Ausgezeichnet mit dem LUCHS im Februar 2024: Abenteuer im Bauch und Vermissung im Herzen - eine ebenso leichtfüßige wie tiefgründige Geschichte von Karen Köhler, durchgehend farbig illustriert von Bea Davies
Eine einzigartige literarische Stimme, umwerfend komische Dialoge und zwei mitreißende Mädchen voller kluger Ideen - das erste Kinderbuch von Karen Köhler. In einer sternenklaren Sommernacht funken Toni und ihre beste Freundin YumYum mit ihrem selbst gebastelten kosmischen Radio in den Himmel, um Kontakt zu Tonis verstorbener Mutter aufzunehmen. Toni hat große Vermissung, und Weltall-Expertin YumYum hat Experimentierlust. Bestens ausgerüstet - vor allem mit Snacks - erleben die beiden eine Nacht voller Überraschungen. Denn statt der Mutter antwortet ihnen Astronautin Zanna von einer Raumstation. Mit ihr philosophieren sie über das Dasein und die Sehnsucht, aber vor allem über das großartige Leben auf dem Planeten Erde, das uns so viel Trost und Freude schenkt.
Eine einzigartige literarische Stimme, umwerfend komische Dialoge und zwei mitreißende Mädchen voller kluger Ideen - das erste Kinderbuch von Karen Köhler. In einer sternenklaren Sommernacht funken Toni und ihre beste Freundin YumYum mit ihrem selbst gebastelten kosmischen Radio in den Himmel, um Kontakt zu Tonis verstorbener Mutter aufzunehmen. Toni hat große Vermissung, und Weltall-Expertin YumYum hat Experimentierlust. Bestens ausgerüstet - vor allem mit Snacks - erleben die beiden eine Nacht voller Überraschungen. Denn statt der Mutter antwortet ihnen Astronautin Zanna von einer Raumstation. Mit ihr philosophieren sie über das Dasein und die Sehnsucht, aber vor allem über das großartige Leben auf dem Planeten Erde, das uns so viel Trost und Freude schenkt.
Wenigstens die Astronautin gibt Antwort
Karen Köhlers Roman "Himmelwärts" surft auf der Vermissungswelle durchs Metaphernmeer
Dass Tonis Mutter gestorben ist, erzählt das Mädchen erst nach einigen Seiten von Karen Köhlers Kinderroman "Himmelwärts". Vorher geht es um die langsam oder schnell verfließende Zeit - für die Zehnjährige "eine elastische Lakritzschnecken-Schnur, auf die du Erlebnisperlen ziehen kannst", weitere Zeit-Metaphern des phantasievollen Kindes sind eine umgedreht liegende Schildkröte, "eine Katze mit Gurke" oder "eine Diva auf Stöckelschuhen". Es geht ferner um den Moment des Sterbens und den Besuch des "Ruheforstes", um den einsamen, in Trauer versinkenden Vater und darum, dass Toni keine Beerdigungen mag. Spätestens hier lässt sich ahnen, was dem Mädchen widerfahren ist.
An dem Abend, mit dem Tonis Erzählung einsetzt, kommt ihre beste Freundin YumYum vorbei, in Tonis Worten: "mein bester Nahmensch", zugleich "meine Lachenmacherin und Ich-fange-dich-wenn-du-fällst-Freundin" und noch einiges mehr. Die Mädchen werden in der kommenden Nacht im Garten zelten, um dort unbeobachtet die "Mission kosmisches Radio" durchzuführen, die der "Mission Kontaktaufnahme mit Mama" dient. Außerdem haben sie sich mit gehorteten Süßigkeiten eingedeckt. Tonis Vater sitzt unterdessen im Wohnzimmer, trinkt zu viel Wein, hört immer dieselbe Platte und belügt YumYums überängstliche Mutter, die von der Nacht im Garten nichts wissen darf und ihre Tochter sicher in Tonis Kinderzimmer glaubt.
Dass die Mädchen nun ihr selbst gebasteltes Kommunikationsgerät ins All richten, um Tonis an Hautkrebs verstorbene Mutter irgendwie zu erreichen, spielt mit dem doppelten Sinn von "Himmel", und als sie dann tatsächlich einen Kontakt mit einer Frauenstimme herstellen können, die zur Astronautin Zanna auf der ISS gehört, offenbart die Wildfremde den Mädchen gegenüber fast schon mütterliche Züge: Sie hört sich in den kurzen Slots, in denen die Verbindung zwischen der Raumstation und Tonis Standort möglich ist, bereitwillig an, was YumYum und ihre Freundin zu sagen haben, sie antwortet, rät und schildert das Leben in der Schwerelosigkeit. Als Toni Zanna schließlich ihre größte Sorge anvertraut und sie fragt, ob sie selbst irgendeine Schuld am Tod ihrer Mutter trage, verneint die Astronautin das vehement. "Es gibt so viele Gründe, warum ein Mensch krank werden kann", sagt sie, und sie zählt Veranlagung, Gene und Umwelteinflüsse auf. Manchmal komme auch einfach Pech dazu.
Tod, Zeit, Ewigkeit, Weltall: Köhlers Toni wagt sich an die ganz großen Themen. Was bleibt ihr auch übrig? In dieser Nacht aber gibt es für sie neben ihrem permanenten Grübeln noch die treue YumYum und handfeste Freuden wie einen Berg von Snacks und Limo, die ausgiebige Rülpswettbewerbe ermöglicht. Das ermöglicht Momente, in denen der permanente Druck auf Toni etwas weniger spürbar wird, aber umgekehrt auch etwa durch Süßigkeiten ausgelöste Erinnerungen an die Mutter, die das Essen unmöglich machen.
