Das New York der Zweitausender: Die erste grüne Präsidentin der USA feiert ihren Siegeszug, die Gesellschaft gibt sich offen und integrativ, die Sommerabende sind lau und die Stadt zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Ben und Kate, die sich gerade auf einer Party ineinander verliebt haben, blicken mit rechtmäßigem Optimismus in die Zukunft. Alles wäre wunderbar, wären da nicht immer noch diese Anomalien. Seit ihrer Kindheit führen Kates wiederkehrende Träume sie ins mittelalterliche England. Pest und Verderben suchen das Land heim und sie wird nicht nur von düsteren Visionen geplagt, sondern auch von einem geltungssüchtigen Dichter namens William Shakespeare. Immer wieder bekniet er sie, einen berühmten Schriftsteller aus ihm zu machen, damit man sich in der Zukunft, aus der sie schließlich kommt, an ihn erinnere. Seit sie Ben kennengelernt hat, werden die Träume intensiver. Doch nicht nur das. Auch ihre Umgebung in New York verändert sich plötzlich: In ihrer Wohnung hängen Bilder an der Wand, die sie noch nie gesehen hat, und in der Nachbarschaft scheinen über Nacht völlig neue Gebäude zu wachsen. Mit Himmel hat Sandra Newman ein alle Genres sprengendes Loblied auf die Kraft der Träume geschaffen, das uns zugleich daran erinnert, dass jede Handlung Konsequenzen hat - selbst wenn man darauf manchmal 400 Jahre lang warten muss.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Martin Krumbholz hält es eigentlich für ambitioniert, einen Roman über eine schizophrene Frau zu schreiben, die sich abwechselnd in der New Yorker Gegenwart und im elisabethanischen England wähnt. Allerdings erweisen sich die Ebenen der Realität und des Wahns dem Kritiker zufolge nach und nach als nicht trennscharf. Für Krumbholz ist das "dramaturgischer Hokuspokus", von dem er nicht irregeführt werden will. Außerdem erscheinen ihm die Schwierigkeiten, auf die die Protagonistin in ihrer Liebesbeziehung stößt - ihr Freund versucht sie vor sich selbst zu retten und scheitert damit - viel zu erwartbar. Insgesamt empfand er den Roman als holprigen Genremix, dessen Ende er mit Freude entgegengesehen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2021Falscher Präsident
Clemens Berger holt Hilfe bei Reagans Doppelgänger
Welche Hoffnung vor der amerikanischen Präsidentenwahl im Sommer 2000 in der Luft lag, konnte man dieses Jahr in Nell Zinks großem Amerika-Roman "Das Hohe Lied" nachlesen, der eine Kulturgeschichte der vergangenen Jahrzehnte sehr anschaulich erzählt: nämlich die, dass mit dem grünen Kandidaten Ralph Nader in den Vereinigten Staaten endlich eine dritte Kraft an die Macht käme, die alles anders macht als die Republikaner und die Demokraten. Es kam bekanntlich nicht dazu. Und die Enttäuschung darüber, den Abstieg bis in die Gegenwart konnte man ebenfalls bei der gebürtigen Amerikanerin Zink nachlesen, die inzwischen in Deutschland lebt.
Wie es ganz anders hätte sein können, malt die aus Boston stammende Sandra Newman in ihrem Roman "Himmel" aus, der jüngst bei Matthes & Seitz auf Deutsch erschienen ist: In ebenjener Euphorie des neuen Jahrtausends scheint darin Amerikas erste grüne Präsidentin mit dem Nachnamen Chen an die Macht zu kommen, von einer spontanen Parade auf dem Broadway ist die Rede, an dem die Bürgermeisterin New Yorks in einem roten Ballkleid teilnimmt - leider aber stellt sich heraus, dass diese Ereignisse nur im vom Wahnsinn geschüttelten Kopf der Protagonistin Kate stattfinden, die glaubt, durch Zeitreisen in die elisabethanische Vergangenheit den Lauf der Welt verändern zu können. Aber das kann selbst die Liebe zu Shakespeare nicht, und deshalb kommt auch in diesem Roman, sehr zum Verdruss seines sonstigen Personals, Präsident Bush an die Macht.
Wenn die große kontrafaktische Geschichtserzählung also nicht mehr gelingt, was gelingt dann noch? Vielleicht die kleine, die einen wahren Kern hat und ihren Sinn eher in der Parodie sucht als in der Utopie. So ist es mit dem Roman "Der Präsident" des Österreichers Clemens Berger, der im Sommer im Residenz Verlag erschienen ist: Seine Fabel eines aus dem Burgenland stammenden Mannes, der als Doppelgänger von Ronald Reagan engagiert wurde, beruht auf einem historischen Vorbild namens Julius Koch. In Bergers Roman heißt der Mann allerdings Jay Immer, und im Unterschied zu Koch greift er im Buch etwas mehr in die Historie ein, als er es in Wirklichkeit getan hat.
