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Eine Sammlung von Prosatexten, Reden und Aufsätzen Christa Wolfs. Neben drei Erzählungen und Selbsterfahrungsberichten stehen Reden auf Schriftsteller aus Ost und West, Essays zur Bildenden Kunst und eine "Musikalische Meditation zu Joseph Haydn".

Produktbeschreibung
Eine Sammlung von Prosatexten, Reden und Aufsätzen Christa Wolfs. Neben drei Erzählungen und Selbsterfahrungsberichten stehen Reden auf Schriftsteller aus Ost und West, Essays zur Bildenden Kunst und eine "Musikalische Meditation zu Joseph Haydn".
Autorenporträt
Christa Wolf, 1929 in Landsberg an der Warthe geboren, lebt mit ihrem Mann Gerhard Wolf in Berlin. Sie zählt zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart; ihr umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk wurde in alle Weltsprachen übersetzt und mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR (1963), dem Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1977), dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt (1980), dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur (1985), dem Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München (1987), dem Nationalpreis 1. Klasse für Kunst und Literatur (1987), der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Brüssel (1990), dem Orden Officier des Arts et des Lettres (1990), dem Elisabeth-Langgässer-Preis (1999) und dem Nelly Sachs-Preis (1999). 2009 wurde Christa Wolf zur Ehrenpräsidentin des P.E.N. ernannt. 2010 erhielt sie den Thomas-Mann-Preis für ihr Lebenswerk.
Im Dezember 2011 verstarb Christa Wolf in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.1999

Einmal Mariechen sein
Christa Wolfs Texte der Nachwendezeit

Zum Ausklang ihrer himmelblau gebundenen Nachlese der neunziger Jahre schreibt Christa Wolf über Haydn. Man ist verblüfft und freut sich schon wie über eine gelungene Pointe: Mutter Wolf, Papa Haydn. Paßt ja irgendwie. Nur wie? Natürlich stellen sich auch deutsch-deutsche Nebengedanken ein.

Nun schreibt Christa Wolf aber nicht naheliegenderweise über Haydns Quartett op.76,3 und das dehnbare Lied der Deutschen, sondern über Haydns D-Dur-Messe, die "Missa in Tempore Belli" (Messe in Kriegszeiten), auch bekannt als Paukenmesse. "Dünn ist die Decke der Zivilisation" heißt der Titel dieser "musikalischen Meditation", die vor gut einem Jahr im Auftrag des Schweizer Fernsehens entstand: wieder einer jener typischen Wolfschen Traktat-Titel. Eine Überschrift, die so unverdrossen vorneweg das alte, zerzauste, menschheitsverbessernde Moralbanner schwingt, daß sie den Leser stracks bei Herz und Ohren ergreift. "Große Musik", schreibt Wolf über Haydns Messe: "große Bilder, große Anrufungen, Flehungen, Bekenntnisse."

Mehr Musik ist freilich nicht drin. Auch kein Krieg. Zwar wird des Komponisten fortgeschrittenes Alter gestreift und der Einmarsch napoleonischer Truppen in Österreich, außerdem einiger Zeitgenossen Haydns gedacht, wie Schiller, Kant und Paine. Im übrigen aber variiert Wolf die alten Wolfschen Themen: Es geht in ihrer hin und wieder vom Messetext (in der Fernsehsendung: von der Missa-Musik) liturgisch durchflochtenen Rede um Medea und die Folgen, Muttermythen und den Aufstieg der Männergesellschaft, den Untergang des Sozialismus, beschädigte Ost-Identitäten, die Krise des westlichen Kapitalismus sowie die falsche Freiheit des Konsums. Und wie bei einer Sonntagspredigt werden diese Themen nicht wirklich durchgeführt, vielmehr locker aufgefädelt und in rhetorisch einprägsame Sentenzen gefaßt. Die Musik ist nur Farbe dazwischen. Eine gehorsame Dienerin des Wortes, wie es seit jeher ihre Aufgabe war im religiösen Ritual. Viel Sehnsucht nach dieser lieben Farbe ist versteckt in Wolfs graukarierten Texten. Sie singt "lauthals" Lieder mit Günter Gaus, "die wir, das haben wir ja ausgemacht, niemandem verraten werden". Sie hört "Dutzende von Malen" Schuberts Winterreise in einer Aufnahme mit dem Bariton Günther Leib. In der Erzählung "Im Stein", entstanden 1994 nach der einschneidenden Erfahrung einer Operation unter Periduralanästhesie, mischt sich neben der unvermeidlichen Medea und vielen anderen angestrengten Assoziationen auch Mozart in den Monolog ein, nicht zu vergessen die alten Schlager von Stein und Eisen und Küchenlieder wie das von Mariechen, die auf einem Stein saß: "Ah einmal Mariechen sein dürfen Ah goldenes Haar haben". Noch ein weiterer Text, genannt "Begegnungen Third Street" (1995), fließt in dieser anrührend altmodischen Neuerermanier ohne Punkt und ohne Komma dahin, die immergleichen Innenansichten ausbreitend in selbsthypnotischer Repetition. Wolf hat zwar in den Neunzigern an Leib und Seele eine neue Welt erfahren und sofort literarisch verarbeitet - westliche OP-Säle und TV-Shows, amerikanische Multikultiszenen und kalifornische Wüsten -, sie trauert aber zugleich und im selben Atemzug, mit vielleicht weitaus stärkerer Gemütsbewegung dem Verlust ihrer alten Welt nach. Eine Gebetsmühle, die, je länger und leidenschaftlicher sie gedreht wird, um so kraftloser und eintöniger wirkt. Ein mattes Büchlein: ein Buch der Wiederholungen. Die immergleichen, überstrapazierten Bilder und das immergleiche Opfervokabular, überhaupt eine unter Krampf, Kampf und Dampf stehende, mit allzuviel Adjektiva verschraubte Schreibweise, vorgetragen im immergleichen Tragödinnen-Tonfall. Einzig in den Würdigungen der Wegbegleiter, den Geburtstagsgaben oder Gedenksteinen für Heiner Müller, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Wolfgang Heise oder Günter Grass spricht Christa Wolf eher geradeheraus. Und die Erzählung "Wüstenfahrt" (1999), übrigens auch separat mit Zeichnungen von Günther Uecker versehen im Verlag des Gatten Gerhard Wolf herausgekommen: dieses Alltagsabenteuer, leicht und lakonisch erzählt, hat eine fast surrealistische Strahlkraft. Vielleicht weil diesmal Medea fehlt. Auch das Opfertum und die Ost-Identität, ja, nicht mal das Weltgeschehen spielt mehr so richtig mit.

ELEONORE BÜNING

Christa Wolf: "Hierzulande Andernorts". Erzählungen und andere Texte 1994-1998. Luchterhand Verlag, München 1999. 223 S., geb., 36,- DM.

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