27 Meter über einer Wasseroberfläche, die keine Fehler verzeiht.Der Kolumbianer mit dem charakteristischen Pferdeschwanz ist zum Posterboy einer ganzen Sportart geworden: Cliff Diving, dem Sprung aus 25 Meter Höhe und mehr ins Wasser. Der große Charismatiker erzählt den Werdegang einer höchst unwahrscheinlichen Karriere, welche Opfer er und seine Familie dafür bringen mussten und wie sich ein vermeintlicher Freak-Sport zum globalen Quotenschlager mausern konnte.Orlando Duque, Jahrgang 1974, wuchs in einer Umgebung auf, in der Drogen zum Alltag gehörten, sprang als brennende Fackel von Kränen in winzige Pools, qualifizierte sich für die Olympischen Spiele und ging schon als Teenager nach Europa. Er war Barkeeper, lebte auf Hawaii und in Kitzbühel, revolutionierte seinen Sport und schloss Freundschaften fürs Leben - nicht selten unter seinen größten sportlichen Gegnern. Der eloquente Ausnahme-Athlet und 13-fache Weltmeister nimmt uns mit auf einen Sprung in sein Leben, lässt uns inwilde, berührende, schlicht abenteuerliche Geschichten eintauchen und beantwortet die Frage aller Fragen: Wie fühlt es sich an, 27 Meter über der Wasseroberfläche zu stehen, abzuspringen und aus dieser Höhe am Wasser aufzuschlagen?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2019Absprung und Wasser
Klippenspringen ist ein faszinierender und zugleich fragwürdiger Sport. Faszinierend, weil es unfassbar wirkt, einen Springer aus 27 Meter Höhe durch die Luft fliegen zu sehen, eine Gestalt, die sich dreht, überschlägt, verwindet und schließlich mit Tempo 80, die Muskeln bretthart angespannt, den Körper lotrecht aufgerichtet, wie ein Messer ins Wasser schießt. Und fragwürdig, weil es ein Schauspiel ist, bei dem man als Zuschauer unweigerlich ins Grübeln kommt, wie einer sich ausgerechnet diesen Sport aussuchen kann.
Orlando Duque hat diese Frage oft gehört. Der Kolumbianer ist eine Legende der Cliff-Diving-Szene: Er wurde 2013 in Barcelona erster Weltmeister im High Diving, er gewann neun Mal die Weltserie der Klippenspringer, er erhielt 2000 für einen Sprung auf Hawaii von allen Wertungsrichtern die Höchstnote 10 und damit einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde. Vor einem Monat beendete er seine große Karriere, mit 45 Jahren, und als Abschluss, Resümee, sportliches Vermächtnis ist nun sein Buch "High Diver" erschienen - ein persönlicher, lebendiger, phantastisch bebilderter Blick in eine schwindelerregende Branche.
Angefangen hat Duques Weg in der kolumbianischen Stadt Cali. Als Junge gehörte für ihn der Fußball genauso zum Alltag wie der Drogenhandel, in den auch Jugendfreunde von ihm verwickelt waren. Duque selbst hielt sich an den Sport. Weil er nach dem Fußballspielen gern den Springern im nahegelegenen Pool zuschaute, fragte ihn eines Tages ein Trainer, ob er nicht Lust habe, selbst zu springen. Duque war damals ein wackliger Schwimmer, trotzdem stellte er sich mit den Freunden an den Beckenrand. Und sprang.
Bald folgten erste Wettkämpfe, erste Erfolge, erste Titel. Duque hatte zum ersten Mal in seinem Leben etwas entdeckt, wofür er brannte. Und er fand eine Gemeinschaft, die ihn vor Dummheiten bewahrte und schützte: "Sogar die durchgeknalltesten Dealer auf der Straße haben uns in unseren Trainingsanzügen gewissermaßen respektiert." Sein großes Ziel war Olympia 1992 in Barcelona. Er schaffte die Qualifikation - doch der Verband ließ ihn nicht fahren, aus finanziellen Gründen.
Über einen Freund erhielt Duque ein lukratives Angebot als Showspringer in einem Safari-Park in Österreich. Das Highlight der Show war ein Sprung aus 25 Meter Höhe. Als er damals im Fernsehen Bilder eines Cliff-Diving-Events sah, wusste er: Das war es, was er als Sportler gesucht hatte. Duque stieg zum populärsten Gesicht der Szene auf, er machte die Sportart, die von einem Getränkehersteller professionell vermarktet wurde, bekannt. Und die Sportart ihn.
Was dafür nötig war, beschreibt Duque im Detail: die mentale Vorbereitung und die Routine unzähliger Wiederholungen, die Mischung aus Anspannung und Lockerheit vor dem Sprung, die körperliche Fitness und die innere Konzentration, um komplexe Bewegungsfolgen präzise auszuführen. Denn jeder Fehler kann schwere Folgen haben. Häufige Verletzungen sind gezerrte oder gerissene Adduktoren, weil die Beine bei der Landung nicht ganz geschlossen waren, oder ein gebrochenes Steißbein bei einer leichten Überrotation. Von schweren Unglücken blieb Duque in seiner jahrzehntelangen Karriere verschont. Nur beim Skydiving erlitt er einmal einen mehrfachen Unterschenkelbruch - er hatte die Landung auf dem Boden verkorkst.
