Hieronymus Bosch (um 1450-1516) galt in der Kunstgeschichte lange als "Der Fall Bosch" - so recht wusste man nichts mit ihm anzufangen. Ein paar hundert Jahre lang war er ganz vergessen, biografische Informationen gibt es kaum, und sein Werk passt nicht so recht in seine Zeit. Die Malerei der Spätgotik und frühen Renaissance fand eher Gefallen am Realismus und der Anmut, Bosch hingegen ließ eine groteske Höllenbrut auf den Betrachter los: abscheuliche Hybridwesen aus Mensch und Tier, bucklige Dämonen, Kreaturen mit Vogelleibern und Brillen, seltsame Baummenschen und andere bizarre Gestalten. Und doch war Bosch zu seiner Zeit ein angesehener Künstler und hatte Bewunderer in höchsten Kreisen; Philipp der Schöne etwa oder Margarete von Österreich, Statthalterin der Niederlande, waren offenkundig von dieser einzigartigen Bildwelt fasziniert. Seine Gemälde wurden so häufig kopiert und imitiert, dass die Zahl der Kopien die der eigenhändigen Werke um ein Vielfaches übersteigt. Heute werden dem Künstler nur 20 Gemälde und acht Zeichnungen mit Sicherheit zugeschrieben.
Uns tritt Bosch aus dem Dunkel seines Lebens als Rätsel entgegen. Was haben all diese fremdartigen Details auf seinen Bildern zu bedeuten? Wie haben seine Zeitgenossen diese Bildsprache gelesen? In dem aus Anlass des bevorstehenden 500. Todestages des Malers erschienenen Band beantwortet der Kunsthistoriker und ausgewiesene Bosch-Experte Stefan Fischer diese und andere Fragen und ergründet, warum Boschs Bilder so einflussreich waren. Das Buch liefert auf der Grundlage des jüngsten Forschungsstandes einen Überblick über das gesamte Schaffen des Künstlers.
Mit neuen, nach den letzten Restaurierungen der Gemälde erstmals publizierten Fotos stellt der Band das vollständige Werk vor. Alle Gemälde werden ganzseitig und in überraschenden Ausschnitten gezeigt. Die über ein Meter lange Falttafel des Garten der Lüste und zahlreiche Detailabbildungen erlauben es, die Bilderfindungen des Künstlers wirklich zu entdecken. Der Band setzt in Umfang und Qualität neue Maßstäbe.
Uns tritt Bosch aus dem Dunkel seines Lebens als Rätsel entgegen. Was haben all diese fremdartigen Details auf seinen Bildern zu bedeuten? Wie haben seine Zeitgenossen diese Bildsprache gelesen? In dem aus Anlass des bevorstehenden 500. Todestages des Malers erschienenen Band beantwortet der Kunsthistoriker und ausgewiesene Bosch-Experte Stefan Fischer diese und andere Fragen und ergründet, warum Boschs Bilder so einflussreich waren. Das Buch liefert auf der Grundlage des jüngsten Forschungsstandes einen Überblick über das gesamte Schaffen des Künstlers.
Mit neuen, nach den letzten Restaurierungen der Gemälde erstmals publizierten Fotos stellt der Band das vollständige Werk vor. Alle Gemälde werden ganzseitig und in überraschenden Ausschnitten gezeigt. Die über ein Meter lange Falttafel des Garten der Lüste und zahlreiche Detailabbildungen erlauben es, die Bilderfindungen des Künstlers wirklich zu entdecken. Der Band setzt in Umfang und Qualität neue Maßstäbe.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Den von Stefan Fischer herausgegebenen Prachtband findet Christian Thomas in mehrfacher Hinsicht phänomenal. Da ist zum einen das schiere Gewicht, das ein Pult nötig macht, wie der Rezensent feststellt. Dann die Pracht der großformatigen Abbildungen. Und dann, nicht zuletzt, die Chance für den Betrachter und Leser, Hieronymus Bosch neu zu erleben. Nicht etwa als Freigeist, sondern, wie Fischer dem Rezensenten auseinandersetzt, als theologisch genau kalkulierenden Erzähler des Sündenfalls. Für Thomas weitet sich damit ein neuer, niemals einseitiger, sondern höchst vielschichtiger Horizont über dem Wimmeluniversum.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2014Schaulust der Angst
Hieronymus Bosch in einem wunderbaren Bildband
Man ist ja inzwischen einiges gewohnt von monumentalen Bildbänden. Aber wenn man dieses Buch aus seiner luxuriösen Kassette herausschält wie ein kostbar verpacktes Geschenk, die großen gotischen Buchstaben auf dem Einband prangen sieht: „Jheronimus Bosch“ und darunter, etwas kleiner, aber immer noch in geprägtem Gold: „Das vollständige Werk“ – dann ahnt man, dass hier etwas Besonderes vorliegt.
