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»Sie lügen, suhlen, spielen, schießen, die kleinen Gören, ach so süßen«: In Hilaire Bellocs witzigen und ironischen Versen - von Hans Magnus Enzensberger kongenial ins Deutsche übertragen - herrscht eine Anarchie, die nur vom wunderbar trockenen britischen Humor des Autors gebändigt wird. Ein Klassiker der englischen Literatur liegt mit dieser Ausgabe erstmals auf deutsch vor.

Produktbeschreibung
»Sie lügen, suhlen, spielen, schießen, die kleinen Gören, ach so süßen«: In Hilaire Bellocs witzigen und ironischen Versen - von Hans Magnus Enzensberger kongenial ins Deutsche übertragen - herrscht eine Anarchie, die nur vom wunderbar trockenen britischen Humor des Autors gebändigt wird. Ein Klassiker der englischen Literatur liegt mit dieser Ausgabe erstmals auf deutsch vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.1999

Natürlich, Bullen sind gefährlich
Enzensberger übersetzt Belloc Von Harald Hartung

Ob Heinrich Hoffmanns, des Struwwelpeter-Hoffmanns, Verbotspädagogik je wirklich funktionierte, wer will das wissen? Jeder von uns, der einmal ein Suppenkaspar war, hat so seine Zweifel. Im Zweifelsfall wäre er aber lieber anarchisch wie Max und Moritz gewesen, weshalb er dem Pessimisten Wilhelm Busch ein ehrendes Andenken bewahrt. Wenn auch dieses Jahrhundert, von Ellen Key einst als Jahrhundert des Kindes eingeläutet, nicht wirklich kinderfreundlich geworden ist, so sind doch immer auch Alte und Junge zusammengerückt, um sich an der poetischen Subversion von Erziehung zu erbauen.

Hans Magnus Enzensberger, der einst als zorniger junger Mann und Bürgerschreck galt, ist von jeher ein Kinderfreund gewesen: von seiner Allerleirauh-Sammlung "vieler schöner Kinderreime" bis zu seinem Esterhazy-Hasenroman. Ihm ist auch ein schöner Neuzugang zum Genre der Versgeschichten für Kinder zwischen 8 und 80 zu danken, nämlich "Hilaire Bellocs Klein-Kinder-Bewahranstalt".

Belloc? Hilaire Belloc (1870 - 1953) ist hierzulande kaum mehr als ein Gerücht. Dieser Schriftsteller, Historiker und Politiker halbfranzösischer Abkunft, streitbarer Liberaler und engagierter Katholik, war Autor von über hundertundfünfzig Titeln. Populär wurden vor allem seine "Cautionary Tales For Children" (1907) - "erbauliche Geschichten zur Warnung vor den schlimmen Folgen jugendlichen Überschwangs", wie Enzensberger paraphrasiert. Diese Versgeschichten, denen 1930 eine zweite Serie folgte, weisen Belloc als einen englischen Wilhelm Busch aus. Freilich schrieb Belloc nur die Verse und überließ die Illustrierung seinem Freund Lord Basil Blackwood. Die "New Cautionary Tales" erschienen zunächst als Textfassung und fanden erst 1993 in Quentin Blake ihren Illustrator. Beide Zeichner kommen in Enzensbergers Auswahl zusammen. Der Anhang des Bandes bringt dankenswerterweise auch die englischen Texte, was reizvolle Vergleiche ermöglicht. Enzensbergers Nachdichtung ist kongenial, sie nimmt sich die Freiheit, Namen oder Umstände zu variieren, trifft aber durchweg Bellocs trockenen Humor und diskreten Anarchismus. Manchmal erscheint sie fast drastischer und präziser als das Original.

Natürlich leben auch Bellocs Geschichten vom Reiz der Verbotspädagogik, von der Differenz von dick aufgetragener Moral und anarchischer Subversion. Nur ist man, gegenüber Hoffmann und Busch, über ein halbes Jahrhundert weiter. Die Schrecken, mit denen Belloc operiert, sind weniger fürchterlich als grotesk. Immerhin wird Jim, der seinem Kindermädchen davonlief, von einem possierlichen Löwen gefressen, und Mathilda, weil sie immer log, ist fürs Feuer: "Die Tante, als sie heimkam, fand / Besitz und Nichte abgebrannt."Subtiler behandelt sind die kleinen gesellschaftlichen Delikte. Henry King kaut stets auf dem Ende einer Schnur herum, Franklin Bloom wühlt im Dreck, Rebecca schlägt gern mit Türen - alles mit mehr oder minder fatalen Folgen. Unübertreffbar britisch der Charme der Geschichte von Clive, der mit Vaters Flinte die Schwester knapp verfehlt: "Worauf er, der Vater, milde tadelnd spricht: ,Mein Sohn, im Zimmer schießt man nicht.'"

Belloc liefert unterderhand Satiren auf Geldgier, Heuchelei und Opportunismus. Der kleine John, weil er mit Steinen warf, büßt ebenjenes Vermögen ein, das ihm der bombardierte Onkel hatte vermachen wollen. Charles Augustus Fortescue hingegen bringt es zu Reichtum, weil er so brav war - allerdings mit persönlichen Zumutungen: "Ja, Charlie schreckte nicht zurück/vor kaltem Fett am Nierenstück." So kalt wie dieses Fett erscheint die gesellschaftliche Physiognomie. Maria, die gern und oft Gesichter schnitt, wird für ihre Lebendigkeit bestraft: "Maria sollte das bereun; / denn eines Tages, Schlag halb neun / auf ewig ihr Gesicht gefror / und seinen ganzen Reiz verlor." Die Strafe ist ein zynisches Happy-End. Zwar kommt Maria unter die Haube, weil Unsummen Geld im Spiel sind. Doch der künftige Gatte ist alt, tyrannisch, hoch verschuldet, kalt und ungebildet wie ein Rind - "vor allem aber war er blind".

Belloc will uns die Augen öffnen. Er ist, ganz elementarschulmäßig, ein Alphabetisierer. Sarah Byng landet in einer Dornenhecke, weil sie ein Verbotsschild nicht lesen kann. Belloc überläßt es seinen Lesern, aus Sarahs noch dumpfer Reflexion den klaren Schluß zu ziehen: "Natürlich, Bullen sind gefährlich, / doch scheint mir, seien wir mal ehrlich, / gefährlicher das Alphabet." Dieser witzig inszenierten Gefahr setzen wir uns mit großem Vergnügen aus.

Hilaire Bellocs Klein-Kinder-Bewahr-Anstalt. Fünfzehn erbauliche Geschichten zur Warnung vor den schlimmen Folgen jugendlichen Überschwangs. Aus dem Englischen nachgedichtet von Hans Magnus Enzensberger. Zeichnungen von B.T.B. und Quentin Blake. Sanssouci Verlag, Zürich 1998. 136 S., geb., 26,-DM.

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"Ein britischer Struwwelpeter mit recht sarkastischen Pointen und weniger aufdringlicher Moral." (Die Welt)