantik: Da Geheimnisse weder theologisch noch historisch gerahmt sind, kann nunmehr alles zur Hieroglyphe werden. Der Begriff zerfließt. Symbol, Allegorie, Emblem, Hieroglyphe - diese Begriffe werden jetzt vermischt gebraucht und belegen so nur noch einen Verlust an Bedeutung.
Ebendieser Befund, den Aleida Assmann darstellt, hat Folgen für die anderen Aufsätze in diesem Band, die sich mit der Romantik und Moderne befassen. Sie wirken fahrig und ortlos, weil ihnen der Gegenstand abhanden gekommen ist. Das gilt für die Goethezeit, die Barbara Hunfeld vorstellt, und das gilt erst recht fürs zwanzigste Jahrhundert. Sicherlich, der Barockkenner Walter Benjamin benutzt bei seinen historischen Studien einen präzisen Begriff von Hieroglyphe - aber ob seine Idee der unscheinbaren Dinge, die als Indizien endgültig verlorenen Sinns fungieren, nun auch Hieroglyphen genannt werden sollten (Christian J. Emden), ist mir unklar. Soll die Verbildlichung der amerikanischen Kultur wirklich als hieroglyphisch gefasst (Gabriele Rippl) und soll der Symbolbegriff in der Traumdeutung Sigmund Freuds wirklich durch den Terminus Hieroglyphe ersetzt werden? Kann man so weit gehen, die Inszenierung von Wort-Bild-Verhältnissen im Film hieroglyphisch zu nennen? Die Tendenz zur Begriffsentgrenzung ist symptomatisch: Wenn Gottes geheime Bilderschrift ohne Gott auskommen muss, stehen die Geheimnisse zur Disposition der Phantasie.
WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN
ALEIDA ASSMANN, JAN ASSMANN, (HRSG.): Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie. Archäologie der literarischen Kommunikation VIII. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 391 Seiten, 48,90 Euro.
Wer alles versteht, dem entgeht auch einiges: Obelisk beim Amon-Tempel von Luxor
Foto: Strange/Avenue Images
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Ein großteils gut zu entziffernder Band über die Geschichte der Bilderschriften
Dieses Buch führt unter dem Titel „Hieroglyphen” die Entstehung der Schrift aus dem Bild vor Augen. Und es erzählt die Geschichte, wie diese Bildlichkeit später, als unsere Buchstabenschrift die Bilderschrift lange abgelöst hatte, umgedeutet wurde - über die Funktion von Schrift als Verständigungsmittel hinaus. Dabei vermeidet der Band VIII der Reihe „Archäologie der literarischen Kommunikation”, von den Erinnerungsexperten Aleida und Jan Assmann herausgegeben, mindestens zu zwei Dritteln den häufigen Fehler von Sammelbände, dass sich aus den einzelnen Beiträgen kaum ein Ganzes ergibt, weil die Sammlung aus Vorträgen auf Tagungen zusammengestellt ist.
Den Untertitel „Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie” sollte man nicht so ernst nehmen: Die hier versammelten Aufsätze verzichten mindestens bei Texten zur Antike und zur Frühen Neuzeit aufs angenehmste auf den „dekonstruktivistischen” kulturwissenschaftlichen Jargon. Das sind auch die Teile, bei denen man weiß, wovon die Rede ist: Nämlich von einer Schrift, die den Charakter der Bildlichkeit noch nicht verloren hat.
Man sollte die versammelten Aufsätze allerdings nicht in der Reihenfolge lesen, wie sie im Buch präsentiert sind, sondern sie ethnologisch-anthropologisch umgruppieren: Wenn man mit dem Aufsatz von Carlo Severi über die Bilderschrift der Kuma-Indianer beginnt und dann die vorzügliche Einführung von Stephan M. Maul in die Geschichte der assyrisch-babylonischen Keilschrift liest, dann wird deutlich, wie man sich den ersten Schritt einer Schriftkultur vorstellen kann, die zunächst nur Bilder und Riten zu Wörtern macht.
Diese Riten-Bilder repräsentieren, so der zweite Schritt, nicht nur die dargestellten Gegenstände. Dann werden auch ähnlich klingende Worte und Silben unter demselben Zeichen zusammengefasst: So wird drittens aus einem Wortzeichen ein Silbenzeichen. Der Schritt, der schließlich zur Buchstabenschrift führt, erfolgt dann, wenn die Zeichen nur noch als Repräsentanten von gesprochenen Silben figurieren.
Im vorliegenden Buch geht es um die Schriften, die ihre Bildlichkeit noch bewahrt haben. Beispielhaft für diese Entwicklung sind die wirkungsmächtigsten Bilderschriften: die ägyptischen Hieroglyphen und die chinesisch-japanische Schrift. Bei beiden handelt es sich nicht um Schriften, die unter Umgehung der Sprache die „Dinge” abbilden. Beide Schriften sind vielmehr sprachgebunden, indem sie Wortteile und Silben darstellen, die semantische - und damit immer auch sprachliche - Einheiten sind. Aber sie sind es nie nur allein. Die Bildlichkeit, die freilich nicht Abbildlichkeit ist, bleibt ihnen. Genau dieses Faktum führt und verführt schon in der Antike die hochprofessionellen Schreiber dazu, die dargestellten Worte als Bilder von etwas Geheimnisvollem zu interpretieren und die schriftliche Kommunikation zu mystifizieren.
Diese Geheimniskrämerei von Experten findet sich in den großen Bilderschriftkulturen gleichermaßen, im Ägyptischen, in den Keilschriftkulturen, im Chinesischen, im Japanischen, wie die einschlägigen Aufsätze von Soichiro Itoda und Jan Assmann belegen. Die Bilderschriften bestehen dann neben den Buchstabenschriften weiter, das gilt für die Antike, das gilt für die chinesisch-japanische Schrift noch heute.