Auch für den, der eine ganze Reihe der Bilder dieses Malers im Original gesehen hat, eröffnet sich hier ein neuer Zugang. Der überaus großzügige Zuschnitt der Bildtafeln, die ein einzelnes Werk in zum Teil mehr als zwei Dutzend ganz- und doppelseitige Ausschnitte zerlegen, bringt die Gestalten in ungefähr tatsächlicher Größe vor die Augen – aber viel näher, als es dem Besucher im Museum je erlaubt wäre. Eigentlich tritt einem der Maler hier überhaupt erst als Maler gegenüber und nicht nur als Erfinder grotesk wimmelnder Szenerien. Man sieht, wie die glitzernd-derbe Beschaffenheit eines Kruges sich gegen das Craquelé durchsetzt, von dem die ganze Malfläche fein zersprengt wird, und wie ein einziger zarter weißer Pinselstrich genügt, um die leichte Spiegelung eines Glases täuschend glaubhaft zu machen.
Wenn man Boschs Gemälde, besonders die großen Triptychen, sonst insgesamt sieht, hat das Auge immer zu kämpfen zwischen Totale und Einzelnem. Der Band mit seiner besonderen Strategie der Bildzerlegung jedoch gestattet es, zum Ganzen dieser Kunst zu gelangen. Man erstaunt, wie vertrackt bei den merkwürdigen Türmen im Hintergrund des „Gartens der Lüste“ sich das kraftvoll pflanzenhafte Wachstum und die artifizielle Willkür zur kühnen Konstruktion durchdringen; und der Blick geht den feinen und doch deutlichen Details der Erotik bei diesen vielen nackten Paaren nach, die sich auf poetische und ironische Weise immer diesseits des Obszönen halten, selbst bei der damals äußerst heiklen Frage der Homosexualität: Da bieten, was einem bisher nie auffiel, zwei Männer einander Blumen an, der eine trägt sie in der Hand, dem anderen, der seine Rückseite zukehrt, wachsen sie aus dem Anus – das ist mit Verwegenheit, Witz und Anmut ausgedacht und durchgeführt. Und die Höllen dieses Malers, die grauenvolle Dumpfheit der Monsterteufel oder der Kontrast des blitzblank polierten und doch schartigen Metalls zur zarten Haut der Verdammten, gewinnen eine neue, buchstäblich schneidende Sinnlichkeit.
Zusammengehalten wird das alles durch den Text von Stefan Fischer, der auf vergleichsweise knappem Raum eine Einführung und einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung gibt. Er nimmt durch Auswahl und Arrangement der Abbildungen eine klare Wertung vor und platziert die „Versuchungen des Heiligen Antonius“, das „Jüngste Gericht“ und vor allem den „Garten der Lüste“ im Zentrum, wobei er zu verstehen gibt, dass er das Spätwerk (einschließlich des „Heuwagen-Triptychons“)für etwas weniger originell und faszinierend hält.