Erzählerisch sind diese assoziativen Erinnerungen vom Bericht der Nacht im Garten abgelöst, in eingestreuten Kleinkapiteln unter der Überschrift "Tonis Notizbuch". Sie sind nüchterner, halten fest, was unbedingt festgehalten werden muss und schon verspricht, eines Tages und aus einigem Abstand zur kostbaren Erinnerung zu reifen. Dass sie schon jetzt über den reinen Bericht hinausgewachsen sind, dass sie seither hin- und hergewendet wurden, machen Sätze deutlich, die einen Ausflug ans Meer schildern: "Von hier aus erinnert, lag in Mamas Blick aber schon der endgültige Abschied vom Strand."
Ganz anders die Gegenwart im nächtlichen Garten. Der ruhige Blick zurück im Notizbuch steht im deutlichen Kontrast zum daueraufgeregten auf die Gegenwart des Weiterlebens. Und natürlich kann man sich fragen, warum eine emotional so eindrucksvolle Geschichte in einer derart aufgeladenen, oft auch überladenen Sprache erzählt werden muss: "Da überrollt mich eine Vermissungswelle, und ich weiß nicht, wie ich surfen soll. Mein innerer Elefantenrüssel schlenkert ganz ungelenk vor sich hin. Meine Ohne-Mama-Muskeln strengen sich richtig an, aber: Da ist ein Loch in der Welt, das genau Mamas Konturen hat." Wer solche metaphernseligen Sätze nicht überzeugend findet, wenn sie einer Zehnjährigen in den Mund gelegt werden, wird die Lektüre des Romans wahrscheinlich ziemlich mühselig finden.
Andererseits wird eine Geschichte, die um einen Zufallsdialog mit einer Astronautin aufgebaut ist, von vornherein einen ungewöhnlichen Realismusbegriff pflegen. Er ermöglicht jedenfalls eine Perspektive, den Blick von oben auf die Erde und die hochverdichtete Beschreibung dessen, was einem dabei alles fehlt, die sinnliche Erfahrung des Irdischen. In diesem Punkt fallen die beiden Bedeutungen von "Himmel" abermals zusammen. TILMAN SPRECKELSEN
Karen Köhler: "Himmelwärts". Roman.
Mit Bildern von Bea Davies. Hanser Verlag, München 2024. 192 S., geb., 19,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karen Köhlers Roman "Himmelwärts" surft auf der Vermissungswelle durchs Metaphernmeer
Dass Tonis Mutter gestorben ist, erzählt das Mädchen erst nach einigen Seiten von Karen Köhlers Kinderroman "Himmelwärts". Vorher geht es um die langsam oder schnell verfließende Zeit - für die Zehnjährige "eine elastische Lakritzschnecken-Schnur, auf die du Erlebnisperlen ziehen kannst", weitere Zeit-Metaphern des phantasievollen Kindes sind eine umgedreht liegende Schildkröte, "eine Katze mit Gurke" oder "eine Diva auf Stöckelschuhen". Es geht ferner um den Moment des Sterbens und den Besuch des "Ruheforstes", um den einsamen, in Trauer versinkenden Vater und darum, dass Toni keine Beerdigungen mag. Spätestens hier lässt sich ahnen, was dem Mädchen widerfahren ist.
An dem Abend, mit dem Tonis Erzählung einsetzt, kommt ihre beste Freundin YumYum vorbei, in Tonis Worten: "mein bester Nahmensch", zugleich "meine Lachenmacherin und Ich-fange-dich-wenn-du-fällst-Freundin" und noch einiges mehr. Die Mädchen werden in der kommenden Nacht im Garten zelten, um dort unbeobachtet die "Mission kosmisches Radio" durchzuführen, die der "Mission Kontaktaufnahme mit Mama" dient. Außerdem haben sie sich mit gehorteten Süßigkeiten eingedeckt. Tonis Vater sitzt unterdessen im Wohnzimmer, trinkt zu viel Wein, hört immer dieselbe Platte und belügt YumYums überängstliche Mutter, die von der Nacht im Garten nichts wissen darf und ihre Tochter sicher in Tonis Kinderzimmer glaubt.
Dass die Mädchen nun ihr selbst gebasteltes Kommunikationsgerät ins All richten, um Tonis an Hautkrebs verstorbene Mutter irgendwie zu erreichen, spielt mit dem doppelten Sinn von "Himmel", und als sie dann tatsächlich einen Kontakt mit einer Frauenstimme herstellen können, die zur Astronautin Zanna auf der ISS gehört, offenbart die Wildfremde den Mädchen gegenüber fast schon mütterliche Züge: Sie hört sich in den kurzen Slots, in denen die Verbindung zwischen der Raumstation und Tonis Standort möglich ist, bereitwillig an, was YumYum und ihre Freundin zu sagen haben, sie antwortet, rät und schildert das Leben in der Schwerelosigkeit. Als Toni Zanna schließlich ihre größte Sorge anvertraut und sie fragt, ob sie selbst irgendeine Schuld am Tod ihrer Mutter trage, verneint die Astronautin das vehement. "Es gibt so viele Gründe, warum ein Mensch krank werden kann", sagt sie, und sie zählt Veranlagung, Gene und Umwelteinflüsse auf. Manchmal komme auch einfach Pech dazu.
Tod, Zeit, Ewigkeit, Weltall: Köhlers Toni wagt sich an die ganz großen Themen. Was bleibt ihr auch übrig? In dieser Nacht aber gibt es für sie neben ihrem permanenten Grübeln noch die treue YumYum und handfeste Freuden wie einen Berg von Snacks und Limo, die ausgiebige Rülpswettbewerbe ermöglicht. Das ermöglicht Momente, in denen der permanente Druck auf Toni etwas weniger spürbar wird, aber umgekehrt auch etwa durch Süßigkeiten ausgelöste Erinnerungen an die Mutter, die das Essen unmöglich machen.