Wegen ihrer Bildlichkeit sind diese Schriften zugleich eine ikonische Herausforderung der abendländischen Kultur, die Buchstabenschriften benutzt. Die Unterstellung, es handele sich bei der Bilderschrift um ein geheimes, verschlüsseltes Wissen, zieht sich durch die Geschichte - von der griechischen Spätantike, die sich explizit mit den Hieroglyphen auseinandersetzt (die wichtigsten Belege dafür sind als Anhang der Einleitung des Bandes mit abgedruckt) bis zur Entzifferung der Hieroglyphen durch den französischen Philologen J. F. Champoillon im Jahr 1822. Dieselbe Lust am Verborgenen findet sich auch in der abendländischen Rezeption der chinesischen Schrift, deren Rezeption Michael Friedrich eindrucksvoll darstellt.
In der abendländischen Wirkungsgeschichte der ägyptischen Bilderschriften spielt die Renaissance eine Schlüsselrolle. Der christliche Platonismus dieser Epoche begriff die Hieroglyphen als unmittelbare Abbilder göttlicher Ideen - diese seien in besonderen Offenbarungsakten den biblischen Patriarchen und durch sie den „heidnischen” Weisen kundgetan worden, hieß es. Embleme und Hieroglyphen sollten also den Sinn der Schöpfung offenbaren. Historisch war diese Interpretation gewiss unhaltbar, aber sie war, wie so viele Fehlinterpretationen, fruchtbar. Die Aufsätze von Moshe Barak, Marcus Kiefer, Franz Mauelshagen und Jürgen Trabant zeigen varianten- und kenntnisreich: Vom vierzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert prägte die Idee der geheimnisvollen Sinn-Bilder die Naturphilosophie, die Philologie, die Kunst.
Wie in allen Geschichten von Geheimnissen, so verursacht auch hier der philologische Historismus einen Traditionsbruch. Als mit der Entzifferung der Hieroglyphen deutlich wird, dass sie nichts Mystisches transportieren, und als diese philologische Erkenntnis auch anhand der chinesischen Schrift bestärkt wird, wir das Geheimnis ortlos. Das ist die Situation des Sinnbildes in der Romantik: Da Geheimnisse weder theologisch noch historisch gerahmt sind, kann nunmehr alles zur Hieroglyphe werden. Der Begriff zerfließt. Symbol, Allegorie, Emblem, Hieroglyphe - diese Begriffe werden jetzt vermischt gebraucht und belegen so nur noch einen Verlust an Bedeutung.
Ebendieser Befund, den Aleida Assmann darstellt, hat Folgen für die anderen Aufsätze in diesem Band, die sich mit der Romantik und Moderne befassen. Sie wirken fahrig und ortlos, weil ihnen der Gegenstand abhanden gekommen ist. Das gilt für die Goethezeit, die Barbara Hunfeld vorstellt, und das gilt erst recht fürs zwanzigste Jahrhundert. Sicherlich, der Barockkenner Walter Benjamin benutzt bei seinen historischen Studien einen präzisen Begriff von Hieroglyphe - aber ob seine Idee der unscheinbaren Dinge, die als Indizien endgültig verlorenen Sinns fungieren, nun auch Hieroglyphen genannt werden sollten (Christian J. Emden), ist mir unklar. Soll die Verbildlichung der amerikanischen Kultur wirklich als hieroglyphisch gefasst (Gabriele Rippl) und soll der Symbolbegriff in der Traumdeutung Sigmund Freuds wirklich durch den Terminus Hieroglyphe ersetzt werden? Kann man so weit gehen, die Inszenierung von Wort-Bild-Verhältnissen im Film hieroglyphisch zu nennen? Die Tendenz zur Begriffsentgrenzung ist symptomatisch: Wenn Gottes geheime Bilderschrift ohne Gott auskommen muss, stehen die Geheimnisse zur Disposition der Phantasie.
WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN
ALEIDA ASSMANN, JAN ASSMANN, (HRSG.): Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie. Archäologie der literarischen Kommunikation VIII. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 391 Seiten, 48,90 Euro.
Wer alles versteht, dem entgeht auch einiges: Obelisk beim Amon-Tempel von Luxor
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als spannend und größtenteils gelungen bezeichnet Wilhelm Schmidt-Biggemann den von den "Erinnerungsexperten" Jan und Aleida Assmann herausgegebenen Sammelband über die Entstehung der Schriftkultur, genauer gesagt: die Entstehung der Schrift aus dem Bild. Die Herausgeber vermeiden den Fehler solcher üblicherweise aus Tagungsbeständen bestückten Sammelbände, lobt Schmidt-Biggemann, dass die verschiedenen Aufsätze kein Ganzes ergäben; außerdem verzichteten die meisten Verfasser auf einen ungenießbaren kulturwissenschaftlichen Jargon. Allerdings sollte man nach Meinung des Rezensenten die Texte nicht unbedingt in der vorgeschlagenen Reihenfolge lesen, sondern ethnologisch-anthropologisch umgruppieren: Schmidt-Biggemann empfiehlt mit den Beiträgen von Carlo Severi über die Bilderschrift der Kuma-Indianer und von Stephan M. Maul über die assyrisch-babylonische Keilschrift zu beginnen. Bloß die Texte über die Romantik und die Moderne wirkten "fahrig und ortlos", erhebt Schmidt-Biggemann Einwände, seines Erachtens ist dies symptomatisch für die dem Thema eigene Tendenz zur Begriffsentgrenzung, die sich ab der Goethezeit abzeichnen würde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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