Fischer räumt nüchtern mit den alten Legenden auf, die sich von der Phantastik der Bilder zu zügelloser Interpretation anspornen ließen, und verortet Bosch solide im Kontext seiner Zeit und seines Standes, in der prosperierenden brabantischen Stadt s’Hertogenbosch an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Doch auch wo Fischer Boschs schriftliche und bildliche Quellen nachweist, widersteht er der Versuchung, alles bis ins Letzte erklären zu wollen; er gibt dem Leser und Betrachter wertvolle Hinweise, entmündigt aber dessen Blick nicht und wahrt damit die Wucht und Frische der Bilder.
Bosch wurzelt zweifellos in der allegorischen Tradition des Mittelalters, dessen möglicherweise letzter großer Repräsentant er ist; doch er befreit die Allegorie aus ihrer etwas faden Eindeutigkeit und macht sie zum schillernden Sinnbild. Als Kapitel-Motto setzt Fischer ein Zitat von Ernst Gombrich: „Es war das erste und vielleicht das einzige Mal, dass es einem Künstler gelang, die Ausgeburten einer gequälten Fantasie, die die Menschen im Mittelalter ängstigten, konkret und anschaulich darzustellen. Mag sein, dass das nur zu diesem Zeitpunkt möglich war, da die alten Vorstellungen noch lebendig waren, während zugleich der neue Geist den Künstlern die Mittel in die Hand gab darzustellen, was sie sahen.“ Ein epochaler Glücksfall also: Das Alte kommt in der neuen Form noch einmal ganz zu sich selbst.
Der einzige Einwand, dem man dieser herrlichen Edition machen könnte, ist von ihren Vorzügen wahrscheinlich nicht abzutrennen. Die ganz- und doppelseitigen Abbildungen lassen keinen Raum für den Text, sodass dieser weit weg von ihnen zu stehen kommt. Man muss also ständig blättern, was bei diesem Format einigermaßen lästig fällt; und speziell die ausklappbare Riesen-Mitteltafel sieht bald leider aus wie eine Straßenkarte nach einer langen Urlaubsfahrt.
BURKHARD MÜLLER
Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2013. 300 Seiten, 99,99 Euro.
Die großen Bildtafeln lassen
erstmals der Malerei den Vortritt
gegenüber dem Wimmelbild
Erst der neue Geist setzte den Künstler in die Lage, die alten
Phantasien anschaulich darzustellen: Detail aus dem „Der Garten der Lüste“, um 1503.
Rechter Innenflügel „Die Hölle“. Abb.: aus dem besprochenen Band
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hieronymus Bosch in einem wunderbaren Bildband
Man ist ja inzwischen einiges gewohnt von monumentalen Bildbänden. Aber wenn man dieses Buch aus seiner luxuriösen Kassette herausschält wie ein kostbar verpacktes Geschenk, die großen gotischen Buchstaben auf dem Einband prangen sieht: „Jheronimus Bosch“ und darunter, etwas kleiner, aber immer noch in geprägtem Gold: „Das vollständige Werk“ – dann ahnt man, dass hier etwas Besonderes vorliegt.
Auch für den, der eine ganze Reihe der Bilder dieses Malers im Original gesehen hat, eröffnet sich hier ein neuer Zugang. Der überaus großzügige Zuschnitt der Bildtafeln, die ein einzelnes Werk in zum Teil mehr als zwei Dutzend ganz- und doppelseitige Ausschnitte zerlegen, bringt die Gestalten in ungefähr tatsächlicher Größe vor die Augen – aber viel näher, als es dem Besucher im Museum je erlaubt wäre. Eigentlich tritt einem der Maler hier überhaupt erst als Maler gegenüber und nicht nur als Erfinder grotesk wimmelnder Szenerien. Man sieht, wie die glitzernd-derbe Beschaffenheit eines Kruges sich gegen das Craquelé durchsetzt, von dem die ganze Malfläche fein zersprengt wird, und wie ein einziger zarter weißer Pinselstrich genügt, um die leichte Spiegelung eines Glases täuschend glaubhaft zu machen.