Duque hat im Klippenspringen nicht nur seine Sportart, sondern auch seinen Lebensstil gefunden: in der Springer-Gemeinschaft, beim Touren um die Welt, im Erleben "paradiesischer Plätze". Sein Weg gipfelte im perfekten Rekordsprung 2000 auf Hawaii, mit dem das Buch abschließt. "Cliff Diving ist im Grunde ein total einfacher Sport", schreibt Duque. "Alles, was man dazu braucht, ist ein Absprung und tiefes Wasser. Der Rest liegt an dir selbst. Du entscheidest, was du aus diesen einzigen beiden Zutaten und der winzigen Zeitspanne totaler Freiheit machst."
BERND STEINLE
Orlando Duque, Werner Jessner: High Diver.
Pantauro Verlag, 212 Seiten, 30 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klippenspringen ist ein faszinierender und zugleich fragwürdiger Sport. Faszinierend, weil es unfassbar wirkt, einen Springer aus 27 Meter Höhe durch die Luft fliegen zu sehen, eine Gestalt, die sich dreht, überschlägt, verwindet und schließlich mit Tempo 80, die Muskeln bretthart angespannt, den Körper lotrecht aufgerichtet, wie ein Messer ins Wasser schießt. Und fragwürdig, weil es ein Schauspiel ist, bei dem man als Zuschauer unweigerlich ins Grübeln kommt, wie einer sich ausgerechnet diesen Sport aussuchen kann.
Orlando Duque hat diese Frage oft gehört. Der Kolumbianer ist eine Legende der Cliff-Diving-Szene: Er wurde 2013 in Barcelona erster Weltmeister im High Diving, er gewann neun Mal die Weltserie der Klippenspringer, er erhielt 2000 für einen Sprung auf Hawaii von allen Wertungsrichtern die Höchstnote 10 und damit einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde. Vor einem Monat beendete er seine große Karriere, mit 45 Jahren, und als Abschluss, Resümee, sportliches Vermächtnis ist nun sein Buch "High Diver" erschienen - ein persönlicher, lebendiger, phantastisch bebilderter Blick in eine schwindelerregende Branche.
Angefangen hat Duques Weg in der kolumbianischen Stadt Cali. Als Junge gehörte für ihn der Fußball genauso zum Alltag wie der Drogenhandel, in den auch Jugendfreunde von ihm verwickelt waren. Duque selbst hielt sich an den Sport. Weil er nach dem Fußballspielen gern den Springern im nahegelegenen Pool zuschaute, fragte ihn eines Tages ein Trainer, ob er nicht Lust habe, selbst zu springen. Duque war damals ein wackliger Schwimmer, trotzdem stellte er sich mit den Freunden an den Beckenrand. Und sprang.
Bald folgten erste Wettkämpfe, erste Erfolge, erste Titel. Duque hatte zum ersten Mal in seinem Leben etwas entdeckt, wofür er brannte. Und er fand eine Gemeinschaft, die ihn vor Dummheiten bewahrte und schützte: "Sogar die durchgeknalltesten Dealer auf der Straße haben uns in unseren Trainingsanzügen gewissermaßen respektiert." Sein großes Ziel war Olympia 1992 in Barcelona. Er schaffte die Qualifikation - doch der Verband ließ ihn nicht fahren, aus finanziellen Gründen.
Über einen Freund erhielt Duque ein lukratives Angebot als Showspringer in einem Safari-Park in Österreich. Das Highlight der Show war ein Sprung aus 25 Meter Höhe. Als er damals im Fernsehen Bilder eines Cliff-Diving-Events sah, wusste er: Das war es, was er als Sportler gesucht hatte. Duque stieg zum populärsten Gesicht der Szene auf, er machte die Sportart, die von einem Getränkehersteller professionell vermarktet wurde, bekannt. Und die Sportart ihn.
Was dafür nötig war, beschreibt Duque im Detail: die mentale Vorbereitung und die Routine unzähliger Wiederholungen, die Mischung aus Anspannung und Lockerheit vor dem Sprung, die körperliche Fitness und die innere Konzentration, um komplexe Bewegungsfolgen präzise auszuführen. Denn jeder Fehler kann schwere Folgen haben. Häufige Verletzungen sind gezerrte oder gerissene Adduktoren, weil die Beine bei der Landung nicht ganz geschlossen waren, oder ein gebrochenes Steißbein bei einer leichten Überrotation. Von schweren Unglücken blieb Duque in seiner jahrzehntelangen Karriere verschont. Nur beim Skydiving erlitt er einmal einen mehrfachen Unterschenkelbruch - er hatte die Landung auf dem Boden verkorkst.
Duque hat im Klippenspringen nicht nur seine Sportart, sondern auch seinen Lebensstil gefunden: in der Springer-Gemeinschaft, beim Touren um die Welt, im Erleben "paradiesischer Plätze". Sein Weg gipfelte im perfekten Rekordsprung 2000 auf Hawaii, mit dem das Buch abschließt. "Cliff Diving ist im Grunde ein total einfacher Sport", schreibt Duque. "Alles, was man dazu braucht, ist ein Absprung und tiefes Wasser. Der Rest liegt an dir selbst. Du entscheidest, was du aus diesen einzigen beiden Zutaten und der winzigen Zeitspanne totaler Freiheit machst."
BERND STEINLE
Orlando Duque, Werner Jessner: High Diver.
Pantauro Verlag, 212 Seiten, 30 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main