Erzählerisch sind diese assoziativen Erinnerungen vom Bericht der Nacht im Garten abgelöst, in eingestreuten Kleinkapiteln unter der Überschrift "Tonis Notizbuch". Sie sind nüchterner, halten fest, was unbedingt festgehalten werden muss und schon verspricht, eines Tages und aus einigem Abstand zur kostbaren Erinnerung zu reifen. Dass sie schon jetzt über den reinen Bericht hinausgewachsen sind, dass sie seither hin- und hergewendet wurden, machen Sätze deutlich, die einen Ausflug ans Meer schildern: "Von hier aus erinnert, lag in Mamas Blick aber schon der endgültige Abschied vom Strand."
Ganz anders die Gegenwart im nächtlichen Garten. Der ruhige Blick zurück im Notizbuch steht im deutlichen Kontrast zum daueraufgeregten auf die Gegenwart des Weiterlebens. Und natürlich kann man sich fragen, warum eine emotional so eindrucksvolle Geschichte in einer derart aufgeladenen, oft auch überladenen Sprache erzählt werden muss: "Da überrollt mich eine Vermissungswelle, und ich weiß nicht, wie ich surfen soll. Mein innerer Elefantenrüssel schlenkert ganz ungelenk vor sich hin. Meine Ohne-Mama-Muskeln strengen sich richtig an, aber: Da ist ein Loch in der Welt, das genau Mamas Konturen hat." Wer solche metaphernseligen Sätze nicht überzeugend findet, wenn sie einer Zehnjährigen in den Mund gelegt werden, wird die Lektüre des Romans wahrscheinlich ziemlich mühselig finden.
Andererseits wird eine Geschichte, die um einen Zufallsdialog mit einer Astronautin aufgebaut ist, von vornherein einen ungewöhnlichen Realismusbegriff pflegen. Er ermöglicht jedenfalls eine Perspektive, den Blick von oben auf die Erde und die hochverdichtete Beschreibung dessen, was einem dabei alles fehlt, die sinnliche Erfahrung des Irdischen. In diesem Punkt fallen die beiden Bedeutungen von "Himmel" abermals zusammen. TILMAN SPRECKELSEN
Karen Köhler: "Himmelwärts". Roman.
Mit Bildern von Bea Davies. Hanser Verlag, München 2024. 192 S., geb., 19,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Auf der Vermissungswelle durchs Metaphernmeer" bewegt sich Karen Köhlers Jugendroman um Toni, deren Mutter gerade gestorben ist, hält der doch leicht skeptische Rezensent Tilman Spreckelsen fest. Die Erzählung dreht sich zum Einen um Toni und ihre Freundin YumYum, die im Himmel Kontakt zur verstorbenen Mutter aufnehmen wollen und tatsächlich einen Kommunikationskanal zu einer ISS-Astronautin herstellen können. Zum Anderen finden sich etwas nüchternere, aber für Spreckelsen sprachlich auch schon zu überformte Betrachtungen der erst Zehnjährigen, die mit dem Tod der Mutter klarkommen muss. Dass ein so junges Mädchen eine so überladene Sprache nutzt, kommt ihm unrealistisch vor, aber eine Geschichte, in der Kontakt mit dem Weltraum aufgenommen wird, ist vielleicht sowieso einem anderen Verständnis von Realismus verpflichtet, gibt er abschließend zu bedenken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.04.2024Wie man ins All hineinruft
Karen Köhler hat mit „Himmelwärts“ ein überwältigendes Kinderbuch
über Trauer geschrieben – und einen der großen Snack-Romane der Literatur.
VON ANTJE WEBER
Es gibt so viel Wichtiges zu erzählen über dieses Buch, da sollte man sich erst mal ganz locker machen. Am besten mit einem Wobbeltanz. Also: Lieblingslied anmachen. Und dann „schüttelst du alles, was du schütteln kannst. Du springst und wackelst und wobbelst, was das Zeug hält. Völlig egal, wie es aussieht, völlig egal, was andere über dich denken.“
Ausgewobbelt? Nun also Karen Köhlers Buch „Himmelwärts“ aufschlagen. Obwohl, halt, da fehlt noch was: Eine Tüte Chips mit Paprika muss her. Oder Erdnussflips. Oder Drachenzungen, Marshmallows, saure Pommes, weiße Mäuse, egal was. Denn dieses Buch ist – Achtung, Erziehungsberechtigte, jetzt wird es gefährlich – einer der ganz großen Snack-Romane der Kinder- und Jugendliteratur. Davon abgesehen, dass er den Himmel über uns erklärt, im Großen und Ganzen. Und sich dem Tod annähert und einer Trauer, die Menschen stärker nach unten zieht als jede Schwerkraft.
Bleiben wir bei den Snacks. Wochenlang haben Toni und YumYum, beide zehn Jahre alt, ihr Taschengeld für Unmengen an Süßem und Saurem ausgegeben und das Zeug für den Tag X gehortet. Besser gesagt: für die Nacht aller Nächte. Denn um es im leicht überdrehten Sound Karen Köhlers zu sagen, dem man das Mädchengekicher geradezu anhört: „YumYum und ich werden heute im Garten schlafen. Im Zelt! Alleine!! Tadaaaa!!!“
Die Mädchen haben an Tonis Vater vorbei Snacks ins Zelt geschmuggelt und eine Riesenflasche Limo für einen Rülpswettbewerb; ja, dies ist auch ein Beste-Freundinnen-Roman. Doch die beiden haben nicht nur Brause im Kopf, sondern auch Höheres im Sinn: Auf einer Internetseite, die Technikprogramme für Mädchen anbietet und mit der Nasa zusammenarbeitet, haben sie eine Anleitung für ein kosmisches Radio gefunden – und mit einem alten Regenschirm und Kleiderbügeln losgebastelt. Ihre Mission: Kontaktaufnahme. Mit Tonis Mutter, die irgendwo im Weltall doch zu orten sein muss.
