Hilbig und die bildenden Künste - Schriftstellerkollegen, Malerfreunde, Literaturwissenschaftler über die gewaltigen Wort- und Bildwelten Wolfgang Hilbigs.Wolfgang Hilbig zählt sicher zu den außergewöhnlichsten Erscheinungen der deutsch-deutschen Literaturgeschichte am Ende des 20. Jahrhunderts. Er war ein Dichter, der in der Traditionslinie Novalis - Rimbaud - Trakl - Kafka steht und zugleich lange Jahre in den Braunkohlerevieren Sachsens als Heizer arbeitete. Kein Autor hat eine derart schwarze Sprache für die DDR gefunden.Hilbig hat immer wieder über Bilder geschrieben, zu denen er sich hingezogen fühlte, ebenso über Künstler, mit denen er befreundet war. Und andersherum hat seine gewaltige Bildsprache bedeutende bildende Künstler zu eigenen Arbeiten inspiriert.Der Band »Hilbigs Bilder« dokumentiert dieses Wechselspiel. Er bringt die Gedichte und Prosatexte Hilbigs über Bilder - z. B. von Ernst Barlach, Gerhard Altenbourg und Gil Schlesinger - mit den Bildern zusammen. Zudem beschreiben Freunde und Schriftstellerkollegen wie Uwe Kolbe, Andreas Koziol und Gert Neumann ihre Leseerfahrungen mit den Texten von Wolfgang Hilbig. Schließlich spüren junge Lyriker, wie Nancy Hünger und Jan Röhnert, seiner eigentümlichen Bildlichkeit nach und verschiedene Literaturwissenschaftler reflektieren deren poetische Implikationen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Helmut Böttiger preist diesen von Peter Braun und Stephan Pabst herausgegebenen Band mit Essays zu Wolfgang Hilbigs Texten, ihrer Sogkraft und ihren Auslösern in Bild und Augenblick. Laut Böttiger kreisen die Beiträge um diesen Glutkern von Hilbigs Texten. Etwa, indem sie Hilbigs Beziehungen zu Malern, zum Begriff des Meeres oder zu seiner Heimatstadt, dem Braunkohleort Meuselwitz nachzeichnen. Wie sich daraus Literatur entwickelt, sich die Bilder verselbständigen, erfährt der Rezensent u.a. auch von Anja Oesterhelt, die verdeutlicht, wie Sichtbares sich in Hörbares und Fühlbares verwandelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2014Kaum merkliche Überlagerungen von Licht
Ein Sammelband über „Hilbigs Bilder“ macht sich auf die Suche nach dem Ursprung des Schreibprozesses
Wolfgang Hilbig wirkte wie aus der Zeit gefallen, ein unakademischer, völlig diskursfremder Dichter, der als Arbeiter in der DDR die schwarze bürgerliche Poesie der Moderne aufgesogen hatte. Dennoch scheint er mit dieser Unbedingtheit seine Zeit durchdrungen zu haben wie kaum ein anderer. Als er 2007 starb, war er schon zu einem Mythos zu Lebzeiten geworden, etliche jüngere Autoren beriefen sich auf ihn, und es war klar, dass es noch eine Zeit lang dauern würde, seine Geheimnisse besser auszuloten. Ein außergewöhnliches Indiz für die Bedeutung, die man ahnte, ist, dass sein Verlag bald mit einer neuen großen Werkausgabe in sieben Bänden begann. Aktuell liegt dort jetzt als Band 6 der Roman „Das Provisorium“ vor, der zuerst im Jahr 2000 erschien. Obwohl das noch gar nicht so lange her ist, scheint dieser Roman einer ganz anderen historischen Dimension anzugehören. Hautnah wird das Leben eines Schriftstellers zwischen Ost- und Westdeutschland in den Achtzigerjahren aufgezeichnet, es ist eine schonungslose autobiografische Selbstbefragung.
