Walter Frick lebt in einer Zeit der großen Veränderungen - als junger Dirigent erlebt er das Aufblühen des Nationalsozialismus. Er hat zwei große Träume: als Dirigent groß zu werden und "sein" Luischen zu heiraten. Während ihm letzterer erfüllt wird, bleibt ihm ein langfristiges Engagement als
erster Kapellmeister verwehrt. Seine Schwester Hedwig hingegen kämpft mit dem Unwillen ihrer Familie,…mehrWalter Frick lebt in einer Zeit der großen Veränderungen - als junger Dirigent erlebt er das Aufblühen des Nationalsozialismus. Er hat zwei große Träume: als Dirigent groß zu werden und "sein" Luischen zu heiraten. Während ihm letzterer erfüllt wird, bleibt ihm ein langfristiges Engagement als erster Kapellmeister verwehrt. Seine Schwester Hedwig hingegen kämpft mit dem Unwillen ihrer Familie, ihre Freundes- und Männerwahl zu akzeptieren. Schlussendlich setzt sie ihren Kopf durch, eine Entscheidung, die ihrem Bruder Walter zum Verhängnis wird...
Julia Gilfert arbeitet in ihrem Buch "Himmel voller Schweigen. Fragmente einer Familiengeschichte" ihre eigene Familiengeschichte auf. Dabei wendet sie ein besondere Technik an: sie durchforstete zahlreiche Egodokumente, wie Tagebucheinträge und Briefe, die erhalten geblieben sind, und zeichnet in fiktionaler Erzählform die Lebensgeschichte ihres Großvaters Walter Frick sowie dessen nahem Familienumfeld nach. Lesende erfahren von seiner Leidenschaft für Musik und seinem Ehrgeiz erster Kapellmeister zu werden. Auch seine Liebe zu der Sängerin Luise wird intensiv thematisiert. Zudem verfolgen wir die Entwicklung seiner Schwester Hedwig, die erst - ganz rebellisch - keine fixe Beziehung eingehen will, aber eine Freundschaft zu Armin führt, die ihre Familie nicht gut heißt, denn der Glaube, dass ein Mann und eine Frau keine Freundschaft führen können, sitzt tief.
Die Autorin schafft es, die Gedankenwelt der beiden Hauptpersonen - Walter und Hedwig - so zu beschreiben, dass sich die Lesenden intensiv in sie hineinfühlen können. Die Erzählung springt dabei in der Zeit und immer wieder nimmt uns Julia Gilfert auch in die kurz zurückliegende Vergangenheit mit, um uns an ihrer Spurensuche teilhaben zu lassen. Wir erfahren dabei, wie sie ihre Recherchen angegangen ist und wie sie hoffte, durch die Besichtigung von "Schauplätzen" ihrer Familiengeschichte näheren Bezug zu ihrem Großvater und dessen Angehörigen herzustellen. Das Buch enthält viele Fotographien und Abbildungen von Quellen, die alles noch lebendiger erscheinen lassen. Einige Auszüge aus zeitgenössischen Berichten werden auch direkt in die Erzählung mit eingebaut. Im zweiten Teil des Werkes sind dann verschieden Egodokumente transkribiert abgedruckt, die es ermöglichen, den Blick differenziert und selbst einschätzend auf die handelnden Personen zu werfen.
Besonders beeindruckend finde ich, dass sehr gut nachgezeichnet wird, wie vielfältig die einzelnen Handelnden sind - dass sie nicht einfach nur gut oder böse sind, sondern Menschen mit unterschiedlichen Emotionen, die die Zeit unterschiedlich wahrnahmen und sich unterschiedlich entwickelten. Einfühlsam und achtsam zeigt die Autorin die grausame Realität auf, nämlich, dass (beinahe) alle das System Nationalsozialismus auf die eine oder andere Weise mit gestützt haben. Erschreckend - aber auch nicht ungewöhnlich - wird beschrieben, wie das Schweigen über Walter und sein Schicksal über Jahrzehnte angehalten hat. Die Leser:innen können sich durch die Vermischung von echten Erinnerungsstücken und fiktiver Erzählung ihr eigenes Bild über die Protagonisten machen.
Mein Fazit: eine absolute Leseempfehlung! Die besondere Art, wie Julia Gilfert ihre Familiengeschichte aufarbeitet, indem sie echte Zeitzeugendokumente und Fiktion ineinander verschränkt, macht "Himmel voller Schweigen" zu einer lebendigen und intensiven Erzählung, die noch lange in Erinnerung bleiben wird.