Denn auch wenn die Mutter kurz zuvor im Alter von 37 Jahren an Krebs gestorben ist, was in diesem Buch erst nach und nach mit allen Konsequenzen klar wird: „Sie kann gar nicht weg sein“, wie Tonis Freundin YumYum weiß. „Im Universum geht keine Energie verloren.“ Doch wäre es der energetisch verwandelten Mutter nicht bitte möglich, ein kleines Zeichen zu senden, das ihre Tochter trösten könnte?
Karen Köhler hat ein Buch geschrieben, das in vielerlei Hinsicht überwältigt. Es passt bestens zu einer Zielgruppe von Mädchen, die noch verspielt sind (was die Illustrationen von Bea Davies fein aufgreifen), dabei clever und wissensdurstig. Die nicht handlungssüchtig sind, sondern sich mit einer Geschichte auch mal in unbekannte Galaxien beamen lassen. Die schnelle Dialoge mögen (das Buch ist aus einem Theaterstück hervorgegangen) und Wortschöpfungen von der „Vermissung“ bis hin zum röhrenden Klang des Handygelabers Erwachsener, gehört durch eine Terrassentür hindurch: „Mwooopmwooopmwoopwopwop“. Ein Buch für junge Leser, die überhaupt Spaß an Ideen wie einem Kapitel-Countdown von zehn bis eins haben. Und: keine Angst vor großen Gefühlen.
Es ist ein Buch für Mädchen – Jungs sind herzlich zur Lektüre eingeladen, sie kommen in diesem Buch halt nur ganz am Rande als Kotzbrocken vor –, die nicht nur Funkgeräte bauen und Fußball mögen, sondern zwischen zwei Snacks auch mal über das Phänomen Zeit nachdenken und auf gute Vergleiche kommen: „Zeit ist eine elastische Lakritzschnecken-Schnur, auf die du Erlebnisperlen ziehen kannst. Zeit ist eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt, ist eine Katze im Schnee oder eine Katze mit Gurke, Zeit ist eine Rakete.“
Ja, Karen Köhler liebt die Weiten des Alls. Die Hamburger Schriftstellerin wollte einst Kosmonautin werden und nannte ihren erfolgreichen ersten Erzählband nicht zufällig „Wir haben Raketen geangelt“. Und da sie die Kunst beherrscht, zugleich sehr konkret und sehr poetisch gen Unendlichkeit zu schweifen, schickt sie ihrer vermissenden Ich-Erzählerin tatsächlich Zeichen: erst eine großartige Sternschnuppe. Und dann eine echte Astronautin. Während sie in der Raumstation ISS um die Erde fliegt, erwischen die Hobbyfunkerinnen sie zufällig auf einer Frequenz. Dreimal werden sie in dieser Nacht für ein paar Minuten mit ihr sprechen können. Über das Universum, die Unendlichkeit, schwarze Löcher und die Gefahr von frei schwebenden Chipskrümeln.
Dieses Buch vermittelt damit nicht nur wie nebenbei einiges an Wissen, es kreist auch immer enger das Thema Tod ein. Immer näher rückt den Leserinnen das Leben und Sterben der unkonventionellen, lustigen Mutter von Toni, die Apps programmierte, an Halloween Skelettkostüme bastelte und ihre sensible Tochter nicht nur mit Gedärmetorten gut fürs Leben stärkte. Und man erfährt, was bei schwarzen Löchern im Bauch und Wellen der Vermissung helfen kann: T-Shirts in Gläsern aufheben, zum Beispiel, oder Erinnerungen in ein Notizbuch schreiben.
Toni hat jedenfalls manches gelernt, nicht nur in dieser Nacht. Speziell über den Tod: „Dass wir nicht wissen können, wann wir etwas zum letzten Mal erleben. Wann unser Lebens-Countdown zu Ende ist.“ Anders gesagt: „Dass wir nie wissen, wie viele Erlebnisperlen wir noch auf unsere Lakritzschnüre fädeln können.“ So traurig diese Erkenntnis ist, sie ist auch für Zehnjährige wertvoll. Und nun ist es wirklich an der Zeit für die nächste Chipstüte. Und vielleicht noch einen kleinen Wobbeltanz.
Karen Köhler:
Himmelwärts.
Mit Bildern von Bea Davies.
Hanser Verlag,
München 2024.
192 Seiten, 19 Euro.
Ab zehn Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Karen Köhler hat mit „Himmelwärts“ ein überwältigendes Kinderbuch
über Trauer geschrieben – und einen der großen Snack-Romane der Literatur.
VON ANTJE WEBER
Es gibt so viel Wichtiges zu erzählen über dieses Buch, da sollte man sich erst mal ganz locker machen. Am besten mit einem Wobbeltanz. Also: Lieblingslied anmachen. Und dann „schüttelst du alles, was du schütteln kannst. Du springst und wackelst und wobbelst, was das Zeug hält. Völlig egal, wie es aussieht, völlig egal, was andere über dich denken.“
Ausgewobbelt? Nun also Karen Köhlers Buch „Himmelwärts“ aufschlagen. Obwohl, halt, da fehlt noch was: Eine Tüte Chips mit Paprika muss her. Oder Erdnussflips. Oder Drachenzungen, Marshmallows, saure Pommes, weiße Mäuse, egal was. Denn dieses Buch ist – Achtung, Erziehungsberechtigte, jetzt wird es gefährlich – einer der ganz großen Snack-Romane der Kinder- und Jugendliteratur. Davon abgesehen, dass er den Himmel über uns erklärt, im Großen und Ganzen. Und sich dem Tod annähert und einer Trauer, die Menschen stärker nach unten zieht als jede Schwerkraft.