Hilbig war alles andere als ein DDR-Schriftsteller, aber noch weniger hatte er mit dem Westen zu tun. Wenn „C.“, sein literarischer Doppelgänger, durch die Einkaufsstraßen der westdeutschen Städte geht, mit ihren Ladenpassagen und Firmensignets, dann stellt er fest, dass sich hier „das Schriftsystem in ein Medium des Analphabetismus zurückverwandelt“ hat. Die Literatur bietet ihm keinen Halt mehr. Er ist auf seinen Körper reduziert, und der Alkohol treibt ihn immer stärker in die Isolation. Der Hass, den C. gegen seinen eigenen Körper richtet, war aber offenkundig bereits im Osten angelegt. Der Osten hatte die „Bestie“ in ihm gezeugt: „Dieses Land da drüben hatte seine Zeit geschluckt!“
Im „Provisorium“ geht es um die radikale Begründung einer Schriftstellerexistenz, um eine existenzielle Dimension der Literatur, die im damaligen Umfeld wie eine Provokation wirken musste. Der S.-Fischer-Verlag hat der neuen Ausgabe drei kurze Dokumente aus der Entstehungszeit hinzugefügt sowie ein Nachwort von Julia Franck, das sich auf das Frauenbild Hilbigs konzentriert – eine umfassende Aufbereitung des gesamten Schaffenskomplexes ist das natürlich noch lange nicht, aber als Teil einer umfassenden Werkausgabe hat es durchaus seinen Sinn. Eine zentrale Passage gilt im „Provisorium“ den glühenden Bildern, die der Autor immer wieder aus Sprache entwirft – sie gehen von ganz konkreten Bildern aus: „Ein Bild in seiner Vorstellung, von dem er fasziniert war, das ihm unvergesslich dünkte, war das eines jungen Mannes, der in der letzten Abendhelle über einen fast kahlen Hügel schritt.“
Hilbig entwickelt aus diesem Bild, in immer neuen assoziativen Schwüngen, eine eigene Poetik. Und hier bietet sich ein interessanter Ansatz, tiefer in Hilbigs Textwelten vordringen zu können. Es ist nun das Verdienst eines Projekts in Jena, sich programmatisch „Hilbigs Bildern“ zu widmen – ausgehend von den Wortbildern in seinen Texten bis zu den erstaunlich zahlreichen Berührungspunkten mit Bildender Kunst. In dem jetzt erschienenen Essayband sind erstaunliche Entdeckungen zu machen: die „Bilder“ führen tatsächlich ins Zentrum von Hilbigs Werk.
Mehrfach spielt eine Passage aus dem ungeheuren Prosastück „Alte Abdeckerei“ eine Rolle. Aus der unmittelbaren Wahrnehmung heraus ergibt sich eine ästhetische Reflexion, die Sinnlichkeit verschmilzt sofort mit dem Prozess des Schreibens. Es geht dabei um „die Stunde des Übergangs, auf die des Waltens jener Grenzenlosigkeit, die dem Einbruch der Nacht vorausging, die sich in kaum merklichen Überlagerungen von Licht ausdrückte, in unwirklichen Farben manifestierte, in Geräuschen, deren Ursache verloren war . . .“ Der Abschnitt endet in der Suche nach einer „Sprache, in der die Substantive ihre Bedeutung verloren hatten, es war die Sprache einer Wahrnehmung, die allein auf wortlose und flüchtige Augenblicke reagierte“.
Es gibt diesen einen Glutkern in Hilbigs Texten, und er wird im Band „Hilbigs Bilder“ mehrfach umkreist. Peter Braun etwa beschreibt in einer freien essayistischen Form die Editionen des Textes „Die Kunde von den Bäumen“: Er wurde zum ersten Mal in einem bibliophilen Künstlerbuch mit Lithografien von Olaf Nicolai veröffentlicht, hier sind die künstlerischen Ausdrucksformen eng aufeinander bezogen. Uwe Kolbe geht Hilbigs Beziehungen zum Maler Gerhard Altenbourg nach, dokumentiert werden auch Hilbigs Freundschaften zu Künstlern wie Gil Schlesinger oder Horst Hussel. Das Heimatbild, die Braunkohlestadt Meuselwitz, wird vom Meuselwitzer Volker Hanisch topografisch aufgeschlüsselt. Erhellend sind auch Stephan Pabsts Überlegungen zum Begriff des „Meeres“ bei Hilbig.