Jay Immer gerät ungewollt an den Job als Präsidentendouble, weil seine Frau ihn bei einem Casting anmeldet - aber als er ihn hat, will er plötzlich mehr, als nur den Grüßaugust bei Hotdog-Wettessen oder Eröffnungen von Einkaufszentren zu spielen: "Auf einmal saß ihm der Schalk im Nacken." Also wird er zum Aktivisten, der in der Rolle des Präsidenten Begnadigungen ausspricht oder in einer Talkshow "Make Earth Green Again" ausruft, zusammen mit einem Gorbatschow-Doppelgänger ein "Wettrüsten um erneuerbare Energien" ausruft und selbst dann nicht abdanken will, als Ronald Reagan bereits abgedankt hat. Einen Gastauftritt hat in diesem Roman, der manchmal so klamaukig ist wie eine Filmkomödie von Dany Boon, auch Donald Trump, der den falschen Gorbatschow zunächst nicht erkennt.
Den Lauf der Geschichte im Großen und Ganzen zu ändern, traut sich diese Fabel nicht, aber zumindest die Blickrichtung zwischen Original und Doppelgänger, so wie einmal Jays Frau Lucy: "Sagen wir's anders, Schatz: Der Präsident der Vereinigten Staaten sieht wie ein burgenländischer Bauer aus."
JAN WIELE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Clemens Berger holt Hilfe bei Reagans Doppelgänger
Welche Hoffnung vor der amerikanischen Präsidentenwahl im Sommer 2000 in der Luft lag, konnte man dieses Jahr in Nell Zinks großem Amerika-Roman "Das Hohe Lied" nachlesen, der eine Kulturgeschichte der vergangenen Jahrzehnte sehr anschaulich erzählt: nämlich die, dass mit dem grünen Kandidaten Ralph Nader in den Vereinigten Staaten endlich eine dritte Kraft an die Macht käme, die alles anders macht als die Republikaner und die Demokraten. Es kam bekanntlich nicht dazu. Und die Enttäuschung darüber, den Abstieg bis in die Gegenwart konnte man ebenfalls bei der gebürtigen Amerikanerin Zink nachlesen, die inzwischen in Deutschland lebt.
Wie es ganz anders hätte sein können, malt die aus Boston stammende Sandra Newman in ihrem Roman "Himmel" aus, der jüngst bei Matthes & Seitz auf Deutsch erschienen ist: In ebenjener Euphorie des neuen Jahrtausends scheint darin Amerikas erste grüne Präsidentin mit dem Nachnamen Chen an die Macht zu kommen, von einer spontanen Parade auf dem Broadway ist die Rede, an dem die Bürgermeisterin New Yorks in einem roten Ballkleid teilnimmt - leider aber stellt sich heraus, dass diese Ereignisse nur im vom Wahnsinn geschüttelten Kopf der Protagonistin Kate stattfinden, die glaubt, durch Zeitreisen in die elisabethanische Vergangenheit den Lauf der Welt verändern zu können. Aber das kann selbst die Liebe zu Shakespeare nicht, und deshalb kommt auch in diesem Roman, sehr zum Verdruss seines sonstigen Personals, Präsident Bush an die Macht.
Wenn die große kontrafaktische Geschichtserzählung also nicht mehr gelingt, was gelingt dann noch? Vielleicht die kleine, die einen wahren Kern hat und ihren Sinn eher in der Parodie sucht als in der Utopie. So ist es mit dem Roman "Der Präsident" des Österreichers Clemens Berger, der im Sommer im Residenz Verlag erschienen ist: Seine Fabel eines aus dem Burgenland stammenden Mannes, der als Doppelgänger von Ronald Reagan engagiert wurde, beruht auf einem historischen Vorbild namens Julius Koch. In Bergers Roman heißt der Mann allerdings Jay Immer, und im Unterschied zu Koch greift er im Buch etwas mehr in die Historie ein, als er es in Wirklichkeit getan hat.
Jay Immer gerät ungewollt an den Job als Präsidentendouble, weil seine Frau ihn bei einem Casting anmeldet - aber als er ihn hat, will er plötzlich mehr, als nur den Grüßaugust bei Hotdog-Wettessen oder Eröffnungen von Einkaufszentren zu spielen: "Auf einmal saß ihm der Schalk im Nacken." Also wird er zum Aktivisten, der in der Rolle des Präsidenten Begnadigungen ausspricht oder in einer Talkshow "Make Earth Green Again" ausruft, zusammen mit einem Gorbatschow-Doppelgänger ein "Wettrüsten um erneuerbare Energien" ausruft und selbst dann nicht abdanken will, als Ronald Reagan bereits abgedankt hat. Einen Gastauftritt hat in diesem Roman, der manchmal so klamaukig ist wie eine Filmkomödie von Dany Boon, auch Donald Trump, der den falschen Gorbatschow zunächst nicht erkennt.
Den Lauf der Geschichte im Großen und Ganzen zu ändern, traut sich diese Fabel nicht, aber zumindest die Blickrichtung zwischen Original und Doppelgänger, so wie einmal Jays Frau Lucy: "Sagen wir's anders, Schatz: Der Präsident der Vereinigten Staaten sieht wie ein burgenländischer Bauer aus."
JAN WIELE
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