Güte ist, so zeigt Franz Schuh in seiner gleichermaßen luziden wie anregenden Abhandlung, nicht zuletzt ein Sehnsuchtsbegriff, der auf einem offensichtlichen Mangel gründet. Was Güte ist, lässt sich am schönsten dort zeigen, wo sie fehlt, zum Beispiel in dieser 20.-Jahrhundert-Welt von Louis-Ferdinand Célines Reise ans Ende der Nacht - einem 1932 erschienenen Roman, der die (historischen) Härten des kollektiven und individuellen Überlebenskampfes in schockierender Offenheit niederschreibt. Der so genannte "Sozialstaat" war eine der politischen Antworten auf diese Härten.
Gerade dass so etwas wie Güte nicht bloß als private Eigenschaft existieren muss, sondern in gesellschaftliche Institutionen einfließen kann, macht diesen (problematischen) Begriff der Rede wert. In die Gesellschaft ist eben nicht nur, was evident ist, die individuelle Grausamkeit eingegangen, sondern in den bürokratisierten Formen der Hilfe auch die Güte: von der Pensionsversicherung bis zur Krankenpflege.
Gerade dass so etwas wie Güte nicht bloß als private Eigenschaft existieren muss, sondern in gesellschaftliche Institutionen einfließen kann, macht diesen (problematischen) Begriff der Rede wert. In die Gesellschaft ist eben nicht nur, was evident ist, die individuelle Grausamkeit eingegangen, sondern in den bürokratisierten Formen der Hilfe auch die Güte: von der Pensionsversicherung bis zur Krankenpflege.
Wer wäre nicht gern gut? Und zwar gleich doppelt - im moralischen und im Sinne des sportlichen Wettkampfs, ein guter Mensch also und zugleich guter Arzt, Manager, Fußballtrainer oder Vater. Der große Wiener Essayist Franz Schuh hat sich in seiner unverwechselbaren Manier eines Themas angenommen, das mitten ins Herz unserer Mediengesellschaft zielt. Sein "Versuch zur Güte" beschäftigt sich ebenso mit der Qualitätssicherung unseres ständig in Benefizkonzerten und Spendenmarathons öffentlich demonstrierten Mitgefühls wie mit der moralischen Qualität von Fachleuten: von Politikern beispielsweise oder professionellen Helfern wie Altenpflegern und Ärzten. Schuh ist ein scharfer Beobachter der Paradoxien zwischen penetrantem Gutseinwollen und dem Nichtschlechtseinkönnen, etwa im Vergleich der charity der Millionenerbin Fiona Swarovski und der caritas einer Mutter Theresa. Der scheinheilige Boulevard liefert dem Sprachkritiker Material zuhauf: "Einen Wettbewerb zugunsten der Leukämiestiftung José Carreras', der aus den Disziplinen Elfmeterschießen, Dosenwerfen, Palatschinkenschupfen und Karaoke besteht und der in Salzburg zur Festspielzeit stattfindet, nennen sie ,Fun Trophy'." Zugleich streift Schuh lässig Felder wie die neue Lust an einer Ästhetik des Bösen oder die fadenscheinigen Qualitätsbehauptungen der Kunstkritik. "Die meisten Karrieren sind, wenn sie nicht Chimären sind, Schablonen" - Aphorismen und Gedankenblitze finden sich auf jeder Seite. Bleibt nur die Frage, ob solche Klugheit selbst ethische Dimensionen haben kann, Qualität in Güte umschlägt. Schuh kennt die Grenze: Wer schreibt, hilft nicht, höchstens sich selbst. Nicht Güte also, aber Redlichkeit. (Franz Schuh: "Hilfe!" Ein Versuch zur Güte. Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens. Band 10. Styria Verlag, Wien 2007. 230 S., br. 19,90 [Euro].) rik
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tobias Lehmkuhl lässt in seiner Kurzkritik an Franz Schuhs Buch über die Güte kein gutes Haar und zeigt sich insbesondere angesichts der stilistischen Eigenheiten des Autors schwer genervt. Der sich in Abschweifungen ergehende, plaudernde Duktus des Essayisten erregt den Unmut Lehmkuhls, zumal er auch die Argumentationen Schuhs nicht wirklich überzeugend findet, wenn er beispielsweise dem "Charity"-Konzept einer Fiona Swarovski wahre Güte abzusprechen sucht. Der Rezensent wirft Schuh gar "formloses Salbadern" vor und urteilt knapp, dass sich damit weder ein "großer Essayist", als der er nicht selten gerühmt werde, empfehle, noch ein gelungenes Buch dabei herausgekommen sei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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