Bleiben wir bei den Snacks. Wochenlang haben Toni und YumYum, beide zehn Jahre alt, ihr Taschengeld für Unmengen an Süßem und Saurem ausgegeben und das Zeug für den Tag X gehortet. Besser gesagt: für die Nacht aller Nächte. Denn um es im leicht überdrehten Sound Karen Köhlers zu sagen, dem man das Mädchengekicher geradezu anhört: „YumYum und ich werden heute im Garten schlafen. Im Zelt! Alleine!! Tadaaaa!!!“
Die Mädchen haben an Tonis Vater vorbei Snacks ins Zelt geschmuggelt und eine Riesenflasche Limo für einen Rülpswettbewerb; ja, dies ist auch ein Beste-Freundinnen-Roman. Doch die beiden haben nicht nur Brause im Kopf, sondern auch Höheres im Sinn: Auf einer Internetseite, die Technikprogramme für Mädchen anbietet und mit der Nasa zusammenarbeitet, haben sie eine Anleitung für ein kosmisches Radio gefunden – und mit einem alten Regenschirm und Kleiderbügeln losgebastelt. Ihre Mission: Kontaktaufnahme. Mit Tonis Mutter, die irgendwo im Weltall doch zu orten sein muss.
Denn auch wenn die Mutter kurz zuvor im Alter von 37 Jahren an Krebs gestorben ist, was in diesem Buch erst nach und nach mit allen Konsequenzen klar wird: „Sie kann gar nicht weg sein“, wie Tonis Freundin YumYum weiß. „Im Universum geht keine Energie verloren.“ Doch wäre es der energetisch verwandelten Mutter nicht bitte möglich, ein kleines Zeichen zu senden, das ihre Tochter trösten könnte?
Karen Köhler hat ein Buch geschrieben, das in vielerlei Hinsicht überwältigt. Es passt bestens zu einer Zielgruppe von Mädchen, die noch verspielt sind (was die Illustrationen von Bea Davies fein aufgreifen), dabei clever und wissensdurstig. Die nicht handlungssüchtig sind, sondern sich mit einer Geschichte auch mal in unbekannte Galaxien beamen lassen. Die schnelle Dialoge mögen (das Buch ist aus einem Theaterstück hervorgegangen) und Wortschöpfungen von der „Vermissung“ bis hin zum röhrenden Klang des Handygelabers Erwachsener, gehört durch eine Terrassentür hindurch: „Mwooopmwooopmwoopwopwop“. Ein Buch für junge Leser, die überhaupt Spaß an Ideen wie einem Kapitel-Countdown von zehn bis eins haben. Und: keine Angst vor großen Gefühlen.
Es ist ein Buch für Mädchen – Jungs sind herzlich zur Lektüre eingeladen, sie kommen in diesem Buch halt nur ganz am Rande als Kotzbrocken vor –, die nicht nur Funkgeräte bauen und Fußball mögen, sondern zwischen zwei Snacks auch mal über das Phänomen Zeit nachdenken und auf gute Vergleiche kommen: „Zeit ist eine elastische Lakritzschnecken-Schnur, auf die du Erlebnisperlen ziehen kannst. Zeit ist eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt, ist eine Katze im Schnee oder eine Katze mit Gurke, Zeit ist eine Rakete.“
Ja, Karen Köhler liebt die Weiten des Alls. Die Hamburger Schriftstellerin wollte einst Kosmonautin werden und nannte ihren erfolgreichen ersten Erzählband nicht zufällig „Wir haben Raketen geangelt“. Und da sie die Kunst beherrscht, zugleich sehr konkret und sehr poetisch gen Unendlichkeit zu schweifen, schickt sie ihrer vermissenden Ich-Erzählerin tatsächlich Zeichen: erst eine großartige Sternschnuppe. Und dann eine echte Astronautin. Während sie in der Raumstation ISS um die Erde fliegt, erwischen die Hobbyfunkerinnen sie zufällig auf einer Frequenz. Dreimal werden sie in dieser Nacht für ein paar Minuten mit ihr sprechen können. Über das Universum, die Unendlichkeit, schwarze Löcher und die Gefahr von frei schwebenden Chipskrümeln.
Dieses Buch vermittelt damit nicht nur wie nebenbei einiges an Wissen, es kreist auch immer enger das Thema Tod ein. Immer näher rückt den Leserinnen das Leben und Sterben der unkonventionellen, lustigen Mutter von Toni, die Apps programmierte, an Halloween Skelettkostüme bastelte und ihre sensible Tochter nicht nur mit Gedärmetorten gut fürs Leben stärkte. Und man erfährt, was bei schwarzen Löchern im Bauch und Wellen der Vermissung helfen kann: T-Shirts in Gläsern aufheben, zum Beispiel, oder Erinnerungen in ein Notizbuch schreiben.
Toni hat jedenfalls manches gelernt, nicht nur in dieser Nacht. Speziell über den Tod: „Dass wir nicht wissen können, wann wir etwas zum letzten Mal erleben. Wann unser Lebens-Countdown zu Ende ist.“ Anders gesagt: „Dass wir nie wissen, wie viele Erlebnisperlen wir noch auf unsere Lakritzschnüre fädeln können.“ So traurig diese Erkenntnis ist, sie ist auch für Zehnjährige wertvoll. Und nun ist es wirklich an der Zeit für die nächste Chipstüte. Und vielleicht noch einen kleinen Wobbeltanz.
Karen Köhler:
Himmelwärts.
Mit Bildern von Bea Davies.
Hanser Verlag,
München 2024.
