Immer wieder hören wir heute, dass Leidenschaft, Eros und Intimität im Verschwinden begriffen seien und wir in völlig entromantisierten Zeiten lebten. Der Wunsch nach unverbindlichem Matching habe die Suche nach dem Glück im und mit dem Anderen verdrängt. Martin Scherer lässt sich von solchen Befunden nicht beeindrucken. Stattdessen sucht er nach einem Gegengewicht zur Beliebigkeit unseres spätmodernen Zeitgeistes. Ein fast schon in Vergessenheit geratener Begriff, der für pure Anti-Ökonomie steht, soll ihn dabei leiten: Hingabe.Im Zustand der Hingabe verwandelt der Mensch sich in einen Liebhaber, der sich in einem Anderen verliert, um sich zugleich im bedingungslosen Erleben zurückzugewinnen. Auch wenn wir hier meist vor allem an Erotik denken, lässt sich Hingabe als tätige Verschwendung von Aufmerksamkeit, Zeit und Energie auch anderswo finden. Kunst und Wissenschaft etwa, aber auch die Sammelleidenschaft sind Paradebeispiele dafür. Es bedarf nur dieser einen paradoxen Stärke: für etwas schwach werden zu können.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Catherine Newmark empfiehlt wärmstens diesen "hinreißenden kleinen Essay", der in pointierten Beobachtungen Beispiele für das - heute etwas altmodisch anmutende - Phänomen der Hingabe sucht. Liebe, Eros, Religion, Kunst oder Sammeln - all das kann mit Hingabe betrieben werden. Hingabe ist eine Leidenschaft, lernt Newark, die keine Gegengabe fordert, sondern reine Selbstverschwendung ist. Ein wunderbares Gegenstück zur zielgerichteten Selbstoptimierung, die heute en vogue ist, findet die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Scherer (...) zeigt in seinem zitatreichen Text: Schwung und Bildung sind das perfekte Tanzpaar.« Barbara Weitzel in: Welt am Sonntag, 28. Februar 2021