Wenn man Boschs Gemälde, besonders die großen Triptychen, sonst insgesamt sieht, hat das Auge immer zu kämpfen zwischen Totale und Einzelnem. Der Band mit seiner besonderen Strategie der Bildzerlegung jedoch gestattet es, zum Ganzen dieser Kunst zu gelangen. Man erstaunt, wie vertrackt bei den merkwürdigen Türmen im Hintergrund des „Gartens der Lüste“ sich das kraftvoll pflanzenhafte Wachstum und die artifizielle Willkür zur kühnen Konstruktion durchdringen; und der Blick geht den feinen und doch deutlichen Details der Erotik bei diesen vielen nackten Paaren nach, die sich auf poetische und ironische Weise immer diesseits des Obszönen halten, selbst bei der damals äußerst heiklen Frage der Homosexualität: Da bieten, was einem bisher nie auffiel, zwei Männer einander Blumen an, der eine trägt sie in der Hand, dem anderen, der seine Rückseite zukehrt, wachsen sie aus dem Anus – das ist mit Verwegenheit, Witz und Anmut ausgedacht und durchgeführt. Und die Höllen dieses Malers, die grauenvolle Dumpfheit der Monsterteufel oder der Kontrast des blitzblank polierten und doch schartigen Metalls zur zarten Haut der Verdammten, gewinnen eine neue, buchstäblich schneidende Sinnlichkeit.
Zusammengehalten wird das alles durch den Text von Stefan Fischer, der auf vergleichsweise knappem Raum eine Einführung und einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung gibt. Er nimmt durch Auswahl und Arrangement der Abbildungen eine klare Wertung vor und platziert die „Versuchungen des Heiligen Antonius“, das „Jüngste Gericht“ und vor allem den „Garten der Lüste“ im Zentrum, wobei er zu verstehen gibt, dass er das Spätwerk (einschließlich des „Heuwagen-Triptychons“)für etwas weniger originell und faszinierend hält.
Fischer räumt nüchtern mit den alten Legenden auf, die sich von der Phantastik der Bilder zu zügelloser Interpretation anspornen ließen, und verortet Bosch solide im Kontext seiner Zeit und seines Standes, in der prosperierenden brabantischen Stadt s’Hertogenbosch an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Doch auch wo Fischer Boschs schriftliche und bildliche Quellen nachweist, widersteht er der Versuchung, alles bis ins Letzte erklären zu wollen; er gibt dem Leser und Betrachter wertvolle Hinweise, entmündigt aber dessen Blick nicht und wahrt damit die Wucht und Frische der Bilder.
Bosch wurzelt zweifellos in der allegorischen Tradition des Mittelalters, dessen möglicherweise letzter großer Repräsentant er ist; doch er befreit die Allegorie aus ihrer etwas faden Eindeutigkeit und macht sie zum schillernden Sinnbild. Als Kapitel-Motto setzt Fischer ein Zitat von Ernst Gombrich: „Es war das erste und vielleicht das einzige Mal, dass es einem Künstler gelang, die Ausgeburten einer gequälten Fantasie, die die Menschen im Mittelalter ängstigten, konkret und anschaulich darzustellen. Mag sein, dass das nur zu diesem Zeitpunkt möglich war, da die alten Vorstellungen noch lebendig waren, während zugleich der neue Geist den Künstlern die Mittel in die Hand gab darzustellen, was sie sahen.“ Ein epochaler Glücksfall also: Das Alte kommt in der neuen Form noch einmal ganz zu sich selbst.
Der einzige Einwand, dem man dieser herrlichen Edition machen könnte, ist von ihren Vorzügen wahrscheinlich nicht abzutrennen. Die ganz- und doppelseitigen Abbildungen lassen keinen Raum für den Text, sodass dieser weit weg von ihnen zu stehen kommt. Man muss also ständig blättern, was bei diesem Format einigermaßen lästig fällt; und speziell die ausklappbare Riesen-Mitteltafel sieht bald leider aus wie eine Straßenkarte nach einer langen Urlaubsfahrt.