Anja Oesterhelt beschreibt sehr genau, wie sich die literarischen Bilder Hilbigs verselbständigen: Es ist nicht nur das Sichtbare, das sie ausmacht, sondern auch das Gehörte, Gefühlte und Gerochene. Und dazu passt sehr schön eine Erinnerung des Lyrikers Andreas Koziol, der mit Hilbig eng befreundet war: Koziol schenkte Hilbig die Platte „One Nation Underground“ der Acid-Folk-Band „Pearls Before Swine“, und der Titel „Morning“ löste bei Hilbig die Idee zu einer Erzählung aus, die die Spannweite zwischen einem großen Sehnsuchtsbild und dem die Sinne betäubenden Konsumzwang auslotete. Der starken Sogkraft, die Hilbigs Texte entfalten, wird in diesem Band mit zum Teil sehr subjektiven, zum Teil sehr detaillierten und objektivierenden Untersuchungen nachgespürt. Und das „Bild“, die „Bilder vom Erzählen“, wie Hilbigs letztes Buch hieß, sind dabei ein fruchtbarer Ausgangspunkt. Sie werden als die entscheidenden Auslöser des Schreibens deutlich: „So saßen also auch noch diese Bilder in ihm fest, untilgbar, wie es schien: verkrustete, verschmutzte Ablagerungen am Fuß seiner Erinnerungsgemäuer.“
HELMUT BÖTTIGER
Peter Braun/Stephan Pabst (Hrsg.): Hilbigs Bilder. Essays und Aufsätze. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 172 Seiten, 19,90 Euro.
Wolfgang Hilbig: Werke Band VI. Das Provisorium. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 334 Seiten, 21,99 Euro.
Der Arbeiter, der die große schwarze Poesie der Moderne aufsog: Wolfgang Hilbig, geboren 1941 in Meuselwitz, gestorben 2007 in Berlin.
Foto: Jürgen Bauer
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Ein Sammelband über „Hilbigs Bilder“ macht sich auf die Suche nach dem Ursprung des Schreibprozesses
Wolfgang Hilbig wirkte wie aus der Zeit gefallen, ein unakademischer, völlig diskursfremder Dichter, der als Arbeiter in der DDR die schwarze bürgerliche Poesie der Moderne aufgesogen hatte. Dennoch scheint er mit dieser Unbedingtheit seine Zeit durchdrungen zu haben wie kaum ein anderer. Als er 2007 starb, war er schon zu einem Mythos zu Lebzeiten geworden, etliche jüngere Autoren beriefen sich auf ihn, und es war klar, dass es noch eine Zeit lang dauern würde, seine Geheimnisse besser auszuloten. Ein außergewöhnliches Indiz für die Bedeutung, die man ahnte, ist, dass sein Verlag bald mit einer neuen großen Werkausgabe in sieben Bänden begann. Aktuell liegt dort jetzt als Band 6 der Roman „Das Provisorium“ vor, der zuerst im Jahr 2000 erschien. Obwohl das noch gar nicht so lange her ist, scheint dieser Roman einer ganz anderen historischen Dimension anzugehören. Hautnah wird das Leben eines Schriftstellers zwischen Ost- und Westdeutschland in den Achtzigerjahren aufgezeichnet, es ist eine schonungslose autobiografische Selbstbefragung.
Hilbig war alles andere als ein DDR-Schriftsteller, aber noch weniger hatte er mit dem Westen zu tun. Wenn „C.“, sein literarischer Doppelgänger, durch die Einkaufsstraßen der westdeutschen Städte geht, mit ihren Ladenpassagen und Firmensignets, dann stellt er fest, dass sich hier „das Schriftsystem in ein Medium des Analphabetismus zurückverwandelt“ hat. Die Literatur bietet ihm keinen Halt mehr. Er ist auf seinen Körper reduziert, und der Alkohol treibt ihn immer stärker in die Isolation. Der Hass, den C. gegen seinen eigenen Körper richtet, war aber offenkundig bereits im Osten angelegt. Der Osten hatte die „Bestie“ in ihm gezeugt: „Dieses Land da drüben hatte seine Zeit geschluckt!“
Im „Provisorium“ geht es um die radikale Begründung einer Schriftstellerexistenz, um eine existenzielle Dimension der Literatur, die im damaligen Umfeld wie eine Provokation wirken musste. Der S.-Fischer-Verlag hat der neuen Ausgabe drei kurze Dokumente aus der Entstehungszeit hinzugefügt sowie ein Nachwort von Julia Franck, das sich auf das Frauenbild Hilbigs konzentriert – eine umfassende Aufbereitung des gesamten Schaffenskomplexes ist das natürlich noch lange nicht, aber als Teil einer umfassenden Werkausgabe hat es durchaus seinen Sinn. Eine zentrale Passage gilt im „Provisorium“ den glühenden Bildern, die der Autor immer wieder aus Sprache entwirft – sie gehen von ganz konkreten Bildern aus: „Ein Bild in seiner Vorstellung, von dem er fasziniert war, das ihm unvergesslich dünkte, war das eines jungen Mannes, der in der letzten Abendhelle über einen fast kahlen Hügel schritt.“
Hilbig entwickelt aus diesem Bild, in immer neuen assoziativen Schwüngen, eine eigene Poetik. Und hier bietet sich ein interessanter Ansatz, tiefer in Hilbigs Textwelten vordringen zu können. Es ist nun das Verdienst eines Projekts in Jena, sich programmatisch „Hilbigs Bildern“ zu widmen – ausgehend von den Wortbildern in seinen Texten bis zu den erstaunlich zahlreichen Berührungspunkten mit Bildender Kunst. In dem jetzt erschienenen Essayband sind erstaunliche Entdeckungen zu machen: die „Bilder“ führen tatsächlich ins Zentrum von Hilbigs Werk.