192 Seiten, 19 Euro.
Ab zehn Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2024Wenigstens die Astronautin gibt Antwort
Karen Köhlers Roman "Himmelwärts" surft auf der Vermissungswelle durchs Metaphernmeer
Dass Tonis Mutter gestorben ist, erzählt das Mädchen erst nach einigen Seiten von Karen Köhlers Kinderroman "Himmelwärts". Vorher geht es um die langsam oder schnell verfließende Zeit - für die Zehnjährige "eine elastische Lakritzschnecken-Schnur, auf die du Erlebnisperlen ziehen kannst", weitere Zeit-Metaphern des phantasievollen Kindes sind eine umgedreht liegende Schildkröte, "eine Katze mit Gurke" oder "eine Diva auf Stöckelschuhen". Es geht ferner um den Moment des Sterbens und den Besuch des "Ruheforstes", um den einsamen, in Trauer versinkenden Vater und darum, dass Toni keine Beerdigungen mag. Spätestens hier lässt sich ahnen, was dem Mädchen widerfahren ist.
An dem Abend, mit dem Tonis Erzählung einsetzt, kommt ihre beste Freundin YumYum vorbei, in Tonis Worten: "mein bester Nahmensch", zugleich "meine Lachenmacherin und Ich-fange-dich-wenn-du-fällst-Freundin" und noch einiges mehr. Die Mädchen werden in der kommenden Nacht im Garten zelten, um dort unbeobachtet die "Mission kosmisches Radio" durchzuführen, die der "Mission Kontaktaufnahme mit Mama" dient. Außerdem haben sie sich mit gehorteten Süßigkeiten eingedeckt. Tonis Vater sitzt unterdessen im Wohnzimmer, trinkt zu viel Wein, hört immer dieselbe Platte und belügt YumYums überängstliche Mutter, die von der Nacht im Garten nichts wissen darf und ihre Tochter sicher in Tonis Kinderzimmer glaubt.
Dass die Mädchen nun ihr selbst gebasteltes Kommunikationsgerät ins All richten, um Tonis an Hautkrebs verstorbene Mutter irgendwie zu erreichen, spielt mit dem doppelten Sinn von "Himmel", und als sie dann tatsächlich einen Kontakt mit einer Frauenstimme herstellen können, die zur Astronautin Zanna auf der ISS gehört, offenbart die Wildfremde den Mädchen gegenüber fast schon mütterliche Züge: Sie hört sich in den kurzen Slots, in denen die Verbindung zwischen der Raumstation und Tonis Standort möglich ist, bereitwillig an, was YumYum und ihre Freundin zu sagen haben, sie antwortet, rät und schildert das Leben in der Schwerelosigkeit. Als Toni Zanna schließlich ihre größte Sorge anvertraut und sie fragt, ob sie selbst irgendeine Schuld am Tod ihrer Mutter trage, verneint die Astronautin das vehement. "Es gibt so viele Gründe, warum ein Mensch krank werden kann", sagt sie, und sie zählt Veranlagung, Gene und Umwelteinflüsse auf. Manchmal komme auch einfach Pech dazu.
Tod, Zeit, Ewigkeit, Weltall: Köhlers Toni wagt sich an die ganz großen Themen. Was bleibt ihr auch übrig? In dieser Nacht aber gibt es für sie neben ihrem permanenten Grübeln noch die treue YumYum und handfeste Freuden wie einen Berg von Snacks und Limo, die ausgiebige Rülpswettbewerbe ermöglicht. Das ermöglicht Momente, in denen der permanente Druck auf Toni etwas weniger spürbar wird, aber umgekehrt auch etwa durch Süßigkeiten ausgelöste Erinnerungen an die Mutter, die das Essen unmöglich machen.
Erzählerisch sind diese assoziativen Erinnerungen vom Bericht der Nacht im Garten abgelöst, in eingestreuten Kleinkapiteln unter der Überschrift "Tonis Notizbuch". Sie sind nüchterner, halten fest, was unbedingt festgehalten werden muss und schon verspricht, eines Tages und aus einigem Abstand zur kostbaren Erinnerung zu reifen. Dass sie schon jetzt über den reinen Bericht hinausgewachsen sind, dass sie seither hin- und hergewendet wurden, machen Sätze deutlich, die einen Ausflug ans Meer schildern: "Von hier aus erinnert, lag in Mamas Blick aber schon der endgültige Abschied vom Strand."
Ganz anders die Gegenwart im nächtlichen Garten. Der ruhige Blick zurück im Notizbuch steht im deutlichen Kontrast zum daueraufgeregten auf die Gegenwart des Weiterlebens. Und natürlich kann man sich fragen, warum eine emotional so eindrucksvolle Geschichte in einer derart aufgeladenen, oft auch überladenen Sprache erzählt werden muss: "Da überrollt mich eine Vermissungswelle, und ich weiß nicht, wie ich surfen soll. Mein innerer Elefantenrüssel schlenkert ganz ungelenk vor sich hin. Meine Ohne-Mama-Muskeln strengen sich richtig an, aber: Da ist ein Loch in der Welt, das genau Mamas Konturen hat." Wer solche metaphernseligen Sätze nicht überzeugend findet, wenn sie einer Zehnjährigen in den Mund gelegt werden, wird die Lektüre des Romans wahrscheinlich ziemlich mühselig finden.
Andererseits wird eine Geschichte, die um einen Zufallsdialog mit einer Astronautin aufgebaut ist, von vornherein einen ungewöhnlichen Realismusbegriff pflegen. Er ermöglicht jedenfalls eine Perspektive, den Blick von oben auf die Erde und die hochverdichtete Beschreibung dessen, was einem dabei alles fehlt, die sinnliche Erfahrung des Irdischen. In diesem Punkt fallen die beiden Bedeutungen von "Himmel" abermals zusammen. TILMAN SPRECKELSEN
Karen Köhler: "Himmelwärts". Roman.