BURKHARD MÜLLER
Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2013. 300 Seiten, 99,99 Euro.
Die großen Bildtafeln lassen
erstmals der Malerei den Vortritt
gegenüber dem Wimmelbild
Erst der neue Geist setzte den Künstler in die Lage, die alten
Phantasien anschaulich darzustellen: Detail aus dem „Der Garten der Lüste“, um 1503.
Rechter Innenflügel „Die Hölle“. Abb.: aus dem besprochenen Band
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2014Vom Maler, der uns die Hölle heißmachte
Ein neuer Prachtband zu Hieronymus Bosch bietet viel mehr als nur grandiose Bilder: Er revidiert den bisherigen Stand der Forschung
Wann er geboren ist? Der Biograph weiß es nicht. Als Hieronymus Bosch erstmals erwähnt wird, geschieht das in einer Urkunde von 1474, die seine Volljährigkeit voraussetzt, aber ihn noch nicht als mündigen Erwachsenen kennzeichnet, so dass als frühestes Geburtsdatum 1450, als spätestes 1456 in Frage kommt. Damals heißt er noch Jheronimus van Aken, erst als Maler wird er sich Bosch nennen (nach seiner Heimatstadt s'-Hertogenbosch in Brabant), doch von wann an er diesen Beruf selbständig ausübt, ist auch nicht bekannt. Da er aber 1481 reich verheiratet ist, darf man zu dieser Zeit wohl den Beginn eigener Werkstatttätigkeit ansetzen, die erst mit dem Tod 1516 enden wird.
Was auch immer über Hieronymus Bosch zu wissen ist, Stefan Fischer weiß es. Der Kunsthistoriker wurde vor fünf Jahren über Bosch promoviert, nun hat er ein Mammutbuch über den niederländischen Maler verfasst, einen überformatigen Prachtband mit zahlreichen ausklappbaren Tafeln und Detailansichten aus dem vor Phantasie überbordenden Werk. Dreihundert Seiten umfasst der Band, doch er widmet sich gerade einmal zwanzig Gemälden und acht Zeichnungen. Mehr erkennt Fischer nicht als eigenhändige Bosch-Arbeiten an. Damit sind seit der Publikation des letzten aufwendigen Werkverzeichnisses über Hieronymus Bosch, der zweibändigen unwissenschaftlichen Studie von Rosemarie Schuder aus dem Jahr 1991, siebzehn Gemälde und zwölf Zeichnungen abgeschrieben worden. Etliche davon tauchen jetzt nicht einmal mehr in Fischers Listen der Werkstatt- oder Nachfolgerarbeiten auf. Bosch hat vor allem mit seinen Höllendarstellungen weit über den eigenen Umkreis hinaus Schule gemacht. Das Buch stellt also eine Revision der Bosch-Forschung dar, und das ist umso bemerkenswerter, als es vor allem als Augenschmaus konzipiert ist. Der Taschen Verlag hat bereits einige solcher teuren (aber angesichts ihrer Druckqualität allemal preiswerten) kiloschweren Bildbände produziert, beginnend 2003 mit Leonardo, fortgesetzt mit Caravaggio und Klimt, und immer gewann der Verlag dafür führende Spezialisten, so dass neben aller optischen Opulenz auch kunstwissenschaftliche Standardwerke entstanden.
Natürlich ist bei der Auswahl der Künstler, denen solche Monographien gewidmet werden, deren Popularität entscheidend. Und der Verlag versteht es, die Bücher als Spektakel zu inszenieren. So öffnen sich gleich die ersten Seiten des Bosch-Bildbands zu einem Panoramaausschnitt aus seinem in Wien aufbewahrten Triptychon zum Jüngsten Gericht, und wie auf einer Cinemascope-Kinoleinwand steht dort in der Schreibweise, mit der der Künstler seine Gemälde signierte: "Jheronimus Bosch". Und darunter: "Directed and produced by Benedikt Taschen". Stefan Fischer als Verfasser muss noch drei Seiten auf seine Namensnennung warten; der Verleger ist es, der sich hier als Ideengeber feiern lässt.