Mehrfach spielt eine Passage aus dem ungeheuren Prosastück „Alte Abdeckerei“ eine Rolle. Aus der unmittelbaren Wahrnehmung heraus ergibt sich eine ästhetische Reflexion, die Sinnlichkeit verschmilzt sofort mit dem Prozess des Schreibens. Es geht dabei um „die Stunde des Übergangs, auf die des Waltens jener Grenzenlosigkeit, die dem Einbruch der Nacht vorausging, die sich in kaum merklichen Überlagerungen von Licht ausdrückte, in unwirklichen Farben manifestierte, in Geräuschen, deren Ursache verloren war . . .“ Der Abschnitt endet in der Suche nach einer „Sprache, in der die Substantive ihre Bedeutung verloren hatten, es war die Sprache einer Wahrnehmung, die allein auf wortlose und flüchtige Augenblicke reagierte“.
Es gibt diesen einen Glutkern in Hilbigs Texten, und er wird im Band „Hilbigs Bilder“ mehrfach umkreist. Peter Braun etwa beschreibt in einer freien essayistischen Form die Editionen des Textes „Die Kunde von den Bäumen“: Er wurde zum ersten Mal in einem bibliophilen Künstlerbuch mit Lithografien von Olaf Nicolai veröffentlicht, hier sind die künstlerischen Ausdrucksformen eng aufeinander bezogen. Uwe Kolbe geht Hilbigs Beziehungen zum Maler Gerhard Altenbourg nach, dokumentiert werden auch Hilbigs Freundschaften zu Künstlern wie Gil Schlesinger oder Horst Hussel. Das Heimatbild, die Braunkohlestadt Meuselwitz, wird vom Meuselwitzer Volker Hanisch topografisch aufgeschlüsselt. Erhellend sind auch Stephan Pabsts Überlegungen zum Begriff des „Meeres“ bei Hilbig.
Anja Oesterhelt beschreibt sehr genau, wie sich die literarischen Bilder Hilbigs verselbständigen: Es ist nicht nur das Sichtbare, das sie ausmacht, sondern auch das Gehörte, Gefühlte und Gerochene. Und dazu passt sehr schön eine Erinnerung des Lyrikers Andreas Koziol, der mit Hilbig eng befreundet war: Koziol schenkte Hilbig die Platte „One Nation Underground“ der Acid-Folk-Band „Pearls Before Swine“, und der Titel „Morning“ löste bei Hilbig die Idee zu einer Erzählung aus, die die Spannweite zwischen einem großen Sehnsuchtsbild und dem die Sinne betäubenden Konsumzwang auslotete. Der starken Sogkraft, die Hilbigs Texte entfalten, wird in diesem Band mit zum Teil sehr subjektiven, zum Teil sehr detaillierten und objektivierenden Untersuchungen nachgespürt. Und das „Bild“, die „Bilder vom Erzählen“, wie Hilbigs letztes Buch hieß, sind dabei ein fruchtbarer Ausgangspunkt. Sie werden als die entscheidenden Auslöser des Schreibens deutlich: „So saßen also auch noch diese Bilder in ihm fest, untilgbar, wie es schien: verkrustete, verschmutzte Ablagerungen am Fuß seiner Erinnerungsgemäuer.“
HELMUT BÖTTIGER
Peter Braun/Stephan Pabst (Hrsg.): Hilbigs Bilder. Essays und Aufsätze. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 172 Seiten, 19,90 Euro.
Wolfgang Hilbig: Werke Band VI. Das Provisorium. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 334 Seiten, 21,99 Euro.
Der Arbeiter, der die große schwarze Poesie der Moderne aufsog: Wolfgang Hilbig, geboren 1941 in Meuselwitz, gestorben 2007 in Berlin.
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»In dem (...) Essayband sind erstaunliche Entdeckungen zu machen.« (Helmut Böttiger, Süddeutsche Zeitung, 28.01.2014)