Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,07 €
  • Gebundenes Buch

In einem alten Lieferwagen klappern Wladek und Pawel die Märkte und Basare Südosteuropas ab. Bis vor kurzem sind sie ihre Second-Hand-Klamotten aus "Paris-London-New York" ohne Probleme losgeworden. Doch neuerdings tauchen zwischen Blech, Beton und schmutzigen Glasscheiben farbenfrohe Häuserblocks auf: malerische Hieroglyphen preisen Textilien aus China zu Dumpingpreisen an. Als Wladek sich in die Kartenverkäuferin eines slowakischen Wanderrummels verliebt, werden die beiden Freunde unversehens in das kriminelle Treiben von Menschenschmugglern hineingezogen. Was wie eine…mehr

Produktbeschreibung
In einem alten Lieferwagen klappern Wladek und Pawel die Märkte und Basare Südosteuropas ab. Bis vor kurzem sind sie ihre Second-Hand-Klamotten aus "Paris-London-New York" ohne Probleme losgeworden. Doch neuerdings tauchen zwischen Blech, Beton und schmutzigen Glasscheiben farbenfrohe Häuserblocks auf: malerische Hieroglyphen preisen Textilien aus China zu Dumpingpreisen an. Als Wladek sich in die Kartenverkäuferin eines slowakischen Wanderrummels verliebt, werden die beiden Freunde unversehens in das kriminelle Treiben von Menschenschmugglern hineingezogen. Was wie eine melancholisch-meditative "road novel" begann, entwickelt sich zu einer rasanten Verfolgungsgeschichte, in der es nicht mehr um gefälschte chinesische Westwaren, sondern um Leben und Tod geht.
Andrzej Stasiuk hat einen Roman der Gegenwart und der Zukunft geschrieben wie die Globalisierung über den Osten hereinbricht und ihn verwandelt. Szenen von verstörender Grausamkeit, Episoden von inständiger Zartheit, ein Abgesang auf den europäischen Kontinent: in dieser Melange liegt der Reiz seines neuen Buches. Die meisterhaft gezeichneten Landschaften im Abendlicht der Geschichte bilden den Hintergrund einer Erzählung vom materiellen und moralischen Zusammenbruch einer ganzen Lebenswelt.
Autorenporträt
Stasiuk, Andrzej
Andrzej Stasiuk, der in Polen als wichtigster jüngerer Gegenwartsautor gilt, wurde 1960 in Warschau geboren, debütierte 1992 mit dem Erzählband Mury Hebronu (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt. Stasiuk wurde 1980 zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten und verbüßte seine Strafe in Militär- und Zivilgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Beskiden. 1994 erschienen Wiersze milosne i nie (Nicht nur Liebesgedichte), 1995 Opowiesci Galicyjskie (Galizische Erzählungen) und Bialy Kruk (Der weiße Rabe; 1998 bei Rowohlt Berlin), 1996 der Erzählband Przez rzeke (Über den Fluss; diesem Band ist Die Reise entnommen) und 1997 Dukla. 2002 erhält er den von den Partnerstädten Thorn (Polen) und Göttingen gemeinsam gestifteten Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis. Den literarischen Jahrespreis Nike erhielt Andrzej Stasiuk 2005 für sein Buch Unterwegs nach Babadag. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk er

scheint in 30 Ländern. 2016 wurde er mit dem Staatspreis für europäische Literatur 2016 ausgezeichnet.

Schmidgall, Renate
Renate Schmidgall, geboren am 26. März 1955 in Heilbronn, ist deutsche Übersetzerin polnischer Literatur und lebt in Darmstadt. Sie studierte Slawistik und Germanistik in Heidelberg und war anschließend als Bibliothekarin am Deutschen Polen-Institut beschäftigt. Von 1990 bis 1996 arbeitete sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seither ist sie als freie Übersetzerin tätig.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Bärenkraft und Sensibilität zeichnen Andrzej Stasiuk aus, meint Andreas Breitenstein und denkt dabei auch an die Art, mit der uns dieser Autor immer wieder Nachricht aus den östlichen Randzonen Europas bringt, ob als Reporter oder wie hier als Romancier. Stasiuks Held lebt von den Resten der Zivilisation, selbst am Abgrund des Daseins, ein Hasardeur mit letzten Idealen, wie Breitenstein feststellt, sympathisch, aber verloren. Was er im Buch vermisst, ist eine konsequente Dramaturgie. Immer wieder fühlt er sich von wuchtigen Bildern und der sich durch den Text ziehenden Schwermut überwältigt, vom Plot abgelenkt. Als fordernd, doch auch rauschhaft hat er das Buch empfunden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Jenseits des Eisernen Vorhangs wird es richtig kalt

In Andrzej Stasiuks Road Novel "Hinter der Blechwand" trauern zwei polnische Freunde bei der Fahrt durch Osteuropa der Vergangenheit hinterher.

Von Judith Leister

In Andrzej Stasiuks Osteuropa gibt es keinen Mittelstand, keine Autos mit Klimaanlage, keine gepflegten Häuser mit gemähtem Rasen, keine bürgerlichen Familien und schon gar nichts, was nach Zukunft aussähe. Und wenn in seinem "Balkan-Benelux" doch einmal dicke Autos auftauchen, dann gehören sie wahrscheinlich einem finsteren Mafioso. Seit langem betätigt sich der 1960 geborene Autor als glänzender Chronist der Peripherie, als Dokumentar eines zerfallenden Osteuropas. In seinen Reiseskizzen, Essays und in seinem neuesten Roman kommen viele halbleere Ortschaften vor. Die alten Bewohner dösen vor sich hin, die Jungen sind im Westen. Auf den Weiden stehen ein paar Haustiere, um "autark" zu bleiben, die Ruinen früherer Industriestandorte rotten vor sich hin, und Romagruppen besiedeln verfallene Gebäude, darunter auch die früheren Grenzanlagen.