Das ist protzig, aber angesichts der erstaunlichen Druckqualität und der Auswahl der Bebilderung auch nicht unberechtigt. Wobei etliche Detailaufnahmen erst durch die ausführlichen Kommentare mehr als bloß skurrilen Reiz entfalten, denn hier trägt Fischer in der Fortsetzung seiner Dissertation von 2009 vor allem die literarischen Quellen für die Bilderfindung zusammen. Er entwirft das Porträt eines hochgebildeten Künstlers. Und eines gewieften Geschäftsmannes, der die anhaltenden politischen Wirren nach dem erst wenige Jahre zurückliegenden Zerfall des burgundischen Herzogtums zu nutzen verstand.
So kann Fischer erklären, weshalb es in Boschs Bildern so viele Figuren gibt, die nach damals bereits veralteter Mode gewandet sind: Sie tragen burgundische Kleidung, und damit schuf der Maler, dessen Heimatstadt einst zu Burgund gehörte, ein Identifikationsangebot nicht nur für die reiche einheimische Kundschaft, sondern auch für seine fürstlichen Käufer wie die spanischen Habsburger, denen im Kampf um die Rechtsnachfolge daran gelegen war, an die alten Traditionen anzuknüpfen.
Ein grandioser Band also, der allerdings einen gravierenden Mangel aufweist, den man dem "Regisseur und Produzenten" Benedikt Taschen anlasten muss. Sein spektakulärster Effekt, eine Bildtafel des berühmten "Gartens der Lüste" aus dem Prado, bei dem sogar die Klappstruktur dieses Triptychons bewahrt wird, ist derart oft ineinandergefaltet, dass sie schon beim ersten Entfalten entlang der Falzen einreißt. Solche kontraproduktive Lust am Außergewöhnlichen sollte auch nicht Schule machen.
ANDREAS PLATTHAUS.
Stefan Fischer: "Jheronimus Bosch". Das vollständige Werk.
Taschen Verlag, Köln 2013. 300 S., zahlr. Abb., geb., 99,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neuer Prachtband zu Hieronymus Bosch bietet viel mehr als nur grandiose Bilder: Er revidiert den bisherigen Stand der Forschung
Wann er geboren ist? Der Biograph weiß es nicht. Als Hieronymus Bosch erstmals erwähnt wird, geschieht das in einer Urkunde von 1474, die seine Volljährigkeit voraussetzt, aber ihn noch nicht als mündigen Erwachsenen kennzeichnet, so dass als frühestes Geburtsdatum 1450, als spätestes 1456 in Frage kommt. Damals heißt er noch Jheronimus van Aken, erst als Maler wird er sich Bosch nennen (nach seiner Heimatstadt s'-Hertogenbosch in Brabant), doch von wann an er diesen Beruf selbständig ausübt, ist auch nicht bekannt. Da er aber 1481 reich verheiratet ist, darf man zu dieser Zeit wohl den Beginn eigener Werkstatttätigkeit ansetzen, die erst mit dem Tod 1516 enden wird.