Mit Bildern von Bea Davies. Hanser Verlag, München 2024. 192 S., geb., 19,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karen Köhlers Roman "Himmelwärts" surft auf der Vermissungswelle durchs Metaphernmeer
Dass Tonis Mutter gestorben ist, erzählt das Mädchen erst nach einigen Seiten von Karen Köhlers Kinderroman "Himmelwärts". Vorher geht es um die langsam oder schnell verfließende Zeit - für die Zehnjährige "eine elastische Lakritzschnecken-Schnur, auf die du Erlebnisperlen ziehen kannst", weitere Zeit-Metaphern des phantasievollen Kindes sind eine umgedreht liegende Schildkröte, "eine Katze mit Gurke" oder "eine Diva auf Stöckelschuhen". Es geht ferner um den Moment des Sterbens und den Besuch des "Ruheforstes", um den einsamen, in Trauer versinkenden Vater und darum, dass Toni keine Beerdigungen mag. Spätestens hier lässt sich ahnen, was dem Mädchen widerfahren ist.
An dem Abend, mit dem Tonis Erzählung einsetzt, kommt ihre beste Freundin YumYum vorbei, in Tonis Worten: "mein bester Nahmensch", zugleich "meine Lachenmacherin und Ich-fange-dich-wenn-du-fällst-Freundin" und noch einiges mehr. Die Mädchen werden in der kommenden Nacht im Garten zelten, um dort unbeobachtet die "Mission kosmisches Radio" durchzuführen, die der "Mission Kontaktaufnahme mit Mama" dient. Außerdem haben sie sich mit gehorteten Süßigkeiten eingedeckt. Tonis Vater sitzt unterdessen im Wohnzimmer, trinkt zu viel Wein, hört immer dieselbe Platte und belügt YumYums überängstliche Mutter, die von der Nacht im Garten nichts wissen darf und ihre Tochter sicher in Tonis Kinderzimmer glaubt.
Dass die Mädchen nun ihr selbst gebasteltes Kommunikationsgerät ins All richten, um Tonis an Hautkrebs verstorbene Mutter irgendwie zu erreichen, spielt mit dem doppelten Sinn von "Himmel", und als sie dann tatsächlich einen Kontakt mit einer Frauenstimme herstellen können, die zur Astronautin Zanna auf der ISS gehört, offenbart die Wildfremde den Mädchen gegenüber fast schon mütterliche Züge: Sie hört sich in den kurzen Slots, in denen die Verbindung zwischen der Raumstation und Tonis Standort möglich ist, bereitwillig an, was YumYum und ihre Freundin zu sagen haben, sie antwortet, rät und schildert das Leben in der Schwerelosigkeit. Als Toni Zanna schließlich ihre größte Sorge anvertraut und sie fragt, ob sie selbst irgendeine Schuld am Tod ihrer Mutter trage, verneint die Astronautin das vehement. "Es gibt so viele Gründe, warum ein Mensch krank werden kann", sagt sie, und sie zählt Veranlagung, Gene und Umwelteinflüsse auf. Manchmal komme auch einfach Pech dazu.
Tod, Zeit, Ewigkeit, Weltall: Köhlers Toni wagt sich an die ganz großen Themen. Was bleibt ihr auch übrig? In dieser Nacht aber gibt es für sie neben ihrem permanenten Grübeln noch die treue YumYum und handfeste Freuden wie einen Berg von Snacks und Limo, die ausgiebige Rülpswettbewerbe ermöglicht. Das ermöglicht Momente, in denen der permanente Druck auf Toni etwas weniger spürbar wird, aber umgekehrt auch etwa durch Süßigkeiten ausgelöste Erinnerungen an die Mutter, die das Essen unmöglich machen.
Erzählerisch sind diese assoziativen Erinnerungen vom Bericht der Nacht im Garten abgelöst, in eingestreuten Kleinkapiteln unter der Überschrift "Tonis Notizbuch". Sie sind nüchterner, halten fest, was unbedingt festgehalten werden muss und schon verspricht, eines Tages und aus einigem Abstand zur kostbaren Erinnerung zu reifen. Dass sie schon jetzt über den reinen Bericht hinausgewachsen sind, dass sie seither hin- und hergewendet wurden, machen Sätze deutlich, die einen Ausflug ans Meer schildern: "Von hier aus erinnert, lag in Mamas Blick aber schon der endgültige Abschied vom Strand."
Ganz anders die Gegenwart im nächtlichen Garten. Der ruhige Blick zurück im Notizbuch steht im deutlichen Kontrast zum daueraufgeregten auf die Gegenwart des Weiterlebens. Und natürlich kann man sich fragen, warum eine emotional so eindrucksvolle Geschichte in einer derart aufgeladenen, oft auch überladenen Sprache erzählt werden muss: "Da überrollt mich eine Vermissungswelle, und ich weiß nicht, wie ich surfen soll. Mein innerer Elefantenrüssel schlenkert ganz ungelenk vor sich hin. Meine Ohne-Mama-Muskeln strengen sich richtig an, aber: Da ist ein Loch in der Welt, das genau Mamas Konturen hat." Wer solche metaphernseligen Sätze nicht überzeugend findet, wenn sie einer Zehnjährigen in den Mund gelegt werden, wird die Lektüre des Romans wahrscheinlich ziemlich mühselig finden.
Andererseits wird eine Geschichte, die um einen Zufallsdialog mit einer Astronautin aufgebaut ist, von vornherein einen ungewöhnlichen Realismusbegriff pflegen. Er ermöglicht jedenfalls eine Perspektive, den Blick von oben auf die Erde und die hochverdichtete Beschreibung dessen, was einem dabei alles fehlt, die sinnliche Erfahrung des Irdischen. In diesem Punkt fallen die beiden Bedeutungen von "Himmel" abermals zusammen. TILMAN SPRECKELSEN
Karen Köhler: "Himmelwärts". Roman.
Mit Bildern von Bea Davies. Hanser Verlag, München 2024. 192 S., geb., 19,- Euro. Ab 10 J.