Insofern passt auch, dass die beiden polnischen Kleinunternehmer Wladek und Pawel auf ihrem Weg durch den Osten in ihrem Ducato sitzen wie "hinter der Blechwand". Bei Hitze und Eiseskälte fahren sie über verschneite Bergpässe oder staubige Landstraßen in die hintersten Winkel, um noch etwas von ihren gebrauchten Klamotten loszuschlagen. Der Dunst von Benzin und Zigaretten, Wodka und Wurstbrot hat das Duo fest zusammengeschweißt. Während Wladek, der Logistiker und Philosoph, die Strecken plant, Deals mit Händlern ab- und Käufer einwickelt, steuert Pawel den Transporter und lauscht den ausschweifenden Betrachtungen seines Partners. Dieser fasst die allgemeine Desillusionierung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs so zusammen: "Keiner hat ihnen irgendwas gesagt. Abserviert ohne Vorwarnung. Zuerst war alles quasi und dann plötzlich ernst. Die Iwans sind abgezogen und keiner ist an ihre Stelle getreten. Kapierst Du?"

Auch Wladek und Pawel sind Wendeverlierer. Früher haben sich ihre Artikel, wie die beliebten golddurchwirkten Pullis, quasi von selbst verkauft. Nun machen sich allerorten fliegende Händler mit Ware "made in China" breit. Doch der Handel mit Wegwerfware aus Fernost ginge den beiden Selfmade-Men allzu sehr gegen den Strich. Gerade Wladek hat seine eigenen Anschauungen und dealt nur mit ausgedienter Westware, die angeblich aus Paris, London oder New York stammt. Unermüdlich wettert Wladek gegen den Konsumismus und rühmt den früheren, besseren Umgang mit der materiellen Welt, als etwa Kleidung noch lange getragen, ausgiebig gepflegt und sogar repariert wurde.

Während die Handlung so vor sich hin tuckert, gibt es jedoch auch Einbrüche von brachialer Gewalt, die das verhängnisvolle Nebeneinander von ungezähmtem globalem Handel und allgemeiner Verwahrlosung drastisch offenbaren. So beißt auf einem Markt eine herbeigelaufene Wildsau einen Vietnamesen tot, weil dieser ihre wildernden Frischlinge vertreiben wollte. Auch an anderer Stelle nehmen die Dinge ihren bösen, quasi naturwüchsigen Lauf. Ein finsterer Menschenhändler, der sein Hauptquartier samt stiernackiger Entourage inmitten einer stinkenden Schweinemast eingerichtet hat, wird von Wladek vor Wut in ein Gehege mit halbverhungerten Schweinen geschubst und von diesen schlicht gefressen.

Den Hintergrund für diesen grausigen Vorfall bildet eine kleine, nur zart angedeutete Liebesgeschichte. Seit langem liebt Wladek Eva. Die junge Frau ist Kartenverkäuferin bei einem slowakischen Wanderjahrmarkt und "gehört" leider dem finsteren Menschenhändler. Um sie auszulösen, werden Wladek und der verängstigte Pawel sogar zu Schleppern für eine Gruppe von Pakistanern. Nach einer letzten Fahrt in die Türkei trennen sich die beiden Männerfreunde auf dem quirrligen Istanbuler Taksim Platz - wo Eva und Wladek endlich zusammenkommen.

Durch die ausschweifenden Erinnerungen Wladeks, die vom Ich-Erzähler Pawel wiedergegeben werden, trägt auch dieses Buch von Stasiuk stark reflexive Züge, beobachtet vor allem und hält dadurch Distanz zum Geschehen. In gewisser Weise ist die moralisch hoffnungslos übercodierte Schweinemordszene an dem Menschenschmuggler da ein deutlicher Stilbruch. Aber das macht nichts, denn es muss einem Schriftsteller erst einmal gelingen, den Leser über rund dreihundert Seiten, auf denen insgesamt nicht allzu viel passiert, derart bei der Stange zu halten. Genau dies schafft Stasiuk mit seiner Road Novel, die viele seiner bekannten Themen variiert, ohne dass man ihrer müde würde.

Andrzej Stasiuk: "Hinter der Blechwand". Roman.

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 349 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Es muss einem Schriftsteller erst einmal gelingen, den Leser über rund dreihundert Seiten, auf denen insgesamt nicht allzu viel passiert, derart bei der Stange zu halten. Genau dies schafft Stasiuk mit seiner Road Novel, die viele seiner bekannten Themen variiert, ohne dass man ihrer müde würde.« Judith Leister Frankfurter Allgemeine Zeitung 20111126
»Die meisten Dinge, hat Andrzej Stasluk einmal geschrieben, existierten in seinem Gedächtnis, weil er sie sich gemerkt, aus der Landschaft gerissen und für immer eine eigene Karte aus ihnen angefertigt habe.Eine solche >phantastische Geographie< ist ihm auch in >Hinter der Blechwand< gelungen.«