Was auch immer über Hieronymus Bosch zu wissen ist, Stefan Fischer weiß es. Der Kunsthistoriker wurde vor fünf Jahren über Bosch promoviert, nun hat er ein Mammutbuch über den niederländischen Maler verfasst, einen überformatigen Prachtband mit zahlreichen ausklappbaren Tafeln und Detailansichten aus dem vor Phantasie überbordenden Werk. Dreihundert Seiten umfasst der Band, doch er widmet sich gerade einmal zwanzig Gemälden und acht Zeichnungen. Mehr erkennt Fischer nicht als eigenhändige Bosch-Arbeiten an. Damit sind seit der Publikation des letzten aufwendigen Werkverzeichnisses über Hieronymus Bosch, der zweibändigen unwissenschaftlichen Studie von Rosemarie Schuder aus dem Jahr 1991, siebzehn Gemälde und zwölf Zeichnungen abgeschrieben worden. Etliche davon tauchen jetzt nicht einmal mehr in Fischers Listen der Werkstatt- oder Nachfolgerarbeiten auf. Bosch hat vor allem mit seinen Höllendarstellungen weit über den eigenen Umkreis hinaus Schule gemacht. Das Buch stellt also eine Revision der Bosch-Forschung dar, und das ist umso bemerkenswerter, als es vor allem als Augenschmaus konzipiert ist. Der Taschen Verlag hat bereits einige solcher teuren (aber angesichts ihrer Druckqualität allemal preiswerten) kiloschweren Bildbände produziert, beginnend 2003 mit Leonardo, fortgesetzt mit Caravaggio und Klimt, und immer gewann der Verlag dafür führende Spezialisten, so dass neben aller optischen Opulenz auch kunstwissenschaftliche Standardwerke entstanden.
Natürlich ist bei der Auswahl der Künstler, denen solche Monographien gewidmet werden, deren Popularität entscheidend. Und der Verlag versteht es, die Bücher als Spektakel zu inszenieren. So öffnen sich gleich die ersten Seiten des Bosch-Bildbands zu einem Panoramaausschnitt aus seinem in Wien aufbewahrten Triptychon zum Jüngsten Gericht, und wie auf einer Cinemascope-Kinoleinwand steht dort in der Schreibweise, mit der der Künstler seine Gemälde signierte: "Jheronimus Bosch". Und darunter: "Directed and produced by Benedikt Taschen". Stefan Fischer als Verfasser muss noch drei Seiten auf seine Namensnennung warten; der Verleger ist es, der sich hier als Ideengeber feiern lässt.
Das ist protzig, aber angesichts der erstaunlichen Druckqualität und der Auswahl der Bebilderung auch nicht unberechtigt. Wobei etliche Detailaufnahmen erst durch die ausführlichen Kommentare mehr als bloß skurrilen Reiz entfalten, denn hier trägt Fischer in der Fortsetzung seiner Dissertation von 2009 vor allem die literarischen Quellen für die Bilderfindung zusammen. Er entwirft das Porträt eines hochgebildeten Künstlers. Und eines gewieften Geschäftsmannes, der die anhaltenden politischen Wirren nach dem erst wenige Jahre zurückliegenden Zerfall des burgundischen Herzogtums zu nutzen verstand.
So kann Fischer erklären, weshalb es in Boschs Bildern so viele Figuren gibt, die nach damals bereits veralteter Mode gewandet sind: Sie tragen burgundische Kleidung, und damit schuf der Maler, dessen Heimatstadt einst zu Burgund gehörte, ein Identifikationsangebot nicht nur für die reiche einheimische Kundschaft, sondern auch für seine fürstlichen Käufer wie die spanischen Habsburger, denen im Kampf um die Rechtsnachfolge daran gelegen war, an die alten Traditionen anzuknüpfen.
Ein grandioser Band also, der allerdings einen gravierenden Mangel aufweist, den man dem "Regisseur und Produzenten" Benedikt Taschen anlasten muss. Sein spektakulärster Effekt, eine Bildtafel des berühmten "Gartens der Lüste" aus dem Prado, bei dem sogar die Klappstruktur dieses Triptychons bewahrt wird, ist derart oft ineinandergefaltet, dass sie schon beim ersten Entfalten entlang der Falzen einreißt. Solche kontraproduktive Lust am Außergewöhnlichen sollte auch nicht Schule machen.
ANDREAS PLATTHAUS.
Stefan Fischer: "Jheronimus Bosch". Das vollständige Werk.
Taschen Verlag, Köln 2013. 300 S., zahlr. Abb., geb., 99,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... die bisher umfassendste Studie zum Thema... Zum ersten Mal wird untersucht, wie das Werk dieses gebildeten Künstlers aus dogmatisch katholischer Sicht bewertet wurde." RTVE.es