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"Karen Köhler ist mit ihrem ersten Kinderbuch ein Stück Literatur gelungen, das unter die Haut geht und doch tröstet." Kerstin Breitenfellner, Falter, 05.08.2024
"Mal möchte man weinen, mal laut herauslachen, weil Karen Köhler mit so viel Witz und Wärme erzählt. ... Dieser berührende Roman handelt vom Trauern und Erinnern und davon, wie tiefe Liebe und Freundschaft trösten und Mut machen können." Andrea Lüthi, Neue Zürcher Zeitung, 11.07.2024
"Karen Köhler schreibt federleichte Dialoge und schafft ein Sprachkunstwerk, das glaubwürdig die Trauer einer Zehnjährigen einfängt. ... Die zwischen rot und blauviolett changierenden, teils doppelseitigen Illustrationen von Bea Davies lenken den Blick vom Text in den Nachthimmel und tragen die Geschichte über die Grenzen der Buchstaben und der menschlichen Sprache hinaus." Judith Scholter, Die ZEIT, 01.02.2024
"Mal möchte man weinen, mal laut herauslachen, weil Karen Köhler mit so viel Witz und Wärme erzählt. Mit treffenden Formulierungen schildert sie das Empfinden der zehnjährigen Toni. ... Dieser berührende Roman handelt vom Trauern und Erinnern und davon, wie tiefe Liebe und Freundschaft trösten und Mut machen können." Andrea Lüthi, NZZ am Sonntag, 30.06.2024
"Karen Köhler hat ein Buch geschrieben, das in vielerlei Hinsicht überwältigt. Es passt bestens zu einer Zielgruppe von Mädchen, die noch verspielt sind (was die Illustrationen von Bea Davies fein aufgreifen), dabei clever und wissensdurstig. Die nicht handlungssüchtig sind, sondern sich mit einer Geschichte auch mal in unbekannte Galaxien beamen lassen. Die schnelle Dialoge mögen und Wortschöpfungen von der 'Vermissung' bis hin zum röhrenden Klang des Handygelabers Erwachsener, gehört durch eine Terrassentür hindurch: 'Mwooopmwooopmwoopwopwop'. Ein Buch für junge Leser, die überhaupt Spaß an Ideen wie einem Kapitel-Countdown von zehn bis eins haben. Und: keine Angst vor großen Gefühlen." Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, 05.04.2024
"Es ist kein Buch, das nur für Menschen ist, die mit Verlust oder Trauer zu tun haben. Ganz im Gegenteil! ... Manchmal vermisst man ja auch was, obwohl man eigentlich alles hat. Da ist das Buch unglaublich tröstlich und lebensfroh. Auch all die Wortschöpfungen machen den Text so toll, Lautmalereien, Sprachspiele... Bild und Text korrespondieren miteinander, Bea Davies hat dafür ganz tolle stimmige Bilder gefunden." Andrea Gerk, Deutschlandfunk Kultur, 21.02.2024
"Eine tiefgründige Geschichte, in der zwei Mädchen eine Nacht voller Überraschungen erleben." Ziphora Robina, Radio Bremen Zwei, 01.02.2024
"Mal möchte man weinen, mal laut herauslachen, weil Karen Köhler mit so viel Witz und Wärme erzählt. ... Dieser berührende Roman handelt vom Trauern und Erinnern und davon, wie tiefe Liebe und Freundschaft trösten und Mut machen können." Andrea Lüthi, Neue Zürcher Zeitung, 11.07.2024
"Karen Köhler schreibt federleichte Dialoge und schafft ein Sprachkunstwerk, das glaubwürdig die Trauer einer Zehnjährigen einfängt. ... Die zwischen rot und blauviolett changierenden, teils doppelseitigen Illustrationen von Bea Davies lenken den Blick vom Text in den Nachthimmel und tragen die Geschichte über die Grenzen der Buchstaben und der menschlichen Sprache hinaus." Judith Scholter, Die ZEIT, 01.02.2024
"Mal möchte man weinen, mal laut herauslachen, weil Karen Köhler mit so viel Witz und Wärme erzählt. Mit treffenden Formulierungen schildert sie das Empfinden der zehnjährigen Toni. ... Dieser berührende Roman handelt vom Trauern und Erinnern und davon, wie tiefe Liebe und Freundschaft trösten und Mut machen können." Andrea Lüthi, NZZ am Sonntag, 30.06.2024
"Karen Köhler hat ein Buch geschrieben, das in vielerlei Hinsicht überwältigt. Es passt bestens zu einer Zielgruppe von Mädchen, die noch verspielt sind (was die Illustrationen von Bea Davies fein aufgreifen), dabei clever und wissensdurstig. Die nicht handlungssüchtig sind, sondern sich mit einer Geschichte auch mal in unbekannte Galaxien beamen lassen. Die schnelle Dialoge mögen und Wortschöpfungen von der 'Vermissung' bis hin zum röhrenden Klang des Handygelabers Erwachsener, gehört durch eine Terrassentür hindurch: 'Mwooopmwooopmwoopwopwop'. Ein Buch für junge Leser, die überhaupt Spaß an Ideen wie einem Kapitel-Countdown von zehn bis eins haben. Und: keine Angst vor großen Gefühlen." Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, 05.04.2024
"Es ist kein Buch, das nur für Menschen ist, die mit Verlust oder Trauer zu tun haben. Ganz im Gegenteil! ... Manchmal vermisst man ja auch was, obwohl man eigentlich alles hat. Da ist das Buch unglaublich tröstlich und lebensfroh. Auch all die Wortschöpfungen machen den Text so toll, Lautmalereien, Sprachspiele... Bild und Text korrespondieren miteinander, Bea Davies hat dafür ganz tolle stimmige Bilder gefunden." Andrea Gerk, Deutschlandfunk Kultur, 21.02.2024
"Eine tiefgründige Geschichte, in der zwei Mädchen eine Nacht voller Überraschungen erleben." Ziphora Robina, Radio Bremen Zwei, 01.02.2024